Abschleppdienst (fm:1 auf 1, 5246 Wörter) [13/15] alle Teile anzeigen | ||
Autor: Alexander vonHeron | ||
Veröffentlicht: Feb 15 2019 | Gesehen / Gelesen: 10961 / 8354 [76%] | Bewertung Teil: 9.00 (29 Stimmen) |
Während Gudrun am Westbahnhof auf Stefan wartet, lernt sie den Wiener Charme immer intensiver kennen ... |
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Ob sie noch einen Kaffee trinken sollte, fragte sie sich, bremste aber ihre Gedanken gleich ein weiteres Mal ein. Nein - die Preise hier waren einfach unverschämt. Ein Pappbecher und dafür fast an die drei Euro verlangen, schüttelte sie den Kopf. Sie wollte die Bude hier doch nicht kaufen, war ihr fast auf der Zunge gelegen, wie sie die drei Euro über die Tresen geschoben hatte. Und dann war es ein eher heißer Tropfen auf den Stein gewesen - oder besser gesagt ein lauer brauner Fleck in einem Pappbecher. Wenigstens nicht Plastik, sah sie die einzig gute Nachricht aus dieser ersten Erkenntnis, wie die Preisspirale in Wien sich ganz offensichtlich stark nach oben drehte. Also in Gmunden wirst du für so was gleich geteert und gefedert - zurecht ... und das am öffentlichen Pranger, auf dass ein jeder weiß, was Wucher ist, schluckte sie ihre Empörung hinunter.
Nein - so richtig empört war sie gar nicht, gestand sie sich selbst auch ein. Eher nervös. Unendlich aufgeregt über all das, was sie kurz hinter sich gelassen hatte und wie es denn weiter gehen konnte oder sollte. Was sie denn wirklich wollte - diese Frage galt es ganz dringend für sie zu beantworten.
War sie aus dem Käfig nun endlich ausgebrochen, in den sie sich durchaus auch mit eigenem Zutun hatte stecken lassen. Nein, nicht dass sie eingesperrt gewesen wäre oder war im klassischen Sinn. Aber im psychologischen Sinn. Sie war einfach abhängig die ganze Zeit von ihrem Mann und seinen Lauen. Und nochmals, nicht dass er sie schlecht behandelte, anschrie oder gar schlug. NEIN - das war es nicht, was ihr zu schaffen machte. Dass er wie gesagt eher nichts dergleichen überhaupt mehr mit ihr machte oder tat oder ihr wissen ließ, dass sie ihm noch etwas bedeutete ... das war es, was an und in ihr nagte und sie immer mehr Beklemmungen fühlen ließ.
JA - das war ein Käfig, in dem sie sich selbst auch gut aushalten ließ. Aber das war nicht das, was sie wollte, nicht gewollt hatte und schon gar nicht die nächsten und ihre letzten Jahre irgendwie so verbringen wollte. Mitte fünfzig, verheiratet, zwei Kinder, die sie längst nicht mehr benötigten und die sie nun auch selten wohl sehen würde. Die Enkelkinder - auch diese weit weg, sodass die Aufgabe, sie zu beaufsichtigen, bekochen und ihnen vorlesen, mit ihnen spielen, Kindergarten und dann Schule und Aufgaben machen und ... einfach OMA sein ... das alles war mit dem Umzug ihrer Tochter von einem Tag auf den anderen weg gefallen.
Eine Leere, die sich aufgetan hat, in welche sie sich selbst immer mehr und tiefer hinein gezogen fühlte. Ja - ein schwarzes Loch quasi, das sich auftat und sie zu verschlucken drohte. Da gab es nur ein einziges Zitat, an das sie sich erinnern konnte, von einem Philosophen gehört zu haben, dessen Namen sie für den Moment vergessen hatte: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Ja - der auch noch mit dem blöden Zitat, an das sich die Männer wohl am ehesten erinnern würden, schüttelte sie ob solcher Gedanken den Kopf. Ein ganz prägnanter Schnauzbart, fast so wie der beim FranzJosef, dachte sie nach ... und ja das mit der Peitsche und den Frauen: Das war wohl ein Hohn schlechthin, wankte ihr Kopf hin und her.
