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Zwei (fm:Romantisch, 24842 Wörter) [3/3] alle Teile anzeigen

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Veröffentlicht: Feb 25 2022 Gesehen / Gelesen: 8852 / 6944 [78%] Bewertung Teil: 9.84 (153 Stimmen)
Dritter Teil - Wo eine außergewöhnliche Liebesgeschichte ihre Fortsetzung findet

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Klicken Sie hier für die ersten 75 Zeilen der Geschichte

Dusche. Wenn ihr nachher ebenfalls duschen wollt, geht das natürlich. Wir können gemeinsam frühstücken. Wir haben noch..."

Nein. Nicht mehr wir. Fuck. Nicht mehr Wir.

"Es ist noch ganz viel Zeug da. Soll ich euch Handtücher raussuchen?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, ich verstehe. Du möchtest allein sein. Ich wecke Paula gleich auf, und wir verschwinden. Wir wollten eigentlich nicht mal hier übernachten. Ruf mich an, bitte. Wenn du mich brauchst."

Sie küsste mich schnell auf den Mund. Noch einmal dieser verliebte Blick.

Och, Mädchen. Egal. Halte dich an den Plan. Unter die Dusche.

Sie verschwanden tatsächlich, als ich mich abtrocknete. Steckten noch kurz ihre Köpfe herein und sagten Tschüss. Dann war ich wirklich allein. Irgendwie erleichtert. Dass ich mich nur auf den Plan konzentrieren konnte. Ich wusste, dass ich selbst dafür meine letzte Kraft brauchen würde.

Frühstücken? Ich kann nichts essen.

Packen. Meine Sachen passten nicht alle in meine Reisetasche. Er hatte genug Plastiktüten. Ich überlegte, ob ich ihm etwas von mir hinterlassen sollte. Eine Nachricht? Ein Stück Kleidung? Irgendetwas?

Nein. Nein. Es ist kein Abschied für immer. Das darf es nicht sein. Ein letzter Blick. Seine Wohnung. Sein Bett. Seinen Teddy, den er mir als Versicherung geben wollte. Oh dieser Mann. Oh Helge. Scheiße, Scheiße, Scheiße.

Den Schlüssel. Ich muss den Schlüssel dalassen. Weiter im Plan. Das bekloppte Fahrrad passt nicht ins Auto. Kein Werkzeug für das Vorderrad. Mist. Dreck. Fuck. Ein andermal. Ich muss hier weg. Ich muss hier weg. Jetzt geht es los.

Ich setzte mich ins Auto. Heulte. Heulte. Heulte. Bestimmt eine halbe Stunde lang. Saß noch lange da. Bis ich mich annähernd bereit fühlte, nachhause zu fahren. Nachhause? Mein Zuhause war bei ihm. In seinen Armen. Fuck. Jetzt ging es richtig los.

Hallo Wohnung. Hallo Tal der Tränen. Da muss ich durch. Ich schaffe das. Wir schaffen das. Und dann... werden wir uns wiedersehen.

SMS

Wie ich den Samstagmorgen bei meiner Mutter überstand, weiß ich nicht mehr. Nicht einmal mehr, was dort geschah. Ich war da. Physisch da. Fand mich irgendwann in meiner leeren Wohnung wieder. Ja, leer. Ohne sie war sie leer. Sie hatte meinen Teddy nicht mitgenommen.

Leer. Das war ich auch. Ich weinte nicht einmal. Saß auf dem Bett in dieser Leere. In der ich nicht einmal mich selbst fühlte. Saß, rauchte ab und zu. Hörte meinen Magen knurren. Aß irgendetwas, das keinen Geschmack hatte. Wurde müde. Schrecklich müde. Schlief irgendwann einfach ein.

Erwachte am nächsten Morgen schon gegen sechs Uhr. In meinem Kopf war plötzlich nur Sorge. Um sie. Die Hölle, die sie nun erleben musste, in die ich sie gestoßen hatte. Den Schmerz, den ich ihr bereitete. Den ich nicht lindern konnte. Nicht heilen. Nicht teilen. Immer noch fühlte ich mich selbst nicht. Beobachtete ich mich, wie ich den Alltag aufnahm. Zu meiner Mutter fuhr.

"Geht es dir nicht gut? Du bist ganz blass?", erreichte mich ihre Frage irgendwann am Vormittag.

Erst in diesem Moment erreichten mich meine Gefühle. Brach alles aus mir hervor. Sank ich schluchzend auf ihr Sofa. Gab ich mich für lange Minuten dem Schmerz, der Verzweiflung hin. Um dann von ihrer Sorge, fast schon Panik, zurückgeholt zu werden. Ich erklärte ihr, was geschehen war. Dass ich mich von Janine getrennt hatte. Nicht warum. Das durfte sie niemals erfahren.

Ich blieb länger als gewöhnlich bei ihr, hatte keinen Grund mehr, so schnell wie möglich nachhause zu fahren. Fürchtete mich vor dem Schmerz des Alleinseins. Wusste, dass er und nur er auf mich wartete. Auch, dass ich mich ihm stellen musste. Dass er vergehen würde. Manchmal hilft alles Wissen nichts.

Und immer wieder diese Sorge um sie. Die mich mehr beherrschte, als alles andere. Wann würden wir anfangen dürfen, uns zu kontaktieren? Um uns zu versichern, dass wir noch existierten, so schwer dies auch fiel? Dass wir es schafften, ohneeinander zu sein?

Wir hatten beschlossen, dass ich den Kurs am folgenden Mittwoch leitete, Janine an dem darauf. Und so weiter, bis es wirklich denkbar wurde, uns wieder zu sehen. Telefonieren wollten wir ebenfalls erst einmal nicht. Alles wirklich vernünftige Regelungen. Alles wirklich unerträgliche Regelungen.

Am Sonntagabend hatte ich trotzdem mein Handy in der Hand. Über Nachrichten hatten wir nicht gesprochen. Ja, großartig. Wir hatten uns nicht luftdicht abgedichtet. Aber was konnte dabei herauskommen? Was konnten wir uns schreiben, wie konnte uns das helfen? Na, heulst du auch den ganzen Tag? Es geht dir doch hoffentlich so beschissen wie mir? Ich legte das Handy wieder weg.

Unsinn, da kann nichts Gutes dabei herauskommen. Worte können keine Tränen trocknen. Können kein Pflaster sein, für Wunden dieser unermesslichen Größe. Die ich geschlagen habe. Fuck. Fuck. Fuck. Okay. Das Wort fasst alles, was ich fühle, am besten zusammen: Fuck. Diese Nachricht wird sie verstehen. Oh mein Gott, du Idiot. Du bist wirklich ein Vollidiot.

Ich hatte die Nachricht tatsächlich abgeschickt. Es dauerte keine zehn Sekunden, dann hatte ich ihre Antwort.

"Genau. Fuck."

Und wusste in diesem Moment, dass sie meine Nachricht genauso glücklich gemacht hatte, wie mich ihre. Einfach nur zu wissen, dass der andere noch da ist. Dass es hier nicht endete. Dass wir leiden, aber nicht sprachlos werden würden. Den Kontakt nicht abbrechen. Es die Zukunft geben würde. In welcher Form auch immer in der nächsten Zeit.

Es wurde mir aber auch klar, wie schwer es werden würde, einen Dialog zu führen. Der nicht darauf hinauslief, uns selbst Idioten zu schimpfen und unsere für den Moment sicher richtige Entscheidung zurückzunehmen. Für den Moment war dieser Austausch auch genug. Ich überlegte noch eine Weile, ob ich noch etwas schreiben könnte. Nein, mehr ging nicht. Mehr brauchte es auch nicht.

Und das Irrsinnige trat ein. Zwei Worte von ihr, und meine Tränen hörten auf. Nicht der Schmerz. Aber die Tränen.

Montagmorgen. Ich zog mir gerade die Schuhe an, als mein Handy mit einem Beep den Empfang einer neuen Nachricht vermeldete.

"Ein neuer Tag."

Ich antwortete sofort.

"Unglaublich, aber wahr."

Wir hatten einen Weg gefunden. Einen Weg uns aneinander aufzurichten. Einen Weg, uns mitzuteilen, dem anderen etwas zu geben, was uns weiterbrachte. Unser Verstehen des anderen zu vertiefen. Für den anderen da zu sein. Diese Aphorismen würden uns den Mut und die Kraft geben, dies alles zu überstehen.

In sechs Worten hatten wir uns alles mitgeteilt, was wir wissen mussten. Ich war mit hundertprozentig sicher, dass wir mit beide mit einem Lächeln in diesen Tag gingen. Alles ertragen würden. Diese Worte uns tragen.

Aphorismen

Es war schlimm. Schlimmer als alles, was ich jemals erlebt hatte. Den ganzen Rest des Samstags weinte ich. Der Sonntag verlief ähnlich. Weinen. Leere. Weinen. Leere. Weinen. Und dann: Eine Nachricht. Von ihm.

"Fuck."

Kein Überlegen, sofort meine Antwort: "Genau. Fuck."

Meine Tränen stoppten sofort. Wahnsinn. Ich war... glücklich. Wie kann ein einzelnes Wort glücklich machen? Vor allem dieses? Weil es mehr als nur ein Wort war. Weil so viel darin war. Weil Helge darin war. Er mir alles damit sagte, was ich wissen musste. Wie es ihm ging. Dass er da war. Für mich da war. Dass es nicht enden würde. Wir nicht aus Angst verstummen würden.

Ein Wort. Es brauchte nur dieses eine Wort. Um diesen Abend zu überstehen. Mir ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Mich geliebt und nicht verlassen zu fühlen. Irre. Mir war völlig klar, dass dies ein Anfang war. Kein Ende. Mehr konnten wir uns an diesem Abend nicht sagen. Mehr brauchten wir nicht zu sagen.

Am nächsten Morgen nahm ich mein Handy in die Hand. Dachte keine Sekunde nach. Schrieb einfach: "Ein neuer Tag." Sekunden später die Antwort: "Unglaublich, aber wahr."

Wieder war alles darin, was wir brauchten. Alles, was wir wissen mussten. Alle Unterstützung, die wir uns geben konnten. Durften. Wahnsinn. Der Schmerz war nicht weg. Aber wir würden ihn überstehen. Füreinander da sein. Einander vertrauen. Uns heilen. Wunderbar. Großartig. Aber völlig verrückt.

Es wurde ein Ritual. Jeden Morgen und jeden Abend schrieben wir uns diese Nachrichten. Mal kürzer, mal länger, aber immer enthielten sie komprimiert in wenigen Worte alles. Unsere Gefühle, unsere Hoffnungen, unser Erleben. Aber auch tiefe, fast Zen-artige Sprüche waren darunter, über die wir beide nach der Antwort nachdenken mussten. Oder die ihre Bedeutung im Nachhinein entfalteten.

Die wir uns nicht ausdachten. Das war das Verrückteste daran. Diese Botschaften waren eine Art Eingebung. Wir schrieben sie beide ohne Nachdenken. Aus unserem Innersten heraus. Genau wie die Antworten. Die kamen innerhalb von Sekunden. Als ob unser Innerstes eingriff, um uns zu heilen.

In der ersten Woche leitete Helge die Yoga-Gruppe, ich in der zweiten. In der dritten kam die Botschaft "Gemeinsam" am Mittwochmorgen. Und meine Antwort ein schlichtes "Ja".

Zweieinhalb Wochen nach unserer Trennung standen wir uns gegenüber. Leiteten die Stunde gemeinsam. Wie wir es zuvor bis auf wenige Ausnahmen immer getan hatten.

Es tat nicht weh. Das war die überraschendste Erkenntnis für uns beide an diesem Abend. Wir konnten uns gegenüberstehen. Ohne den Schmerz der Trennung zu fühlen. Es war aber auch eine besondere Situation. Denn wir fokussierten unsere Aufmerksamkeit auf unsere Schüler. Und auf die Asanas, denn mittlerweile war es ein echter Fortgeschrittenenkurs.

Unser gemeinsamer Stolz. Unsere Schülerinnen waren in den nun fast zwei Jahren weit gekommen. Das war unser gemeinsamer Verdienst. Wir hatten beide viel in diese Gruppe investiert. Ein neues Asana für die Gruppe. Es war wie oft. Helge erklärte, ich führte vor. Er berührte mich, um eine minimale Korrektur vorzunehmen.

Es war wie ein Stromschlag. Eine Warnung. Wir konnten miteinander umgehen. Wir konnten aber ebenso miteinander untergehen. Wenn unsere Aufmerksamkeit nachließ. Mein Körper erinnerte sich nicht nur an den korrigierenden Lehrer. Er erinnerte sich sofort an den Geliebten.

Wir sprachen uns während des Kurses nur wegen der Asanas ab. Blieben nicht wie früher für einen privaten Austausch zurück. Fürchteten nicht die Nähe des anderen, aber respektierten die Gefahr. Erst als wir das Yoga-Haus verließen, standen wir uns für einen Moment alleine gegenüber.

"Das lief doch gut."

Er seufzte. Schaute mich mit schräggelegtem Kopf an.

"Ja. Diesmal lief es gut. Das freut mich wahnsinnig. Auch, dass du fast keine Korrekturen mehr brauchst."

Ich musste lachen. Es war ein befreiendes Lachen. Er hatte es ebenfalls gespürt.

"Also nächste Woche wieder?"

"Auf jeden Fall."

Die Versicherung gaben wir uns beide nachdem wir zuhause waren. "Kein Schmerz." Und die gleichlautende Antwort. Gut, das war von beiden Seiten ehrlich. Was unsere Begegnung betraf. Auch einen Großteil des Tages.

Ich traute mich allerdings fast nicht mehr zu masturbieren. Sex war für mich Helge. Und nur Helge. Sobald ich an meiner Muschi spielte, war er da. Ob ich an ihn denken wollte, oder nicht. Es gab keine echte Wahl. Brachte mich in seiner Abwesenheit zum Kommen. Aber dann war er nicht da. Und das war unerträglich.

Sicherer für den Moment erschien mir, möglichst nicht an Sex zu denken. Oder auf der abstrakten Ebene einer Geschichte. Unsere Erlebnisse würde ich ohnehin nicht verwenden. Von Männern verstand ich immer noch nichts. Nur von Helge. Also schrieb ich weiter über lesbischen Sex.

Lena rief öfter an, da ich mich nicht bei ihr meldete. Wir redeten manchmal eine Stunde oder mehr. Sie wurde eine der wenigen, die Details aus meiner Beziehung zu Helge erfuhr. Weil es ihr nicht schwerfiel, das Meiste nachzuvollziehen. Immerhin hatte sie ihn erlebt. Ich scheute weiter davor zurück, mich mit ihr zu treffen.

Sie spielte mit offenen Karten, von Anfang an. Sagte mir, dass sie sich durchaus mehr vorstellen könnte, als nur mit mir zu reden. Aber verstand, dass ich noch Lichtjahre davon entfernt war, mit irgendjemand anderem etwas anzufangen. Ihr ging es nicht um Sex. Oder nicht nur. Deshalb mochte ich sie. Weil sie sehr ehrlich war.

Vielleicht... war dann der Gedanke, den ich nicht zu Ende denken konnte. Ich war einfach nicht soweit. Noch nicht. Noch lange nicht.

Ich dachte oft an das Erlebnis, das Helge als die Begegnung mit dem ekstatischen Selbst bezeichnet hatte. Versuchte mich ebenfalls in Meditation. Aber hatte noch keine echten Erfolge. Mein Geist war ein wildes Monster, dass ich zu zähmen versuchte. Und das funktionierte nicht. Helge hatte es mir zwar zuvor gesagt, aber Geduld kann man nicht vermitteln. Die entwickelt sich. Langsam.

Geduld würde ich für alles benötigen. Das war mir völlig klar. Dass man aber Geduld braucht, um Geduld zu entwickeln, macht es nicht unbedingt leicht. Den Trick hatte er mir leider nicht beigebracht.

Freiheit

2006

Alles beruhigte sich. Alles entwickelte sich. Ich fuhr wieder Rad, die Doppelbelastung mit Arbeit und Pflege war ebenfalls vorbei. Ich arbeitete zwar immer noch im Sozialen Mittagstisch, aber nur ein paar Stunden auf Honorarbasis, um die Webseite zu betreuen und das Netzwerk. Ab und zu vertrieb ich für meinen Chef seine kleinen grünen Männchen aus seinem Computer.

Ich konnte mit Janine wieder auf der Ebene umgehen, die wir vor unseren sexuellen Begegnungen und letztlich unserer Beziehung gehabt hatten. Fast. Wir sahen uns zwar auch privat und nicht nur beim Yoga, aber fast ausschließlich in der Öffentlichkeit.

Wir redeten oft am Telefon, oder schrieben uns E-Mails. Hauptsächlich wegen ihrer Geschichten, die sie weiterhin fleißig schrieb und veröffentlichte. Weiterhin ausschließlich lesbische Stories, selbst die Story mit dem Dreier hatte sie nie veröffentlicht. Sie hatte mir irgendwann gestanden, dass sie selbst beim Entwickeln des Protagonisten schon an mich gedacht hatte.

Ich dachte schon drüber nach, selbst wieder anzufangen, aber zu der Zeit war mir noch nicht nach Schreiben. Nach einer Yoga-Stunde gingen wir wie oft hinterher in das Tave, wo wir auch unseren ersten Abend verbracht hatten. Irgendetwas war anders, das merkte ich sofort. Janine wirkte angespannt.

"Sagst du mir jetzt, was los ist?"

Sie seufzte.

"Nun, ich hatte dir doch erzählt, dass Lena mich weiter hartnäckig verfolgt hatte. Sagen wir es mal so, am Ende hat sich ihre Ausdauer ausgezahlt."

Oh wow. Lena? Janine schaute mich aufmerksam an.

"Das freut mich für dich. Nur Sex, oder seid ihr richtig zusammen?"

"Bis jetzt nur Sex. Aber sie ist über beide Ohren verknallt in mich."

"Und du?"

"Ich weiß nicht, ich mag sie. Mag sie wirklich. Verliebt bin ich nicht. Das habe ich ihr auch so gesagt."

"Hm. Und das irritiert sie nicht?"

"Schon. Sie hofft natürlich, dass sich das ändert."

"Du nicht?"

"Das ist eine fiese Frage, findest du nicht?"

Ja, irgendwie schon. Oder ich verstand zumindest, warum sie das so empfand.

"Janine, du bist frei, das verstehst du doch wohl hoffentlich? Ich kann immer noch nicht absehen, wie lange sich das mit meiner Mutter hinzieht. Im Augenblick lässt mich das Arbeitsamt in Ruhe und ich habe mehr Freiräume. Das kann sich jederzeit ändern."

"Nein, ich bin nicht frei, du Idiot. Ich liebe dich immer noch wie bekloppt."

"Na immerhin bin ich kein Vollidiot mehr. Und ich liebe dich auch. Auf deinen Kosenamen verzichte ich lieber, sonst enden wir heute doch im Bett."

Oh... das hätte ich nicht sagen dürfen. Scheiße. Jetzt denken wir beide dran.

"Und wenn?"

Natürlich. Janine wäre nicht Janine, wenn sie nicht sofort drauf einsteigen würde.

"Janine, ich weiß nicht, wir haben so hart daran gearbeitet, so locker und freundschaftlich miteinander umzugehen. Willst du das gefährden?"

"Ich habe eigentlich gemeint und wenn ich mich in sie verliebe, wie das für dich ist", gab sie mit einem Pokerface zurück, das ich von ihr noch nicht kannte.

"Es würde mich froh machen, dich in einer liebevollen Beziehung zu wissen. Vielleicht würde es auch den Umgang mit dir erleichtern, wer weiß."

"Wir haben vorher immer nur so weit gedacht, dass wir uns Sex mit anderen erlauben. Über Beziehungen haben wir nie gesprochen."

"Dann tun wir es jetzt. Wir tun es ja schon. Bitte, sei einfach glücklich mit ihr. Nichts macht mich glücklicher, als dich glücklich zu wissen."

Sie wurde nachdenklich und spielte mit ihrem Weinglas.

"Okay. Wenn du das willst. Das gilt natürlich für beide Seiten. Ob das nun bei mir schon Lena sein wird, weiß ich nicht. Im Moment ist das Gefühl für eine echte Beziehung von meiner Seite noch nicht ausreichend."

"Du bist ja witzig. Für beide Seiten? Du glaubst, ich halte mich von einer Beziehung mit dir zurück, um dann mit einer anderen Frau das Unmögliche anzufangen?"

"Nicht alle Beziehungen sind total. Nicht alle Frauen extrem. Extrem... geil."

Oh, oh. Nein, diesmal steige ich nicht drauf ein.

"Okay. Es gilt für beide Seiten, wenn du das als Vereinbarung brauchst. Und was gibt es sonst Neues bei dir?"

Fuck. Dieser Blick. Das lässt sie jetzt nicht auf sich beruhen.

"Nichts Neues. Ich liebe dich. Und kann im Moment an nichts Anderes denken, als dich noch einmal in mir zu spüren. Vollidiot. Das weißt du doch ganz genau. Gilt auch das für beide Seiten?"

Ja, appelliere an meine gottverdammte Ehrlichkeit. Miststück. Geliebtes Miststück. Geiles, geliebtes Miststück.

"Und wenn?"

"Beantworten wir jetzt wieder Fragen mit Gegenfragen?"

"Du kennst die Antwort. Das heißt aber nicht, dass ich glaube, dass es eine gute Idee wäre, unseren Impulsen jetzt nachzugeben."

Sie seufzte. Oh? Sie gab sich geschlagen?

"Nein, das ist völlig klar. Wenn wir uns überwältigen lassen. Und wenn nicht?"

"Das verstehe ich gerade nicht. Was meinst du?"

"Nun... vielleicht bin ich wirklich bald in einer Beziehung. Und eins sage ich dir gleich: Lena oder wer auch immer es ist, würde ich nie betrügen, so wie damals Karola. Mit dir. Ich würde sofort die Beziehung beenden, wenn du das wolltest. Aber mich hinter ihrem Rücken mit dir einzulassen, wie damals, das könnte ich nicht mehr."

"Ich auch nicht. Wir haben ihr verdammt weh getan. Da haben wir ein gutes Beispiel, wie schädlich es sein kann, wenn wir unseren Impulsen nicht widerstehen."

"Sicher. Aber jetzt reden wir drüber. Dass wir eine Möglichkeit haben. Dass wir es beide wollen. Dass wir diese Möglichkeit eventuell bald nicht mehr haben."

"Aha. Du willst mich überzeugen, dass wir nicht einem Impuls nachgeben würden, sondern es weise Voraussicht wäre. Du bist unmöglich, Mädel."

