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Krieg und Liebe - Swinging Nyhavn (fm:Romantisch, 15924 Wörter)

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Veröffentlicht: Nov 27 2023 Gesehen / Gelesen: 6376 / 5044 [79%] Bewertung Geschichte: 9.76 (115 Stimmen)
2. Weltkrieg Ein Jazzlokal im besetzten Kopenhagener Vergnügungsviertel Nyhavn wird zum Fluchtpunkt für Widerstand, untertauchende Juden und dramatische Liebe.

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© JoeMo619 Dieser Text darf nur zum Eigengebrauch kopiert und nicht ohne die schriftliche Einwilligung des Autors anderweitig veröffentlicht werden. Zuwiderhandlungen ziehen strafrechtliche Verfolgung nach sich.

Klicken Sie hier für die ersten 75 Zeilen der Geschichte

In den sieben Jahren bis zu meinem fünfzigsten Geburtstag am 7. April 1940 etablierte ich mein Lokal und Restaurant als attraktive Adresse für Jazzfreunde aller Altersklassen und Gesellschaftsschichten. Dabei profitierte ich von der dynamischen und kreativen Kunstszene Kopenhagens, die sich mein Jazzlokal - "Swinging Oscar" - als eines ihrer Szenelokale ausgeguckt hatte. Ich feierte meinen Geburtstag an diesem Sonntag mit einem zwölfstündigen Fest, das nach offizieller Schließung zur Sperrstunde im privaten Rahmen noch bis morgens um 5 Uhr weiterging. Als die letzten Geburtstagsgäste heimgingen und ich im Obergeschoss meines Hauses oberhalb des Lokals todmüde ins Bett fiel, schien meine Welt in Ordnung zu sein. Einen Tag später marschierte die deutsche Wehrmacht in Dänemark ein.

Der Angriff der Wehrmacht auf Dänemark war eigentlich nur ein Durchmarsch, um möglichst schnell das eigentliche Ziel, die Eroberung Norwegens, zu erreichen. Die ersten Wehrmachtseinheiten überschritten die erst zwanzig Jahre alte Grenze nördlich von Flensburg um 4.15 Uhr am Morgen. Gegen Mittag akzeptierte die dänische Regierung nach nur minimalem militärischen Widerstand die Waffenstillstandsbedingungen.

Nach diesem turbulenten Tag, der nur wenige hundert Meter vom 'Swinging Oscar' am königlichen Schloss von Amalienborg auch Feuergefechte zwischen der Garde und Wehrmachtseinheiten mit Toten und Verwundeten gesehen hatte, blieben die Restaurants und Clubs des Vergnügungsviertels am Nyhavn geschlossen. Trotzdem hatte ich meine gesamte Belegschaft einschließlich der für diese Woche engagierten Jazz-Band ins Lokal kommen lassen, um mit ihnen hinter verschlossenen Türen über die eingetretene Lageänderung zu reden.

"Der heutige Tag hat vieles nachhaltig verändert", begann ich mein Eingangsstatement. Ich schaute in viele, ernsthafte und besorgte Gesichter. Neben mir saß meine langjährige Freundin und Geliebte Helle Schmidt, eine zwei Jahre jüngere Professorin an der Kopenhagener Kunsthochschule. Dazu Helles 22 beziehungsweise 20 Jahre alten Töchter Friederike und Christiane, die ebenfalls Kunst studierten und sich als Bedienung gutes Geld dazu verdienten, um einen Teil ihres Studiums zu finanzieren. Hans Rudolf Mortensen, mein langjähriger Barchef und ein echter Entertainer hinterm Tresen, machte ein untypisch bekümmertes Gesicht. Ich wusste, dass Hans Jude war, auch wenn seine Religion im Alltag weit entfernt von ihm war. Victor Christensen, mein Küchenchef, und seine Küchenhelfer waren bereits umgezogen und hatten sich auf die abendliche Arbeit vorbereitet, als ich meine Entscheidung verkündet hatte, das Jazzlokal an diesem Abend nicht zu öffnen. Dazu kamen die fünf Musiker unserer Hausband, die mit ihrer schwungvollen Musik, manchmal später am Abend verstärkt durch mein eigenes Klavierspiel, stets für gute Laune im Lokal sorgten. Auf gute Laune war an diesem Abend aber niemand gestimmt.

"Soweit ich erfahren habe, sind König Christian und die gesamte königliche Familie unverändert im Land, die Regierung unter Staatsminister Thorvald Stauning ist unverändert im Amt", begann ich meine Informationen zusammenzufassen. "Der deutsche Botschafter hier soll als Reichsbevollmächtigter die deutschen Interessen vertreten. Ob sich unser Leben und unsere Arbeit hier im Lokal dadurch verändert, kann heute Abend mit Sicherheit niemand sagen." Ich lehnte mich zurück, griff zu meinem Bierglas und trank es in einem Schluck halbleer. "Ich gehe im positiven Fall davon aus, dass wir wie alle Kopenhagener Lokale für einige Tage, vielleicht auch für eine oder zwei Wochen geschlossen bleiben."

"Und im negativen Fall?" Hans Mortensen warf die Frage, die alle bewegte, als erster auf.

"Keine Ahnung." Ich zuckte mit meinen Schultern. "Aber ich habe im Moment den Eindruck, dass die Deutschen sich herzlich wenig für uns interessieren. Und unser König und unsere Politiker möglichst viel dänisch selbstbestimmte Normalität sichern wollen. Ich habe sogar gehört, dass König Christian morgen auf seiner ganz normalen Route durch die Stadt reiten wird, um diese Normalität zu repräsentieren."

"Bleibt mein Judenproblem", setzte Hans nach. "Ich weiß nicht, ob die Nazis uns in Ruhe lassen, nachdem sie im Reich und später in Österreich, in der Tschechoslowakei und Polen sehr schnell Jagd auf uns Juden gemacht haben."

"Halte Dich erst einmal zurück, Hans. Und wenn Du plötzlich Schutz brauchst, komm her."

"Du bist nicht der Einzige mit diesem Problem", schaltete sich plötzlich Helle ein. Ich schaute meine Freundin mit totaler Überraschung an, was Helle mit einem verlegenen Lächeln quittierte. "Ich bin als Helle Rosenborg im deutschen Apenrade als Tochter zweier jüdischer Eltern geboren. Zur evangelischen Kirche bin ich erst mit meiner Heirat übergetreten. Deshalb sind Friederike und Christiane auch als Babys bereits getauft worden. Aber wenn ich das richtig weiß, gelte ich im Sinne der deutschen Rassengesetze als Volljüdin und meine Töchter als Halbjüdinnen."

"Wie bitte?" Ich war total verwirrt. Obwohl ich seit mehr als fünf Jahren ein mehr oder weniger offenes Verhältnis mit der Kunstprofessorin hatte, hörte ich diesen Teil ihrer Vergangenheit zum ersten Mal. Ich atmete tief durch und hörbar aus. "Also haben wir dies so genannte Judenproblem jetzt viermal." Ich blickte in die Runde. "Sonst noch jemand von dieser Gefahr betroffen?" Erfreulicherweise erntete vollständiges Kopfschütteln.

Ich leerte mit einem zweiten Schluck mein Bierglas nun vollständig. "Dann setzen wir uns nachher mal in der betroffenen Gruppe separat zusammen und diskutieren unsere Vorsichtmaßnahmen." Ich schaute wieder in die Runde. "Ich hoffe, dass ich am kommenden Dienstag das Lokal wieder öffnen kann. Bis dahin bleibt so viel wie möglich zu Hause und wartet ab. Lohn zahle ich für diese Woche, so als ob ihr wie normal gearbeitet hättet. Da müsst ihr Euch keine Sorgen machen." Man konnte die Erleichterung der Anwesenden spüren und hören.

"Du hast mich heute Abend aber wahrhaftig geschockt", kam ich auf das abendliche Meeting zurück, nachdem ich mit Helle die Treppen in meine Wohnung im Obergeschoss emporgestiegen war.

"Wieso?"

"Helle! Auch wenn ich ein unpolitischer Musiker und Gastronom bin. Zeitung lesen kann ich noch. Und was die Nazis in dieser von ihnen so genannten Reichskristallnacht und danach in den eroberten Ländern mit den Juden gemacht haben, konnte jeder halbwegs intelligente Mensch in der Berlingske oder anderen Zeitungen lesen. Und ich höre heute zu ersten Mal, dass die Frau, mit der ich seit vielen Jahren zusammen bin und die ich inständig liebe, eine geborene Volljüdin ist. Warum hast Du das nie erzählt?"