Ja - Nietzsche ... Friedrich ... jetzt fiel es ihr wieder ein, fühlte sie sich so stolz in dem Moment, als hätte sie bei der Millionenshow einen ganz ansehnlichen Betrag gewonnen.
Verträumt hörte sie noch die Gewinnmelodie in ihrem Kopf und sah sich selbst in diesem virtuellen Geldregen, der den Gewinn darstellen sollte, als sie kurz zusammen zuckte. Sie hatte nicht erwartet, von irgendjemanden hier angesprochen zu werden, wo doch auch ein jeder und eine jede nur so agierte, als müssten sie sich vor den Menschenmassen in Sicherheit bringen. Alles rennet, rettet flüchtet ... surrte es in ihr nach, eher sich langsam das Antlitz eines eher jungen und ihr gänzlich unbekannten Mannes in ihr Gesichtsfeld presste.
Für eine Sekunde lang kam er ihr doch bekannt vor - aber das war dann auch logisch. War das nicht einer jener zwei oder drei Männer etwa im Alter ihres Schwiegersohns gewesen, die am anderen Tisch am anderen Ende des Stehcafes gesessen und geplaudert hatten. In einer anderen Sprache auf jeden Fall, hatte sie in Erinnerung und dabei auf Serbisch oder Kroatisch getippt. Etwas, das ein klein wenig wie Russisch oder eben Slawisch klang, selbst wenn sie davon außer einem »karascho« oder »dobre« ohnehin kaum etwas irgendwie in Erinnerung hatte. Ja - von den Gastarbeitern her, die da bei ihrem Haus mitgeholfen hatten, es im Pfusch aufzustellen ... aber mehr war nicht hängen geblieben.
Dass die drei recht eindeutig zu ihr herüber geblickt hatten, war ihr schon aufgefallen. Aber das hatte sie ja ignorieren wollen und auch so weit wie möglich vermocht. Dass die drei sie sogar musterten oder vielleicht dann das eine oder andere über sie sprachen, fühlte sie. Ein doch unangenehmes Empfinden, wenn sie da drei wildfremde Männer offenbar über eine allein stehende Dame mittleren Alters auslassen. Was auch immer sie wohl getrascht hatten, ihr war nicht ganz koscher dabei gewesen, ohne eine direkten Grund dafür vorbringen zu können.
Weil sie so erzogen worden war, fragte sie sich - auch ähnlich wie sie es ja Brigitte eher immer gesagt hatte. Dass fremde Männer zu vermeiden waren. Und dass diese offenbar ohnehin immer nur das eine wollten, was ...
Nein - das war nicht fair gewesen, war ihr schon klar. Aber das war schon der Spruch ihrer Eltern gewesen, ihrer Mutter - und wohl auch deren Mutter und so zurück bis wohl gar in alle Zeiten. Nicht dass die Männer nun Feinde waren oder Schweine, wie sie sich an einen Refrain kurz erinnern konnte, der ihr die Schamesröte fast ins Gesicht getrieben hatte. Aber nein, gerade hier in der Stadt, da war es wohl klar, dass die Moral eine ganz andere war. Und dass sich hier Männer im allgemeinen dann Dinge heraus zu nehmen wagen würden, was daheim verboten war.
Vor allem eben, wie gedacht ... das eine ...
Beinhard hätte sie dabei mit grotesker Sehnsucht und fehlender Erinnerung darüber grinsen müssen, aber dem war doch nicht wirklich so. Dieses eine, wenn das gewesen wäre, dann ... sie scherzte innerlich sehr bitter ... dann wäre es ja potenziell fast wie Ostern oder Weihnachten für sie, falls die an so was denken würden. Aber das war ja etwas, das ohnehin unter gar keinen Umständen in Frage kommen konnte.
Die einzige Frage, die sich bei solchen Überlegungen nur kurz in ihren keuschen Gedanken stellte, war die Problematik, wie sie denn überhaupt sich solches nur ausdenken konnte.