Sie grinste über beide Ohren.

Ja, du weißt, dass du gewonnen hast.

"Darum liebe ich dich so. Du süße kleine Fickmaus."

Einmalige Schwäche

Eigentlich war es mir klar, dass ich mit Lena im Bett ende, als ich sie zu mir einlud. Ich wollte es irgendwie auch. Ich brauchte das Gefühl, von einem anderen Menschen berührt zu werden. Zärtlichkeit. Sex.

Brauchte es und erlaubte es mir. Es war schön. Ich fühlte mich nicht schuldig. Es war anders als bei unserem Vierer. Aber er erleichterte es für mich. Es war anders, weil meine Zuneigung stärker war. Wir hatten uns öfter getroffen. Sie war so verschossen in mich, es war unglaublich. Versuchte aber nicht zu agieren. Verstand, dass sie damit sofort alles zerstört hätte. Wartete auf mich.

Drängte mich nicht, aber gab nicht auf. So würde sie ebenso auf die Beziehung warten. Auch das war mir klar. Ich musste Helge davon erzählen. Sehen und hören, wie es ihm dabei ging. Weiter dachte ich in dem Moment noch nicht.

Das tat er dann in dem Gespräch. Und schoss mit einem lockeren Spruch das Eigentor. Das hatten wir beide gut drauf. Wir klärten unsere Standpunkte, was Beziehungen mit anderen anging. Und dann hatten wir beide nur noch eines im Sinn. Wir waren so stark gewesen. So vorsichtig. So vernünftig.

Waren wir jetzt stark genug, uns eine einmalige Schwäche erlauben zu können? Ganz sicher war ich mir nicht. Aber ziemlich. Genug, um ihn nicht vom Haken zu lassen. Trotzdem bereit, mich von ihm überzeugen zu lassen. Das tat er nicht. Das wollte er nicht. Er wollte mich.

Herzklopfen. Als er zu mir ins Auto stieg. Sein Fahrrad würde er am Folgetag holen. So weit weg war das Yoga-Haus von seiner Wohnung nicht. Erregung, ja. Keine Geilheit. Es war eigenartig. Kein Mensch war vertrauter als er.

Mit ihm hatte ich eine unglaubliche Bandbreite von Sexualität erlebt. Von spiritueller Reinheit, über körperliche Liebe, zu genussvollen Sex und purer Geilheit. Das, was ich in diesem Moment für ihn fühlte, war neu.

Es war ihn frei zu lieben. So wurde auch unser Sex. Es war ein Ausdruck dieses Gefühls. Wunderbarer, zärtlicher, reiner Sex.

Wir küssten uns einige Zeit nur. Zogen uns aus. Streichelten uns. Vertrauten uns unseren Körpern an. Genossen das Gefühl, den anderen zu erregen. Ich kletterte auf ihn, spürte sein hartes Glied, aber ließ ihn noch nicht in mich hinein. Rieb an ihm, mit meiner klitschnassen Spalte. Zögerte den Moment der Vereinigung hinaus, so lange es ging. Lange war es nicht.

Ich bewegte mich auf ihm, ruhig, gelassen, frei. Wie ich es ehrlich gesagt noch nie getan hatte. Normalerweise fuhr ich so darauf ab, dass ich immer schnell wild wurde. Beugte meinen Oberkörper immer wieder zu ihm herab, damit ich ihn küssen konnte. Verharrte so einige Zeit bewegungslos, während er die Bewegungen von unten übernahm.

Streichelte sein Gesicht, als mich nach dem Aufrichten wieder gemächlich ans Werk machte. Fühlte seine zärtlichen Hände, die meine Brüste liebkosten. So ging es weiter. Es ging nicht um Höhepunkte, nicht wirklich um Sex. Es war aber auch keine körperliche Liebe, wie wir sie vorher erlebt hatten. Obwohl es aus Liebe geschah.

Einen Höhepunkt erreichten wir trotzdem. Gemeinsam. Einen. Mehr wollten wir beide nicht. Nur noch in unseren Armen liegen. Wir küssten uns nicht einmal mehr. Nur zum Abschied, als ich mich eine halbe Stunde später anzog und nachhause fuhr. Keine Bitterkeit. Kein Schmerz. Liebe. Und Freiheit. Grenzenlose Freiheit.

Wir schafften es also immer noch, uns selbst zu überraschen. Dass es so anders sein könnte, damit hatten wir beide nicht gerechnet. Auch nicht, dass wir beide in den nächsten Tagen emotional nicht verkatert waren. Die Büchse der Pandora zwar geöffnet hatten, aber nicht dabei umgekommen waren.

Im Gegenteil. Es stärkte uns. Beide. Und beide hatten am nächsten Mittwoch keine Bedenken, uns wieder ins Tave zu setzen. Auch nicht den Wunsch, den Abend wie den vorherigen ausklingen zu lassen. Wir sprachen nicht über den vergangenen Mittwoch. Wir wussten einfach, dass wir ihn ähnlich empfunden hatten.

Ich ließ mich nicht lange darauf tatsächlich auf Lena ein. Richtig. Voll. Wir begannen eine Beziehung. Es gab ein Gefälle in unseren Gefühlen. Ich liebte sie schon irgendwie. Aber nicht so intensiv wie Karola, und schon gar nicht wie Helge. Sie wusste das, oder ahnte es zumindest. Es schien ihr anfangs nichts auszumachen. Sie war einfach nur glücklich, mit mir zusammen sein zu können.

Glücklich war ich auch. Erleichtert, beruhigt, dass es gut klappte. Dass Helge gut damit umzugehen schien. Er freute sich einfach für mich. Er selbst suchte sich keine neue Partnerin. Er hatte weiterhin genug mit seiner Mutter zu tun und erzählte, dass es jetzt etwas besser lief. Und er fuhr wieder richtig Rad. Sein bester Freund aus Hannover fuhr ihn zu Rennen. Manchmal fuhr er aber auch mit der Bahn.

Ich versuchte weiterhin, ihn zum Schreiben zu überreden. Er meldete sich tatsächlich im Portal an. Anders als ich spukte er aber zunächst im Forumsteil der Plattform rum. Das hatte er ebenfalls auf einer Radsport-Seite getan und mochte wohl diese Geschichten. Ich konnte mich nicht dafür begeistern. Ich empfand die Leute da einfach nur als eigenartig.

Hauptsächlich Amis, mit den merkwürdigsten Ansichten. Ich las mir ab und zu die Diskussionen durch, die er dort führte. Philosophische Debatten. Typisch Helge. Er hatte ja mal Philosophie studiert. Stellte fest, dass sein Lieblingsphilosoph Rombach noch nicht ins Englische übersetzt war. Machte sich tatsächlich daran, ihn zu übersetzen.

Dann reichte er aber doch seine erste Geschichte ein. Eine Romanze. Die wurden auf der englischsprachigen Seite hauptsächlich von Frauen gelesen. Da er ziemlich heftigen Sex einbaute, war das einigen nicht romantisch genug. Aber gute Bewertungen bekam er doch. Mir gefiel sie sehr gut. Insbesondere, dass sich zwei nach vielen Jahren wieder trafen und eine Beziehung starteten.

Dann ließ er erstmals richtig die Sau raus. Eine völlig irre witzige Geschichte, die er unter Humor einreichte. Bekam sofort die erste Auszeichnung dafür, das begehrte E für Editor's Choice. Und so ging es weiter. Seine Geschichten wurden immer besser.

Meine hatten die Aufmerksamkeit eines Verlegers erregt. Der ausschließlich lesbische Geschichten herausbrachte. Sie kauften acht von meinen zehn veröffentlichten auf. Dort würde ich wenig später ebenfalls meinen ersten Roman auf den Markt bringen. Er verkaufte sich so gut, dass ich tatsächlich richtig Geld damit verdiente. Und von kostenfreien Veröffentlichungen auf dem Portal erst einmal absah.

Davon leben konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber meinen Job besser ertragen. Eigentlich hatte ich mich beruflich neu orientieren wollen. Das hielt ich dann aber deshalb für unnötig. Machte meinen alten Job halbtags. Und verdiente Geld mit dem, was mir Spaß machte.

Lena auch. Sie wurde Polizistin, war kurz davor, ihre Ausbildung abzuschließen. Ende 2006 zogen wir tatsächlich zusammen. Ungefähr zu dieser Zeit erzählte mir Helge, dass er in regem Austausch mit einer deutschen Autorin stand. Die sowohl auf Englisch als auch Deutsch veröffentlichte. Die er in diesem Forum kennengelernt hatte.

Die beiden unterhielten sich abends in einem Chatprogramm. Eigentlich jeden Abend. Irgendwann trafen sie sich, obwohl sie in Berlin lebte. Beim zweiten Treffen knallte es dann und sie hatten Sex. Mein Helge. Fand genau, was er vertragen konnte, in seiner Situation. Eine Fernbeziehung. Ich freute mich ehrlich für ihn.

Fernbeziehung

Nachdem wir einmal schwach geworden waren, und tatsächlich nichts passiert war, wurde meine Beziehung mit Janine absolut gelöst und spannungsfrei. Nun konnte man tatsächlich davon sprechen, dass wir miteinander umgingen wie am Anfang. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns immer noch liebten.

Janine und Lena kamen zusammen. Irgendwie konnte ich das nicht richtig nachvollziehen, da ich Lena ja nur kurz im Kino und bei unserem Vierer erlebt hatte. Da war sie mir zwar lieb und nett, aber durchaus etwas unreif vorgekommen. Ein Mädchen. Keine Frau.

Das änderte sich, als ich die beiden zusammen erlebte. Zum einen war deutlich zu sehen, dass sie Janine vergötterte, zum anderen, dass sie keineswegs unreif war, sondern eine komplette Frau, darüber hinaus mit Charakter und Niveau.

Ich fing tatsächlich an, mich auf dem Internetportal rumzutreiben, wo Janine ihre Geschichten zunächst veröffentlicht hatte. Während ich erst einmal das Forum abcheckte, hatte sie sich dort nicht nur eine Fanbase geschaffen, sondern auch die Aufmerksamkeit eines Verlages erregt, der sie unter Vertrag nahm.

Im Gegensatz zu vielen der anderen Autoren dort wurden ihre Werke nicht nur als E-Book, sondern auch in gedruckter Version veröffentlicht. Sie verdiente wohl nicht einmal schlecht daran. Das freute mich wirklich für sie. Ich hatte dort vornehmlich Spaß, fing aber auch an die eine oder andere Geschichte raus zu kloppen.

Und ich lernte eine deutsche Autorin kennen, Sabine. Sabine publizierte sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch. Die deutsche Seite der Plattform hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht interessiert. Diese Autorin schon. Sie war witzig und wir begannen uns regelmäßig via MSN zu halten. Aus regelmäßig wurde täglich.

Sie hatte eine komische Fickbeziehung mit einem Ex-Freund, die sie eher unglücklich als froh machte, war sonst aber allein. Und schien darunter zu leiden. Wir unterhielten uns stundenlang und irgendwann fragte ich sie, wann sie das letzte Mal essen war, und ob es in Berlin gute indische Restaurants gab. Als sie dies bejahte und sagte, dass sie schon lange nicht mehr essen gegangen war, lud ich sie kurzerhand ein, am folgenden Wochenende. Und fuhr mit dem ICE dorthin.

Es war eigenartig, die Person, mit der ich über Wochen virtuell so ziemlich meine gesamte Freizeit verbracht hatte, nun im richtigen Leben kennen zu lernen. Sie war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte und die ganze Situation war zunächst wirklich merkwürdig. Sie sprach hervorragend Englisch, war ein Sprachgenie, und hatte ein Jahr in Amerika verbracht.

Wir unterhielten uns anders als auf MSN zunächst auf Deutsch, und es war komisch. Wir fanden einfach diese vertraute Bezugsebene nicht. Erst als wir nach reichlich Alkohol bei einer anschließenden Kneipentour über das Forum redeten, und dabei automatisch die Sprache wechselten, änderte sich das.

Es funkte nicht, auch wenn wir ellenlang über Sex geredet hatten und beide wohl nicht ganz ohne Erwartungen in dieses Treffen gegangen waren. Beim zweiten Mal, wo ich bei ihr übernachtete, dann aber doch. Verliebt war ich nur leicht, aber es war genug, um diese Fernbeziehung, in die sich das ganze nun entwickelte, zu führen.

Wir fuhren also abwechselnd an Wochenenden zu dem anderen, verbrachten mehr oder weniger das ganze Wochenende zusammen im Bett, und die Wochentage abends online zusammen. Das war für mich die zu diesem Zeitpunkt ideale Beziehung. Die Zugfahrten hätte ich mir auf Dauer nicht leisten können, aber mit der Mitfahrzentrale war es im Rahmen.

Anfänglich konnte meine Mutter zumindest einen Tag auch alleine verbringen, wenn ich in Berlin weilte, wobei wir ihr Essen über Essen auf Rädern zukommen ließen, am anderen Tag besuchte mein Bruder sie. Als sich ihre Krankheit später verschärfte, zogen wir einen ambulanten Pflegedienst hinzu. Mittlerweile hatte sogar der MDK ein Einsehen gehabt und sie eingestuft.

Es funktionierte. Zum einen, weil ich emotional nicht völlig involviert war, so wie das bei Janine und Lena ja am Anfang auch war. Ich hatte ihr von Janine erzählt, aber eigentlich nur die Eckdaten, woher ich sie kannte, dass wir Dreier mit ihrer vorherigen, und einen Vierer mit ihrer jetzigen Partnerin gehabt hatten. Und ich darüber hinaus vier Monate mit ihr zusammen gewesen war.

Wie sehr ich sie liebte, ließ ich aus. Ganz einfach, weil ich mit Janine immer noch in Kontakt stand und das Gefühl hatte, sie würde sich und unsere Beziehung von ihr bedroht sehen, wenn sie das wirklich wusste. Das war im Grunde auch berechtigt. Hätte sich die Situation mit meiner Mutter geändert, wäre mir die Entscheidung zwischen diesen beiden Frauen nicht schwergefallen.

Aber das tat sie nicht. Sowohl Janine als auch ich investierten emotional mehr in unsere tatsächlichen Beziehungen. Als sich die Situation mit meiner Mutter zuspitzte und es klar wurde, dass die häusliche Pflege nicht mehr gefahrlos durchführbar war, waren wir beide mit unseren Partnern fest involviert.

Wir sahen uns fast nie, ich musste die Gruppe aufgeben, als die letzte Phase der häuslichen Pflege begann, wo ich aus Sicherheitsgründen auch nachts öfter bei ihr blieb. Janine leitete sie noch eine Weile weiter. Dann endete der Kurs, den zuletzt auch immer weniger Frauen frequentiert hatten. Meine Mutter musste tatsächlich ins Heim. Es ging nicht mehr.

Ich war mittlerweile völlig erschöpft. Sie sah es in den wenigen hellen Momenten, die sie hatte, auch ein. Kurz nach ihrer Einweisung dort, wo sie sich allerdings nicht wirklich wohl fühlte, bekam Sabine ein Angebot: Ein Jahr als Sprachlehrerin nach Indien zu gehen. Eine kurze Anfrage ergab, dass auch ich willkommen wäre.

Es lief über die evangelische Kirche und wurde uns so angepriesen, dass wir in einem indischen College Englisch unterrichten sollten. Dazu sollten wir in einer Dorfschule Hygiene unterrichten, um an bestimmte Fördergelder zu kommen.

Wohl war mir zunächst nicht dabei, weil dies schon drei Monate nach der Einweisung meiner Mutter geschehen sollte. Und tatsächlich die Beziehung mit Sabine auf eine andere Ebene rückte.

Ich hatte keinerlei finanziellen Rücklagen und würde meine Wohnung in einer einjährigen Abwesenheit nicht halten können. Sabine und ich wollten zusammenbleiben, und da Janine und Lena immer noch zusammen waren, und glücklich schienen, wagte ich den Schritt, nach Berlin zu ziehen. Für einen Monat, um dann den Trip mit Sabine nach Indien zu machen. Für ihre Wohnung fanden wir eine Nachmieterin, die das Jahr dort wohnen wollte.

Mein Bruder besuchte meine Mutter regelmäßig im Heim. Nun war er gefordert. Es war 2009, und ich hatte sie neun Jahre zunächst betreut, dann gepflegt. Es fiel mir nicht leicht, aber ich musste mir langsam zugestehen können, auch wieder mein eigenes Leben zu führen.

Ich hatte meine Verpflichtung erfüllt. Ich fühlte mich allerdings schon wegen der Länge meiner Abwesenheit unwohl. Hatte die Sorge, sie eventuell nicht mehr lebend wiederzusehen.

Es kam anders. Ich sprach ein letztes Mal mit Janine, erzählte ihr von meinen Plänen und verschwieg andere. Sie wünschte mir Glück für den Aufenthalt in Indien, von dem sie wusste, dass es einer der wenigen unerfüllten Träume von mir war.

Außer dem natürlich, mit ihr zusammen zu sein. Auch der Umzug nach Berlin und damit die Entfernung aus ihrer Nähe schien sie nicht zu schockieren. Sie war ja zu diesem Zeitpunkt noch mit Lena zusammen. Dachte ich.

Es wurde kein ganzes Jahr. Wir bekamen das Visum nicht. Wir hatten unsere Tätigkeit beim Antrag dort angegeben. Keiner von uns beiden hatte allerdings eine Ausbildung als Lehrer genossen. Aus diesem Grunde verweigerten uns die indischen Behörden das Jahresvisum. Wir reisten auf einem halbjährigen Touristenvisum dennoch. Unsere Nachmieterin war flexibel genug, auch damit zufrieden zu sein.

Verlust

Helge. Mein Helge. Weg. Nicht nur auf dem Weg in das Land seiner Träume. Nach Indien. Auch aus meiner Stadt. Aus meinem Leben. Weg. Er wähnte mich noch weiter in guten Händen, in einer glücklichen Beziehung. Das war ich nicht mehr. Ich hatte ihn fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen oder gesprochen.

Lena hatte sich in eine ihrer Kolleginnen verliebt. Die beiden hatten über mehrere Monate eine Affäre, ehe ich es mitbekam. Es war schon lange nicht mehr glatt bei uns gelaufen. Ich warf sie einfach raus.

Irgendwie froh, dass ich endlich einen Anlass hatte. Wollte ich frei für Helge sein? Vielleicht unterbewusst schon. Ich hatte natürlich mitbekommen, dass sich das Martyrium bei seiner Mutter dem Ende zuneigte.

Nicht zuletzt deshalb hatte er sich ja aus dem da noch laufenden Kurs zurückgezogen. Es kam mir gar nicht in den Kopf, dass aus seiner Fernbeziehung eine sehr reale werden konnte. Für eine Beziehung mit ihm war ich ehrlich gesagt noch nicht bereit.

Ich wollte wirklich eine Weile allein sein. Meine Wunden lecken, die Lena mir zugefügt hatte. Nicht lecken lassen. Wollte selbst wieder auf die Beine kommen. Mich festigen. Stark werden.

Ich war in einer komischen Stimmung, als Helge mich anrief. Und von seinen Plänen erzählte. Distanziert von mir und meinen Gefühlen. Wünschte ihm und seiner Freundin Glück. Begriff irgendwie gar nicht, was das bedeutete. Erst in der Woche, als er seinen Umzug nach Berlin vollzogen hatte. Weg. Er war weg.

Er hatte mir versprochen, mich nach seiner Rückkehr zu besuchen. Er wollte natürlich seine Mutter im Heim aufsuchen. Kurz vor der Abreise schickte er mir noch eine SMS. Es würde nur ein halbes Jahr in Indien werden. Irgendein Problem mit dem Visum.

Ich war erleichtert. Ein Jahr war viel. In einem halben Jahr konnte meiner Meinung nach nicht viel passieren. Bis dahin war ich soweit. Notfalls würde ich ihm nach Berlin folgen. Nicht viel passieren. Ja, klasse. Es war Helge. Bei ihm konnte alles passieren.

Dann war er zurück. Wir trafen uns, als er zu einem Kurzbesuch in unserer Stadt weilte. Er hatte seine Mutter besucht und war sehr traurig. Sie war in einem schlimmen Zustand.

Saß im Rollstuhl und war zwar erfreut, dass sie jemand besuchte, erkannte ihn allerdings erst gegen Ende des Besuchs. Die Krankheit war jetzt so weit fortgeschritten, dass sie tatsächlich nur noch seinen Bruder meistens erkannte.

"Fuck. Das tut mir furchtbar leid. Das muss schlimm für dich gewesen sein."

"Ja. In vier Wochen hat sie ihren achtzigsten Geburtstag. Dann bin ich wieder hier, aber werde dich wohl nicht treffen können. Achtzig wollte sie erreichen. Das wird sie wohl. Aber so wie sie aussah..."

"Oh Gott, Helge, das tut mir so leid..."

"Ich mache mir Vorwürfe, weil ich mich nach Berlin und Indien abgesetzt habe. Sie hat nicht einmal auf die Neuigkeiten reagiert..."

Neuigkeiten? Ihm wurde wohl in diesem Moment klar, dass er mir diese ebenfalls mitteilen wollte. Oder musste. Für einen Moment sah er verzweifelt aus. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

"Ja. Das muss ich dir auch erzählen. Indien war... eine großartige Erfahrung. Auch wenn sie uns totalen Quatsch erzählt hatten. Wir haben am Ende nicht am College, sondern einer Dorfschule Englisch unterrichtet. Ich übrigens auch Yoga... es war trotzdem einmalig. Egal. Wichtiger ist... es ging ja über die Kirche. Dort sind auch die Christen sehr fundamentalistisch. Sie wussten natürlich, dass wir ein Paar sind. Aber dort hätten wir nicht einmal im selben Haus wohnen dürfen, geschweige denn miteinander schlafen, es sei denn..."

"Fuck."

Ich wusste es im selben Moment. Ich wusste es. Fuck. Er hatte sie geheiratet. Er hatte nochmal geheiratet. Diese Sabine. Er war ein verheirateter Mann. Er trug einen goldenen Ring am Finger. Das sah ich erst jetzt.

"Wir haben dort geheiratet, ja. Es sollte eigentlich nur eine kleine pro forma Geschichte werden und anfangs hatten wir sogar überlegt, ob wir das in Deutschland überhaupt bekanntgeben... aber dann wurde es ein Selbstläufer... und wir haben da tatsächlich eine Feier mit dreihundert Gästen, Fernsehen, Presse und was weiß ich noch gehabt. Getraut vom Bischof, mit Reden von Politikern, in traditionellen Gewändern und so weiter. Ihre Familie war zwar nicht da, aber wurde informiert. Scheiße, ich..."