"Weil ich das bis heute für unwichtig gehalten habe. Dänemark war im letzten Krieg neutral. Und ich habe erwartet, dass man auch in diesem Krieg diese Neutralität akzeptiert. Von allen Seiten."

Helle stand vor mir wie ein begossener Pudel. Sie tat mir unendlich leid. Ich machte ein paar Schritte auf sie zu und schloss sie in meine kräftigen Arme. "Wir werden das schon irgendwie lösen, meine Liebe. Aber wir müssen jetzt erst einmal ein wenig vorsichtig sein und beobachten, wie sich die Lage entwickelt."

Mein Zweckoptimismus war ein wenig wie das Pfeifen im Walde. Denn ich hatte natürlich meiner täglichen Zeitungslektüre auch entnommen, dass es jetzt ernst zu nehmende politische Kreise in Nazi-Deutschland gab, die den von mir so geliebten Jazz als "Negergedudel" diffamierten.

Helle zitterte richtig in meinen Armen. "Ich habe Angst, Oscar."

"Wovor hast Du heute Abend Angst? Der Krieg ist für unser Dänemark seit heute Mittag vorbei, keine Gewehrsalven, keine Bomben."

"Das ist es nicht. Aber die Nazis hassen Juden, wie wir beide wissen. Und ich bin vor 48 Jahren im kaiserlich-deutschen Apenrade, das seit 1920 wieder Aabenraa heißt, geboren und besitze eine deutsche Geburtsurkunde, auf der die Religionszugehörigkeit meiner Eltern mit 'jüdisch' angegeben ist. Das ist das Problem, dass auch meine Taufe anlässlich meiner Eheschließung mit meinem verstorbenen Mann nicht aus der Welt schaffen kann."

"Hm." Ich dachte lange nach, während ich Helle weiter in meinen Armen hielt und über den Rücken streichelte. Es tat ihr gut, denn sie hörte auf, zu zittern. "Ich werde mal mit meinem Vater und meinem Bruder sprechen. Mal sehen, ob die im Innenministerium eine Möglichkeit sehen, Dir eine dänische Ersatz-Geburtsurkunde auszustellen, aus der die Religionszugehörigkeit Deiner Eltern nicht hervorgeht." Ich nahm mir tatsächlich vor, diese Frage zunächst in der Familie zu klären, sobald es die Verhältnisse auf Kopenhagens Straßen wieder zuließen.

Obwohl es für unseren normalen Tagesrhythmus noch vergleichsweise früh am Abend war, gingen wir zu Bett. Unter den bedrückenden Erlebnissen des Tages hatte keiner von uns beiden Lust auf irgendwelche Liebesaktionen. Aber es tat uns beiden gut, in enger Umarmung beieinander zu liegen und so gemeinsam einzuschlafen.

Schon die nächsten Tage fühlten sich fast bizarr an. Das Leben ging nahezu unverändert weiter. König Christian begann bereits am folgenden Tag seinen täglichen Ausritt durch die Straßen Kopenhagens, um sich auf diesem Weg regelmäßig der Bevölkerung zu zeigen. Er machte dies ausdrücklich ohne sicherheitsmilitärische Begleitung und hielt sein Pferd an, wenn ihn ein Bürger direkt ansprach.

Helle war in den Tagen nach dem deutschen Einmarsch bewusst in meiner Wohnung geblieben und nicht nach Hause gegangen. Die Kunsthochschule hatte aufgrund der unübersichtlichen Lage die Osterferien um eine Woche verlängert und war geschlossen, so dass sie auch nicht ihren Lehrverpflichtungen nachgehen musste.

Ich hatte mittlerweile von den städtischen Behörden erfahren, dass alle Restaurants und andere Lokale bereits am Wochenende wieder öffnen durften, es bestand jedoch eine auf 21.30 Uhr vorgezogene Sperrstunde, damit die Bürger spätestens um 22.00 Uhr zuhause sein konnten. Besonders genau beobachteten Helle und ich wie alle Dänen, ob die bis dahin nahezu bedeutungslosen dänischen Nationalsozialisten nun eine bedeutende beziehungsweise dominierende Rolle in der dänischen Regierungspolitik spielen würden. Immerhin war Dänemarks Ministerpräsident Thorvald Stauning Sozialdemokrat und jeder halbwegs gebildete Däne wusste genau, welches politische Schicksal die deutsche Sozialdemokratie unter den Nazis erlitten hatte. Aber der Führer der dänischen Nationalsozialisten, Fritz Clausen, wurde auch eine Woche nach der Kapitulation des Landes selbst von den deutschen Diplomaten wie dem vom Botschafter zum Reichsbevollmächtigten aufgestiegenen Cécil von Renthe-Fink und den wenigen Generälen und Offizieren links liegen gelassen. Die Wehrmacht konzentrierte sich auf die Besetzung des strategisch wichtigen Norwegens und sah in Dänemark keinen weiteren Handlungsbedarf.

"Ich mache unser Lokal am Samstagabend wieder auf", verkündete ich am Vorabend und schickte Boten los, um meine Belegschaft für den kommenden Tag zum Dienst zu holen. Diese trat tatsächlich am Samstagnachmittag vollständig ihre Arbeit an, Helle sah dabei auch zum ersten Mal ihre beiden Töchter wieder, die sich die Woche über sicherheitshalber mit anderen Studenten im Atelier eines der Kunstprofessoren aufgehalten hatten.

"Wir hatten echt viel Spaß", berichtete Friederike. "Die Außenwelt war von uns irgendwie total abgeschottet."

"Und wie habt ihr im Atelier geschlafen?" Helles Frage war eine Mischung aus Besorgtheit und Neugierde.

"Wie in einem Zeltlager, nur ohne Zelt. Woher Professor Knudsen all die Matratzen und das Bettzeug her organisiert hat, wissen wir nicht. Aber es reichte aus."

"Wenn einige sich die Decken teilten, ging das ganz gut", ergänzte ihre jüngere Schwester grinsend.

Helle fragte nicht weiter, denn sie war sich sicher, dass die Gruppe der Kunststudenten garantiert nicht nur weiblich gewesen war. Aber ihre Töchter waren alt genug zu wissen, was sie zu tun hatten, um das Leben zu genießen, ohne schwanger zu werden. Dafür hatte sie rechtzeitig gesorgt.

Meine Mannschaft war spürbar glücklich, wieder arbeiten zu dürfen. Ich selbst verstärkte meine Hauskapelle sowohl am Samstag als auch am Sonntag für mehrere Stunden. Die Gäste meines Jazzlokals bestanden fast ausschließlich aus Stammgästen, die per Mund-zu-Mund-Propaganda von der Wiedereröffnung erfahren hatten.

"Das ist heute wie eine Familienfeier", witzelte ich zwischen zwei Solonummern. "Am letzten Wochenende mein fünfzigster Geburtstag. Und an diesem Wochenende feiern wir, dass wir vorerst davongekommen sind." Ich war so aufgekratzt, dass ich zwei Lokalrunden auf Rechnung des Hauses ausgab. "Weiß der Teufel, was die Zukunft bringt", verkündete ich laut als Toastspruch. "Also feiern wir einfach den heutigen Abend."

Meine Freundin und Lebenspartnerin Helle wie meine ganze Belegschaft ließ sich von der positiven Stimmung ihres Chefs mitreißen. Zur vorgezogenen Sperrstunde machten sie sich für diese ungewissen Zeiten ungewöhnlich fröhlich auf ihren Heimweg. Wir würden die Zukunft schon meistern.

"Hauptsache, der Krieg kommt mit seinen Schrecklichkeiten nicht nach Dänemark", war die allgemeine Stimmungslage. "Wir wollen nur friedlich leben."

"Wie machst Du das nur?" fragte Helle mich später am Abend, als wir wieder in meiner Wohnung waren.

"Ganz einfach, meine Liebe", war meine Antwort. "Das macht die Musik. In ihr kannst Du Deine Sorgen abladen, Deine Gefühle ausdrücken, alle Hoffnung hineinlegen. Der Rhythmus des Jazz und seiner Stilrichtungen, wie dem Swing oder dem Boogie-Woogie, ist positiv und spricht die Seele an. Er befreit!"