Aber ja - die Blicke hatte sie schon gefühlt. Selbst wenn das alles sehr selten war und wohl noch länger zurück lag - aber das waren so vertraute Betrachtungen gewesen: Die Form ihrer Figur mit den Augen nachfahrend. Wie sie auf ihren doch nicht unbeträchtlichen Brüsten länger verweilten und dann die Hüfte und Schenkel hinab streiften, um dann wieder auf ihrem Po kurz zu ruhen. Selbst wenn sie darauf saß, so konnte man doch erahnen, dass dieser zwar nicht der kleinste war, aber immer noch recht knackig und fest wirkte.
Und auch wenn sie natürlich einiges zugelegt hatte, teils aus Frust heraus, weil es keinen Sinn machte, zu hungern, wenn ihr Heinz ja ohnehin nicht einmal hinsah. Aber dass ihre Kleidergröße bei vierzig bis maximal eben zweiundvierzig lag, je nach Schnitt natürlich, da war sie doch eher stolz darauf. Und wenn sie an die meisten ihrer Freundinnen dachte im gleichen Alter, so sahen diese »um vieles besser aus«, wie man in beschönigenden Worten eine Dickheit zu kaschieren wusste.
»Entschuldigung - gnädige Frau!«, sprach er in derart perfektem Deutsch, dass sie sich augenblicklich ein wenig beschämt und doch auch geschmeichelt fühlte. Indirekt hatte sie ein radebrechendes »Jugodeutsch1« erwartet.
»Entschuldigung - meine Schönheit, wenn ich Sie einfach so anspreche ... ich weiß ...«, betonte er nochmals seine offenbar lauteren Absichten. Sie hatte ihm wohl indirekt Unrecht getan und weiß Gott welchen Lüstling in dem etwa dreißigjährigen dunkelhaarigen Mann gesehen.
»Sie wirken auf mich ... wenn Sie mir die Freiheit erlauben ... ein wenig ... nun denn: Sitzen gelassen, wenn ich es so sagen darf. Als würden sie nicht abgeholt werden oder aber ... nicht ganz wissen, wohin sich in der großen fremden Stadt wenden?«
Gudrun lächelte, fühlte sich ein wenig geschmeichelt und doch noch in ihren tiefen Instinkten alarmiert. Ja er sah gut aus, war nett und höflich und es stand außer Zweifel, dass er sie mit seinen beiden Freunden beobachtet und studiert hatte. Dass seine zwei Begleiter nicht mehr zu sehen waren, stimmte sie nicht unbedingt fröhlich oder aber deswegen sicherer. Noch immer hatte sie ein feines und dumpfes Gefühl in ihrer Magengrube, dass hier etwas im Schild geführt wurde, das ihr nicht ganz geheuer sein sollte.
»Offenbar sind Sie ja nicht von hier ...«, deutete er auf ihren Koffer hin und griff sich dann fast theatralisch übertrieben an den Kopf, selbst wenn es ehrlich wirkte.
»Entschuldigung! Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt - wie konnte ich nur ... Graf István Széchenyi ...« und wie er sich in Gudruns tiefem Erstaunen wahrlich zu baden schien, ergriff er die Hand der Verblüfften und platzierte einen Hauch eines Kusses darauf.
»Ja ... in Ungarn ... da dürfen wir die Adelstitel noch stolz führen!«, schwoll seine Brust an und mit vollkommener Selbstsicherheit hatte er sich den Sessel zurecht gerückt und Platz neben ihr genommen. Indirekt strahlte dieser Baron sehr wohl aus, dass er sich diese Erlaubnis mit jener Vorstellung seiner Person aus seiner Sicht her eingeholt hatte, sich zu ihr zu sitzen.