Er sah mich verzweifelt an.

"Janine... ich..."

"Vollidiot. Du bist ein gottverdammter Vollidiot."

Zum ersten Mal meinte ich es wirklich. Aber er wäre nicht so verzweifelt, wenn... "Du hast wieder mal nicht nein sagen können, nicht wahr?"

Er schloss die Augen und atmete tief durch.

"Du liebst sie nicht mal richtig?"

"Das kann man so nun auch nicht sagen. Irgendwie schon."

Fuck. Fuck. Fuck.

"Nicht so wie dich."

Jetzt war ich sprachlos. Das wollte ich hören. Aber was nützte das jetzt noch? Was bedeutete das jetzt noch?

"Aber du bist doch auch mit Lena zusammen, und..."

"Nein."

"Nein?"

"Wir haben uns getrennt. Sie hat mich betrogen. Irgendwie scheinen mich alle betrügen zu müssen."

"Oh Janine, verflucht."

"Komm, hau ab jetzt. Lass mich allein."

"Nein. Hör mir zu. Ich liebe dich mehr, als alles auf der Welt. Wenn du mir jetzt sagst, lass dich von Sabine scheiden und komm zu mir, dann mache ich das."

"Bist du jetzt völlig durchgeknallt? Du willst deine Frau für mich sitzenlassen? Nachdem ihr gerade erst geheiratet habt?"

"Was soll ich denn sonst sagen? Warte auf mich, es wird sowieso nicht ewig halten? Das wird es nicht, ich weiß es, aber..."

"Nein, sag einfach gar nichts mehr. Geh jetzt."

"Janine!"

"Bitte. Geh jetzt."

Er schlich wie ein geprügelter Hund zur Tür. Oh Helge. Verflucht. So konnte ich ihn doch nicht gehen lassen.

"Ich melde mich bei dir. Wenn ich es wieder kann."

Dieser Blick. Er hat es verstanden. Ich verzeihe dir.

Verrat

Was hatte ich bloß angerichtet? Nicht nein sagen können... Nein, das war es nicht. In den Vorbesprechungen zu der Fahrt hatte uns der Typ von der amerikanischen Kirche, die das Ganze vermittelt hatte, gesagt, was wir dort zu erwarten hätten. Er hatte uns ganz klar gesagt, was unsere Optionen wären. Und ob wir nicht an Heirat denken würden.

Es war so, wie ich es Janine erzählt hatte. Wir hatten zunächst überlegt, dass niemand in Deutschland von der dort geschlossenen Ehe erfahren musste. Nicht einmal die Behörden. Aber das war auch nicht richtig. Sabine betonte es allerdings so, dass klar war, wie sie wirklich darüber dachte. Sie wollte mit mir zusammenbleiben. Diese Hochzeit irritierte sie nicht. Im Gegenteil.

Mir gestand sie jedoch zu, dass ich eigentlich nicht noch einmal heiraten wollte. Das hatte ich ihr genau wie Janine damals erklärt. Es hätte aber bedeutet, dass wir ein Jahr gemeinsam in Indien verbringen würden, und nicht mal Händchen in der Öffentlichkeit halten durften. Absurd. Also teilten wir zunächst dem Organisator und dann ihrer Familie mit, dass wir es tun würden.

Damit war die Sache schon vor unserer Fahrt klar. Auch als ich mit Janine sprach. Ich konnte es ihr aber einfach nicht sagen. Und dann wurde es nur ein halbes Jahr. Auch sehr lang, aber war es wirklich so zwingend notwendig gewesen?

Das Gespräch mit Janine nach dem Besuch meiner Mutter war dann der Versuch, mit ihr ins Reine zu kommen. Sie reagierte zurecht und wie erwartet verletzt. Ich hatte sie betrogen, verraten. Der Besuch bei meiner Mutter hatte mich total mitgenommen. Ich reagierte nur noch emotional, bot ihr sogar an, mich sofort von Sabine zu trennen.

Wie bescheuert das klingen musste, wurde mir hinterher auch klar. Sie warf mich zurecht raus. Aber zeigte mir, dass sie mir selbst diese ungeheuerliche Sache verzieh.

Jetzt hatte ich es wirklich getan. Ich hatte der Frau, die ich über alles liebte, weh getan. Weil ich einer anderen Frau, die ich auch irgendwie liebte, das Jawort gegeben hatte. Einer Zukunft mit ihr zugestimmt hatte, die nicht für sie gedacht gewesen war. Sondern für Janine. Und jetzt?

Der Verrat wurde sogar noch schlimmer. In Indien hatten wir kirchlich geheiratet. Als wir die standesamtliche Trauung dort auch durchführen wollten, sagte uns ein Mitarbeiter dort, dass wir das nicht brauchten, weil wir ja keine Inder seien. Unsere Behörden wussten nichts von einer solchen Sonderregelung und fragten über die Botschaft dort an.

Es stellte sich raus, dass wir doch dort standesamtlich hätten heiraten müssen. Die Ehe war nicht gültig. Es fehlte eine standesamtliche Trauung. Ich hatte noch eine Chance zu entkommen. Ich nutzte sie nicht. Stattdessen beschlossen wir, die standesamtliche Trauung genau ein Jahr später in Deutschland durchzuführen. Was wir auch taten. Nicht auf den Tag genau, aber fast.

Meine Mutter erlebte noch ihren achtzigsten Geburtstag. Wenn man das erleben nennen will. Sie bekam wohl mit, dass es ein besonderer Tag war, mit vielen Gästen, aber nicht wer diese waren. Wenige Monate später rief mich mein Bruder an.

Sie war im Krankenhaus, in einer Art Koma, aus dem sie nach Angabe der Pfleger nur minutenweise aufwachte. Ich verbrachte einige Stunden an ihrem Bett. Verabschiedete mich. Sie starb zwei Tage später.

Ich schrieb sehr viel in dieser Zeit. Veröffentlichte auf der Plattform sowohl auf Englisch als auch Deutsch. Zudem wurden einige meiner englischen Stories von mehreren Verlegern als E-Books rausgebracht. Eine Romanze auch in gedruckter Version. Durch meine Frau war ich auch auf den deutschen Bereich aufmerksam geworden und wurde dort relativ populär.

Mit ihr schrieb ich auf der englischen Seite sogar gemeinsam, aber nun eigentlich fast lieber auf der deutschen. Literarisch harmonierten wir sehr wohl, im Schlafzimmer leider nicht so wahnsinnig gut. Es hing mit ihren Vorlieben zusammen, die ich nicht teilte, mit denen ich mich allerdings irgendwie arrangierte. Das funktionierte über Jahre einigermaßen. Sex war nicht der wesentlichste Bestandteil der Ehe, wir reisten viel, kletterten noch mehr.

Das Sportklettern und traditionelle Klettern, zu dem sie mich gebracht hatte, war unsere größte Gemeinsamkeit und füllte unsere Wochenenden und Urlaube aus. Dies und Schreiben. Ich machte nach Indien kaum noch einmal Yoga, in Berlin konnte man nicht so leicht wie in meiner Heimatstadt Rad fahren, also hörte ich auch damit auf. Lebte irgendwie halbwegs ausgefüllt von okay Jobs und Hobbies an der Seite einer Frau, die ich schätzte und durchaus liebte.

Aber keineswegs so sehr wie Janine. Die sich lange nicht mehr meldete. Auf der englischen Seite des Portals hatte sie schon Ewigkeiten nicht mehr veröffentlich. Plötzlich kontaktierte mich eine neue deutsche Autorin, die ihren Einstand dort mit einer irrsinnigen lesbischen Crime-Story feierte. Ich hätte wissen müssen, wer die Autorin war, als ich die Geschichte las.

Janine. Ich wusste es nicht und gratulierte der unbekannten Autorin einfach zu dieser absolut geil geschriebenen außergewöhnlichen Geschichte mit der öffentlichen Kommentarfunktion. Bekam auf mein Feedback eine private Antwort.

"Freut mich, dass du wenigstens meine Geschichten noch geil findest, du Vollidiot."

Ich war unglaublich happy, dass ich wieder in Kontakt mit ihr stand. Sie hatte sich eigentlich vom Schreiben zurückgezogen, veröffentlichte nur noch sporadisch kommerziell. Das hing vor allem mit ihrem Karrierewechsel zusammen. Ich staunte nicht schlecht, als ich hörte, dass sie in Wiesbaden war und eine Ausbildung beim Bundeskriminalamt machte.

Sie ging nicht ins Detail. Mit nichts. Erzählte mir weder, ob sie auch wieder in einer Beziehung war, noch was sonst mit ihr oder in ihrem Leben vorging. Ich akzeptierte dies und folgte ihrem Beispiel. Sie postete noch weitere Geschichten und zog sie dann auf einmal alle zurück.

Grund war ein "Kritiker", der neben Trollen, die dort systematisches Downvoting betrieben, das zweite große Ärgernis im deutschen Bereich war. Mich hatte er auch ordentlich genervt, aber bei ihr war es wohl schlimmer, da er sie auch per E-Mail belästigte. Das teilte sie mir schon mit. Sonst nichts. Nur, dass sie da war. Und meine Geschichten las.

Es gab eine Kategorie, in der ich schrieb, die sie überhaupt nicht mochte. Sie mochte aber meinen Roman, der von meiner Zeit in London handelte und im Wesentlichen autobiographisch war. Alle Versuche, über den von ihr abgesteckten Bereich hinaus weiter in Kontakt zu treten, blockte sie ab.

Es war nicht wichtig. Wichtig war mir nur, dass der Kontakt nicht verloren ging. Ich hatte das Gefühl, sie wartete auf etwas. Auf ein Signal, von mir. Das ich nicht geben konnte. Denn meine Ehe ging ins dritte Jahr. Und etwas Anderes geschah. Sabine wurde schwanger.

Aus

Helge war weg. In Berlin. Verheiratet. Ich hatte die Todesanzeige seiner Mutter in der Zeitung gesehen. Überlegte, ob ich zur Beerdigung gehen sollte. Ich konnte es nicht. Er würde dort mit seiner Frau sein. Nein, ich musste meine Träume und Hoffnung ebenfalls begraben.

Mich um mich selbst kümmern. Mein Leben neugestalten. Das tat ich dann auch. Radikal. In der FAZ fand ich eine Stellenausschreibung vom BKA. Vielleicht war es die Zeit mit Lena, die ihre Karriere ja bei der Polizei gemacht hatte, die mich darauf antworten ließ. Ich weiß es heute noch nicht. Ich wusste nur, dass ich es wollte.

Ich musste zu mehreren Eignungstests nach Wiesbaden. Wurde angenommen. Machte dort auch meine Ausbildung. In Wiesbaden wollte und sollte ich aber nicht bleiben. Nach der Ausbildung zog ich nach Berlin. War das wegen Helge? Ja und nein. Die Abteilung, für ich die rekrutiert wurde, hatte dort ihren Hauptsitz. Das wusste ich natürlich vorher.

Ich kontaktierte ihn nicht. Ich konnte es einfach nicht. Er hatte mir weh getan. Ich hatte ihm verziehen, aber ich konnte nicht mit ihm sprechen. Ich gehörte nicht zu dem und in das Leben, das er jetzt führte. Ich folgte ihm aber doch. Auf dem Internetportal, wo wir ja beide veröffentlichten.

Ich tat das eigentlich schon nicht mehr. Jedes Jahr schrieb ich einen neuen Roman, aber die Qualität sank. Das hing damit zusammen, dass ich mich mit Beziehungen einfach nicht mehr auseinandersetzte. Auseinandersetzen wollte. Weder real, noch fiktional.

Teile meiner neuen Tätigkeit sorgten zusätzlich dafür, dass ich zu Sexualität und Menschen ein verändertes Verhältnis bekam. Wo ich mir Gefühle nicht leisten konnte. Ich jagte diejenigen, die sich an Wehrlosen vergriffen. Ich jagte Monster. Durchaus erfolgreich.

Während der Ausbildung las ich nicht nur. Ich hatte ein Tablet von meiner Arbeit zur Verfügung gestellt bekommen. Ich las damit gern im Bett und auf langen Zugfahrten. Hatte plötzlich nach dem Lesen einer von Helges deutschen Geschichten Lust, etwas zu schreiben. Legte mir einen neuen Usernamen an und schrieb eine Geschichte einfach direkt in das Eingabefeld.

Ich weiß nicht, ob ich wirklich geglaubt hatte, dass ich eine Reaktion von ihm bekommen würde. Ich las öfter im Antworten-Portal, sah dadurch, dass er nur bei ganz wenigen Autoren kommentierte. Meinen Stil konnte er nicht erkennen. Ich hatte noch nie deutsche Geschichten geschrieben.

Er war tatsächlich sogar der allererste, der kommentierte. War völlig davon hingerissen. Schrieb allerdings auch, dass ihn der Stil an seine englische Lieblingsautorin erinnerte. Ich grinste den ganzen Tag während des Unterrichts vor mich hin. Und schrieb ihm dann eine passende Antwort.

Er war überglücklich. Wieder mit mir in Kontakt zu stehen. Bombardierte mich mit Fragen zu meinem Leben, meinem Befinden. Ich blockte ab. Teilte ihm nur mit, was ich gerade tat. Ich wollte nichts von seinem Leben wissen, seiner Ehe. Er sollte nicht wissen, dass ich bald in seiner Nähe leben würde.

Ich hatte Angst, in sein Leben einzugreifen. Es war kein Spruch gewesen, das war mir völlig klar. Wenn ich das gewollt hätte, hätte er seine Frau sofort für mich verlassen. So sehr ich mir das wünschte, dazu hatte ich kein Recht. So empfand ich es jedenfalls.

Wir tauschten uns nur über Geschichten aus. Ich verlor bald die Lust, im deutschen Bereich zu posten. Ein Schwachkopf wollte mir unbedingt seine Ideen von Literaturqualität um die Ohren hauen. Verfolgte mich sogar weiter per E-Mail, als ich dummerweise erst in eine Diskussion mit ihm eingestiegen war. Das führte dazu, dass ich meine Geschichten zurückzog. Und meine eigens dafür angelegte E-Mail nie wieder nutzte.

So folgte ich nur noch Helges Geschichten. Er war im deutschen Bereich extrem populär. Auch, weil er in einer Kategorie schrieb, mit der ich gar nichts anfangen konnte. Aber er schrieb nicht nur das. Einen autobiographischen Roman über seine Zeit in England. Und immer wieder über mich.

Nicht über unsere Geschichte. Aber viele seiner Protagonistinnen hatten Züge meiner Persönlichkeit. Waren seine Geschichten so immer wieder eine Liebeserklärung an mich. Die Einzige, die ich zuließ. Die mich aber glücklich machte. Dann hörte er plötzlich auf zu schreiben.

Ich war mittlerweile in Berlin. Es war Januar 2013. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten las ich im Forum. Suchte nach einer Antwort für sein plötzliches Verstummen. Ohne ihn fragen zu müssen. Und fand sie dort. Ein Kind. Eine Tochter. Sie hatten ein Kind.

Aus.

Alle Hoffnungen, die ich mir selbst nicht eingestehen konnte, zerplatzt. Dass diese Ehe scheitern würde. Es nur eine Frage der Zeit war. Dann unsere Zeit begann. Unsere zweite Chance. Meine, unsere Vision. Das konnte doch nicht wahr sein. Das durfte doch nicht wahr sein.

Aus.

Eine Liebe, die alles überdauerte. Die mir selbst in der Trennung die Tränen getrocknet hatte. Die uns befreit hatte. Auch von sich und uns selbst. Ich trauerte. War einen Tag lang unfähig irgendetwas zu tun. Nicht einmal zu weinen. Saß in meiner schönen neuen Wohnung, nur wenige Kilometer von der Liebe meines Lebens entfernt. Würde ihn niemals wiedersehen.

Aus.

Am Ende des Abends dachte ich daran, mir das Leben zu nehmen. Weil mir meins genommen war. Das, was ich wirklich wollte. Das, was mich alles ertragen ließ. Das Leben mit ihm.

Ich tat es nicht. Lebte weiter. Ausgehöhlt, eines wesentlichen Lebensinhaltes beraubt. Machte weiter, machte Karriere. Fand Frauen, mit denen ich einfach nur Sex hatte. Andere, mit denen ich Beziehungen hatte. Kurze, leidenschaftliche Beziehungen. Ohne echte Liebe. Ohne echte Wärme. Ohne ihn war alles nur ein schaler Abglanz der Wirklichkeit, der wirklichen, echten Liebe.

Erst 2016 verliebte ich mich wieder in eine Frau, Sylvia. Führte für zwei Jahre eine schöne und durchaus glückliche Beziehung. Sie starb bei einem Verkehrsunfall. Mit ihr starb mein Wunsch und die Fähigkeit noch einmal zu lieben. Mich noch einmal auf irgendjemanden einzulassen. Irgendjemand Neuen.

Aus.

Ich brauchte ihn. So sehr. Er war fast aus meinen Gedanken verschwunden gewesen. Die Trauer spülte ihn wieder hoch. Im August 2018 suchte ich erstmals wieder das Portal auf. Er hatte nichts Neues gepostet.

Ich war immer noch von meiner Trauer überwältigt. Brauchte einfach nur ein Wort von ihm. Zögerte lange. Schrieb dann eine E-Mail. An die Adresse, die ich von unserem Kontakt im Portal hatte.

Sie kam zurück. Empfänger unbekannt. Seine Webseite, seine Domäne, die daran geknüpft war, existierten noch. Aber war ebenfalls schon seit Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Seine Blogs waren verschwunden. Ich versuchte seine Handynummer. Eine fremde Frau antwortete. Nicht seine. Es war nicht mehr seine Nummer.

Ich hätte nur zwei Minuten bei der Arbeit gebraucht, um seine aktuellen Daten herauszufinden. Seine Adresse. Seine aktuelle Telefonnummer. Doch davor schreckte ich zurück. Er hatte sie mir nicht mitgeteilt. Ich hatte kein Recht, sie mir auf diesem Wege zu besorgen. Nein, das durfte ich nicht. Aber auch eine andere Angst hielt mich zurück. Dass es ihn gar nicht mehr gab.

Aus.

Rückzug

Gescheitert. Meine Ehe war beendet, war es längst gewesen. Trotz unseres Kindes, meiner geliebten Tochter. Die ersten Jahre nach ihrer Geburt waren einfach von ihr dominiert gewesen. Enorm anstrengend, aber trotzdem erfüllt und schön. Es gab nur noch sie und unsere kleine Familie. Eigentlich nur sie.

Ich arbeitete sehr viel, gab alle Hobbies auf. Kümmerte mich in meiner Freizeit um das Kind und den Haushalt. Meine Frau war dort nie besonders beteiligt gewesen. Nach der Geburt unserer Tochter noch weniger. Das Kind erforderte Zeit. Viel Zeit. Und Zuneigung. Da blieb nicht viel für uns.

Meine Frau kümmerte sich um das Kind. Vielleicht etwas mehr als ich. Aber lebte auch wieder ihre Hobbies. Schrieb weiter. Ging klettern. Fing tausend andere Sachen an, gab Sprachunterricht für Immigranten, involvierte sich in der Kita im Elternbeirat, und so weiter.

Für mich blieb nichts. Nur die Arbeit. Ich las, schaute fern. Zu mehr war ich in meiner knapp bemessenen Freizeit nicht mehr fähig. Sie war entweder unterwegs, meist mit dem Kind, denn sie band unsere Tochter in ihre Unternehmungen ein, oder saß vor dem Computer.

Als Familie traten wir eigentlich nur in unseren wirklich schönen Urlauben auf. Wir schliefen kaum noch miteinander. Lebten nebeneinander her, zusammengekittet nur durch das Kind. Waren uns auch bei der Erziehung nicht einig. Es wurde langsam zu viel. Das Kind brachte mir schließlich eins meiner uralten Hobbies zurück.

Auf einem Flohmarkt, wo sie sich etwas aussuchen konnte, wählte sie ein kleines Kinderteleskop. Als Kind hatte ich ebenfalls mal eins geschenkt bekommen und damit glückliche Nächte verbracht. Später hatte ich auf ein Richtiges gespart, doch das Geld ging für andere Zwecke drauf.

Das Teil vom Flohmarkt taugte nichts. Also schaute ich auf Ebay nach einem Besseren. Stellte fest, dass die kleinen Dinger teurer waren als ordentliche. Kaufte ihr kurzerhand ein Richtiges für den Startpreis. Das war natürlich viel zu groß und umständlich für ein kleines Kind. Für den Papa schon ganz okay.

Dem reichte das nach kurzer Zeit aber nicht mehr. Und da es uns finanziell eigentlich gut ging, ich schon lange nichts mehr für mich selbst angeschafft hatte, kaufte ich mir tatsächlich das Teleskop, auf das ich als junger Erwachsener gespart hatte. Erfüllte mir meinen Traum.

Hatte wieder ein Hobby, was mich ablenkte und ausfüllte. Ich konnte alle meine Tätigkeiten für die Familie ausführen und war in den Abend- und Nachstunden auf dem Balkon. Frustriert nach kurzer Zeit, weil es Berlin war. Extreme Lichtverschmutzung. Man außer Planeten wirklich nichts sah. Fing mit der Astrofotografie an. Wofür das Teleskop in der vorliegenden Form nicht ausgerüstet war.

Also ging es weiter, investieren, umrüsten, aufrüsten, mehr und mehr Equipment. Mehr und mehr Zeit, aber auch erste Ergebnisse. Trotzdem immer wieder Auseinandersetzungen mit meiner Frau. Mir wurde klar, dass ich mich aktiv von ihr zurückzog. Mich nichts mehr mit ihr verband. Außer unserer Tochter.

Nach einem Streit dachte ich 2018 erstmals laut darüber nach, sie zu verlassen. Sie war geschockt, obwohl sie es eigentlich hätte kommen sehen müssen. Reagierte, indem sie uns für Therapiesessions bei einer Familienberatung anmeldete. Wir gingen einmal die Woche hin und versuchten uns dort in Gesprächen und mit den Vorschlägen, die wir dort bekamen, wie einem regelmäßigen Date-Abend, wieder anzunähern.

Es funktionierte eine Weile. Aber nur eine Weile. Dann ging alles wieder von vorne los. Es wurde mir mehr und mehr klar, dass ich nur noch wegen meiner Tochter blieb. Die ich wirklich über alles liebte. Der ich auch eine Familie mit Mutter und Vater bieten wollte. Meine Frau liebte ich nicht mehr.

Etwas Anderes wurde mir klar. Ich brauchte Liebe zum Leben. Meine Frau beteuerte, dass sie mich liebte. So, wie sie sich mir gegenüber verhielt, konnte ich das nicht glauben. Und dann war sie plötzlich wieder da. Die Sehnsucht. Nach Janine.