Diesmal hatte ich keine vor Angst zitternde Helle in seinen Armen. Im Gegenteil, an diesem Sonntagabend war sie aufgekratzt und liebesbedürftig. Eine Viertelstunde später lagen wir beide nackt auf meinem großen Doppelbett und Helle ritt sich den ganzen Frust und die ganze Bedrücktheit der letzten Tage mit besinnungsloser Lust aus dem Leib. Sie turnte geradezu auf meinem prall aufragenden Penis, bis wir uns beide ziemlich laut zum gegenseitigen Orgasmus trieben.

"Ach wie gut, dass ich nicht mehr schwanger werden kann", freute sie sich hinterher schelmisch. "Ich liebe es, wenn Du Dein Sperma tief in mich hineinpumpst. Ich kann es richtig spüren, wenn Du kommst. Und das treibt auch mich zum Höhepunkt."

Ich grunzte eine zufriedene, aber unverständliche Antwort. Ich liebte dies stressfreie Liebesspiel mit Helle gleichermaßen.

Nach dem routinemäßigen montäglichen Ruhetag, den ich wie immer für Bestellungen und Einkäufe nutzte, öffnete mein Jazzlokal am Dienstag, den 16. April 1940 mit besonders schwungvoller Fröhlichkeit. Eine Woche nach dem Beginn der deutschen Besatzung hatte die Kopenhagener Öffentlichkeit wieder zu ihrem normalen Lebensrhythmus gefunden. Die wenigen deutschen Soldaten fielen im Kopenhagener Straßenbild nahezu nicht auf, die Zeitungen von der bürgerlichen Berlingske Tidende bis zur sozialdemokratischen Politikken erschienen zusammen mit den Boulvardblättern ohne erkennbare Zensurauflagen und berichteten relativ neutral über den Fortgang der deutschen und britischen Militäroperationen in Norwegen. Den Hauptteil der Zeitungen machten aber ganz gewöhnliche Nachrichten und Sportberichte aus.

Aber gegen Mittag rannten die Zeitungsjungen durch die Kopenhagener Straßen und riefen lautstark durcheinander. "Das Kronprinzenpaar meldet die Geburt einer Prinzessin." In der Tat hatte Kronprinzessin Ingrid sieben Tage nach dem deutschen Einmarsch ein Mädchen zur Welt gebracht. Margarethe war das erste Enkelkind von König Christian.

Ich nahm dies freudige Ereignis zum Anlass, zunächst mit meiner gesamten Mannschaft mit einem ordentlichen Glas Champagner einen Toast auf die neugeborene Prinzessin auszubringen. Ein Toast, den ich vor fast voll besetztem Lokal einige Stunden später wiederholen sollte.

"Wie Sie vermutlich mittlerweile alle erfahren haben, hat die königliche Familie heute die Geburt von Prinzessin Margarethe bekannt gegeben. Mutter und Kind sind wohlauf, wie man den Zeitungsmeldungen entnehmen kann." Ich hob mein Glas, was von allen Anwesenden nachgeahmt wurde und brachte in bester dänischer Tradition ein 'Hurra, Hurra, Hurra' aus, in das das Publikum lautstark einstimmte. "Möge diese glückliche Geburt in dieser dunklen Zeit ein Signal für eine bessere und friedlichere Zukunft sein!" Der starke Beifall der Anwesenden machte deutlich, dass ich vielen Menschen aus der Seele gesprochen hatte.

Ich hatte meine Hauskapelle auch für diese Woche engagiert und zur Feier der neuen königlichen Prinzessin spielte ich eineinhalb Stunden selbst am Piano. Unsere Spielfreude übertrug sich unmittelbar aufs Publikum, es entstand eine Stimmung wie vor dem Krieg.

"Heute habt ihr Deinen Gästen ein Geschenk gemacht", erklärte mir Helle anschließend an der Bar, nachdem sie mir mit einer innigen Umarmung und mehreren Küssen gratuliert hatte. "Sie haben für eineinhalb Stunden die ungewisse und nervös machende Realität vergessen und den Abend genossen. Großartig!"

"Dann sollten wir uns anstrengen, genauso weiterzumachen. Weiß der Teufel, wie lang uns die neuen Oberherren ohne Kontrolle weitermachen lassen." Ich wusste genau, in welchen Grenzbereichen sich deutsche Musikerkollegen bewegten, wenn sie denn mit ihrer Kunst zu sehr in Richtung Jazz abdrifteten.

Den ganzen April und Mai warteten Helle und ich, ihre Töchter und die gesamte gastronomische wie musikalische Mannschaft des 'Swinging Oscar' darauf, dass sich etwas ereignen würde und die Behörden damit begannen, ihnen neue und einengende Vorschriften zu machen. Aber nichts geschah. Den dänischen Zeitungen, die unverändert nüchtern und vergleichsweise neutral von den Kriegsereignissen auf den Titelseiten und in ihrem Auslandsteil berichteten, konnte man den endgültigen deutschen Sieg über Norwegen und dann den Blitzkrieg-Sieg über die Benelux-Länder und Frankreich entnehmen. Die dänische Bevölkerung war in weiten Teilen erleichtert, von der anscheinend nicht aufzuhaltenden deutschen Kriegsmaschinerie schonend behandelt worden zu sein und setzte ihr Leben einfach fort. Angesichts des bestehenden Vertragsverhältnisses zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion waren selbst die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen und Zellen der dänischen Kommunisten ruhig. In der ganzen Stadt und auf dem Land herrschte eine gespenstisch ruhige Normalität. Dabei profitierte insbesondere die dänische Landwirtschaft massiv von dem Nahrungsmittelbedarf des großen Nachbarlandes und seiner mittlerweile riesigen Wehrmacht. Die zusammengebrochenen Exporte, insbesondere von Bacon und Schweinefleisch Richtung Großbritannien, wurden durch zusätzliche Exporte nach Deutschland voll aufgefangen.

Anfang Juni hatte sich das Leben in der dänischen Hauptstadt so weit normalisiert, dass Helle wieder zusammen mit ihren Töchtern in ihrer eigenen Wohnung lebte und im 'Swinging Oscar' als auch in meiner Wohnung wie vor der Besatzung "nur" Stammgast war. Lediglich die etwas vorgezogene Sperrstunde hatte die Öffnungszeiten um eine Stunde verkürzt, ein Umstand, der mir und meiner Mannschaft sogar gelegen kam, da sich dadurch noch ein abendliches Privatleben ermöglichte.

"Überraschenderweise macht sich die Verkürzung der Öffnungszeit kaum im Tagesumsatz bemerkbar", stellte ich nüchtern bei einem letzten Glas Bier fest. "Das Publikum kommt etwas früher und trinkt schneller." Dann nahm ich Helle an die Hand und führte sie ins Obergeschoss in meine Wohnung. "Ich habe eine Überraschung und ein Geschenk für Dich."

"Oh, wie schön", freute sich Helle. "Hast Du meinen Geburtstag vorverlegt?"

Nein", grinste ich. "Aber mit Deinem Geburtstag hat es schon etwas zu tun." Ich überreichte ihr feierlich einen nicht zugeklebten Briefumschlag. "Ich hoffe, dies wird ein Problem für Dich lösen."

Helle öffnete die Rückklappe des Briefes und zog vorsichtig ein Papier heraus. Mit zunehmender Fassungslosigkeit betrachtete sie das einseitige Papier und murmelte leise vor sich hin. "Unglaublich. Das fasse ich nicht!" Dann schaute sie mich mit dem glücklichsten Lächeln an, das ich je in ihrem Gesicht gesehen hatte. "Du hast mir eine neue Ersatz-Geburtsurkunde beschafft?! Wie hast Du das hinbekommen?"

Ich freute mich über das gelungene Geschenk wie ein kleiner Junge. "Mein Vater und mein Bruder haben ein wenig geholfen. Es gibt tatsächlich eine Rechtsverordnung, dass für dänische Staatsbürger, die vor 1920 in den zurückgekommenen Landesteilen geboren wurden, eine Ersatz-Geburtsurkunde ausgestellt werden kann. Längst vergessen, aber mein Vater, der früher im Innenministerium gearbeitet hat, konnte sich an diese Verordnung erinnern und mein Bruder hat dann alles in die Hand genommen."

Helle schaute ihre neue Geburtsurkunde an. "Alles korrekt, nur die Religionszugehörigkeit meiner Eltern fehlt."