»István ... heißt das ... leicht gar ... Stefan ...«, hörte sich Gudrun ein wenig erstaunt eine Frage formulieren, wo doch ganz anderes sonst durch ihren Kopf ging. Das fing damit an, dass der junge eloquente Bursche hier alles mögliche erfinden und behaupten und ihr erzählen konnte. Ja sogar ganz sicher, dass er schwindelte, dachte sie zwar, aber er war sympathisch und außerdem sah er verdammt gut aus, musste sie sich eingestehen. Nicht dass ihr das was bedeuten würde, sah sie sich gleich einer inneren und eigenen Rechtfertigung gegenüber, aber es tat gut, eine Form von Bestätigung eigentlich von einem Wildfremden zu erhalten. Wäre sie eine vom Schiachperchtenlauf2 gewesen, dann hätte er sie ganz sicherlich nicht angesprochen, grinste sie innerlich, ehe sie sich ein wenig weiter selber vorstellte.
»Also Stefan das ist nämlich mein Schwiegersohn, auf den ich hier warte. Und bin Gudrun, Gudrun Oberkreuzhuber - aus Gmunden ... auf Besuch hier, ja - in der Tat ...«
Wie in aller Welt konnte sie denn doch so offenherzig sein, fragte sie sich zwar, aber dieser ungarische Stefan, der angebliche Graf, wie sie nicht ganz glauben konnte, schaffte es mehr und mehr, sie um den Finger zu wickeln. Sie ahnte, sie fühlte es und sie war sich auch fast sicher, dass es seine Strategie war - aber sie konnte sich dem eigenartigen Bann nicht so entziehen, wie sie von allem Anfang an gedacht hatte.
Und - eigentlich wollte sie das auch gar nicht, denn es tat einfach gut, nette Worte zu hören. Es tat so gut, ein immer direkteres Lob zu vernehmen. Es tat gut, wenn er sie mit diesen ganz bekannt anderen Augen immer mehr zu betrachten schien - nein noch keinesfalls auf die ungute und peinliche Art und Weise. Aber so wie er es kaum vermeiden konnte, ihr auf den Busen zu blicken, so war es ihr ja auch nicht fast unmöglich gewesen, ihn von hinten intensiver zu betrachten, wie er sich kurz entschuldigt hatte, um etwas im Cafe zu bestellen.
Ein klein wenig schüttelte er den Kopf und lächelte verschmitzt in Richtung des Verkäufers. Eher sogar vorwurfsvoll, dennoch aber ein schelmischer Blick, den der Mann mit dem Turban sofort zu verstehen schien. Kannten sich die beiden leicht, mutmaßte Gudrun in jenem Augenblick - aber das konnte auch die Geflissenheit des Pakistani sein.
»Pappbecher hätte er mir angeboten ...«, glaubte sie vernommen zu haben und verstand nicht recht, was er damit meinte. Aber schon ging in dieser Sekunde die Tür des kleinen Cafés auf und auf einem Tablett wurde eine Flasche serviert, dazu zwei Gläser.
Noch konnte Gudrun gar nicht recht einordnen, was es denn war und für wen denn wirklich offenbar der Sekt oder war es doch Frizzante oder gar Schampus bestimmt war, als sie bereits ein weiteres Mal erschrocken und heiter zusammen zuckte. Mit einem lauten Knall, der auch andere Passanten kurz zucken und sich ducken ließ, war der Kork aus der Flasche gedreht worden und das perlende prickelnde Gesöff ergoss sich in die bereit gehaltenen Gläser.
»Meine Liebe - Frau Gudrun ... dann lass uns doch mal darauf anstoßen auf diese nette zufällige Bekanntschaft, die wir hier und heute uns zuteil werden lassen«
Seine Reden passten durchaus zu einem Grafen, wenn dieser auch so besonders nasal sprechen wollte, lachte sie sich halb ins Fäustchen und griff wider ihre sonstige Gepflogenheit doch zu dem Glas, das ihr wahrlich aufgedrängt wurde.
Was es denn zu feiern gab außer dem, was dieser ungarische Stephan als Vorwand fand, war ihr gar nicht klar. Aber sie war immer besserer Laune, wie sie von diesem Mann angeflirtet und hofiert wurde und Durst verspürte sie auch in ihrer Kehle. Und von all den anderen Dingen abgesehen, dass ihr Schwiegersohn ja wirklich jede Minute auftauchen würde, war sie hier von so viel anderen Leuten umgeben, dass im klassischen Sinn ja gar nichts passieren konnte, unterdrückte sie das wohl letzte in ihr noch leise schrillende Warnsignal.