Ich versuchte sie per E-Mail zu kontaktieren. Fühlte mich scheußlich dabei. Als ob ich meine Frau betrügen wollte. Die E-Mail kam zurück. Empfänger unbekannt. Scheiße. Ihre Telefonnummer hatte ich nicht mehr. Ich hatte mehrmals Anbieter und Nummer gewechselt.

Die SIM, wo ihre noch drauf war, blieb in einem alten Handy, das ich einer Asylbewerberin, die bei uns kurzzeitig geputzt hatte, geschenkt hatte. Die dann untertauchte, als ihr Antrag abgelehnt wurde.

Ich hatte keine Möglichkeit mehr sie zu kontaktieren. Ich wusste nicht einmal wo sie jetzt lebte. Sie lebte zwei Stadtteile weiter. Das wusste ich natürlich nicht. Nein, aus. Der Traum war ausgeträumt. Das war im August 2018. Ich würde hinterher erfahren, dass Janine zur selben Zeit versuchte, mich zu kontaktieren. Ein irrsinniger Zufall. Zufall?

Noch blieb ich in meiner Ehe. Im Frühjahr 2019 eskalierte alles dann doch wieder. Wir kehrten zur Familienberatung zurück. Klärten aber nur eines: Dass wir uns trennen würden, und wie. Ich konnte nicht mehr. Wollte nicht mehr. Hatte das Gefühl, dass meine Zeit sich dem Ende zuneigte. Wollte mich einfach nur noch ein wenig mit mir selbst beschäftigen.

Noch etwas Zeit für mich haben. Die Dinge, die ich in meinem Leben noch erreichen wollte, erreichen. Trotzdem für mein Kind da sein. Also ging eines nicht, was ich sonst vielleicht getan hätte: Nach England zurückzukehren. Aus Berlin wollte ich aber weg.

Die Stadt war mir langsam zu viel geworden. Der Lärm, die Hektik und nicht zuletzt die Lichtverschmutzung, die mich bei meinem Hobby einschränkte. Also ein Kompromiss: Im Juni 2019 zog ich aus Berlin raus, in eine zwanzig Kilometer entfernte Kleinstadt, die so gut angebunden war, dass ich meine Tochter problemlos besuchen und jedes zweite Wochenende zu mir holen konnte.

Von der Arbeit her war das auch kein Problem, da ich schon seit einem Jahr im Homeoffice arbeitete. Also keine Pendelei. Ich hatte mein ruhiges Refugium für mich und meine Tochter. Einen Himmel, der endlich auch mehr Sterne zeigte. Zeit, wieder zu mir selbst zu finden. Und viele Pläne.

Das Rauchen aufgeben, wieder mit Yoga anfangen. Mich stabilisieren. Die Geschichte schreiben, die ich immer noch schreiben wollte. Ein Astrofoto wenigstens machen, mit dem ich wirklich zufrieden sein konnte. Für meine Tochter ein kleines Reich schaffen, in dem sie sich wohlfühlen konnte. Die Wohnung in Berlin war viel zu klein und eng für drei gewesen. Sabine wollte da aber nicht weg.

In meiner neuen Wohnung hatte meine Tochter ihr eigenes Zimmer. Und ich wirklich auch Zeit und Geduld mich mit ihr in den Ferien und an den Wochenenden zu beschäftigen. Ohne den Stress durch die zahllosen Termine meiner Frau und ohne die Erschöpfung, wenn ich dann Zeit für sie hatte.

Alles fing gut an, obwohl es mit dem Rauchen aufzuhören nicht klappte. Ich bekam gesundheitliche Probleme. Die hatte ich vorher eigentlich auch schon gehabt. Das Rauchen. Ich hatte chronische Beschwerden, regelmäßig Erkältungskrankheiten, die nur schwer verheilten. Musste oft auf Asthma-Sprays zurückgreifen, um überhaupt noch Luft zu bekommen.

Im Winter 2019 kamen dann neue Symptome hinzu. Hatte ich plötzlich bei ausreichender Zimmertemperatur eine Körpertemperatur unter 34 Grad. Schwächeanfälle. Kreislaufstörungen. Zusammenbrüche.

Die Spiro attestierte eine Lungenkapazität von 35 % vom Normalwert. Meine Hausärztin empfahl mir mit ernster Miene, mich von Spezialisten untersuchen zu lassen. Um einen Verdacht auszuschließen, den wir beide hatten.

Ich konnte es nicht. Ich hatte keine Angst vor dem Tod. Wohl aber, meiner Tochter mit der Gewissheit gegenübertreten zu müssen. Die Symptome verschwanden wieder. Meine Ahnungen nicht. Und dann kam Corona.

2020

Corona

Erstmal voll gefickt. Von Corona gefickt. Ich hatte gearbeitet wie blöde. Meinen ganzen Jahresurlaub am Stück genommen. Sechs Wochen Urlaub. Dazu noch eine komplette Woche Überstunden dafür aufgehoben. Um nach Indien zu fliegen. Und dann dieser Scheiß. Flug unmöglich. Das Geld würde ich wiederbekommen. Meinen Urlaub könnte ich teilweise verschieben.

Wollte ich aber nicht. Fuck. Wer wusste schon, wie lang der Dreck dauert. Klasse. Sechs Wochen zuhause. Und jetzt? Vielleicht doch mal wieder schreiben? Yoga? Meditieren? Hatte ich alles schon Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Schreiben? Mein letztes Buch war 2016 erschienen.

Mein Besuch in Indien sollte eigentlich der Inspiration dienen. Mich wirklich wieder mit Yoga zu beschäftigen. Ich plante sogar einen Besuch in einem Iyengar Ashram. Ich war unausgeglichen, oft gereizt, machte meine Untergegeben aus den nichtigsten Gründen zur Sau. Die waren von meiner Idee, sieben Wochen Urlaub zu machen, begeistert. Kein Wunder.

Also gut. Lesen wir mal was Erotisches. Auf Deutsch? Warum nicht. Da ist eine Geschichte ganz oben in der Topliste von... Helge!

Ich schrie es heraus. In die Einsamkeit meiner Wohnung. Helge! Helge! Helge! Er lebte. Und er schrieb. Ich konnte Kontakt mit ihm aufnehmen.

Wieder in der Scheiß-Kategorie, die ich nicht mochte. Na klar. Helge, wie er leibt und lebt. Du Arsch.

Ich las den ersten Teil, der zweite war auch schon oben. Kriegte mich gar nicht mehr ein. Das war... brutal gut. Jenseits von gut. Er hatte das Schreiben nicht nur nicht verlernt, es war so gut wie noch nie. Und... er dachte immer noch an mich. Eine lesbische WG-Frau. Haha. Nein, bisexuell. Mitleidsfuck. Okay. Aber... meine Sprüche. Von damals. War ja echt verschärft.

Las sofort weiter. Der erste Teil war schlichtweg genial. Pokémon? Darauf konnte auch nur er kommen sowas einzubauen. Dieser Kerl. Und dann: Ein Absatz so voller Liebe und einer Wucht, dass er mich umhaute. Oh verdammt. Der zweite Teil supergut. Lustig. Ein Dreier, na sowas. Und die Sau emulierte meinen Stil darin.

Na warte, das schmiere ich dir bald aufs Brot. Aber erstmal in Kontakt kommen. Helge!

Ich kommentierte den zweiten Teil seiner Geschichte. Nutzte als Überschrift seinen Satz, der eigentlich alles drin hatte, was ich empfunden hatte. Der mir nicht mehr aus dem Kopf ging: "Du gibst mir ein nicht enden wollendes Staunen". Den er erst vor kurzem in einer ordentlichen Geschichte recycelt hat.

Als erstes gab ich meiner Freude Ausdruck, dass er noch lebte und sein Weib ihn nicht im Garten verscharrt hatte. Freute mich über seine Schreibkünste. Beschwerte mich über die Kategorie. Dass er mich trotzdem damit geil machte.

Was stimmte. Der Sex war brutal gut. Nur viel zu wenig. Das war früher ebenfalls so gewesen. Die einzigen Sex-Szenen bei erotischen Geschichten, die mich aufgeilten, waren seine. Naja, und meine.

Beschwerte mich über meine Nebenrolle. Fragte ihn, ob ihm der Hintern juckte. Und beschwerte mich dann darüber, dass er sich weder gemeldet hatte, noch dass man ihn kontaktieren konnte. Wartete. Sah, dass er noch zwei andere Geschichte in der Zwischenzeit hochgeladen hatte. Eine lange, in drei Teilen und eine kurze. Fing an, die in der Wartezeit zu lesen.

Konnte mich aber nicht konzentrieren. Sie waren sicher geil, aber mit einem Puls von hundertachtzig geht das nicht. Dann, endlich seine Antwort. Und gleich in der ersten Zeile der Paukenschlag:

"Es hat sich ausgeweibt."

Helge. Frei. Fuck! All die Jahre, all das sinnlose Warten, wie weggewischt. Mir schossen Tränen in die Augen. Ich zitterte am ganzen Körper. Helge! Die restlichen Antworten waren kurz, aber lustig. Oh, auf die Frage, ob ihm der Hintern juckte, antwortete er, dass ihm so einiges juckte. Fuck. Das klang sooooo gut. Feuchtwerd, verrücktwerd gut.

Und teilte mir mit, wie ich ihn per E-Mail erreichen konnte. Ein Küsschen-Emoji dazu. Wie ging das? Konnte er immer noch zaubern? Auch noch mit seinem Stab und seiner Zunge? O weia.

Ich konnte das alles nicht glauben. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Helge. Frei. Die zweite Chance. Jetzt? Ich war unfähig mich zu bewegen. Etwas Anderes zu tun, als an ihn zu denken. An mich zu denken. An uns zu denken. Erst langsam begriff ich, was das ebenfalls hieß. Er hatte nicht nur seine Frau, sondern auch sein Kind verlassen.

Das war ihm bestimmt nicht leichtgefallen. Was war da passiert?

Ruhig. Bleib ruhig. Verschreck ihn nicht gleich. Stell ihm nicht alle Fragen, die du jetzt hast. Gib ihm die Chance, sich erstmal daran zu gewöhnen. Fall nicht mit der Tür ins Haus. Ruhig. Ganz ruhig. Fuck. Fuck. Fuck. Ich werd verrückt. Helge! Ist das geil. Corona, bist du geil!

"Mein geliebter Vollidiot,

habe ich dir nicht gesagt, dass du mir nicht entkommst? Jetzt bist du in Schwierigkeiten, alter Mann."

Fuck. Nein. So geht das nicht. Das ist gleich viel zu viel. Ganz ruhig. Ganz ruhig, Mädel.

"Helge,

du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin. Dass es dich noch gibt und ich dich sprechen kann. Es tut mir leid zu hören, dass du dich von deiner Frau getrennt hast.

Ich bin froh, dass du wieder schreibst. Und wie. Alter, du bist genial. Und jetzt hoffentlich nicht mehr so bescheuert bescheiden, mit Komplimenten nicht umgehen zu können.

Ich könnte dir tausend Sachen sagen, tausend Fragen stellen. Aber wichtig ist erstmal nur: Wir können reden. Wir haben uns nicht verloren. Ruf mich an. Meine Nummer ist immer noch dieselbe. Hier nochmal, falls du sie gelöscht hast..."

Okay. Das ist im Rahmen. Das geht. Da springe ich ihm nicht gleich virtuell an den Hals. Obwohl ich das nicht nur virtuell tun möchte. Er hatte schon in seiner Antwort gesagt, dass meine E-Mail ebenfalls nicht ging. Klar, die hatte ich wegen dem Spinner damals aufgegeben. Meine aktuelle hatte er nicht. Jetzt schon.

Wenn's ihm so ging wie mir, würde er sofort antworten. Er tat es nicht. Stunden vergingen. Was... bedeutete das? Er rief nicht an. Keine Mail. Scheiße. Scheiße. Scheiße.

Dann endlich, um acht Uhr abends eine Reaktion. Eine Mail.

"Hi Janine,

sorry, dass ich erst jetzt antworte. Ich war bei meiner Kleinen in Berlin. Ich wohne jetzt zwanzig Kilometer außerhalb, in einer Kleinstadt. Und hatte deinen Kommentar im Zug auf dem Handy gesehen und sofort drauf geantwortet. Deine E-Mail fand ich erst bei meiner Rückkehr. Ja, die Ehe ist beendet, wir sind jetzt ein Jahr getrennt, aber noch nicht geschieden. Shit happens.

Ich bin auch glücklich, dass wir endlich wieder Kontakt haben. Ich hatte schon im August vor zwei Jahren versucht, dich zu kontaktieren, aber deine E-Mail funktionierte nicht. Meine, die du hattest, musste ich deaktivieren, weil ich da zugespammt wurde.

Und, bist du noch in Wiesbaden? Was machst du so? Immer noch schweren Jungs auf der Spur, oder mit leichten Mädchen im Bett? Warum schreibst du nicht mehr? Ich habe weder neue Geschichten, noch neue Bücher von dir gefunden. Oder hast du jetzt einen anderen Pen-Namen? Und danke für dein Kompliment. Ich fange gerade erst wieder richtig an. Du jetzt vielleicht auch?

Du fragst dich vermutlich, warum ich dir schreibe, anstatt dich anzurufen. Stell dir die Frage jetzt bitte nicht. Es ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Gegenwart haben. In welcher Form auch immer. Im Ernst: Das ist der glücklichste Tag seit Ewigkeiten für mich. Ach so: Ich liebe dich übrigens immer noch. Nur zur Info.

Dein Vollidiot"

Im August vor zwei Jahren? Fuck, das war zur selben Zeit, wo ich es probiert hatte. Hatte er das gefühlt? Warum will er nicht mit mir sprechen? Und wenn er hundertmal sagt, dass ich mir die Frage nicht stellen soll. Da stimmt doch was nicht.

Feige Sau. Angst, dass ich gleich wieder den Vibrator raushole? Na, der wird sich wundern. Wähnt sich in Sicherheit und mich in Wiesbaden. Diesmal, guter Mann, entkommst du mir nicht. Ich will nicht nur deine Gegenwart, sondern endlich unsere Zukunft.

Des Glückes reine Qual

Janine. Das gibt es doch nicht. Janine.

Es war kaum vier Wochen her, dass ich wieder mit dem Schreiben angefangen hatte. Meine Geschichten waren irgendwann vor zehn Jahren auch auf einem anderen Portal gelandet, erst hatten Leute sie dort unter ihrem Namen als "Netzfunde" gepostet, dann aber zurückgenommen, als ich sie darum bat. Da sie dort aber auch gut anzukommen schienen, lud ich einen Teil dort hoch.

Das war eine Seite, wo es auch Pornovideos gab. Eigentlich hauptsächlich. Ich hatte mir beides schon Ewigkeiten nicht mehr angetan, weder Videos, noch Geschichten. Die Filme waren mir irgendwie alle zu albern, also las ich in einige Geschichten kurz rein. Und fand dann eine richtig gute, die fantastisch geschrieben war. Mich faszinierte.

Die Autorin hatte nur zwei eingestellt. Eine war aus der Kategorie, die Janine so hasste, die andere "Alt und Jung". Nun, jetzt konnte ich auch in dieser Kategorie Erfahrungen einbringen. Wie man sich als alter Knochen so fühlt. Immerhin war ich bereits sechsundfünfzig, würde siebenundfünfzig in diesem Jahr werden. Aller Voraussicht nach.

Ich hatte mal für einen geplanten Roman viel über Rom und die Zeit des römischen Imperiums gelesen. Nicht Geschichte, sondern mehr wie sich dort das Alltagsleben abspielte. Details sind wichtig. Zudem hatte ich mit Sabine und meiner Tochter einen Urlaub in Italien verbracht, in Neapel und der Amalfi-Region.

Den Roman würde ich nicht mehr schreiben. Warum nicht diese Details nutzen und daraus eine Geschichte spinnen? Ich würde sie auf beiden Plattformen einreichen, die, wo ich die Autorin gefunden hatte, war nach Erfahrungswerten schneller mit der Freigabe.

Auf der zweiten Plattform dauerte es ungewöhnlich lange. Ich hatte die Autorin schon mit freundlichen Kommentaren bedacht und sprach sie einfach an, wie lange es nach ihren Erfahrungswerten dauern würde, da es deutlich länger war, als ich es kannte. Man konnte dort gut chatten.

Daraus entwickelte sich eine Art Adhoc-Autoren-Selbsthilfegruppe. Wir unterhielten uns übers Schreiben und sie war ganz schön genervt über diese und auch meine andere Plattform. Auf beiden zog sie sich zurück, was ich als schade empfand. Sie wusste natürlich schon, dass sie mich auf meiner Stammplattform antreffen konnte.

Die Geschichte kam dort gut an, eine eher experimentelle nicht ganz so. Wohl aber ein weiterer Ausflug in die dort beliebteste Kategorie, eine dreiteilige Geschichte. Und als der zweite Teil oben war, fand ich auf der Fahrt nach Berlin, um meine Kleine zu besuchen, einen Kommentar. Von Janine.

Janine. Janine. Janine. Ich war fassungslos. Endlich, nach all der Zeit, konnte ich wieder mit ihr Kontakt aufnehmen. Ich gab ihr sofort einen Hinweis, wie sie das tun könnte. Und dann sank schon auf dem Rest der Fahrt die ganze Bedeutung ein. Langsam, unaufhörlich.

Ich war jetzt frei. Könnte theoretisch endlich die Beziehung führen, die ich mein ganzes Leben lang gewollt hatte. Aber für wie lang? Vielleicht noch einige Monate, vielleicht ein Jahr? Fuck. Fuck. Fuck. Das konnte ich ihr nicht antun. Nicht schon wieder. Oh mein Gott, warum, warum jetzt?

Scheiße. Ich war total glücklich. Und total im Keller. Das durfte doch alles nicht wahr sein. So eine Scheiß-Geschichte hätte ich mir niemals ausdenken können. So pervers kann nur das richtige Leben sein. Fuck. Wie sollte ich ihr das erklären?

Als ich wieder zuhause war, fand ich eine E-Mail von ihr vor. Sie gab mir ihre Nummer und wollte, dass ich sie anrufe. Ich konnte es nicht. Ich hatte sie zwar sofort in mein Handy einprogrammiert, aber schaffte es einfach nicht Call zu drücken. Fuck.

Stattdessen antwortete ich auf ihre E-Mail, stellte ihr ein paar Fragen über ihr derzeitiges Leben. Und bat sie, nicht darüber nachzudenken, warum ich sie nicht anrief. Versuchte, meiner Freude Ausdruck zu verleihen, aber schon vorsichtig etwas auf Distanz zu gehen. So schwer mir das auch fiel.

Ihre Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

"Geliebter Vollidiot,

ja, ich nenne dich wieder so. Wirst du feige auf deine alten Tage? Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Renn jetzt nicht vor mir davon. Nimm das Scheiß-Telefon in die Hand und ruf mich an. Oder gib mir deine gottverdammte Adresse und ich komme rum. Scheiß auf Corona. Hurra Corona. Ohne diesen Mist hätten wir uns wahrscheinlich nicht wiedergesehen. Jetzt kann es sein. Warum?

Ich bin nicht in Wiesbaden. Ich bin in Berlin. In Friedrichshain. Was ich mache? Ich lasse Internet-Kriminelle von meinen Schergen jagen. Habe sechs Wochen Urlaub, wo ich dir jede Minute auf die Nerven gehen kann. Habe weder Jungs noch Mädels in meinem Bett. Ich hoffe, das ändert sich jetzt bald?

Warum ich nicht schreibe? Mir war nicht danach. Ich hatte nichts mehr zum Erzählen. Im August 2018 wollte ich dich ebenfalls sprechen. Da hätte ich dich gebraucht. Hatte jemanden verloren, den ich liebte. Nicht so sehr wie dich.

Ruf mich an, du Idiot. Mein Vibrator bleibt, wo er ist. Keine Gefahr. Ich liebe dich. Sprich mit mir. Oder sag mir, was dich davon abhält.

Deine kleine Fickmaus"

Fuck. In Berlin. Sie ist in Berlin. Fuck. Fuck. Fuck.

Feige. Ja, ich bin feige. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Aber ich habe Angst vor der Gewissheit. Wann das Siechtum beginnt. Der Schmerz, nicht für mich, für die anderen.

Ich hatte meine Oma an Krebs sterben sehen. Wie sie immer weniger wurde, nur noch mit Schmerzmitteln lebensfähig war. Wie sie nachts beim Aufstehen fiel und sich den Oberschenkelhalsknochen brach, dabei durch das ganze Haus schrie.

Diese Schreie würde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen können. Der Krebs hatte ihre Knochen schon zersetzt. Wir mussten mit ansehen, wie der Rest des Körpers folgte. Und sie dann im Krankenhaus immer und immer weniger wurde. Uns jeden Tag aufs Neue schockierte. Bis sie starb.

Und dann mein ältester Bruder. Bei ihm hatten sich bereits Metastasen gebildet, als der Krebs diagnostiziert wurde. Er war verwirrt durch die Gegend gelaufen. Nicht lange davor hatte er einen Herzinfarkt gehabt. Wurde auf den Kopf gestellt. Das Karzinom hatten sie nicht gefunden, weil die Lage nahe der Wirbelsäule es versteckte. Er kriegte noch Chemo und Bestrahlung, um sein Leben ein paar Wochen zu verlängern. Was hatte ihm das genutzt, und uns?

Davor hatte ich Angst. Dass ich mein Leben unnötig in einem sinnlosen Kampf um Tage beenden würde. Im Siechtum. Im Krankenhaus, und dann einem Hospiz? Wofür? Der Tod ist unausweichlich. Ich wollte mein Leben beenden, wenn ich es für richtig und notwendig hielt. Nicht, wenn die Medizin nichts mehr für mich tun konnte.

Und jetzt? Janine. Hatte jemanden verloren. Das klang nicht nach beendeter Beziehung. Das klang nach Tod. Wenn sie nicht gerade wild fluchte, verwendete sie jedes Wort mit Bedacht. Und jetzt mich... nein, das konnte ich ihr nicht zumuten. Und wenn ich mir alles einbildete? Es doch eine andere Lungenerkrankung war?

Scheiße. Scheiße. Nicht nur meiner Tochter, auch ihr bin ich die Gewissheit schuldig. Verdammt. Warum tut mir das Leben das an? Sie wird auf eine Antwort warten. Ich muss ihr antworten.