"Dafür ist aber Deine Taufe eingetragen. Damit hast Du ein Dokument, dass Du offiziell evangelisch bist."

Helle fiel mir um den Hals und küsste mich mit der Intensität einer frisch verliebten jungen Frau. "Das verdient jetzt die ganz große Belohnung", sagte sie schließlich und zog mich schnurstracks in Richtung Schlafzimmer. Dort strippten wir uns gegenseitig trotz der späten Stunde im Rekordtempo und standen dann splitternackt in enger Umarmung vor dem Bett. Unser intensiver Zungenkuss machte mich bereits einsatzbereit und sie spürbar feucht. "Mach mit mir, was Du willst. Ich bin so glücklich über Dein Geschenk, dass ich mich als Gegengeschenk betrachte."

Was für eine Einladung. Helle wusste genau, was ich am liebsten hatte. Zuerst ein langgezogenes, beidseitig orales Vorspiel in 69, eine gemeinsam aktive Liebesstellung, die erst sie mir zu Beginn unserer Beziehung mit der Bemerkung beigebracht hatte, 'dass Frauen sich auf diese Weise am besten gegenseitig lieben'. Und anschließend würde sie sich wie eine Stute auf Knie und Hände abstützen und mich zu ihrem Hengst machen.

Diesmal blieb unser 69er Vorspiel nicht beim Vorspiel. "Ich will Dich mit Deiner ganzen Männlichkeit in meinem Mund verwöhnen", kündigte Helle an. "Und zwar bis zum spritzigen Höhepunkt!"

Ihre Ankündigung setzte sie vorbehaltlos um, saugte meinen besten Freund aus der Oberlage so tief wie möglich in ihren Mund und Rachen und massierte meine knallharte geschwollene Eichel augenscheinlich mit ihrer Kehle. Welch seltenes, aber um so intensiveres Vergnügen. Ich revanchierte mich mit einem kombinierten 'Angriff' von Mund, Zunge, Zähnen und Fingern auf ihre Pussy, die geradezu von ihrem Liebessaft geflutet wurde.

Eine halbe Stunde später lagen wir keuchend aufeinander. Helle hatte mit 3:1 Orgasmen gewonnen, aber ich hatte tief in ihren Rachen eine wahrhaftig gewaltige Ladung abgespritzt, die sie komplett heruntergeschluckt hatte.

"Wie lange brauchst Du noch Pause?" fragte sie nach einer angemessenen Kuschelpause.

"Wenn Du noch einmal Deinen Mund einsetzt, geht es jetzt schon", lautete meine verschmitzte Antwort.

"Dann mal los", machte sich Helle auf den Weg Richtung Süden. Und richtig, fünf Minuten später hatte sie mich so, wie wir beide es wollten. Wie versprochen, begab sie sich auf alle Viere; ich positionierte mich hinter ihr und traf nicht auf den geringsten Widerstand. Der erste Vorstoß ließ bereits unsere Unterbauten zusammenklatschen und wir fielen umgehend in einen schnellen, harten Rhythmus. Unsere vorherigen Orgasmen hatten zwei sehr wünschenswerte Effekte. Ich hielt lange durch und sie kam schnell und immer wieder an ihre Orgasmusklippe, die sie laut schnaufend und stöhnend ankündigte und dann mit einem tiefen, ganz tief von innen kommenden Schrei übersprang.

Wir waren bereits am ganzen Körper schweißnass, so dass wir uns wahrhaftig heiß und glitschig anfühlten, während Helles Pussy bei jedem Vorstoß geradezu schmatzte. Wir tobten uns regelrecht aneinander aus, was primär der emotionalen Gelöstheit meiner Geliebten zu verdanken war. Ich hatte aufgehört, ihre Orgasmen zu zählen, irgendwie war Helle in einer dauerhaften Orgasmuswelle, von der sie gar nicht mehr herunterkommen wollte. Schließlich drückte sie ihren Po ganz nach hinten, versteifte am ganzen Körper und begann, meinen Schwanz mit ihren Vaginalmuskeln regelrecht abzumelken. Das brachte mich nach wenigen Augenblicken selbst zur Explosion. Vor lauter Freude über diesen Hammerorgasmus konnte ich nicht umhin, ihr mehrfach mit der flachen Hand voll auf ihre Pobacken zu klatschen, was sie mit einem noch nie gehörten wohligen Grunzen und Quicken quittierte.

"Oh man, war das gut", gestand sie mir später, nachdem wir zunächst aufeinander zusammengesackt waren und dann eng aneinander liegend miteinander turtelten.

"Das kannst Du laut sagen, meine Liebe. So wild habe ich Dich selten erlebt."

"Sollte ja auch eine Belohnung für Dich sein. Und ich habe mich dabei ebenfalls gleich belohnen lassen."

Wir waren so verschwitzt und versaut, dass wir uns doch noch aufrafften, ins Bad zu gehen, um uns nachtfein zu machen. Dann schliefen wir wahrhaftig glücklich ein. Wir waren uns sicher, dass der Coup der neuen Geburtsurkunde sowohl für Helle als auch für ihre Töchter ein hinreichender Schutz vor rassistisch-administrativer Verfolgung durch die nationalsozialistische Oberhoheit darstellen würde.

Kopenhagen, Sommer und Herbst 1943

Die deutsche Besatzung Dänemark hielt nun schon mehr als drei Jahre an. Das erste Jahr war vergleichsweise ruhig gewesen, nach ihren schnellen Eroberungen weiter Regionen Europas vom Nordkap bis nach Kreta war lediglich Großbritannien und mit ihm das British Empire als letzter Feind des Nazireiches übrig geblieben. Der Rest Europas war entweder mit dem Deutschen Reich verbündet, vom Deutschen Reich besetzt oder mehr oder weniger freundlich neutral. Die deutsche Luftwaffe und die britische Royal Air Force lieferten sich täglich Luftgefechte und bedeckten sich gegenseitig mit Bomberangriffen, wobei die britischen Städte mehr zu leiden hatten als die deutschen. Angesichts des bitterharten und verlustreichen U-Boot-Krieges im Atlantik waren auch die konservativen und anglophilen gesellschaftlichen Kreise Dänemarks zunehmend skeptisch geworden, ob der letzte Gegner des Deutschen Reiches noch lange durchhalten würde.

Die Stimmung in Kopenhagen änderte sich zum ersten Mal, als die Wehrmacht am 22. Juni 1941 mit einer riesigen Armee die Sowjetunion angriff. Bis zu diesem Tag waren die dänischen Kommunisten und linken Gewerkschafter aufgrund des so genannten Hitler-Stalin-Paktes absolut ruhig gewesen und hatten sich sowohl mit der Besatzungsverwaltung als auch mit der aus allen Parteien bestehenden nationalen Einheitsregierung Dänemark arrangiert. Ich hatte zwei Freunde und Stammgäste mit kommunistischem Gewerkschaftshintergrund, die beide als hochqualifizierte und angesehene Facharbeiter in der Großwerft und im Maschinen- und Schiffsmotorenwerk von Burmeister & Wain arbeiteten und dort viel mit der Wartung und Reparatur von dänischen und deutschen Marine- und Frachtschiffen zu tun hatten. Beide kamen an dem Mittwochabend nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion in mein Jazzlokal, machten aber im Gegensatz zu den übrigen Gästen einen tief deprimierten Eindruck und hatten sich mit ihrem Bier in eine Nische verzogen.

"Und was macht ihr nun?" fragte ich sie neugierig, als ich mich zu ihnen an den Tisch setzte und eine Runde Bier spendierte.

Niels zuckte mit den Schultern. "Im Moment ganz ruhig und in Deckung bleiben. Die kommunistische Partei ist seit Sonntag verboten, unsere dänische Polizei macht auf deutsche Anweisung und unter deutscher Kontrolle Jagd auf jeden registrierten Parteifunktionär und verhaftet sie. Ein Teil der Genossen ist untergetaucht oder hat nach Schweden übergesetzt. Arne und ich waren nur einfache Mitglieder in der Gewerkschaft, aber nicht in der Partei. Bisher arbeiten wir normal weiter, gehen aber sicherheitshalber nicht nach Hause."