Warnung ja - aber wovor denn? Vor einer Charmeoffensive, wie sie diese wohl in diesem Jahrtausend noch nicht erlebt hatte. Und im letzten auch nicht unbedingt, wenn sie nur im entferntesten daran dachte, dass es kaum romantischer zugegangen war, wie Heinz sich ihr gegenüber deklariert hatte. Aber keine Frage: andere Zeiten und andere Sitten - und aus dem heraus würde sie ja niemandem einen Strick drehen. Eher schon dem Heinz, aber das waren dann andere Gründe als alte Liebeserklärungen. Überhaupt keine, nicht mal die Andeutung davon und totales Desinteresse, das waren um vieles eher die Delikte, verdrängte sie den Gedanken an ihren Ehemann und lächelte ein wenig, um höflich zu wirken und zugleich aber nichts sagen und damit verraten zu müssen.
Von einigen netten Worten und Geschichten und Episoden, die dieser eloquente junge Mann ihr offensichtlich zu erzählen begann. Von einer heiteren und bald auch schon beschwingten Atmosphäre, die sich so leicht und verführerisch um sie herum aufzubauen begann, dass Gudrun innerlich immer entspannter und vielleicht auch leichtsinniger wurde, was sie selbst so sagte, so tat, von sich preisgab und dergleichen mehr.
Immer weniger verspürte Gudrun innere Bedenken ihm gegenüber und immer näher schien sein Sessel oder war es nur sein Fuß an den ihren heran gerückt zu sein. Eine fast natürlich erscheinende Bewegung, keinesfalls irgendwie in die Nähe von Aufdringlichkeit oder dergleichen angesiedelt, wie sie selbst für sich die Regeln zu bestimmen schien. Eine erste feine Berührung mit dem Knie, seitlich an sie heran gestreift, die ihm gegenüber saß. Ein kurzes Abreißen dieses fein gefühlten Drucks - von ihm ausgehend, ganz so als wäre er mit Zufall und vollkommen unabsichtlich daran angestreift, so kam es ihr vor ... dann aber ... erneut der feinere Druck. Nun ganz offensichtlich mit mehr Absicht dahinter, auch weil er ihr dabei ganz tief in die Augen sah. In ihre weiten dunklen und sich immer mehr öffnenden Augen, ein verlegenes Lächeln auf ihren Lippen und eine Ungewissheit, was er denn vorhatte.
Aus Verlegenheit wohl und um eher nichts zu sagen, so griff sie wiederum zum Glas und trank daraus langsam und doch intensiv, während sie ihn dabei genau zu beobachten begann. Und ja - er fühlte ihre Blicke, ihre inneren Fragen, die sie nicht zu stellen wagte und er genoss förmlich diese Form der Unsicherheit, die ihr auf den Lippen lag. Er saugte förmlich aus ihrer Luft, ihrer Abstrahlung, ihrer Hitze, ihrer leichten Röte der Wangen - war das nun dem Konsum von Sekt geschuldet oder aber doch von innen heraus in ihr aufsteigender Hitze.
Kaum wagte sie daran zu denken, dass sie etwas in sich kribbeln fühlte, das sie schon als nicht existent abgetan hatte. Erregung oder Spannung, ein wahres sanftes Jucken. Ein Gefühl von leichter Übelkeit, eher aber Nervosität, die von ihr ausging. Eine Empfindung, welche sie ähnlich wie die leichte Beschwipstheit zu betören begann - hatte sie doch noch nichts gegessen, sondern bislang nur getrunken. Und ein Tropfen Kaffee, der war keine Unterlage, um dann Sekt zu schlürfen und nüchtern zu bleiben.