"Hallo Janine,

du hast Recht, ich bin feige. Nicht aus den Gründen, die du annimmst. Ich muss etwas klären, bevor ich mit dir sprechen oder dich sehen kann. Ich werde das tun. Das verspreche ich dir.

Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, als du mich gebraucht hast. Und für deinen Verlust. Du kannst mir gern davon schreiben, oder vielleicht tust du das in einer Geschichte? Du hast sicher noch viele Geschichten in dir.

Im Anhang findest du den letzten Teil von meiner aktuellen. Du wirst mir wieder vorwerfen, dass zu wenig Sex drin ist. Ich hatte tatsächlich eine fette Abschluss-Szene, aber sie passte nicht zur Balance der Story und entgegen meiner sonstigen derzeitigen Gewohnheiten habe ich sie komplett entfernt. Keine Nebenrolle für dich, hier habe ich wirklich nur ein paar von deinen Sprüchen verwendet.

Eine Nebenrolle könntest du weder in meinen Geschichten, noch in meinem Leben spielen. Ich schreibe schon wieder an der nächsten. Vielleicht wird sie dir auch nicht so gefallen. Viel Geschichte und wenig Sex. Man wird alt. Aber viel Liebe. Irgendwie reduziert sich alles darauf. Ich liebe dich.

Bitte hab ein wenig Geduld mit einem alten Mann.

Dein Vollidiot"

Auf der Flucht

Verwirrt las ich seine letzte Mail. Noch ein weiteres Mal. Was musste er klären? Was konnte das sein? Wollte seine Frau ihn zurück? Konnte er schon wieder nicht nein sagen? Nein, da schwang etwas Anderes mit. Was?

Oder doch, die Nebenrolle? Hat er eine andere Beziehung am Laufen und will sie erst beenden? Was ist mit ihm los? Der dritte Teil ist gut, aber er wirkt... eilig geschrieben. Und jetzt schon wieder eine? Als wolle er noch so viele Stories wie möglich...

Oh Gott. Nein. Nicht das. Nicht das. Das darf nicht sein. Corona? Hat er Symptome, will sich testen lassen? Gehört er vielleicht zur Risikogruppe, ist die Lunge kaputt, wegen seinem Scheiß-Rauchen? Was zum Teufel ist los?

Ich durfte ihn nicht drängen. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht mit der Sprache herausrücken würde. Bis er das, was er da klären wollte, geklärt hatte. Obwohl... wenn sich das nicht wesentlich geändert hatte, könnte ich ihn sicher irgendwie locken.

Er ist nicht einmal darauf eingegangen, dass ich in seiner Nähe lebe. Er ist wirklich auf der Flucht. Nicht vor mir. Wovor? Oder geht es ums Kind? Wie alt ist sie jetzt, sieben? Hat er Angst, dass es für das Kind verwirrend ist, wenn er jetzt mit mir zusammenkommt?

Wie würde ich mit ihr umgehen, seiner Tochter? Ich hatte mit Sylvia tatsächlich ernsthaft über Adoption nachgedacht. Kurz bevor sie starb. Verdammt, in meinem Kopf hatten wir schon jetzt schon wieder eine Beziehung, um die wir uns Gedanken machen mussten. Dabei hatte ich heute erst wieder von ihm gehört. Was machte mich so sicher?

Ich wusste nichts von seinen augenblicklichen Lebensumständen. Ob ich mich doch schnell einloggte und... nein, das ging so nicht.

Okay, jetzt anders. Helge ist Helge. Womit kann ich ihn locken? Geschichte, er will eine Geschichte. Na klasse. Bei dem, was mir alles im Kopf rumschwirrt? Was schwirrt mir denn im Kopf rum? Sylvia mit reinbringen? Das wird weh tun. Corona? Kinder? Hm. Ja, daraus könnte man etwas basteln. Mal sehen.

Geduld haben. Ich war mir nicht sicher, ob ich das konnte. Das hatte ich immer noch nicht perfekt beherrschen gelernt. Aber bedrängen durfte ich ihn ebenfalls nicht. Bei meiner zweiten Mail gingen mir doch schon die Gäule durch.

Verdammt, konnte ich nicht einfach mit dem zufrieden sein, was heute passiert war? Ich hatte die Liebe meines Lebens wiedergefunden. Meinen Helge. Meinen wunderbaren, großartigen, einzigartigen Helge. Ich hatte noch nicht einmal alle seine neuen Geschichten gelesen. Vielleicht jetzt die kurze? Wahnsinn. Die war völlig genial. Und völlig irre.

Wer war eigentlich dieses Mädel, die jede seiner Geschichten so ausführlich kommentierte? Scheiße, kam ich zu spät? Hatte er sich schon wieder virtuell jemanden angelacht? Klasse, auch noch ein Username, der fast wie meiner klang. Weiß gar nicht mehr, wie ich auf den gekommen war. Ach doch, meine Banknachbarin bei der Schulung. Wenn die wüsste...

Okay, die lange ist auch super. Am Anfang merkt man, dass er damit angefangen hat. Dann wird sie immer glatter, immer besser. Immer geiler. Fuck. Hose runter. Und richtig genossen. Das wäre dann mein zweiter heute. Oh Helge. Es geht schon wieder los. Du machst mich schon wieder geil. So wahnsinnig... wahnsinnig... geil.

Mentale Notiz: Er mag immer noch Spielchen. Verführung. Das Mädel in der Geschichte hatte wieder Züge von mir. Hoffentlich klärt er seinen Mist bald. Dann setze ich ihm richtig zu. Dann spielen wir zwei, bis dir die Eier kochen. Lesen, du wolltest lesen. Egal. Orgie? Junge, Junge. Wow. Und weiter gerubbelt. Er sorgt tatsächlich gleich wieder für drei.

Das schrieb ich ihm noch. Wie gut sie mir auch sonst gefallen hatten. Und dass ich Geduld haben würde. Und ihm eine gute Nacht wünschte. Erst nach dem Abschicken bemerkte ich, dass ich ihm besser einen guten Morgen gewünscht hätte.

Als ich gegen Mittag aufwachte, war seine Antwort schon da. Wieder der Hinweis, dass ich doch ebenfalls wieder schreiben sollte. Sollte er haben. Das war der Plan. Tatsächlich, es war kein Problem. Ich hatte die Idee schon beim Morgenkaffee fertig.

Nur noch aufschreiben. Verdammt, warum musste der Kerl die Trauben so hoch hängen? Jetzt konnte ich doch nicht mit einer einfachen Fickgeschichte kommen. Nein, erst noch sacken lassen, bisschen mehr entwickeln.

Und ihm vielleicht erst noch ein paar Details aus seinem Leben entlocken. Wieso raus aus Berlin? Aus dieser geilen Stadt in eine Kleinstadt? Doch ein Mädel da? Und wer war meine Namensvetterin, vom Usernamen her? Hosen runter, Bursche. Wer ist meine Konkurrenz?

Er antwortete sofort. Er hätte ein neues Hobby. Astrofotografie. Das baute er gerade in seine nächste Story mit ein. Die eigentlich von Musik handelte. Die Frau war eine Autorin, die er auf er einer anderen Plattform kennengelernt hatte. Eine sehr gute. Keine Gefahr. Ihr ging es nur um seine schriftstellerischen Fähigkeiten. Ich konnte ihn förmlich grinsen sehen, als er das geschrieben hatte.

So ging es hin und her, den ganzen Tag. Wie gut das tat, wieder mit ihm Dinge zu teilen. Uns auszutauschen. Ein Wochenende ganz für uns. Und unserem Schreiben. Während wir uns per E-Mail unterhielten, arbeitete er an seiner Geschichte. Ich an meiner. Ich erzählte ihm von meinem geplatzten Urlaub.

Er erzählte mir von seiner gescheiterten Ehe. Wie konnte man einen Mann mit solchen besonderen Fähigkeiten links liegen lassen? Hm, sie kam nicht vom GV. Was für eine Verschwendung. Und hatte spezielle Vorlieben. Oh. Das erklärte einiges. Nicht alles.

Ob er sich stark verändert hatte? Vom Wesen nicht, das klang alles vertraut. Oh, er sei alt und fett geworden. Das konnte ich kaum glauben. Was hieß fett bei ihm? Jetzt 57 Kilo? Bäuchlein? Das musste süß aussehen.

Er trug jetzt Brillen, keine Kontaktlinsen mehr. Zu faul. Zu teuer. Nur noch, wenn er ausging. Ja, das hatte ich auf seiner Seite schon gesehen. Ebenso Bilder von seiner Frau. Brillen? Mehrzahl? Aha, auch zum Lesen und Arbeiten. Alters-Weitsichtigkeit. Na, solange er mich noch erkannte. Und meine Möse. Da kam mir schon die nächste Idee. Noch nicht. Noch hatte er Schonzeit.

Eins wurde klar. Er verbarg sich nicht vor mir. Beantwortete alle Fragen direkt und ohne Ausflüchte. Schilderte mir sein Verhältnis zu seiner Tochter. Die er liebte. Über alles liebte. Wie er auch mich über alles liebte. Ich schrieb ihm von meiner Karriere und Sylvia.

Er war sehr betroffen, als er Details bekam. Aus der vertrauten Nähe wurde wieder eine größere Distanz. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Das war keine Kleinigkeit, die er mir da verschwieg. Und es ging nicht um eine Frau. Nicht um seine Tochter. Das war schon klargeworden. Aber er war auf der Flucht.

Wiedererkennen

Wie wunderbar das war, mit ihr zu reden. Naja, wir redeten noch nicht, wir schrieben uns. Nutzen E-Mail wie ein Chatprogramm. Es erinnerte mich fast ein wenig an meine Anfangszeit mit Sabine. Nur war es kein Kennenlernen, sondern ein Wiedererkennen des anderen.

Wir waren beide sicher reifer und ruhiger geworden, aber irgendwie konnte ich immer noch die vertraute, geliebte Frau in jeder ihrer Zeilen erkennen. Sprach der wunderbare Mensch in jedem Wort, jedem einzelnen Satz zu mir, als wäre nie Zeit vergangen, wären wir nie getrennt gewesen.

Da ich in dieser Woche meine Tochter in Berlin besucht hatte, hatte ich den Rest des Wochenendes frei; sie würde das nächste auch nicht bei mir verbringen, wegen eines bevorstehenden Urlaubs. Ich verbrachte es praktisch komplett virtuell mit Janine. Und dem Schreiben meiner neuen Geschichte.

Sie hielt sich erstaunlich mit sexuellen Referenzen zurück, ich bekam schon das Gefühl, dass sie das mit einiger Mühe tat. Am Samstagmorgen hatte sie mir noch geschrieben, dass sie zu meinen Geschichten masturbiert hatte. Der Gedanke machte mich, nun... unruhig.

Wie sie jetzt wohl aussah? Sie war 41 Jahre alt. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass sie immer noch atemberaubend war. In jeder Hinsicht. Was in meinem augenblicklichen Zustand nicht so schwer war. Da reichten Treppen.

Fuck. Dann schrieb sie mir von dem tödlichen Unfall ihrer Freundin. Wie sehr sie gelitten hatte. Arme Janine. Und jetzt mein Dreck. Verdammt. Das hatte sie einfach nicht verdient. Ich beschloss, schon am Montag eine neue Überweisung von meiner Hausärztin zu holen. Am besten gleich einen Termin.

Sie hatte damals einen Termin in der Charité für mich machen wollen, aber ich hatte ihr von Zeitproblemen erzählt und nur die Überweisung genommen. Die ich dann verfallen ließ, als die Symptome nachließen. Diesmal würde ich sie machen lassen. Die Untersuchung über mich ergehen lassen. Und Gewissheit haben.

Am Montag machte ich Ernst. Bekam einen Termin für den Dienstag der darauffolgenden Woche. Arbeitete, schrieb, tauschte mich weiter mit Janine aus. Mit etwas mehr Zurückhaltung. Erzählte ihr mehr von unverfänglichen Dingen. Dass ich wieder mixte. Ich hatte mir einen kleinen Controller besorgt und mixte Mp3s. Was neu für mich war, früher hatte ich Vinyl aufgelegt.

Was mich etwas verwunderte, war, wieviel Janine über meine Tochter hören wollte. Auch mit Bezug zur aktuellen Situation, Corona. Den Grund würde ich bald erfahren. Sie schaffte es immer noch mich zu überraschen. Am Wochenende stand eine Geschichte von ihr im Portal, nur einen Tag, nachdem ich den ersten Teil meines neuen Dreiteilers hochgeladen hatte.

Das hatte sie natürlich keinen Ton erwähnt. Und wow, war das eine gute Geschichte. Ganz anders als die deutschen Geschichten, die sie vorher gepostet hatte. Voller Emotion und einer Weiterentwicklung ihres Stils, die mich verblüffte. Sie hatte mir vorgeworfen, natürlich augenzwinkernd, dass ich ihren alten Stil kopierte.

Ganz falsch lag sie damit sicher nicht. Er hatte mich damals beeindruckt. Mein erster Versuch in der Richtung war die experimentelle Geschichte, die ihr sehr gut gefallen hatte. In unserem Austausch, wie auch in den Kommentaren lockte sie mich immer noch. Ich trug ihr an, ihre Kommissarin, um die ihre ersten deutschen Veröffentlichungen rankten, zurückzubringen.

Die eine Janine im Polizeidienst war. Völlig irre, völlig geil und völlig abgefahren. Jetzt war sie tatsächlich eine Gesetzeshüterin. War das merkwürdig. Mir wurde auch klar, dass sie natürlich auch keinerlei Probleme gehabt hätte, mich ausfindig zu machen, oder meine Telefonnummer, die ich ihr weiter verweigerte. Sie überließ mir diesen Schritt. Das musste sie einiges an Kraft kosten. Ich spürte ihre Ungeduld sehr wohl.

Dann kam eine Ankündigung, dass ich bald wissen würde, was ich verpasste. Und während der Arbeit eine E-Mail mit Anhang. Oh Janine. Diese Frau. Diese irre, abgefahrene Frau. Ein Bild, auf dem sie mit Gummistiefeln, offenen Ostfriesen-Nerz und Gasmaske zu sehen war. Und sonst nichts. Mit der Unterschrift: "Ich war gerade einkaufen und bin nass geworden."

Die Mail kam zwei Minuten nach einem Zoom-Meeting mit meinen Kollegen. Hätte ich sie während des Meetings bekommen und angeschaut, hätten die wahrscheinlich einen Notarzt gerufen, weil ich nur noch japsend und röchelnd vor Lachen auf dem Boden lag.

Und wow. Immer noch dieser Hammerkörper. Dieser vertraute, wunderschöne Körper, dem ich mich nie entziehen konnte. Der mich in den Himmel und zurück gebracht hatte. Mit dem sie mich manipulieren konnte, wie sie wollte.

Halb im Scherz teilte ich ihr mit, gerne auch ohne Gasmaske und Gummistiefel. Und bekam dann eine Reihe von Fotos, die mich einige Male am Abend beschäftigten. Fuck. Diese Frau sah fast noch besser aus, als vorher. Musste mir alle Details mailen. Nahaufnahmen von ihrer Pussy. Sie wollte mich echt schon wieder wahnsinnig machen. Erfolgreich. Total erfolgreich.

Auch meinen halbherzigen Versuch auf Zeit zu spielen, ein Gespräch erst zuzulassen, wenn sie ihre Kommissarin zurückbrachte, hatte sie antizipiert. Sie schrieb zwar noch an der neuen Geschichte, hatte sie aber kurzerhand als Mehrteiler deklariert und einen ersten Teil bereits hochgeladen.

Sie würde an dem Dienstag erscheinen, an dem ich meinen Termin in der Charité hatte. Ich versprach, sie an dem Abend gegen acht Uhr anzurufen. Sagte ihr aber nicht, dass ich dann schon Klarheit haben würde.

Am Wochenende davor war meine Tochter nicht bei mir, sondern ich besuchte sie noch einmal in Berlin, weil sie am Sonntag in den Urlaub fuhren. Es war furchtbar zu wissen, dass ich ihr beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr so unbefangen gegenübertreten konnte. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Erst in drei Wochen würde ich sie wiedersehen.

Ich schlief am Montag schlecht. Den Termin hatte ich am frühen Vormittag bekommen. Auch ohne Schlafmangel hätte ich ihn wahrscheinlich wie einen Traum erlebt. Keinen Alptraum. Na ja, schön war er ebenfalls nicht. Am Nachmittag lag das Verdikt vor. Kein Krebs. Aber eine unheilbare Lungenkrankheit. Lungenfibrose.

Klarheit

Meine Versuche, ihn aus der Reserve zu locken, waren geglückt. Dachte ich. Ein paar Fotos, die Veröffentlichung einer neuen Geschichte und er versprach, mich am Dienstagabend anzurufen. Das war zu leicht gegangen. Das hätte mich misstrauisch machen müssen.

Ich war aber viel zu glücklich und plante zusätzlich noch eine Überraschung. Als er mich anrief, stand ich mit meinem Auto vor seinem Haus. Ich hatte mich doch nicht zurückhalten können. Hatte mir seine Adresse besorgt. Wollte aber sehen, wie das Gespräch lief. Ob er wirklich mit der Überraschung umgehen konnte.

"Hallo Janine."

"Na sowas, das klingt ja ganz wie ein mir bekannter Vollidiot. Den ich über alles liebe. Hallo Helge. Endlich. Es ist so schön, deine Stimme zu hören."

"Ich liebe dich auch."

"Du klingst nicht ganz so froh, wie ich mir das vorgestellt hatte? Was ist los? Kannst du jetzt endlich reden?"

"Ich bin ein Vollidiot."

"Ja. Bekannt. Und?"

Er atmete tief durch.

"Ich hatte die Ahnung, dass ich Krebs habe. Heute war die Untersuchung. Jetzt habe ich die Gewissheit."

Fuck. Fuck. Fuck.

"Nein..."

"Ganz ruhig. Es ist kein Krebs. Es ist nur eine andere Lungenerkrankung. Auch schwer, nicht heilbar, aber sie lässt sich wohl halbwegs in den Griff kriegen, medikamentös, mit Lungensport, und so weiter. Ich habe dem Arzt erzählt, dass ich früher Pranayama-Übungen gemacht hatte. Er hat mir empfohlen, das wieder anzufangen. Natürlich sofort das Rauchen aufzugeben."

"Du rauchst immer noch, du Idiot? War doch klar, dass dich das irgendwann mal in den Arsch beißt."

Verflucht. Das ist doch die Nummer. Da ist nur eine Physiotherapiepraxis? Aber zwei Stockwerke drüber? Ein zweiter Eingang? Vielleicht ums Haus rum?

"Ja, ich weiß. Ich hatte nicht mehr so viel Freude am Leben, seit du nicht mehr darin warst. Viel Kummer. Was soll ich sagen, irgendwie fast schon die Schnauze voll vom Leben. Egal. Wir können uns später mal darüber unterhalten. Nun... eigentlich..."

"Eigentlich?"

Jetzt habe ich dich! Deine Flucht ist beendet. Mach dich auf was gefasst.

"Eigentlich könnten wir uns jetzt vielleicht sogar mal sehen."

"Das willst du?"

Als ob du eine Wahl hättest.

"Machst du Witze? Moment, da ist jemand an der Tür. Einen kleinen Augenblick."

Na, diesen jemand wirst du jetzt nicht los. Nie wieder. Nie, nie wieder.

"Lieferservice."

"Hm? Ich habe nichts bestellt, Sie haben sich bestimmt in der Klingel geirrt."

"Hier steht: Eine kleine Fickmaus für den Vollidioten. Sind Sie das nicht?"

"Fuck! Das glaube ich nicht."

"Nun mach die Tür auf, du Vollidiot. Dann brauchst du's nicht glauben, dann weißt du's."

So schnell war ich in meinem ganzen Leben noch keine Treppe raufgelaufen. Da. Bist. Du. Oh mein Gott. Helge! Nun fall doch nicht gleich um. Egal. Egal. Egal. Da ist dein Mund. Da sind deine Arme. Da bist du. Und ich. Da sind Wir.

Wiedervereinigung

Als ich sie anrief, stand ich immer noch total neben mir. Ich war erleichtert, ja. Mein Leben würde kein vorzeitiges Ende finden. Ich kam mir wirklich wie ein Vollidiot vor, weil ich innerlich schon mit meinem Leben abgeschlossen hatte.

Gut, Pillen nehmen, jetzt mal legale, das Rauchen aufgeben, selbst mit Pranayama wieder anfangen, es ließ sich alles wieder ins halbwegs ins Lot bringen. Janine. Das Gefühl für sie war immer noch da. Das fühlte ich deutlich. Aber war ich jetzt noch der, den sie liebte, oder zu lieben glaubte?

Ich war alt geworden, leer, verbraucht, kein Yogi mehr, ein kranker alter Mann, der mit dem Scheitern seiner Ehe auch das Vertrauen verloren hatte, nochmal eine Beziehung erfolgreich führen zu können. Voller Sehnsucht nach Liebe, ja. Und nach ihr. Janine. Vielleicht würde ich sie jetzt ebenfalls enttäuschen.

Aber ich wollte ihr zumindest die Möglichkeit geben, mich jetzt zu erleben, was aus mir geworden war. Auf jeden Fall konnte und wollte ich sie nicht mehr auf Distanz halten. Wir konnten ja über alles reden, uns vielleicht treffen, sogar. Friedrichshain. Mein Gott. So nah dran. So nah dran. Verdammt. Nun krieg dich ein. Ruf sie endlich an.

Fuck. Ich hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme, als ich meine Erklärung falsch begann, und sie für einen schrecklichen Moment genau das glaubte, wovor ich weggelaufen war. Die Erleichterung war ihr anzuhören. Sie klang wie früher. Sie war wie früher. Langsam kam mein Grinsen im Gesprächsverlauf zurück.

Und dann klingelte der "Lieferservice". Eine umwerfende Lieferung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie warf sich so heftig in meine Arme, dass wir noch in meinem kleinen Flur zu Boden gingen. Küsste mich, bis ich Atemnot bekam. Oh mein Gott. Sie war hier. Ich hielt die Liebe meines Lebens in meinen Armen. Drückte sie fester, obwohl das Atmen immer schwerer dadurch noch schwieriger wurde.

"Scheiße, kriegst du keine Luft?", hörte ich dann nur.

Sah ihr besorgtes Gesicht über mir. Von dem ich jede Nacht geträumt hatte, seit wir uns auf der Geschichten-Seite wieder getroffen hatten.

"Ist das ein Wunder? Du siehst immer noch atemberaubend aus. Aber ich werde langsam zu alt für diese Flurnummern. Ich verfüge diesmal tatsächlich über Sitzmöbel."

"Weichei. Da warst du früher härter im Nehmen. Okay. Meinetwegen."