"Im Werk fühlen wir uns sicher, denn da traut sich die Polizei nicht hinein, um Verhaftungen vorzunehmen" ergänzte Arne. "Ein kleiner Teil der Genossen lebt sicherheitshalber im Moment im Werk. Unter schwierigen Bedingungen."

"Und ihr beiden? Ich kenne Euch seit Jahren als Freunde meines Lokals. Wie kann ich Euch helfen?"

"Deswegen sind wir hergekommen. Wir brauchen jemand, der sich um unsere Familien kümmert. Geld ist genügend vorhanden, da haben wir in den letzten fünfzehn Monaten in der Organisation für gesorgt. Unsere Unterstützerstruktur haben wir parallel im Unsichtbaren aufgebaut. Aber unsere Frauen brauchen einen unauffälligen, neutralen Anlaufpunkt, um erstens Geld für sich selbst und unsere Kinder und zweitens Hilfe und Ratschläge zu bekommen, wenn sie selbst von der Polizei bedroht werden."

"Hm. Und da denkt ihr, dass ein Jazzlokal die richtige Adresse ist?" Ich war sehr zurückhaltend und skeptisch.

"Genau. Hier würde niemand einen Unterstützer unserer Sache vermuten. Hier stehen Musik und Vergnügen im Vordergrund. Und Dein Publikum ist nicht gerade auf dem Niveau der Arbeiterklasse. Oder?"

Ich musste lachen. Ich kannte aus Amerika noch Working-Class Jazz-Clubs, aber dort waren fast ausschließlich Schwarze. Mein Lokal war mehr auf dänisches Bürgertum und insbesondere die Kopenhagener Kunst- und Künstlerszene ausgerichtet. "Alles sehr bourgeoise", pflegte Helle mein Publikum zu charakterisieren.

"Und wie stellt ihr Euch das vor?"

"Ganz einfach. Da kommt in den nächsten Tagen ein Sven-Olaf Bengtsson zu Dir ins Lokal. Ist ein normaler, gut angesehener dänisch-schwedischer Geschäftsmann. Das ist Dein Kontaktmann zu unserer Organisation. Der wird Dir alle Details erklären."

"Hat der Mann irgendein Erkennungszeichen?"

"Bestimmt nicht. Er will ja nicht auffallen. Aber er wird Dich fragen, ob Du 'Kitten on the Keys" für ihn spielen kannst."

"Den Ragtime-Hit aus den Zwanzigern?"

"Genau."

"Ist ja lustig. Den kann ich sogar spielen. Noch aus meiner New Yorker Zeit."

"Wissen wir. Darum fragt er auch danach."

Mit der Unterstützung der Familien von Niels und Arne begannen meine Kontakte zu dem sich ganz langsam etablierenden Widerstand gegen die deutschen Besatzer; die beiden Maschinenmechaniker tauchten in der Tat wenige Tage später unter, nachdem die Polizei sie vergeblich bei ihren Familien gesucht hatte, um sie ebenfalls zu verhaften.

Besagter Sven-Olaf Bengtsson - ich war mir absolut sicher, dass dies nicht sein richtiger Name war - erschien tatsächlich eine Woche später zu später Stunde in meinem Jazzlokal und überreichte mir diskret eintausend Kronen in kleinen Scheinen. "Die von Ihnen zu verwaltende Unterstützungskasse", erklärte er dazu. "Nicht mehr als fünfzig Kronen auf einmal aushändigen."

"Und wie erkenne ich die Bezugsberechtigten, wenn ich mich so amtlich ausdrücken kann?"

"Die Frauen, eventuell auch Männer, werden ein Notenblatt eines Ragtime-Stückes bei sich haben. Das ist ihr Berechtigungsschein. Sie notieren sich in einer Liste nur den Titel, wie bei einer Royalty-Abrechnung."

Ich nickte anerkennend. Das war in der Tat unauffällig.

Herr Bengtsson verabschiedete sich und kündigte an, nach vierzehn Tagen wiederzukommen.

Die eigentliche Überraschung war dann einige Tage später Lone Arendsen, die Ehefrau von Niels, als diese am frühen Nachmittag im Jazzlokal auftauchte. Ich hatte eine typische Arbeiterfrau, sichtlich geplagt von den Lebensumständen und einer ständig wachsenden Kinderschar, erwartet. Was vor mir stand, war ein junge, zwar einfach gekleidete, aber verdammt gut aussehende Frau, schätzungsweise Mitte zwanzig Jahre alt, mit hellblondem, gepflegtem Haar und grau-blauen Augen, mit einem sichtbaren Stolz und Selbstbewusstsein ausgestattet. "Ich weiß, was mein Mann macht. Und ich finde das gut", sagte sie mir ganz ohne Vorbehalte.

Was mich aber am meisten faszinierte, war ihre Stimme. Eine ruhige Mezzo-Sopranstimme, fast ins Alt übergehend. Ich schaute Lone nachdenklich an, nachdem ich sie zum ersten Mal mit ihrem Geld ausgestattet hatte. "Hast Du schon einmal gesungen?"

Lone lachte. "Ja. Als Mädchen ganz viel, sogar im Chor. Aber jetzt habe ich nicht mehr so viel Grund, zu singen. Wieso die Frage?"

"Macht es Dir etwas aus, mir kurz etwas vorzusingen? Auf der Bühne steht ein Klavier, ich begleite gerne."

Lone druckste erst ein wenig herum, erklärte sich dann aber einverstanden, weil noch keine Gäste im Lokal anwesend waren. Wir verständigten uns auf zwei dänische Volkslieder, die wir beide kannten. Was dann passierte, war gelinde gesagt eine Sensation. Lone hatte, ohne das sie es selbst wusste, die perfekte Jazz-Stimme.

"Ich will Dich ab sofort für meine Hauskapelle als Sängerin engagieren", erklärte ich ohne Vorbehalte, nachdem wir das zweite Lied beendet hatten.

Lone war nachhaltig erschrocken. "Für was für Lieder denn?"

"Jazz, Swing. Genau das Musikprogramm, was wir hier im 'Swinging Oscar' spielen. Ich bringe Dir alles bei, was Du dafür können musst."

Lone schaute mich mit riesigen Augen an. "Ich? Hier auf der Bühne? Vor Publikum singen?"

"Ja. Es wird ein Riesenerfolg werden. Das kann ich Dir bereits jetzt versprechen."

Lone bat sich zwei Tage Bedenkzeit aus. Sie musste insbesondere überlegen, wie sie ein solches Engagement mit ihrem eigenen Beruf als Näherin und ihren zwei Kindern vereinbaren konnte.

"Wenn das so funktioniert, wie ich mir das vorstelle", gab ich ihr noch auf den Heimweg mit, "verdienst Du mit Deiner Stimme erheblich mehr Geld als mit Deiner Näherei. Und die Partei brauchst Du dann auch nicht mehr."

Ich brachte Lone noch zur Tür und schaute ihr nach, wie sie wieder nach Hause ging. Sie wirkte sehr nachdenklich, aber auf eine durchaus selbstbewusste Art.

Lone hielt Wort. Nach zwei Tagen hatte ich ihre Zusage, es als Frontfrau unserer Jazzkapelle zu versuchen. Ihre Arbeit als Näherin, der sie ohnehin von ihrer Arbeiterwohnung in Amager aus nachging, ließ sich auch in die späten Abendstunden verlegen. Sie wollte sie zunächst nicht aufgeben.

Acht Wochen später war Lone so etabliert, dass sie ihre Arbeit als Näherin aufgab. Ich konnte an unserem gesteigerten Tagesumsatz ablesen, dass sie für mein Jazzlokal ein Riesenerfolg war.

Einen Sommer später kam Lone plötzlich noch vor Öffnung am frühen Nachmittag ins Lokal, mit hellrot verweinten Augen und regelrecht zitternd von Angst. Zufälligerweise traf sie zuerst auf Helle, die etwas universitäres mit ihren Töchtern besprechen wollte. Helle war von Lones Erscheinungsbild so schockiert, dass sie die junge Sängerin spontan in ihre Arme nahm und erst einmal beruhigte und tröstete.

Ich kam ins Lokal, als Helle und Lone noch in dieser Umarmung vor der Bar standen. "Was ist denn hier los?"

Lone schluchzte wie eine misshandelte Frau. Ich sollte schnell feststellen, dass dies mehr oder weniger auch zutraf.