Sie presste die Lippen zusammen und schaffte es für die eine oder andere Sekunde, seinem Blick stand zu halten. Der Druck seines Knies an ihrem, der nackten Haut so knapp über dem Saum ihres Kleides, das durch das Sitzen hoch gerutscht war. Sie fühlte, dass er nicht nur mit dem Knie anstreifte, sondern ganz eindeutig sich damit zu bewegen begann. Ein feines Reiben, ein Auf und Ab Gleiten, eine Bewegung voll von Andeutung und möglicher Interpretation.
Was ... so fragte sie sich immer mehr und konnte es doch nicht verstehen, dass all das überhaupt je so weit hatte kommen können, dass sich diese Frage gar zu stellen begann. Was wollte er denn wirklich von ihr - das waren ja ... Avancen und Annäherungsversuche, die sie unter den berühmten und normalen Umständen sofort von sich gewiesen hätte. Das wäre jetzt ja fast die Szene, die notwendig erschien: Das Glas zu packen und es ihm ins Gesicht zu schützen und ihm an den Kopf hin zu sagen, dass er ein Schwein war oder dergleichen Anschuldigung. Und dass er sich doch keinesfalls so an Damen im mittleren Alter heran machen konnte, um was auch immer dann mit ihnen zu erreichen und aufzuführen.
Zwar ergriff sie das Glas, aber keinesfalls um das zu tun, was ihre Gedanken überlegt hatten, sondern erneut sippte sie daran und sah ihm in die Augen. Diesmal hielt sie dem Blick bewusst länger stand. Und selbst wenn sie ein wenig empört und vorwurfsvoll hatte wirken wollen, was er sich denn da heraus nahm, so misslang dies vollkommen. Was hatte der junge Mann denn nur für einen Blick, musste sie sich wundern und sie wurde sofort zu einem sanften und milden Lächeln geduldet. Eine Reaktion ihrerseits, die ihm natürlich aus Rückenwind zu geben schien.
Dieses Reiben an ihrem Knie war bald schon eine lautlose Forderung, fühlte sie das Kribbeln in ihr immer intensiver werden. Und der Blick - schmachtend, fast schon kitschig, hätte sie in ihrer feinen Berauschung beinahe heraus geprustet, ehe sie sich wieder besann. Wie ihr Kater, wenn dieser auf eine Extraportion bestand und ihr mit diesem Blick eines Sehnsüchtigen und vollkommen Verhungernden auf Schritt und Tritt folgte und dabei schnurrte und laut maunzte.
»Ich ... also ...«, Gudrun rückte sich ein wenig zurecht - aber es hatte wohl nur eine Sekunde gedauert und das Knie war ihr gefolgt und drückte und rieb an ihr wie eh und je.
Was hatte sie eigentlich sagen wollen, presste Gudrun ihre Lippen zusammen. Dass sie hier wartete - auf ihren Schwiegersohn, der offenbar nicht kommen wollte oder konnte oder ...
Das Piepsen ihres Handys in der Handtasche - als wäre es ein letzter Hilferuf, ein Ordnungsruf, ein Hinweis, sich ihr Handeln zu überlegen. Wie mit einer entschuldigenden Handbewegung griff sie danach und sah auf dem wohl bald ersterbenden Display gerade noch einen Hinweis aufblitzen, den sie nicht ganz auf das erste Hinsehen entziffern konnte.
War es eine Adresse, ein Hinweis von Stefan, dem mit dem Auto was dazwischen gekommen war oder aber waren das ihre Gedanken, die nicht mehr klar gefasst werden konnten. Und ohne Brille vermochte sie die Nachricht nicht zu entziffern, zu klein waren doch immer diese Bildschirme - nichts für alte Leute, hätte sie fast gedacht, dann aber für sich selbst auf »reifen Damen« korrigiert.
»Er kommt nicht - oder verspätet sich wohl noch mehr?«, hörte sie die Stimme des ungarischen Grafen so nahe neben sich, dass sie erneut zusammen zuckte. Wie hatte er das vermuten oder erahnen oder aber leicht gar beeinflussen können, kamen ihr verwirrende Gedanken in den Sinn, der von den zahlreichen Gläschen schon getrübt schien.