Sie zog mich hoch und ging schon in mein Wohnzimmer, während ich noch schnell die Tür schloss. Irgendwie total benebelt. Das war alles total surreal. Und doch real. Wie glücklich sie aussah. Wie unbeschreiblich glücklich. Mein Gott. Sie war hier. Setzte sich auf mein Sofa, und schaute sich nur kurz um. Wartete, bis ich neben ihr auftauchte.

Sie legte mir sofort ihren Arm um den Hals, als ich mich neben sie setzte.

"Mein kleiner Vollidiot. So sehr hast du dich gar nicht verändert. Die Brille steht dir. Und gleich noch mehr."

"Hey, gute Frau. Ganz ruhig. Mein Gott, ist das irre, dich wiederzusehen. Ich kann's irgendwie immer noch nicht glauben."

Fuck! Jetzt hatte sie mich den Hintern gekniffen. Ihre späte Rache für meine zahlreichen Attacken. Um die sie ja immer gebeten hatte.

"Überzeugt? Na gut. So, und jetzt raus mit der Sprache: Warum die ganze Geheimnistuerei? Warum hast du mir nicht vorher davon erzählt, was mit dir los ist? Und wie schlimm ist das, was du hast?"

Ich seufzte tief.

"Ich habe mich da total reingesteigert. Habe mir eingebildet, ich wüsste genau was ich habe. Hatte mit meinem Leben schon irgendwie abgeschlossen. Und dann trittst du wieder in mein Leben. Was soll ich sagen, ich wollte dir das nicht antun. Wenn es tatsächlich so gewesen wäre, meine ich."

"Spinner. Selbst wenn. Meinst du nicht, dass ich trotzdem jede Minute mit dir hätte verbringen wollen?"

"Ja, und genau davor hatte ich Angst."

Sie sah mich stirnrunzelnd an, nickte dann aber.

"Okay. Aber das ist nun vorbei. Also, wie schlimm ist es?"

"Ich kriege ohne Spray bei Anstrengungen schwer Luft. Aber da ich mich hier kaum anstrengen muss, ist es meist okay. Vor allem seit Corona. Man kann ja eh kaum vor die Tür gehen. Den Scheiß darf ich jetzt natürlich nicht bekommen. Der Arzt hat mich eindringlich gewarnt, absolut jedes Risiko zu vermeiden. Das könnte sofort tödlich enden."

"Wir wurden zweimal die Woche getestet. Seit einer Woche bin ich im Urlaub. Bin auch kaum rausgegangen. Mach dir keine Gedanken, ich habe es mit Sicherheit nicht. In Schwierigkeiten bist du jetzt trotzdem, alter Mann."

"Das Gefühl habe ich jetzt langsam auch. Ehm... Janine?"

"Hm? Ich sag nur einer alten Liebe hallo."

Ja. Der freute sich allerdings durchaus über das Wiedersehen. Fuck. Diese Frau. Meinte das aber offenbar doch noch nicht ernst, und zog grinsend ihre Hand aus meiner Hose.

"Na, der ist doch noch quicklebendig. Schön. Aber du willst sicher noch ein bis zwei Minuten reden. Ich will dich nicht gleich wieder überfordern."

"Ja. Immer langsam, junge Frau. Du hast dich überhaupt nicht verändert."

"Doch, habe ich. Ganz schön sogar. Das ist alles nicht spurlos an mir vorübergegangen. Wir haben beide unsere Wunden. Na, die können wir uns ja nun gegenseitig lecken. Wobei mir einfällt..."

"Ja, das fällt mir auch wieder ein. Auch die Wunden. Auch und besonders die, die ich verursacht habe."

"Das habe ich dir längst verziehen. Das weißt du doch. Das ist Vergangenheit. Was zählt ist jetzt. Diese Gegenwart. Und die Zukunft. Unsere Zukunft."

Diese Zuversicht, diese Ruhe, die sie ausstrahlte, übertrug sich auf mich, hüllte mich wie ein warmer Mantel ein. Berührte mich tief im Innersten, wo meine noch immer lag. Verschüttet, vergraben, unter den Trümmern meines Lebens. Oh mein Gott. Trat jetzt schon wieder hervor.

"Hey. Was ist los?", frage sie leise, strich zärtlich über meine Wange.

"Du bist hier."

"Blitzmerker. Und?"

"Mehr will ich nicht. Habe ich niemals gewollt. Nur dich."

"Oh Helge..."

"Psst. Ich will dich Janine. Die Janine, die du jetzt bist. Keine kleine Fickmaus mehr. Verstehst du?"

Es dauerte eine Weile, bis dies der Fall zu sein schien. Sie lächelte sanft.

"Ja, ich glaube, das verstehe ich. Nicht da wieder anfangen, wo wir aufgehört haben. Sondern dort, wo wir jetzt sind."

"Genau. Mal abgesehen davon, dass ich das jetzt wahrscheinlich keine Woche überleben würde..."

Sie küsste mich, ganz sanft, ganz zärtlich. Wir streichelten uns dabei unablässig. Ich hatte das Gefühl geschmolzen zu werden, von ihrer Liebe, ihrer Wärme. Gereinigt, von all dem Dreck, der mir auf der Seele lag, den Ängsten, der Verzweiflung, den Zweifeln. Ich fühlte Tränen in mir aufsteigen.

"Hey. Alles gut", meinte sie zärtlich und strich mir durchs Haar. "Jetzt ist alles gut."

"Ja. Hm. Ich habe dir damals so viel versprochen, und so wenig davon halten können. Das wird jetzt anders werden."

"Was meinst du? Du brauchst mir gar nichts zu versprechen. Ich will dich einfach nur in meinem Leben haben, egal wie. Mehr nicht. Ich liebe dich, du Vollidiot."

"Aha, also werde ich meinen Kosenamen nicht mehr los, oder?"

"Nee, das musst du dir verdienen."

"Da hast du Recht. Okay. Möchtest du was trinken? Ich habe allerdings nur Sprudelwasser und Cola da. Oder Tee. Oder Kaffee."

"Eigentlich... na, ein Wasser vielleicht", meinte sie leicht irritiert.

Ich stand auf und ging zum Kühlschrank.

"Was sagst du zu meiner neuen Wohnung?"

"Schön. Viel Platz, im Vergleich zur letzten. Und da ist noch ein Zimmer?"

"Ja, das Kinderzimmer/Schlafzimmer. Ein relativ großes Bett, wo ich sowohl in der Woche, als auch wenn sie hier ist, schlafe. Das Sofa ist ein Schlafsofa, eigentlich war es so gedacht, dass sie an den Wochenenden, wo sie hier ist, dann komplett ihr eigenes Reich hat. Sie will aber immer noch, dass ich bei ihr mit im Bett schlafe."

"Klar. Ist doch süß. Und verständlich. Sie will ihren Papa bei sich haben."

"Wäre allerdings komisch, wenn wir zwei uns da vergnügen würden. Verstehst du?"

"Sicher. Und wo du doch ein Schlafsofa hast."

"Was ich gleich in eine Spielwiese verwandeln werde..."

"Du meinst..."

"Ich meine. Vorher gehe ich noch eine rauchen. Psst. Ganz ruhig. Vorher gehe ich noch meine allerletzte Zigarette auf dem Balkon rauchen. Dann brauche ich mein Spray, um ordentlich atmen zu können. Und dann... nur noch dich."

"Deine allerletzte?"

"Ja, von denen ich mittlerweile hunderte hatte. Aber zum einen muss es ja wohl sein, zum anderen hatte ich dir an unserem ersten Abend versprochen. Erinnerst du dich?"

"Och Helge. Du bist echt süß. Scheiße, jetzt fang ich auch gleich zu flennen an. Und du meinst echt, das geht? Nicht das mit dem Rauchen aufhören. Das werde ich mit aller Kraft unterstützen und dir auf die Finger hauen, wenn du schwach wirst."

"Und wie das geht. Du kannst ja in der Zwischenzeit schon mal feucht werden. Bin gleich zurück", stellte ich in Aussicht. Sie lachte.

"Wieso werden? Junge, dein Gedächtnis hat doch ein wenig gelitten. Das bin ich, seit ich vorhin auf dir lag. Na, eigentlich schon, seit ich deine Stimme am Telefon hörte."

Oh Mann. Diese Frau. Wie sehr hatte ich das vermisst. Sie vermisst

Neuanfang

Dieser Mann. Dieser wunderbare, durchgeknallte, wunderschöne, einzigartige Mann. Mein Mann. Nicht Mann. Mein Helge. Er hatte ja Recht. Wir waren nicht mehr die, die wir vor fünfzehn Jahren waren. Aber alles, was wirklich zählte, hatte sich nicht verändert. Er liebte mich. Ich liebte ihn. Er wollte mich. Und ich...

Konnte es nicht mal mehr abwarten. Sah sein amüsiertes Gesicht durch die große Balkontüre, als ich mir die Klamotten vom Leib riss. Seinen Glastisch wegrückte, um das Ding auszuziehen. Er brauchte Hilfen? Sollte er haben. Und was jetzt, Schlaufen? Einfach dran ziehen. Ah, so einfach geht das. Geil.

So, und jetzt schau her. Wollen doch mal sehen, ob du die Zigarette noch zu Ende kriegst. Alles für den guten Zweck. Hihi. Und wie das klappt. Gerade mal eine Halbe. Und grinst von einem Ohr zum andern. So kenne ich dich. So liebe ich dich.

Du lässt die Tür auf? Dann weiß gleich die ganze Nachbarschaft, dass wir wieder vereint sind. So soll es sein. Wir stöhnen es in die Welt hinaus. Gleich zwei Züge von dem Spray. Er weiß, was ihm bevorsteht. Oh... und was ihm schon steht. Bei dem geilen Ding sieht man dein Bäuchlein nicht. Ein echter Blickfang.

Komm zu mir, komm mit mir, komm in mir. Oh ja, auch deine Zunge wurde vermisst, so sehnlichst, sehnlichst vermisst. Leck mich doch. Mit deiner Zauberzunge. Ist das ein Wiedersehen, Wiederfühlen, wieder auf dem Weg ins Paradies. Ah, nur ein kurzer Gruß.

"Ich musste nur kurz Hallo sagen."

"Du weißt halt, was sich gehört. Ihr könnt euch später gerne noch ausführlicher unterhalten."

"Worauf du dich verlassen kannst."

Mmh. Ich kann dich schon fühlen. Wie du mich anschaust.

"Ich liebe dich", hauchte er mir gleichzeitig mit seinem Eindringen zu.

Und ich war vom ersten Moment an nicht einmal mehr zu Worten fähig. War er nicht nur in mir. Durchdrang mich mit allem, was er war. Gab mir ein Gefühl, dass nicht in Worte passt. War es mehr als eine Rückkehr, oder auch Neuanfang. Vollkommenheit. Fügte sich zusammen, was immer schon zusammengehört hatte.

War da sofort das Wir. Das Eins. Das Wieder-Eins. Brachen in unserem sanften Fluss mit aller Macht zunächst Gefühle über uns hinein. Über das Körperliche hinaus, das nur die Bühne für das tatsächliche Geschehen war. Auf der nun zwei Wesen in absoluter Reinheit Eins wurden.

Sich am körperlichen Spektakel ergötzte, das nun Schübe von Ekstase in den Mix brachte. Uns völlig mitriss. Wie ein stummer Beobachter, der nun richtig in Wallung geratene Körper erlebte. Die ächzten, stöhnten, sich immer heftiger gegeneinander drängten. Ein Körper, der schon den Blitz der schönsten Entladung erlebte.

Meiner. Der weiter unter den heftigen Stößen meines Geliebten erzitterte. Bebte. Fast noch ein zweites Mal in kürzester Zeit am Gipfel war. Aber dann spürte ich Helges Eskalation und Eruption. Sah in sein völlig entrückt wirkendes Gesicht, als ich seine heiße Essenz in mich strömen fühlte.

Fuck. Das war schon wieder grenzwertig schön gewesen. Am Rande meiner, unser Aufnahmefähigkeit. Was auch immer vorher an leisen Zweifeln dagewesen sein mochte, wie anders und besonders unser gemeinsames Erleben war. Ob es überhaupt nach so langer Zeit wieder möglich war. Jetzt waren sie definitiv weg.

"Ich liebe dich", gab ich jetzt endlich die Antwort, die ich ihm vorhin schuldig geblieben war.

"Und ich dich erst. Alter Schwede. Normal geht bei uns irgendwie nicht, oder? Das war schon wieder jenseits von Gut und Böse."

Klar. Warum sollte er das anders empfinden, als ich.

"Wenn schon, alte Schwedin. Und du hast natürlich Recht. Das war unglaublich. Du hattest keine Atemprobleme, hoffe ich? Eigentlich wollte ich on Top."

"Keine. Das Spray ist da ganz gut. Nur jetzt würde ich natürlich am liebsten eine rauchen. Aber ich habe schon eine Idee, wie ich meine Unruhe bekämpfen kann."

Oh? Oh. Oh! Ja. Das ist... eine gute Idee. Hallo, da ist doch die Zauberzunge wieder. Genau, wo sie hingehört. Oh, alter Mann. Jetzt bin ich in Schwierigkeiten. Fuck. Das geht doch gleich wieder los. Das fängt doch gleich wieder... an. Ist das irre. Ich hatte völlig verdrängt, dass er... oh mein Gott... Fuck. Fuck. Fuck. Fuck. Fuck.

"Du siehst zufrieden aus", meinte er grinsend und strich durch mein Haar.

"Du bist immer noch irre. Du hast dich überhaupt nicht verändert."

"Ich wollte nur sehen, ob das bei dir noch geht."

"Das letzte Mal ist viele Jahre her. Frau wird alt und genügsam. Eigentlich habe ich mich da total verändert."

Er lachte leise.

"Du wirst es mir jetzt nicht glauben, aber das erleichtert mich ungemein."

Hm. Ob er das wirklich so meinte? Ich war ehrlich gewesen. Ja, auch mit Sylvia hatten wir oft Sex gehabt. Aber niemals so abgedrehte Geschichten, wie mit ihm. War mir Zärtlichkeit und Vertrautheit so viel wichtiger geworden.

"Hast du dich bei deiner Frau denn noch aus deiner Yogi-Trickkiste bedient?"

"Nein. Ich wüsste nicht mal mehr, ob ich das noch hinbekomme. Es war ja sinnfrei bei ihr. Sie kam doch nicht vom Verkehr. Der Sex war ohnehin nicht so berauschend mit ihr. Am Anfang okay, aber dann... egal. Auch das ist Vergangenheit."

"Sie sind jetzt im Urlaub?"

"Ja. Eine Woche in den Alpen, dann ein zwei Tage in München, und von dort fliegen sie dann nach Schweden. Die Kleine war schon ganz aufgeregt. Sie wollen nämlich unter anderem auch in dieses Astrid Lindgren Dort, was es da gibt."

"Natürlich. Welches Mädchen hat nicht Pipi Langstrumpf geliebt."

"Auch, aber bei ihr war's mehr der Michel. Na ja, die Schweden haben ja derzeit noch nicht so Einschränkungen mit Corona. Ich hoffe nur, sie stecken sich nicht an. Vor allem die Kleine"

"Vermisst du sie?"

"Ja, schon. Aber ich freue mich natürlich auch, jetzt mal komplette Wochenenden für mich zu haben. Aber dann kommt sie ja drei Wochen komplett zu mir. Und das bedeutet im Moment, dass wir Zeit füreinander hätten. Wenn du willst, natürlich."

"Alter... Du begreifst es immer noch nicht, oder? Du bist jetzt mit mir zusammen. Ob du willst oder nicht."

Er lachte leise. Oh, dieser Blick. Mein Helge. Liebt immer noch mich.

"Ja, es fällt mir schwer, das zu begreifen. Was für irre Plot-Twists das Leben schreibt. Auf sowas würde ich niemals kommen. Im Ernst. Aber ich bin unendlich froh, dass es mehr Fantasie hat, als ich. Und ja, ich will mit dir zusammen sein. Soweit das möglich ist."

"Hab keine Angst. Ich werde dein Leben diesmal nicht völlig durcheinanderbringen. Ich sage ja, ich bin genügsam geworden. Und mir ist klar, dass du nicht mehr nur Helge bist, sondern auch Helge der Vater. Der ein Kind hat, das ihn liebt und braucht. Das war bestimmt ganz schwer für sie, mit der Trennung und alles."

"Ja. Genauso schwer war die Zeit davor, wo sie miterleben musste, wie Mama und Papa sich nicht mehr liebhatten und dauernd gestritten haben. Nun, es ist jetzt ein Jahr her, dass ich ausgezogen bin. Manchmal wirkt es, als ob sie sich mit der Regelung arrangiert hat. Und dann vermisst sie entweder mich total, wenn sie in Berlin ist, oder ihre Mutter total, wenn sie hier ist. Wir machen noch Sachen gemeinsam, Weihnachten, Geburtstage, meinen zumindest und den meiner Tochter. Auf dem Weihnachtsmarkt waren wir auch zusammen, letztes Jahr."

"Aber ihr kommt zurecht, streitet euch jetzt nicht mehr?"

"Nein. Seit klar war, dass wir auseinandergehen, lief es sogar sehr gut. Auch mir ging es eigentlich am Anfang hier recht gut. Ich hatte endlich meine Ruhe. Du hörst ja, dass du nichts hörst, oder nur Vogelgezwitscher, oder? Mir war Berlin zu stressig geworden. Gerade wo wir gelebt haben, mit den ganzen Kneipen, wo die ganzen Touristen abhängen."

"Und dann?"

"Fehlte mir was. Du siehst da ja mein neues Hobby stehen. Deshalb wollte ich ja unbedingt hierher. Weil der Himmel hier dunkler ist. Ich zeig dir irgendwann mal Fotos, die ich gemacht habe. Ja, aber so sehr mich das in Berlin noch beschäftigt hat, hier, wo alles besser und einfacher ging, hat es mich plötzlich gar nicht mehr so gefesselt."

"Deshalb das Schreiben? Das hat dir doch sicher gefehlt."

"Ja, auch. Du weißt doch, an wen ich denke, wenn ich Protagonistinnen erstelle. Ich konnte doch nicht ahnen, dass ich dich damit wieder in mein Leben zaubern könnte. Das ist echt so abgefahren. Auch, dass das Gefühl noch genauso stark ist, wie damals. Bei mir zumindest."

"Vollidiot. Meinst du, ich wäre hier, wenn das anders wäre?"

"Hätte ja sein können, dass du auf anderes fixiert warst. Wie... hey... oh Gott. Genau das meine ich. Oder den meine ich."

Na, in seinen Schwanz war ich schließlich auch verliebt. Und hatte noch gar nicht richtig hallo gesagt. Mmh. Hallo mein Schatz.

Die Rückkehr des Himmels

Ich würde mir noch Nackenschmerzen holen. Alle zwei Minuten drehte ich meinen Kopf, um die schlafende Janine zu betrachten. Sie schlief noch fest, als ich schon zwei Stunden Arbeit hinter mir hatte. Ich wachte einfach immer sehr früh auf, konnte mit der Arbeit beginnen, wann ich wollte.

Dabei war die Nacht eher kurz gewesen. Sie hatte mir einen Blow-Job verpasst, den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde. Nichts verlernt, in fünfzehn Jahren Abstinenz. Das war dann aber genug an Sex für uns in dieser Nacht. Wir redeten einfach noch stundenlang weiter. Waren zärtlich miteinander.

Und so unglaublich ruhig. Es sank langsam ein. Wir waren zusammen. Endlich zusammen. Wir hatten unsere zweite Chance. Wahnsinn. Jetzt hatte ich doch den Moment verpasst, wo sie aufgewacht war. Denn plötzlich schlang jemand ihre Hände von hinten um mich.

"Morgen, schöner Mann."

"Morgen, Janine. Warte bitte zwei Minuten, dann gehe ich auf Pause. Passt sich gut, eh Zeit für mein zweites Frühstück."

"Zweites Frühstück? Seit wann bist du denn wach?"

"Halb fünf. Mein normaler Rhythmus. So, fertig. Und jetzt komm her."

Ich schwang den Schreibtischstuhl rum, und hatte sie Sekunden später auf meinem Schoß. Wow. So angenehm begannen meine Pausen für gewöhnlich nicht. Mit einem Kuss, der nicht enden wollte. Aber enden musste. Na gut. Da gab es ja noch die Auftragsarbeit, zu der ich mich gestern wieder verpflichten ließ.

"Au, du Sau. Du hast dich echt nicht verändert."

"Du hast mir gesagt, ich müsse dich heute kneifen. Von wegen Realitätscheck und so. Du weißt doch, dass du dich auf mich verlassen kannst."

"Auf Gemeinheiten ja. Na ja, auf die eine oder andere Sache zusätzlich auch."

"Die werden, fürchte ich, noch ein bisschen warten müssen. Ich kann mir meine Zeit zwar frei einteilen, aber ich dachte, wir frühstücken zusammen und dann mache ich weiter, damit ich den Nachmittag frei für dich habe. Wäre das okay für dich?"

"Sowieso. Was macht der Lungen-Schmacht? Schon schwach geworden?"

"Nein. Ich kämpfe mich da schon durch. Hm... es ist jetzt noch nicht so irre warm, aber könnten, glaube ich, auf dem Balkon frühstücken. Das mache ich mit meiner Kleinen auch immer."

"Sicher. Hm. Vielleicht sollte ich mir dazu was anziehen."

"Wegen mir bräuchtest du das selbstverständlich nicht. Aber es rauchen hier viele auf dem Balkon. Gerade gegenüber."

"Faule Ausrede. Du willst nur nicht, dass du beim Frühstück schon wieder geil auf mich wirst."

"Keine Gefahr. Schon passiert."

"Hey... du sagst immer noch nur die Wahrheit. Gut Morgen, mein kleiner Sonnenschein."

"Der braucht ein wenig Schatten, glaube ich. Pack ihn lieber wieder ein, sonst wird das nichts mit unseren Plänen."

"Du gönnst mir auch gar nichts."

"Ein Leben mit mir ist nichts?"

"Ein Leben mit dir ist alles was ich will."

Und schon knutschten wir wieder. Oje. Die Pause würde wohl etwas länger werden, als geplant.

Es wurde eine ganze Stunde. Und wir schliefen selbstverständlich nach dem Frühstück miteinander. Dann ging sie duschen, und ließ mich danach allein, um aus ihrer Wohnung Klamotten zu holen. Lebensmittel, die sonst schlecht werden würden. Denn den Plan hatten wir noch in der Nacht gefasst.