"Die Polizei stand heute morgen in unserer Wohnung. Zusammen mit zwei Deutschen, anscheinend Gestapo. Niels ist vor zwei Nächten bei einer Aktion seiner Gruppe in eine Falle geraten und erschossen worden. Und mich haben sie erst einmal verhaftet und zum Verhör in die Polizeizentrale gebracht worden. Fünf Stunden!"

"Haben Sie Dir irgendwelche körperliche Gewalt angetan?" Helle sprach meine Frage schneller aus als ich.

"Nein. Aber massiv unter Druck gesetzt, genau dies zu tun. Was aber am schlimmsten war, war die Drohung, auch meine Kinder in Gewahrsam zu nehmen. Die hatte ich noch vor meinem Abtransport bei einer Nachbarin untergebracht."

"Und wo sind Deine Kinder jetzt?"

"Bei meiner Schwester. Aber da sind sie garantiert auch nicht sicher."

"Okay!" sagte ich mit aller Entschlossenheit. "War sonst noch etwas auf dem Polizeiquartier, was wichtig ist?"

"Ja. Ich bin nach Niels und meiner Religionszugehörigkeit befragt worden. Beziehungsweise unserer Rassenzugehörigkeit, wie sie das nennen. Meine Familie ist aus deren Sicht anscheinend das Schlimmste, was die sich vorstellen können: kommunistische Volljuden mit Kindern." Sie holte tief Luft. "Der eine deutsche Polizist murmelte etwas von 'Ungeziefer, das wir ausrotten müssen!' Ich kann leider so viel Deutsch, dass ich das verstanden habe."

Jetzt holten Helle und ich tief Luft und schauten uns für einen Moment tief in die Augen. Ich konnte aus ihrem Blick klar ein Kommando herauslesen. "Wir müssen hier etwas tun! Und zwar sofort!"

"Alles klar!" klatschte ich in meine Hände. "Wie schnell kannst Du alles Notwendige zusammenpacken, Deine Kinder einsammeln und hierher kommen? Und wie viele Helfer brauchst Du dafür?"

Lone schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an, die ihren verweinten, fast hoffnungslosen Zustand noch deutlicher werden ließen. "Und dann? Wo sollen wir hin?"

"Hierher. Wir haben in diesem Haus eine ungenutzte Dachgeschosswohnung, die ist groß genug für Euch drei. Ist nur über meine Wohnung erreichbar. Dann ändern wir umgehend Deine Frisur, ja Dein ganzes Erscheinungsbild. Einschließlich Deines Bühnennamens. Wir machen eine vollkommen neue Frau aus Dir, die für die Polizei nichts mit Lone Arendsen mehr gemein hat."

Ich schaute Helle an, die bestätigend nickte. "Ich kenne den ersten Maskenbildner vom königlichen Theater. Der wird Dich so verändern, dass selbst Deine Kinder sich schwertun werden, Dich wiederzuerkennen."

"Und wie soll ich in Zukunft heißen?"

"Wir brauchen einen knackigen Bühnennamen, den Du auch privat nutzt." Ich dachte kurz nach. "Wie wäre 'Birte Birtson Bird'? Abgekürzt 'BB Bird'."

Lone/Birte blieb direkt im Restaurant, ich hatte aber entschieden, sie aus Sicherheitsgründen aus dem abendlichen Musikprogramm herauszunehmen. Helle und Friedrike übernahmen die Abholung der beiden Kinder bei Lones Schwester, nachdem Lone ihnen einen kurzen Brief als Legitimation mitgegeben hatte. Zudem beschlossen wir, am frühen Morgen mit mehreren Koffern in Lones Wohnung zu gehen und ihren notwendigsten Besitz abzuholen, damit sie sich erst einmal in unserer Dachgeschosswohnung einrichten konnten. Alles andere würden wir schrittweise organisieren.

Die ganze Aktion gelang ohne weitere Polizeiprobleme. Anscheinend war ihre einfache Arbeiterwohnung noch nicht unter polizeilicher Dauerbeobachtung. Da Lones Kinder noch nicht in die Schule gingen, war auch dies kein Problem.

Die langsam zunehmenden Aktionen des dänischen Widerstands führten im November 1942 zu einer gravierenden Veränderung in der Funktion des deutschen Reichsbevollmächtigten in Dänemark. Dr. Werner Best, SS-Obergruppenführer und bekannt pedantischer deutscher Karriere-Jurist, wurde zum Nachfolger des abberufenen, bis dahin sehr zurückhaltenden Cécil von Renthe-Fink. Der Wechsel in der obersten, nicht-militärischen Dienststellung war mit der klaren Aufgabe verbunden, die Verhältnisse im deutschen Interesse wieder in Ordnung zu bringen. Dr. Best kam aus Frankreich, wo er als eine Art Oberverwaltung die besetzten Gebiete administrativ mit Hilfe eines kleinen, loyalen Stabes und unter Nutzung der weiter bestehenden französischen Verwaltung geführt hatte. Er brachte einen Teil dieses Stabes von vertrauten Männern mit, die unter seiner Führung nach einem ähnlichen, indirekten Modell die oberste Polizei- und Sicherheitsverwaltung sowie die unverändert wichtigen Lieferungen der dänischen Landwirtschaft und Industrie sicherstellen sollten.

Diese grundlegende politische Veränderung sollte auch seine Auswirkungen auf mein Jazzlokal 'Swinging Oscar' haben. Dr. Best brachte in seinem kleinen Stab einen jungen Juristen namens Klaus Norden mit. Der junge Jurist war als Kind an Polio erkrankt, eine zwar fast ausgeheilte Erkrankung, die ihn aber zum Wehrdienst untauglich gemacht hatte. Dr. Best hatte ihn in seiner Funktion als Leiter des Amtes Verwaltung und Recht in dem neu geschaffenen Hauptamt Sicherheitspolizei, dass seit der Polizeireform von 1936 dem SS-Führer Heinrich Himmler unterstand, nach einem brillanten juristischen Staatsexamen eingestellt und schnell Gefallen an dem konsequent und formaljuristisch korrekt arbeitenden jungen Mann gefunden. Somit folgte Klaus Norden den weiteren Karriereschritten von Dr. Best innerhalb des Polizeiapparates, erst nach Frankreich und letztlich nach Dänemark. Hier kamen ihm als in Flensburg aufgewachsenen Jungen seine dänischen Sprachkenntnisse sehr zugute, was seine Bedeutung im Stab weiter aufwertete. Seine Hauptaufgabe war die alltägliche Zusammenarbeit mit der dänischen Polizei, die wiederum mit Kommissar Magnus Nyrup Olsen einen eigenen Verbindungspolizeioffizier in der Verwaltung des Reichsbevollmächtigten positioniert hatte. Dieser Kommissar war der Sohn meines ältesten Bruders, der selbst im Innenministerium arbeitete, also mein direkter Neffe.

Magnus mochte mein Lokal schon aus seiner Studentenzeit an der Polizeihochschule, liebte wie so viele junge dänische Männer und Frauen unsere Musik und war mehr oder weniger regelmäßiger Gast. So war es erst einmal nicht überraschend, dass er in der Vorweihnachtszeit seinen neuen Kollegen mit ins 'Swinging Oscar' brachte, der schon in Frankreich einige Erfahrungen mit unserer, im Deutschen Reich verunglimpften und teilweise verbotenen Musik gemacht hatte.

Ich setzte mich zu Magnus und seinem neuen Kollegen an den Tisch und wir diskutierten eine Zeitlang über Belangloses, als Helles Töchter Friederike und Christiane ins Jazzlokal kamen. Friederike, die Ältere, hatte mittlerweile ihr Examen gemacht und arbeitete in Hellerup nördlich der Kopenhagener Innenstadt als Kunstlehrerin, Christiane war nun auch schon im letzten Studienjahr und hoffte, zunächst einen ähnlichen Berufsweg gehen zu können. Dies war in diesen Kriegsjahren die einzige Chance, mit Kunst Geld zu verdienen und zu überleben. Helles Töchter arbeiteten nur noch gelegentlich als Bedienung im 'Oscar', insbesondere wenn Not am Mann war. Das hatte sie auch zu mir geführt. Wir hatten in den kommenden zwei Wochen praktisch täglich betriebliche Weihnachtsfeiern, die einfach mehr Bedienungspersonal erforderlich machten. So saßen wir recht eng zu fünft an dem kleinen Tischchen und unterhielten uns blendend. Dieser Klaus Norden war in der Tat ein unterhaltsamer Typ, der einige spannende und amüsante Geschichten aus seinen mehr als zwei Jahren in Paris erzählen konnte.