Aus ihren leicht zittrigen und feuchten Fingern schien ihr das Handy zu entgleiten, das ihr junges Gegenüber aber geschickt auffing und gleich einen Blick aufs Display warf.
»Auhofgasse 1693 - bitte nimm Taxi. Kann nicht kommen« las er ihr vor, während Gudrun immer noch in der Tasche nach einer Brille fingerte, um selbst die Botschaft lesen zu können. Wo hatte sich das Etui in den Tiefen ihrer kleinen getragenen Geheimnisse wohl diesmal nur wieder versteckt, fragte sie sich kurz. Man brauchte wohl eine Brille, um die Brille zu suchen und finden - aber das war wie ein Widerspruch in sich und man begab sich damit in eine gedankliche Endlosschleife konnte sie sich an eine Aussage von Stefan erinnern. Ja der Mann ihrer Tochter war schon ok, manchmal wirkte er total wie nicht von jener Welt, da wandelte er eben in Träumen oder anderen Sphären. Wie ein zerstreuter Professor erschien er ihr eben das eine oder andere Mal - aber wenn es um ihre Tochter ging, da fuhr die Eisenbahn drüber. Die trug er wahrlich auf Händen und versuchte ihr jeden nur denkbaren Wunsch zu erfüllen.
Aber ... warum war er denn verhindert - und das kam ihm erst jetzt in den Sinn, nachdem die Abholung schon ausgemacht worden war. Na ja, möglicherweise eine der kleinen weiteren Katastrophen, die sie da in gewisser Hinsicht im Hintergrund mitbekommen hatte. Was auch immer bei denen los war - vorerst ein Kindermädchen, was sie sich in Gmunden noch nie geleistet hatten. Abgesehen davon, dass sie ja in solchen Fällen dann die Kinder beaufsichtigen konnte und auch tat, wenn die beiden fortgegangen wären. Nun schon klar, dass in Wien um vieles mehr an Kultur geboten wurde, aber von quasi toter Hose in Gmunden zu reden, wäre übertrieben gewesen. Es sei denn die tote Hose bei ihrem Heinz - aber das wiederum war ja genau jenes Thema, an das sie wirklich überhaupt keine Gedanken mehr verschwenden wollte.
Oder aber die beiden ... sie grinste ... wo sie doch wusste, dass Stefan ganz sicher öfter gewollt hätte, als Brigitte ihn 'drüberließ'. Warum nur, fragte sie sich kurz - aber das mochte ja auch durchaus ihr Einfluss gewesen sein, die von den Männern nicht unbedingt die beste Meinung hatte. Wo der Plural nicht ganz gerechtfertigt war, sinnierte sie verschmitzt vor sich hin. Schade, sich mit einem einzigen Deppen fast verschwendet zu haben, kam einiges an Bitterkeit in ihr hoch, was sie aber gekonnt vor ihrem Gegenüber verbergen konnte.
Nun denn - dann also ein Taxi. Das hätte sie ja von allem Anfang an schon tun können, haderte sie mit einer gar so späten Entscheidung. Wenn das mit der Adresse nur wirklich richtig war. Denn bei dem von dem Baron vorgelesenen Namen gab es nicht so etwas wie einen klassischen AhaEffekt.
Auhof, Auhof? In dem einen oder anderen Gespräch war das schon vorgekommen, huschten Brocken von vager Erinnerung in ihren Gedanken vorbei. Aber nicht in Zusammenhang mit dem Haus - oder aber ... was sollte es denn ...
Wird schon stimmen und die Brille hab ich weder verloren noch vergessen. Die hat sich da jetzt wohl aus gutem Grund in einem der vielen Seitenfächer ihrer großen Handtasche versteckt.
Gudrun blickte auf, hatte das Kramen in der Tasche nun endgültig eingestellt und ließ die SMS noch einmal in ihr nachwirken.
Ein jedes Wort wirkte wie ein Tropfen in einem Fass bei Gudrun, das schon längst vom Überlaufen bedroht war.