Sie würde, bis ich mein Kind nach ihrer Rückkehr holte, ihren Urlaub komplett bei mir verbringen. Wo ich natürlich arbeiten musste, aber selbst da konnte sie ja dabeibleiben. Ich hatte zu der Zeit Projekte, wo ich mich sicher nebenbei mit ihr unterhalten konnte. Im Alter hatte ich eine echte Multitasking-Fähigkeit entwickelt.

Das würde ihr und mir jetzt zugutekommen. Zweieinhalb Wochen alleine mit ihr. Noch einmal den Himmel auf Erden. Wer hätte das gedacht. Aber ich dachte auch schon weiter, während sie nach Berlin unterwegs war. Es würde diesmal anders sein. Es musste einfach diesmal anders sein.

Ja, wieder war ich nicht frei von Verpflichtungen. Obwohl ich meine Tochter nun nicht als Verpflichtung empfand. Aber die Regelung mit jedem zweiten Wochenende bei mir und einen Tag am darauffolgenden Wochenende in Berlin, bedeutete schon, dass wir nicht unbedingt viel Zeit miteinander verbringen konnten.

Das machte ihr nichts, sagte sie. Sie wollte mit allem zufrieden sein, was möglich war. Ich auch. Wir waren auch jetzt am Schweben, aber wir hoben nicht mehr so weit vom Boden ab, wie damals. Wir hatten dazugelernt, waren reifer geworden.

Und hatten fünfzehn Jahre ohneeinander ausgehalten. Was spielten da Tage und Stunden für eine Rolle. Und doch, das Timing war optimal. Mit ihr gleich zu Beginn noch einmal den Himmel erleben zu können. Na ja, was so ein alter Mann wie ich eben noch hinbekam. Man gut, dass meine Zunge ihr immer noch so viel Freude bereitete.

Der Nachtisch beim Frühstück war nämlich schon wieder deutlich animierter gewesen, als dieses unfassbar schöne Wiedervereinigungserlebnis. So mochte ja genügsamer geworden sein, aber mir sicher meine derzeitigen Grenzen bald aufzeigen. Selbst das machte nichts. Ich lächelte still vor mich hin.

Wenn mir das jemand vor ein paar Monaten erzählt hätte. Dass ich der Liebe meines Lebens heute ihren eigenen Schlüssel für meine Wohnung nach dem Frühstück kredenzen konnte. Und wieder den zu meinem Herzen. Wahnsinn. Und doch war es ein ruhiger, sanfter Wahnsinn.

Wie schön das war, zu entdecken, dass diese unglaubliche Vertrautheit und Intimität, die wir hatten, und die nichts mit Sex zu tun hatte, weit vor unserer Beziehung schon da gewesen war, immer noch existierte. Wir füllten einfach die Lücken, das, was wir verpasst hatten. Das hatte in der vorherigen Nacht schon begonnen.

Sie hatte mir von ihrer so tragisch endenden Beziehung erzählt, und was mit Lena damals wirklich passiert war. Wie sie ihre Karriere zu ihrem einzigen echten Lebensinhalt gemacht hatte. Jetzt Abteilungsleiterin war, trotzdem noch auf dem Sprung zu höheren Aufgaben.

Ich hatte ihr von den schönen, aber auch vernichtenden Momenten meines Ehelebens erzählt. Der Geburt meiner Tochter, dem Gefühl, als ich sie erstmals in meinen Armen hielt. Dieses winzige kleine Menschlein, das wider Erwarten nicht die roten Haare meiner Frau hatte, sondern in vielem nach mir kam.

Sie war gegen Mittag zurück. Boah. Hatte sie halb Berlin eingepackt?

"Ehm... ziehst du jetzt komplett ein?"

"Spinner, nur das Notwendigste. Ich ernähre mich jetzt übrigens rein vegetarisch, ich hoffe, das ist kein Problem?"

"Natürlich nicht. Oh, du hast deine Yoga-Matte mitgebracht."

"Ja, ich wollte ja ursprünglich nach Indien, um wieder anzufangen. Mir Inspiration von echten Meistern holen. Na, das geht doch auch ohne Flug."

"Der echte Meister ist ein alter steifer Bock geworden."

"Ich kriege dich schon wieder geschmeidig, verlass dich drauf. Wo ich auf Steife verzichten möchte, heißt das. Aber auch da wird's dann nach hartem Kampf wieder weich werden."

"Tsss. Aber eine gute Idee. Wir fangen zusammen wieder richtig an."

"Ja. Wir fangen jetzt richtig an."

Das Gefühl hatte ich auch. Und es machte mich selig. Trotz langsam immer stärker werdender Entzugserscheinungen. Diesmal nur von Zigaretten. Gegen die, die ich damals hatte, als ich mich auf Entzug von ihrer Nähe befand, lächerlich. Außerdem hatte ich ja zumindest schon eine Beschäftigung gefunden, die mir half. Und ihr gleich noch dazu.

"Fuck."

"Oh Mädel, du bist und bleibst die einzige Frau, die ich kenne, die das bei ihrem Orgasmus schreit."

"Mach dich nur lustig. Für deine Zunge brauchst du immer noch einen Waffenschein. Nicht nur dafür."

"Wieso, so lange ich sie nur auf meinem höchst privaten Schießstand nutze? Denn der gehört jetzt wieder mir."

"Okay. Die Lizenz gebe ich dir. Aber komm, jetzt reicht's."

"Oh, dass ich diese Worte mal von deinen Lippen hören würde..."

"Ich liebe dich."

"Und dass ich diese nochmal hören darf..."

Sie küsste mich zärtlich. Es gibt etwas, was schöner ist, als selbst glücklich zu sein. Nämlich den Menschen, den man über alles liebt, so glücklich zu sehen, wie sie es jetzt war. Ich streichelte ihr entspanntes, immer noch leicht gerötetes Gesicht. Sie war noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte.

Ihre Gesichtszüge hatten etwas härter gewirkt, als sie gestern bei mir eingetroffen war. Das hatte sich schon leicht verändert. Wirkte sie weicher, offener, entspannter. Ich verstand, dass sie sich durchgekämpft und durchgebissen hatte. Wie ich auch. Wenig Grund zum Lachen, zur Freude gehabt hatte, in den letzten Jahren.

"Du bist so schön, dass es fast weh tut", teilte ich ihr gedankenlos mit. "Nicht nur äußerlich. Du hast etwas Unschuldiges, Natürliches an dir... was irgendwie immer noch nicht fassen kann, nach all den... hey! Wer hat denn gesagt, dass du den fassen kannst?"

"Das ist ein natürlicher Impuls. Aber hast Recht. Es ist schon gleich sechs. Kriegst du langsam Hunger? Ich koch uns was Schönes."

"Ich kann dir helfen."

"Nein, ruh dich mal aus, so wenig, wie du geschlafen hast. Oder mach, was du möchtest."

"Okay. Ich schreibe dann noch schnell die Geschichte fertig. Den dritten Teil."

"Öhm... so lange wird es wohl nicht dauern, oder bist du schon gegen Ende?"

"Nö, noch nicht mal angefangen."

"Hä?"

"Ich habe diese neue Methode."

Fluss

Mein Helge. Ich hatte Widerstand erwartet. Hindernisse, die zu überwinden waren. Überzeugungsarbeit, die ich leisten musste. Nach all der Zauderei zuvor. Nichts. Er stieg sofort auf mich ein. Wir schliefen miteinander, redeten die halbe Nacht. Am Morgen gab er mir einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Und meinte, das wäre ab jetzt meiner.

Ja, er hatte sich verändert. Hatte zunächst verunsichert gewirkt. Aber jede Minute, die ich mit ihm zusammen war, brachte ihm ein Stück seiner Sicherheit zurück. Ich war außer mir vor Glück. Ich war wieder mit meinem Helge zusammen.

Auf der Fahrt nach Berlin musste ich kurz anhalten. Weil mir Tränen des Glücks runterliefen. Und ich die Straße nicht mehr richtig sehen konnte. Ich verstand, dass es ihm wie mir ging. Es war, als hätten wir unser Leben lang auf diesen Moment gewartet.

Wo wir endlich miteinander und wir selbst sein konnten. Ich nahm meine Yoga-Matte mit. Er stieg sofort drauf ein. Meinte, das wäre eine gute Idee. Auch hier kein Widerstand. Ich hatte fast vergessen, wie das war, mit ihm zu sein. Meine Wünsche, meine Ideen, meine Bedürfnisse, das war jetzt das Wichtigste für ihn.

Ich musste aufpassen, dass er auch an sich dachte. Dass ich ihm genauso viel gab. Ich nahm das Kochen in die Hand. Sagte ihm er solle tun, wozu er Lust hat, oder sich entspannen. Er wollte seine Geschichte zu Ende schreiben. Und zeigte mir, wie er nun schrieb.

Fuck. Fuck. Fuck. Das gibt es nicht.

Er saß ganz ruhig vor seinem PC und tippte. Tippte die Geschichte. Keine Sekunde Pause. Er tippte einfach, was er fertig im Kopf hatte. Dachte ich. Unterhielt sich dabei mit mir. Las dann zu allen Überfluss mir einen Abschnitt vor, während er den nächsten schrieb.

"Alter, was machst du? Wie machst du das? Du kannst doch nicht alle Formulierungen schon fertig im Kopf haben?"

"Nein, natürlich nicht. Sie sind einfach da, schreiben sich von selbst. Fluss. Ich lasse die Geschichte sich selbst schreiben und lese mit, während sie entsteht."

"Aber, das ist doch völlig unmöglich."

"Warum? Hast du es schon mal probiert? Natürlich hast du. Erinnerst du dich an unsere SMS Geschichte?"

"Ja, aber das waren ein paar Wörter, oder maximal ein Satz."

"Dasselbe Prinzip. Das hat mich drauf gebracht. Funktioniert eigentlich ganz ordentlich."

Eigentlich ganz... der Kerl ist irre.

"Und dann editierst du es hinterher ordentlich durch?"

"Nein. Nur Rechtschreibprüfung. Manchmal vergesse ich ein Wort. Sonst nichts."

"Du willst mir sagen, die Geschichten, die du geschrieben hast, sind alle so entstanden?"

"Nur die letzten drei. Aber die gingen doch eigentlich, oder?"

Fuck.

"Das war mit das Beste, was du jemals geschrieben hat, du geniale Sau."

"Danke. Die Methode hat einen Nachteil. Es funktioniert immer nur ein paar Stunden. Weiß nicht warum. Aber für den Teil sollte es reichen. Wolltest du nicht kochen?" Ja. Wollte ich. Aber jetzt muss ich mich erstmal setzen. Fuck.

"Jetzt geht es noch leichter. Weil du hier bist, nehme ich an."

Weil ich hier bin. Natürlich. Ganz ruhig Mädel. Zwack dich selbst. Scheiße. Das ist jetzt real.

"Okay, ich fang dann mit dem Kochen an. Vergiss nicht mir Bescheid zu geben, wenn du dabei vom Boden abhebst."

"Sehr witzig. Nein, echt, probiere es doch selbst mal. Du bist nur irritiert, weil du es dir so nicht vorstellen kannst."

Ich konzentrierte mich auf das Kochen. Soweit das ging. Denn seine Küche war direkt am Wohnzimmer, keine Tür dran. Ich konnte also weiter sein konstantes, alles andere als langsames, stetes Tippen hören. Dann wurde es still, als ich gerade die Teller auf den Tisch stellte.

"Machst du Pause? Das ist super, das Essen ist fertig."

"Die Geschichte auch. Hm, langsam habe ich richtig Schmacht. Das riecht gut."

Ja, das war ein marokkanisches Gericht, was Sylvia geliebt hatte. Er war ja auch mal in Marokko gewesen, das hatte er mir erzählt. Wir aßen und witzelten rum. Ich bekam meine Komplimente für das leckere Essen. Einen Kuss, und eigentlich dachte er wohl daran, mir noch einen Nachtisch der besonderen Art zu bereiten. Wie wir das früher oft gemacht hatten.

Ich musste aber einfach sehen, ob er mich hochgenommen hatte. Setzte mich an seinen Schreibtisch und las. Die dreißig Seiten, die er da eben so locker getippt hatte. Wahnsinn. Das kam einfach so aus ihm raus.

"Und? Ist das Ende okay?"

"Das ist wundervoll. Junge, du schaffst es immer noch mich zu überraschen. Aber echt, du hast die Sätze nicht mal vorher im Kopf, einfach so direkt?"

"Ja, so war das vorher. Leicht zeitversetzt. Dann irgendwann nicht mehr. Ist lustiger so. Vor allem, wenn ich Dialoge schreibe. So amüsiere ich mich dabei noch selbst."

"Du bist völlig durchgeknallt. Aber das habe ich ja vom ersten Abend an gewusst. Habt ihr hier einen See in der Nähe?"

"Du meinst zum Baden? Denke schon, aber das Schwimmbad ist hier genau um die Ecke. Ich glaube die sind mittlerweile offen, und haben nur eine Begrenzung, wie viele reindürfen, und man muss seine Telefonnummer angeben und so. Wieso, willst du baden gehen?"

"Nein, ich will sehen, ob du wirklich auf Wasser laufen kannst."

"Spinnermaus. Ich denke, von solchen Versuchen sehe ich jetzt lieber ab. Bist du nicht durch mit der Geschichte? Wenn ja, komm her zu mir..."

Er erklärte mir dann noch, dass er das als ganz natürlich empfand. In Gesprächen dachte man ja auch meist nicht vorher darüber nach, was man sagen würde. Sondern es kam einfach so raus. Gut, das konnte ich nachvollziehen.

Keine wusste das besser als ich. Genau damit hatte mich schließlich schon oft genug in Schwierigkeiten gebracht. Und wusste, dass ich das selbstverständlich irgendwann auch einmal probieren musste. Dieser Mann. Fuck. Jetzt spürte ich es wieder. Diese Ausstrahlung.

Das, was Ute damals mir am Telefon angekündigt hatte. Ich am ersten Abend nach dem Yoga gesehen und gefühlt hatte. Dieses Besondere an ihm, das fühlbar, greifbar, wahrnehmbar war. Wie sein Liebe. Die mich jetzt wie ein Kokon einhüllte.

"Übrigens wollte ich nur noch diese Geschichte zu Ende schreiben, damit die Leser sie vollständig lesen können. Und mich dann dort zurückziehen."

"Was?"

"Weißt du, ich glaube, ich schreibe, wenn mir etwas fehlt. Oder jemand fehlt. Zuletzt war es wohl eher ein jemand. Das hat sich ja nun in Wohlgefallen aufgelöst. Prompt habe ich keine neue Idee für solche Geschichten mehr. Aber da gibt es noch andere Gründe. Als ich dachte, dass mein Leben sich seinem Ende zuneigt, kam mir in den Kopf, als ich von einer verstorbenen Autorin gelesen hatte, dass ich nicht möchte, dass dies meine Hinterlassenschaft wird. Ein paar wertlose Fickgeschichten."

"Bist du jetzt völlig durchgedreht? Wertlose... Du Vollidiot, zum einen sind deine Geschichten alles andere als das..."

"Selbst wenn, nein, hör mir zu. Nicht da, du weißt ja, was dort abgeht. Ich habe die Seitenbetreiber angeschrieben, weil das immer noch so extrem mit dem Downvoting ist, das hast du ja mitbekommen. Sie haben nicht mal geantwortet. Ich habe echt die Schnauze voll. Ganz ehrlich."

Das konnte ich zumindest nachvollziehen. Verspätet erinnerte ich mich, was er noch gesagt hatte.

"Solche Geschichten... du hast Ideen für andere?"

"Ja, schon angefangen. Ein Kinderbuch. Beziehungsweise wird es eine ganze Reihe werden, glaube ich. Ob ich die jemals veröffentlichen werde, steht auf einem anderen Blatt. Ich schreibe für meine Kleine. Sie liebt Bücher, obwohl sie jetzt ja selbst lesen kann, lesen wir ihr natürlich im Moment noch vor. Ich schicke dir morgen mal den Anfang des ersten Buchs. Dann hast du was zum Lesen, wenn ich morgen arbeiten muss."

Ja, das machte Sinn.

"Na, wenn du dich da zurückziehst, mache ich das auch. Ich habe natürlich auch nur wieder angefangen, damit ich dich locken konnte. Hat ja geklappt."

"Und wie das geklappt hat, du irre kleine Fickmaus."

"Ich denke, dass soll ich jetzt nicht mehr sein? Moment. Ich denke, ich hätte eine Idee. Für eine Geschichte."

"So? Dann schreibe sie doch."

"Nein, die will ich nicht alleine schreiben."

"Oh, ein gemeinsames Projekt? Das macht tatsächlich total Spaß, habe ich mit Sabine ja auch gemacht."

"Unsere Geschichte."

"Hm?"

"Na, stehst du auf der Leitung? Unsere Geschichte. Wie wir uns kennengelernt haben. Was alles passiert ist."

"Das glaubt uns doch kein Mensch."

"Spielt das eine Rolle? Wir drehen ein bisschen an den Einzelheiten, dass es nicht zu offensichtlich wird, wer wir sind. Übertreiben und untertreiben, dass nicht mehr klar wird, was die Realität war, und was nicht. Aber ist sie nicht verrückt und großartig genug, um sie zu erzählen?"

Schnapsideen

Was für eine irre Idee. So irre, dass ich eigentlich selbst darauf hätte kommen müssen. Diese Frau. Aber ja, im selben Moment sah ich das Potential, was das für uns leisten könnte. Zum einen würden wir dabei unsere Vergangenheit schreibend noch einmal neu erleben. Vielleicht sogar dabei Dinge erfahren, die wir uns damals nicht sagen konnten oder wollten.

"Okay. Das machen wir. Das wird ein Heidenspaß."

Sie küsste mich begeistert.

"Eine Bedingung: Keine fünfhundert Seiten Fickerei, nur die Highlights. Und jeder kann ein Veto einlegen, wenn es um Dinge geht, die nicht an die Öffentlichkeit sollten", gab ich zu bedenken.

"Och... alte Mimose. Puritaner. Na gut."

"Ob ich mich allerdings noch an die zeitliche Sequenz richtig erinnern kann... Man wird ja nicht jünger, das ist alles ganz schön lang her. Da müsste ich eventuell auf dein Gedächtnis zurückgreifen."

Was machte sie jetzt? Klappte ihren Laptop auf und fummelte eine Weile herum.

"Brauchst du nicht. Jetzt hast du mein Tagebuch."

"Im Ernst, du willst, dass ich dein Tagebuch lese?"

"Klar, vielleicht jetzt erst einmal die Sachen, die dich betreffen, das sind schon einige tausend Seiten übrigens. Natürlich nicht alle aus der Zeit, wo wir zusammen waren. Aber ich habe insgesamt keine Geheimnisse vor dir. Jeder Eintrag hat ein Datum, auch wenn das Ding wirklich lang ist, kannst du die relevanten Einträge schnell anhand des Datums finden."

"Wow, Mädel, dein Vertrauen in mich ehrt mich."

"Ich liebe dich, du Vollidiot. Natürlich vertraue ich dir. Sonst ginge das überhaupt nicht. Außerdem weiß ich, dass du dann dauergeil sein wirst. Ich schreibe alles immer ganz genau auf. Wie du weißt."

"Und ich liebe dich. Verrücktes Huhn. Ja, da kannst du Recht haben. Hm... dann können wir uns miteinander beschäftigen, wenn der Alltag uns trennt. Wie in den drei Wochen, wo meine Kleine hier ist. Sie spielt oft genug auch mal allein, oder malt ihre Pokémon Ausmalbilder an und sowas. Schade, da werde ich meine Technik nicht einsetzen können. Da geht es dann ja eher drum, mich an das zu erinnern, was ich empfunden habe, wie ich es erlebt habe. Aber gut. Du hast mich überzeugt. Mehr als das. Am liebsten würde ich gleich anfangen."

"Nein. Kommt nicht in Frage. Jetzt arbeiten wir erstmal weiter am Happy-End rum. Und ich an deinem geliebten Ende. Auf dass er happy wird."

Oh... Sie steckte immer noch voller guter Ideen. Voller Liebe. Voller Vertrauen. Voller Irrsinn. Und... voller Geilheit. War jetzt still, weil man mit vollem Mund nicht spricht. Wow. Was sie da mit meinem besten Stück anstellte... oh mein Gott.

"Da stöhnst du, was?"

Brachte mich mit dem Spruch zum Lachen. Und für den Moment so raus, dass ich nicht gleich kam, was sonst immanent gewesen war. Diese Frau. Brachte mich in den Himmel, aus Glückseligkeit, Geilheit, Gelächter. Immer wieder.

"Da kommst du, was?"

"Jaaaaa... Fuck."

Und sie hatte wieder ihre Ladung mitten im Gesicht. So, wie sie das liebte. Diese verrückte Nudel. Jetzt ging das bei mir auch schon los mit dem "Fuck" beim Kommen. Sagenhaft.

Wir fingen tatsächlich noch während ihres Aufenthalts mit dem Schreiben an, weil wir beide ganz fickerig drauf wurden. Aber das war nicht alles, was wir gemeinsam taten. Wir fingen wieder mit dem Yoga an, Atemübungen, meditierten gemeinsam.

Redeten stundenlang, vor allem während ich arbeitete. Hatten natürlich jede Menge Sex, aber nicht so exzessiv, wie zuvor. Und vor allem oft sehr zärtlich. Oft war es körperliche Liebe. Und manchmal wieder darüber hinaus.

Die alten Accounts löschten wir wie geplant, nach kurzer Vorankündigung im Forum. Und sahen beide mit ein wenig Sorge den drei Wochen Trennung entgegen. Janine wollte nicht einfach so in mein Leben einbrechen, meinte sie. Für meine Tochter wäre es ohnehin ein kleiner Schock, zu erfahren, dass ihr Papa wieder mit einer Frau zusammen war.

Unsere Sorgen waren ungerechtfertigt. Ja, wir vermissten die körperliche Nähe des anderen, telefonierten meist nur kurz am Abend miteinander, aber tauschten uns zusätzlich via E-Mail aus. Schickten die Geschichte hin und her, die bald die Fertigstellung des ersten und nicht lange danach des zweiten Teils erlebte.

Kamen uns dadurch noch näher. Erlebten und verarbeiteten unsere Vergangenheit neu. Ich ja zum Teil auch durch das Lesen ihres Tagebuchs. Es war Janine, die die Idee hatte, wie wir den dritten Teil beenden könnten. Denn unsere Geschichte lief eben noch, oder gerade erst wieder richtig. Sie erzählte mir davon am Telefon.

"Dein Weglaufen. Deine Angst. Was, wenn es wahr gewesen wäre? Also wenn du wirklich Krebs gehabt hättest?"