"Und was gefällt Ihnen besser - Kopenhagen oder Paris?" fragte plötzlich Friederike unseren neuen Gast.

"Eine Antwort wäre im Moment noch sehr unfair", antwortete er diplomatisch. "Ich bin erst vor vier Wochen hier angekommen. Und seither war das Wetter so schmuddelig, dass ich noch nicht viel von der Stadt gesehen habe."

"Stimmt", ergänzte Christiane. "Wenn man Paris im Frühling mit Kopenhagen im Vorwinter vergleicht, können wir auch nur schlecht abschneiden." Sie grinste Klaus Norden schelmisch an. "Und wo gibt es die schöneren Frauen?"

Als erste Antwort erntete sie eine sehr deutlich hochgezogene Augenbraue. Ich hatte ohnehin schon den ersten Eindruck, dass die beiden anfingen, miteinander zu flirten. Jedenfalls passte die Antwort. "Ich persönlich bevorzuge groß gewachsene, blonde Frauen. Und davon gibt es hier mehr als in Paris."

Die beiden Schwestern lachten laut auf. "Genau das ist das Problem für junge dänische Frauen. Es gibt viele gut aussehende große, blonde Frauen. Harter Wettbewerb."

Auch diese Feststellung erntete kollektives Gelächter.

Ich musste mich wieder um mein Lokal und meine Gäste kümmern und ließ die vier an ihrem Tisch zurück. Hin und wieder zu ihnen herüberblickend konnte ich feststellen, dass die Stimmung an dem Tisch prächtig war. Zudem wurde Birtes - wir nutzten alle nur noch ihren Künstlernamen - Auftritt mit großem Applaus bedacht.

"Schau an", raunte ich am späteren Abend zu Helle, nachdem sie ihre Töchter begrüßt hatte und dann zu mir an die Bar gekommen war. "Wir haben jetzt einen direkten Draht zur dänischen und deutschen Polizeiachse. Magnus und sein Kollege da drüben sind das offizielle Bindeglied." Helle schaute mich erst mit großer Verblüffung an und dann noch einmal sehr genau an den Vierertisch. "Der junge Mann ist ein deutscher Polizist? Möglicherweise sogar SS, wie der neue Reichsbevollmächtigte?" Sie war sichtlich entsetzt.

"Weiß ich nicht. Ich werde mal bei Gelegenheit Magnus fragen. Jedenfalls trägt dieser Klaus Norden keine Uniform, sondern Zivil. Und ist studierter Jurist, wie ich vorhin herausgehört habe."

"Aha." Helle tat so, als hätte sie verstanden. In Wirklichkeit konnte ich ihr aber ansehen, dass ihr bei dem Gedanken, dass ihre beiden im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie als 'Halbjuden' einzustufenden Töchtern mit einem deutschen Polizeijuristen flirteten, sehr unwohl war.

Das Quartett aus Helles Töchtern und dem deutsch-dänischen Polizisten-Duo besuchte das 'Swinging Oscar' auch in den Wintermonaten sehr regelmäßig an den Samstagen, wobei sie schon immer eine Woche im Voraus "ihren" Nischentisch reservierten. Samstags war stets der beste Tag, sowohl vom Show- und Musikprogramm als auch hinsichtlich Besonderheiten an der Bar und in der Küche. Dies kam Helles Töchtern sehr zu pass, denn die beiden Herren bezahlten stets die Rechnung und hielten sie somit frei. Zudem war das Samstagspublikum in einem hohen Maß ein Stammpublikum, eine Mischung aus Jazzenthusiasten, Künstlern aller Art und teilweise langjährigen Freuden, die in diesen bedrückenden Kriegstagen ein wenig positive Ablenkung suchten. Auch die dänischen Zeitungen waren voll mit Berichten um die Schlacht von Stalingrad, die augenscheinlich zum ersten Mal eine große Niederlage für die bis dahin furchterregend erfolgreich Kriegsmaschinerie des Deutschen Reiches darstellte. Aber an den Tischen des 'Swinging Oscar' gab es keine politischen oder militärischen Diskussionen. Die Dänen hatten jedoch gelernt, auch über solche Ereignisse und ihre Stimmungslage so zwischen den Zeilen zu reden, dass es so gut wie jeder verstand.

Dass das Quartett mehr als nur ein öffentliches Samstagvergnügen war, erfuhr ich Mitte Februar, nachdem Helle mitten in der Woche unabgesprochen und sichtlich verwirrt ins 'Swinging Oscar' kam und nach mir suchte.

"Ich muss mit Dir reden", sagte sie nach einem flüchtigen Begrüßungskuss. "Wo können wir uns ungestört zusammensetzen?"

Ich schaute über die immer noch gut besetzten Tische. Die Band mit Birte als Frontfrau spielte noch, also war für die nächste Zeit nicht vorherzusehen, dass sich der Clubsaal zügig leeren würde. "Am besten, wir gehen rauf in die Wohnung", schlug ich vor.

Helle nickte, nahm mich bei der Hand und zog mich quasi hinter sich her.

"Was ist denn los mit Dir?" fragte ich sie mit einer Mischung aus Neugierde und Besorgnis. "Irgendetwas passiert?"

"Ja und nein." Helle zog ihren dicken Wintermantel aus, legte ihn der Einfachheit halber über die Sofalehne und ließ sich daneben aufs Sofa fallen. Dann atmete sie zweimal tief durch und schaute mich durchdringend an. "Ich bin heute Abend unangekündigt früher nach Hause gekommen, weil meine letzte Unterrichtsklasse mangels anwesender Studenten ausfiel. Da war parallel eine Prüfung zeitlich überzogen worden, so dass niemand Zeit für meine Veranstaltung hatte." Sie schüttelte ihren Kopf und schaute mich wieder an. "Ich hatte meine beiden Töchter zu Hause erwartet. Die waren auch da, aber so mit anderen Dingen beschäftigt, dass mich niemand wahrnahm, als ich die Haustür öffnete und in die Diele eintrat."

"Und mit was waren die so beschäftigt?" Ich fing an, wirklich neugierig zu werden.

"Die beiden hatten ihre Polizistenverehrer zu Besuch und waren mit denen beschäftigt."

"Und?"

"Alle vier waren nackt und turnten miteinander in unserem Wohnzimmer herum."

"So richtig im vollen Sinnesrausch?" Ich musste über diesen etwas künstlichen Begriff unwillkürlich grinsen.

"In der Tat. Friedrike turnte auf Deinem Neffen wie eine Reiterin im vollen Galopp herum, während dieser deutsche Jurist meine Christiane in Deiner Lieblingsstellung voll von hinten durchvögelte."

"Oh wie lustig! Ein richtiger Vierer."

Helle schaute mich ob meiner Bemerkung eher strafend an. "Ja, Oscar. Ein voller Vierer. Denn während ich noch durch die halboffene Tür dem Treiben zusah, wechselten die Paare ihre Zusammensetzung und machten mit ungebremsten Schwung weiter."

"Großartig", fiel mir zu Helles plastischer Schilderung als vielleicht nicht so passender Bemerkung ein. "Hätten ich den Vieren so nicht zugetraut."

"Ich auch nicht!" Helle war laut und etwas schrill geworden.

"Und was haben sie gesagt, als sie Dich erkannt haben?"

"Gar nichts. Ich war so leise und diskret, dass ich unbemerkt aus der Wohnung herausgeschlüpft und hierhergekommen bin."

Ich nahm meine langjährige Geliebte in den Arm und gab ihr einen innigen Kuss. "Rege Dich ab, Mutterherz. Deine Töchter sind alt genug, zu wissen was sie tun."

"Ja! Sind sie! Aber doch nicht mit Polizisten."

"Beruhige Dich, meine Liebe. Der eine Polizist ist mein Neffe und wie ich weiß, ein ganz vernünftiger Mensch. Und dieser Klaus ist anscheinend sehr schnell vom Kollegen zum Freund mutiert." Ich lachte leise. "Sozusagen Freund des Hauses."

"Oscar, manchmal bist Du ein echter Kindskopf." Helle löste sich aus meiner Umarmung, ja sie stieß mich sogar ein wenig zurück. "Du weißt, in welcher Gefahr wir uns befinden, wenn dieser Klaus Norden die rassistischen Wurzeln meiner Familie herausbekommt."