Ein Fass mit Dingen und Lustbarkeiten angereichert jedoch, die sie in solch einem Ausmaß gar nicht mehr kannte und sich zu fühlen wagte, an was sie dachte ... trotz aller ihr jederzeit bekannter und alarmierender Unvernunft.
Sie konnte es selbst nicht glauben, dass sie nickte, wie er die Frage oder eher sogar schon die Aufforderung stellte, als er ihr dass Handy in die Tasche zurück schob.
»Taxi? Nein - ich bring dich hin. Das versteht sich doch von selbst! Komm meine Liebe!«
Zwar griff sie noch selbst nach dem Koffer, der ihr mit einem Mal schwerer zu sein schien, als wie sie ihn die Rolltreppe herunter getragen hatte. Dann waren schon die starken Hände von István zugegen, welche sich bei ihr einhakten und zugleich ihr Gepäck an seinen muskulösen und jugendlichen Körper heran zog.
Und wie in Trance, so setzte Gudrun einen Schritt nach dem anderen, wie ein frommes Lamm dem jungen netten Mann folgend, von dem sie außer einem offenbar falschen Namen überhaupt nichts wusste. Ein gar so sympathisch wirkender gut aussehender Mann, der obendrein so nett war, und nun sogar in der fremden Stadt Privattaxi spielen würde ... was sollte denn da auch nur schief gehen?
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Hätte auch Stefan den Seiteneingang benützt, wo sich das Parkhaus befand, dann wären sich die beiden wohl förmlich in die Arme gelaufen. So aber humpelte der Schwiegersohn mit quasi hängender Zunge in die Halle und sah sich erstmals im groben um, ehe er im Detail und ganz genau den Wartebereich und die Geschäfte abzusuchen begann, wo der Treffpunkt mit der Schwiegermutter ausgemacht war.
Grübelnd zog er eine weitere Extrarunde und blickte vor allem mit gründlicher Nachhaltigkeit zu jenen Imbissmöglichkeiten hin, wo er Gudrun am ehesten erwartet hätte.
Chinese und Türke schloss er aus, Italiener wohl auch eher nicht, sagte er sich, eher er dann mit zielstrebigem Blick hin zu eben jenem Café schritt, wo der Inhaber gerade eine leere Sektflasche vom Tisch zu räumen begann. Sekt schon um die Zeit, schoss ihm unweigerlich durch den Kopf. Ja ja - damit hatte es ja gestern auch begonnen bei seiner Frau. Ein Gläschen in Ehren kann keiner verwehren ... dabei trank sie ja doch sonst keinen Tropfen wegen Bernhard, wo sie doch stillte. Na ja - der Bursche wird wohl jetzt gut schlafen in der Betreuung von Nora, dachte er sich und steuerte auf den offenbaren Inhaber zu.
»T"schuldigen Sie! Haben Sie hier vielleicht eine Frau so Mitte fünfzig gesehen - vollschlank, dunkle Haare ...«, fragte er und sah etwas verwundert blitzende Augen gegenüber, die ihn offenbar überhaupt nicht verstanden hatten. Das lag weniger an der Ausdrucksweise oder der Hektik seiner Sprache, sondern offenbar sprach der dunkelhäutig wirkende Turbanträger nur sehr rudimentär Deutsch.
»Did you see a wife - in her mid fifties?« zeigte schon eher Wirkung und der Mann im Dreitagesbart reagierte zumindest mit einem breiten Grinsen, womit seine Zahnlücke umso intensiver auffiel. Es war gar nicht notwendig, dass er auf seinem Smartphone nach Fotos durchzusuchen begann, auf denen in jedem Fall auch Gudrun abgebildet sein musste, wie ihm in diesem Moment einfiel.
»MILF - oh yes, big tits, OH YES, I remember ... quite a hot cougar ... oh yes , sat here till a minute ago, maybe... drank a whole bottle of sparkling wine and then went away with a young guy ... turtledoves! What a fucking hot mature lady ... I really envy that bastard - and can well imagine that both of them get their brain fucked within the very next minutes ....«
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