"Ehm... richtig Drama? Und ich gebe am Ende den Löffel ab, oder was?"

"Quatsch. Du hast mir doch damals mal von dem Yogi erzählt, der Krebsgeschwüre in seinen Armen willentlich erzeugen und dann genauso wieder verschwinden lassen konnte."

Das stimmte. Das war einer der wenigen wissenschaftlich dokumentierten Fälle von solch extremen und einzigartigen Fähigkeiten. Es wurden Biopsien entnommen, CTs gemacht, usw. Ich hatte darüber mal in einem Buch über Biofeedback gelesen. Und es ihr erzählt.

"Und wie willst du das einbauen?"

"Da ich dir alles zutraue, hätte ich dir auch zugetraut, Krebs auf diese Art und Weise zu besiegen. Und das wäre doch ein würdiges Ende für unser geiles Märchen, oder? Fängt mit Yoga an und hört mit Yoga auf. Und unserer unsterblichen Liebe natürlich."

Verdammt. Das klang nach einer großartigen Idee. Ich stimmte selbstverständlich zu. Wir begannen, den dritten Teil zu schreiben. Hatten bereits sehr positives Feedback auf die ersten beiden Teile bekommen, die wir an alter Stelle unter neuem Namen und ohne uns zu outen hochgeladen hatten. Na, nach dem dritten Teil würden einige es auf jeden Fall wissen.

Meiner Tochter erzählte ich erst nach den drei Wochen von Janine. Ich wollte es vorher mit meiner Ex-Frau besprechen, damit sie vorgewarnt war, und etwaige Reaktionen auffangen konnte. Auch Sabine sollte es natürlich erfahren, erfuhr bei der Gelegenheit dann auch zum ersten Mal vom ganzen Umfang und Tiefe meiner Beziehung mit Janine.

Für beide war es kleiner Schock, obwohl sie sich Mühe gaben, das nicht so zu zeigen. Aber ich kannte selbstverständlich meine beiden Pappenheimerinnen. Für beide bedeutet es nämlich auch, dass ich definitiv nicht mehr mit meiner Gattin zusammenkommen würde. Geschieden waren wir noch nicht, lebten weiterhin nur getrennt.

Bei meiner Gattin war es wohl eher die Nachricht, mit wem ich da zusammengekommen war, und was ich verschwiegen hatte. Bei meiner Tochter die Bestätigung der Finalität unserer Trennung. Unterschwellig hatte sie sicher gehofft, dass ihre beiden geliebten Eltern wieder zusammenkommen würden. Es dauerte etwas, aber dann schien es sie nicht mehr zu bedrücken.

Sie sah auch, wieviel besser es ihrem Papa ging. Sich mein Verhältnis zu ihr sich in keiner Weise änderte. Und Janine hatte sich entschieden, zunächst nicht vorstellig zu werden, so dass sie für meine Tochter nur eine abstrakte Figur im Hintergrund meines Lebens blieb.

Langsam spielte sich unser Alltag ein. Wir sahen uns an den freien Wochenendtagen, und oft kam sie mich in der Woche besuchen, wenn ihre Arbeit das erlaubte, denn sie war zu einem Arbeitstier mutiert. War an manchen Tagen erst um zehn Uhr abends zuhause. Schrieb trotzdem mit mir am dritten Teil unserer Geschichte weiter.

Die wir zu einem Abschluss brachten, schon im Dezember 2020. Dann aber...

Entscheidungen

Nach den wundervollen ersten drei Wochen sahen wir uns nicht oft. Ich hatte mich davor gefürchtet. Dass ich wieder wie ein Junkie auf Entzug sein würde. So war es nicht. Er fehlte mir, ja. Aber wir waren täglich in Kontakt. Umso heftiger und schöner wurden die Abende und Wochenenden, wo wir uns sahen.

Mein Leben war nicht leer ohne ihn. Ich hatte immer noch meine Arbeit. In der ich weiterhin aufging. Und wir schrieben an unserer Geschichte, am dritten Teil. Für den ich eine Idee gehabt hatte, die er sofort akzeptierte. Bald war sie fertig. Ich fand sie total geil. Aber Helge sperrte sich noch, wollte sie zunächst nicht veröffentlichen.

Das hing damit zusammen, dass fast gar kein Sex vorgekommen war. Wir hatten eine sehr schöne Geschichte kreiert, aber sie passte nicht mehr wirklich dorthin, wo wir die ersten Teile gepostet hatten. Das war meine tolle Idee. Wir hatten sie so geschrieben, dass er sich erst der Chemo unterzog.

Dann seine Körperkontrolle zurückgewann. Schlussendlich trotz der versagenden Chemo sein eigener Eingriff und Sieg. Zudem alles sehr spirituell angehaucht. Ja, er hatte Recht. Die Geschichte passte nicht mehr wirklich. Wir entschieden uns, den dritten Teil nicht mehr zu veröffentlichen. Kein mirakulöses Happy-End.

Anfang November rief mich mein ehemaliger Vorgesetzter an. Er erzählte mir, dass es Fortbildungsmaßnahmen für das Dezernat gab, in dem er jetzt in leitender Position tätig war. Allerdings in Wiesbaden. Drei Monate Schulung, alles dort vor Ort. Und jetzt? Verflucht. Die drei Monate wären nicht so wild.

Er sagte mir zugleich auch, warum er mich anrief. Seine Stellvertreterposition würde frei werden. Mit der Zusatzausbildung könnte ich sie bekommen. Beziehungsweise würden sich natürlich viele darum bewerben, aber er ein besonders gutes Wort für mich einlegen. Ganz alleine entschied er es nicht.

Noch vor einem halben Jahr wäre ich sofort darauf angesprungen und hätte ihn dafür am liebsten durchs Telefon gezogen. Um ihn zu umarmen. Aber das hieße... Verdammt. Fuck. Fuck. Fuck. Ich bedankte mich, und gab an, es mir durch den Kopf gehen zu lassen.

Es hieße, wenn ich die Stelle tatsächlich kriegen würde, nach Wiesbaden ziehen zu müssen. Obwohl Helge durch sein Homeoffice überall seiner Tätigkeit nachkommen könnte, wegen seiner Tochter war er ortsgebunden. Es hieße... nein, soweit konnte ich gar nicht denken.

Soweit wollte ich gar nicht denken. Und tat es doch. Tat es gottverdammt doch. Fuhr noch am selben Abend zu ihm, obwohl ich an dem Abend eigentlich länger hätte arbeiten wollen. Erzählte ihm das mögliche Dilemma. Wenn er geschockt war, zeigte er es nicht.

"Ich verstehe. Ja, das ist eine schwierige Entscheidung."

Rrrr. Dieser Kerl.

"Na toll, das weiß ich selbst, du Vollidiot. Wie wäre es, wenn du deine Position dazu klarlegst?"

"Meine Position? Ach Mädel... Ich weiß, wie wichtig dir deine Karriere ist. Wir sind jetzt zusammen. Wir wissen, dass wir einander lieben. Gut, erst einmal müsstest du die Fortbildung mitmachen. Du hast gesagt, du kannst noch nicht mit Sicherheit sagen, ob du den Job dann kriegen würdest. Also würde ich sagen, mach es. Du würdest dich doch dein Leben lang in den Arsch beißen, wenn du es nicht wenigstens versucht hättest, oder schätze ich dich da falsch ein?"

"Ich habe mich einen Großteil meines Lebens in den Arsch gebissen, weil ich dich jemals aus meinen Fängen entlassen hab."

Er lachte. Strich mir zärtlich durchs Haar.

"Ich bleibe dir erhalten. Da mach dir keine Gedanken. Wie du weißt, sind mir auch Fernbeziehungen nicht neu."

"Für eine gewisse Zeit, ja, könnte ich selbst das aushalten. Daran habe ich natürlich auch gedacht. Aber du? Nochmal?"

"Mädel, für dich würde ich alles aushalten."

"Och Helge, was läuft schon wieder alles quer. Wenn da wirklich so ein alter Sack im Himmel an irgendwelchen Strippen zieht, soll er sich vorsehen. Sobald ich eine davon erwische, ziehe ich ihn runter und versohle ihm den Arsch."

Was lachst du? Das ist mein Ernst.

"Okay, tu das. Melde dich erstmal für die Fortbildung an. Alles Weitere findet sich. Und keine Angst, sollte es diesmal tatsächlich zu einer Pause oder Fernbeziehung kommen, verspreche ich dir hoch und heilig, diesmal niemanden in deiner Abwesenheit zu heiraten. Mir reichen zwei Ehen."

"Mir reicht das nicht. Ich kaufe dir einen Keuschheitsgürtel."

Jetzt kriegte er einen Lachanfall. Du glaubst mir nicht?

"Du bist echt ein irres Stück Weib. Komm her. Es ist okay. Du tust, was du für richtig hältst. Du brauchst keine Angst zu haben, mich nochmal zu verlieren. Ich war ein Vollidiot damals, aber ich lerne aus meinen Fehlern. Ich bin dir sicher, egal wo du bist. Wenn du das nicht kapiert hast, kennst du mich immer noch nicht. Uns beide trennt nur der Tod. Und selbst der muss sich mächtig anstrengen, glaube ich."

Oh Fuck. Warum macht er mir das so leicht? Warum kann er nicht einfach sagen, ich möchte das nicht, das ist mir zu viel? Ich will dich, jetzt und für alle Zeiten? Du bist doch schon wieder so Scheiß-bedürfnislos. Na, mal gucken, aber ich da nicht noch ein bisschen Sucht erzeugen kann. Runter mit den Klamotten.

"Was..."

"Wir müssen vorarbeiten. Sollte wirklich nächstes Jahr das Undenkbare eintreten, sollten wir auf Vorrat ficken. Davon können wir dann an kalten Wintertagen zehren. Was macht die Lunge, du hattest doch gestern den Termin?"

"Keinerlei Probleme mehr. Klar, die Narben bleiben, aber die Entwicklung ist gestoppt, das Medikament wirkt. Der Arzt war ganz aus dem Häuschen, weil die Spiro 85 % angezeigt hat. Das hat er nicht erwartet. Vor allem nicht so schnell."

"Das Pranayama?"

"Ja, ich nutze halt die ganze verbliebene Lunge, volle Yoga-Atmung, durchgängig."

"Das sollte auch für deine alten Yogi-Tricks reichen?"

"Du kleines geiles Schweinchen, ich habe mich schon gewundert, dass du die Frage bisher noch nicht gestellt hast."

"Das ist ein Ja?"

Oh. Das beantwortet er auf seine Weise. Und er hat wieder diesen Blick... Uff. Ist das geil. Er hat es nicht verlernt. Er hört nicht auf. Kommt nicht mal groß außer Atem. Aber ich... komme! Schon wieder. Fuck. Ist das ein irrer Kerl. Komm, das reicht, jetzt komm du. Hey, nee, nicht wieder lecken. Auch ich hab mal genug.

"Oho? Madame ist schon bedient?"

"Ja, wenn ich sagte auf Vorrat, meinte ich nicht alles davon heute. Oder hast du noch nicht genug?"

"Hm... na gut, ich bin auch mit Wenigem zufrieden."

Spinner. Wir kuschelten erschöpft. Er streichelte meine Brüste.

"Vielleicht können wir allerdings in den nächsten Tagen noch einmal etwas Anderes probieren", meinte er dann mit einem feinen Lächeln.

"Machen wir. Was?"

"Ich habe mich ein bisschen eingelesen, fortgeschrittene Yoga-Techniken, habe dir doch von der Seite erzählt."

"Ja."

"Da gibt es auch Tantra-Übungen."

"Ah... du meinst, anstatt mich versehentlich ins Nirvana zu ficken, das ganz gezielt tun?"

"So oft, wie wir da dran waren, warum nicht? Es ist also wohl nicht nur Zufall gewesen, was wir erlebt haben, sondern man kann es gezielt herbeiführen."

"Erleuchtung durch Sex? Okay. Wann fangen wir an?"

"Mädel... echt. So schnell wird es wohl nicht gehen. Aber wir haben ja erlebt, dass wir eine gewisse Sensibilität in dieser Richtung haben. Warum soll man das nicht ausnutzen?"

"Ja, sicher. Mach dich schlau, und mich glücklich. Ich bin für alles zu haben. Das weißt du doch wohl."

"Allerdings scheint hier der Ansatz zu sein, möglichst nicht zu kommen."

"Oh. Das kann ich mir mit dir allerdings nicht vorstellen."

Er schmunzelte und strich mir durchs Haar.

"Nun, alles eine Frage der Technik. Ich fand's nur interessant. Vielleicht schaust du dir die Sache selbst mal an. Zumindest reinschnuppern könnten wir, und es für unsere alten Tage aufheben, wenn es dir jetzt noch nicht zusagt. Obwohl meine ja so langsam schon begonnen haben."

"Ja, alter Mann. Der mich gerade eine Stunde wie ein Besessener gevögelt hat. Deine guten Tage sind endgültig vorbei."

"Du wolltest ja nicht mehr."

"Ich wollte eine Pause. Okay, jetzt kannst du mich lecken. Ran an den Speck."

Pausenknopf

Wir "schnupperten" tatsächlich in den folgenden Tagen ein wenig rein. Aber es wurde schnell klar, dass es mit Reinschnuppern nicht getan sein würde. Sondern wir uns wirklich der Sache verschreiben müssten. Sex noch einmal völlig neu erlernen. Uns, unsere Körper, noch einmal neu kennenlernen müssten. Mentale Notiz: Das wollen wir irgendwann tun.

Die Zeit wurde knapp. Sie meldete sich bei der Fortbildung an, begann diese Anfang Dezember. Im Dezember sah ich sie tatsächlich am Heiligen Abend zum ersten Mal in dem Monat. Selbst das war erträglich, weil wir viel telefonierten und online chatteten. Nicht auf dem Handy, da war mir das Tippen zu mühselig. So flinke Daumen hatte ich nicht.

Ich fing allerdings tatsächlich auch wieder an, erotische Geschichten zu schreiben. Sie fehlte mir, natürlich. Wahrscheinlich war genau das der Anlass. Kehrte zu der Seite zurück und lud die erste Geschichte hoch. Noch zwei weitere, aber dann hatte ich dort wieder die Faxen dicke. All die Sachen, die mich nervten, waren weiterhin da.

Dann kam auch noch der Vogel, der Janine damals belästigt hatte, aus der Versenkung zurück. Spukte dort im Forumsteil rum. Und ich hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als ihn als den Windbeutel, der er war, zu entlarven. Ihn mir mal richtig zur Brust zu nehmen. Ärgerte mich über mich selbst, damit Zeit und Energie verschwendet zu haben. Und machte mich dort final aus dem Staub.

Löschte mit Janines Einwilligung auch unser gemeinsames Konto. Und schrieb lieber den dritten Band der Kinderbuchreihe für mein Töchterchen. Die die Geschichten liebte.

Mit Janine verbrachte ich den Jahreswechsel alleine in meiner Wohnung. Wir waren in einer komischen Stimmung. Weil wir wussten, dass uns dieses Jahr sehr wohl einen weiteren Abschied bringen könnte. Im Januar und Februar konnte sie jeweils nur ein Wochenende kommen.

Ich nutzte die Zeit, um ernsthaft mit Meditation zu beginnen. Diesmal nicht Zazen, sondern die Methode, die auf der angesprochenen Seite propagiert wurde. Betrieb wieder intensiv Yoga, und band die dort empfohlenen Atemübungen ein. Erlebte, wie gut das funktionierte. Aber es erforderte auch einiges an Disziplin.

Dann kam der März und Janine zurück nach Berlin. Mit ihr der Frühling. Und ebensolche Gefühle. Mit anderen Worten, wir nutzten die Zeit auf unsere Art. Anfang April reichte sie ihre Bewerbung ein, zwei Wochen später hatte sie vor Ort noch ein Vorstellungsgespräch, und Ende April die Antwort.

Sie bekam die Stelle, und würde sie Mitte Juni antreten. Eine Fernbeziehung, wie ich sie mit meiner Ex-Frau geführt hatte, erschien nicht wirklich durchführbar. Sechshundert Kilometer, das war selbst bei ihrer Fahrweise ein bisschen viel. Das Wort Trennung wollten wir allerdings auch nicht in den Mund nehmen.

Wir drückten den Pausenknopf, feierten noch ihren Geburtstag in ihrer schon leergeräumten Eigentumswohnung, mit wenigen ausgesuchten Freunden und Kollegen. Allein schon wegen der Corona-Beschränkungen. Geburtstagsfeier und Abschiedsparty zugleich. Ich legte auf. Es wurde ein lustiger Abend.

Dann blieb sie noch den Rest der nächsten Woche bei mir. Ihre Eigentumswohnung in Berlin verkaufte sie nicht. Sie wollte sie mir andrehen, ich sollte da mietfrei wohnen können. Das wollte ich allerdings nicht und konnte es auch nicht, da meine an eine dreijährige Vertragsbindung geknüpft war. Aber die Geste verstand ich durchaus. Und dankte ihr dafür.

Wir sprachen ab, dass wir nicht zu viel Kontakt am Anfang haben wollten. Telefonierten nur selten in den folgenden Monaten. Einen Tag vor meinem Geburtstag im September rief sie mich an. Ich solle mir gefälligst ein paar Tage Urlaub nehmen. Und an meinem Geburtstag stand sie dann vor der Tür. Und lag Minuten später wieder in meinen Armen.

Eigentor

Fuck. Fuck. Fuck. Fuck. Fuck. Der Job war großartig. Die neuen Kollegen nett. Eine hübsche kleine Wohnung. Sogar eine Frau zur regelmäßigen Entspannung hatte ich gefunden. Nur Sex, nicht mehr. Und trotzdem hatte ich das größte Eigentor meines Lebens geschossen. Ja, wir konnten ja beide so toll mit allem umgehen. Die Trennung änderte doch nichts an unseren Gefühlen.

Jetzt waren wir beide Vollidioten. Diesmal hatte ich mir den Titel redlich verdient. Es waren keine Entzugserscheinungen. Aber es war schon bald das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Ja, ich hatte das gewollt. Ja, eigentlich sollte alles kein Problem sein.

Ja, Scheiße. Von wegen. Es war ein Problem. Meine Karriere war mir wichtig. Immer noch wichtig. Aber nicht so wichtig wie er. Ende August letzten Jahres hielt ich es dann nicht mehr aus. Rief ihn an und sagte ihm, er solle auf jeden Fall seinen Geburtstag frei nehmen, besser die restlichen zwei Tage der Woche auch.

Das war schwierig für ihn, weil er durch die Kleine eigentlich schon fast alle Tage aufgebraucht hatte. Aber er bekam es hin, nutzte verbliebene Überstunden, klaute einen Tag von seinem Herbstferienurlaub, und kriegte die Tage frei. Ich wollte, musste ihn einfach nochmal wiedersehen. Kraft tanken. Liebe tanken. Klar. Was für eine geniale Idee.

Ich blieb bis Freitagmittag, weil leider das genau das Wochenende war, wo er seine Kleine holte. Ich war an dem Mittwochmorgen seines Geburtstags um vier Uhr losgefahren, um kurz nach neun war ich bei ihm. Zwei Minuten später lagen wir in seinem Bett.

Und wieder im Himmel, mit diesem unbeschreiblichen Mann. Und wieder, schon auf der Autobahn, wusste ich, dass ich das nächste Eigentor geschossen hatte. So überraschend einfach und leicht die Trennung nach dem Umzug nach Wiesbaden mir gefallen war, stürzte ich diesmal richtig ab.

Tat es plötzlich wieder unglaublich weh, von ihm getrennt zu sein. Als ich ihn am folgenden Sonntagabend anrief, wurde eines schnell klar. Nicht nur mir. Es ging ihm ganz genauso. Er litt. Wollte es erst nicht zugeben. Aber am Ende heulten wir uns beide die Ohren voll.

Und versprachen uns, vernünftiger zu sein. Bei meinem Besuch hatten wir noch Weihnachten und Sylvester in den Raum gestellt. Nein, das ging nicht. Es machte alles nur schlimmer. Es war schlimm, war wieder richtig schlimm. Ich versuchte mich abzulenken.

Ich schrieb wieder, postete einige Geschichten auf der alten Seite. Er las sie, freute sich, dass sie so gut aufgenommen wurden, aber das war's.

Dorthin konnte selbst ich ihn nicht mehr locken. Wozu auch? Was machte ich da eigentlich? Irgendwie lief alles schief. Ich drehte mich in einem ausweglosen Kreis. Wusste weder ein, noch aus. Aber dann... wusste ich plötzlich, was ich tun würde. Ich fragte einen der Autoren dort, der anderswo postete, was er mir empfehlen könnte.

Ich gab die Adresse gleich weiter an Helge. Und beschwor ihn, dort, also hier, probeweise eine von seinen alten Geschichten hochzuladen. Er konnte mir immer noch nichts abschlagen. Und Anfang dieses Jahres machte er das dann auch. Freute sich, wie gut seine Geschichten hier aufgenommen wurden. Lud noch mehr ältere Sachen hoch.

Fing wieder an zu schreiben. Ich postete auch welche. Nervte ihn täglich, dass wir diese hier überarbeiten sollten. Den dritten Teil neu schreiben. Posten. Der arme Kerl. Merkte wahrscheinlich gar nicht mal, dass wir auf diese Weise wieder täglich in Kontakt waren. Alle Sicherheitsbedenken und Vernunftanfälle durch das Schreiben außer Kraft gesetzt.

Er stieg voll drauf ein. Jetzt lief es von selbst. Er war wieder voll in seinem Element. In seinem Schreibrausch. Seinem Fluss. Aber konnte sich meiner Ungeduld nicht entziehen. Unterbrach sein letztes Projekt. Überließ es mir, die finale Korrekturlesung zu machen und die Schluss-Sequenz für dieses hier zu schreiben. Die er noch nicht gelesen hat.

Ahnungsloser Vollidiot. Geliebter Vollidiot. So erfährst du es wie geplant auf diesem Wege:

Gestern habe ich meinen Versetzungsantrag eingereicht. Und du keine Chance mehr, es mir auszureden. Ich will nur dich, dich, dich, dich, dich. Alles andere ist nicht bedeutungslos, aber nicht so wichtig.

Und mal ehrlich, haben wir uns das nicht langsam verdient? Den Himmel, nicht mehr nur auf Zeit, und auch nicht mehr geteilt? Dass wir nicht mehr nur zwei sind, sondern endlich das werden, was wir damals als Überschrift für diesen Teil gewählt hatten?

Eins.

Das waren rhetorische Fragen. Glaube bloß nicht, du hast eine Wahl.

Da staunst du, was?



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