Ich nickte. "Und deshalb hast Du eine saubere dänische Geburtsurkunde und Deine Töchter ohnehin auch, denn sie sind ganz offiziell in ihrer Geburtsurkunde als Kinder des evangelischen Ehepaares Schmidt eingetragen, inklusive ihrer Taufbestätigung vier Monate nach ihrer Geburt. Ich glaube, da brauchst Du keine Angst zu haben."

"Du bist zu naiv, Oscar." Helle wirkte jetzt ärgerlich. "Wenn die Deutschen in ihrem Judenverfolgungswahn in den Synagogen die Kirchbücher beschlagnahmen und auswerten, werden sie in Aabenraa meine Eltern und mich darin finden. So haben die das in Frankreich gemacht. Hat Klaus Norden meinen Mädchen ganz frei erzählt." Sie schaute mich herausfordernd an. "Und jetzt kommst Du!

"Hm." Das war in der Tat neu. Und ich musste darüber nachdenken. "Lass uns wieder runtergehen. Das Lokal hat noch eine gute Stunde geöffnet. Die Musik lenkt ab und macht den Kopf frei. Vielleicht haben wir bis nachher eine Idee."

Es half leider nur temporär. Als wir nach Lokalschluss wieder nach oben gingen, hatten wir keine neue Idee. Dafür hatten wir aber mit Birte noch eine späte Abendgesellschaft. Wir hatten uns alle noch ein gutes Carlsberg gegönnt als Helle, die natürlich Birtes echte Vergangenheit kannte, sie direkt ansprach.

"Wie ist das bei Euch? Dein verstorbener Mann und Du seid beide jüdisch, damit Deine Töchter auch. Seit ihr im Gemeindeverzeichnis der hiesigen jüdischen Gemeinde aufgeführt?"

Birte alias Lone zuckte mit ihren Schultern. "Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Ich vermute aber ja, weil wir ja in der Synagoge geheiratet haben."

"Dann haben wir möglicherweise dasselbe Problem." Helle erzählte nun alles, was sie wusste, was bei Birte logischerweise viele Fragezeichen ins Gesicht zauberte.

"Ich dachte, das habe ich hinter mir", stöhnte sie irgendwann auf. "Oscar hat für mich und die Kinder alles so hervorragend eingefädelt, dass ich sie sogar ohne Probleme in der Schule anmelden konnte. Und jetzt das."

"Wir müssen auf diesen neuen Bevollmächtigten aufpassen. Der rennt anders als sein Vorgänger gern in SS-Uniform durch Kopenhagen und agiert erheblich nationalsozialistischer."

"Gut zu wissen", kommentierte Birte. "Ich werde mir überlegen müssen, was das für Konsequenzen für uns haben könnte." Sie schüttelte traurig ihren Kopf. "In was für Zeiten leben wir nur? Könnte alles so schön sein. Ich habe Erfolg mit meiner Show und meinem Gesang, die Kinder sind gesund. Und wir sind aus dem Arbeiterelend raus." Sie atmete tief aus, beinahe schon stöhnend. "Kann man uns denn nicht einfach in Ruhe lassen."

"Noch ist gar nichts passiert", mischte ich mich in die trübe Stimmung der beiden Frauen ein. "Wir müssen nur aufmerksam sein!" Ich klatschte mit beiden Händen auf die Sessellehne. "Und ich werde mich jetzt mit Magnus und Klaus Norden so anfreunden, dass ich von denen alle polizeilichen Vorhaben und Maßnahmen im Vorhinein erfahren werde."

Dies Gespräch zu dritt ließ uns in den darauffolgenden Wochen noch enger zusammenwachsen, als es ohnehin in unserer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft der Fall war. Der diskret beobachtete Vierer ihrer Töchter musste zudem die Fantasiewelt meiner Geliebten angeregt haben. Jedenfalls machte sie an einem herrlichen Frühlingsabend einen vollkommen überraschenden Vorstoß.

"Die gute Birte lebt das oben mit ihren Kindern wie im Kloster. Kannst Du Dir vorstellen, dass sie sich nach den vielen Jahren Enthaltsamkeit auch mal einen Mann oder gar eine Frau in ihrem Bett wünscht?"

Ich schaute meine Partnerin, mit der ich eine halbe Stunde zuvor noch einen sehr befriedigenden Liebesencounter gehabt hatte, im Halbdunkel meines Schlafzimmers verblüfft an. "Hm. Birte ist eine sehr attraktive Frau, wenn ich das so sagen darf. Aber ich habe sie nie ernsthaft nach einem Partner suchen gesehen. Sie flirtet gerne mit dem Publikum, ganz professionell von der Bühne herab. Und ich muss jetzt gestehen, sie flirtet mit Männern wie mit Frauen. Aber immer so, dass niemand sie direkt anfällt."

"Würde auch schwerlich funktionieren. Das Jazzlokal ist ja immer voll, wenn sie auftritt."

"Wie kommst Du auf diese Frage?" Ich war neugierig geworden.

"Ich würde sie gern zu uns ins Bett einladen. Für Dich und für mich. Ich mag auch Frauen, wie Du weißt. Und meine langjährige Freundin ist, wie Du weißt, im letzten Herbst nach Schweden rüber."

"Ja, weiß ich. Die war ja auch Schwedin."

"Hatte ein vorzügliches Angebot der Universität in Lund. Da kann man gut verstehen, warum sie heimgegangen ist."

"Und wie stellst Du Dir das vor? Man kann ja schlecht eine Einladungskarte schreiben."

Helle lachte leise. "Nein, das kann man wirklich nicht. Aber, wenn Du einverstanden bist, lass mich mal machen."

Ich war einverstanden. Welcher Mann hätte zu der Perspektive auch 'nein' gesagt.

Helle brauchte eine Woche und zwei Anläufe, dann saß Birte wieder auf unserem Sofa, diesmal nicht verängstigt, sondern erwartungsvoll.

"Ich habe noch nie mit mehr als einem Menschen im Bett gelegen", gestand Birte ohne falsche Zurückhaltung, während sie auf dem großen Sofa zwischen Helle und mir Platz genommen hatte. Ich habe meinen Mann geliebt, ich habe zweimal eine Frau geliebt, aber nie zusammen." Sie holte tief Luft. "Aber ich sehne mich nach dieser langen Zeit der erzwungenen Enthaltsamkeit danach, wieder in die Arme genommen und geliebt zu werden. Und ihr beide liebt und beschützt mich jeden Tag. Bei Euch fühle ich mich irgendwie geborgen und habe keine Angst."

Helle quittierte die lieben und zugleich selbstbewussten Worte Birtes mit einem lang anhaltenden und intensiven Kuss, der bei beiden Frauen endgültig das innere Feuer entzündete. Birte drehte ihren Kopf auf die andere Seite, küsste mich mit derselben Intensität und wir drei wurden schnell ein engumschlungenes Trio, dessen sechs Hände auf streichelnde und erkundende Wanderschaft gingen.

Helle stand plötzlich auf und zog Birte und mich an je einer Hand in die Höhe. "Ich glaube, wir brauchen mehr Platz."

Wir stimmten zu und fanden uns wenige Augenblicke in meinem Schlafzimmer wieder. Unsere Begierde nach unmittelbarem nackten Körperkontakt resultierte in einem unglaublich schnellen, gegenseitigen Striptease, dann standen wir in enger, nackter Umarmung und setzten die stimulierende Körpererkundung mit unseren Händen fort. Zu Helles und meiner Verblüffung fanden wir Birtes Liebeszentrum absolut haarlos vor, was mich dazu veranlasste, etwas Abstand zu nehmen und sie von oben bis unten zu mustern.

"Du siehst wirklich fantastisch aus", machte ich ihr ein vorbehaltloses Kompliment. "Und Deine Pussy erst recht. Rasierst Du Dich?" Ich war echt neugierig geworden.

"Ja. Der Maskenbildner, der mich vor zwei Jahren so grundlegend verändert hat, hat mir dies empfohlen, damit es keine Irritationen bei meinen Bühnenkostümen gibt. Sagte mir, dass das alle Ballerinas am Königlichen Theater so machen. Und ich finde das mittlerweile sehr angenehm und hygienisch."

Helle war vor ihr in die Knie gegangen und betrachtete das blanke Paradies mit großen Interesse. "Wunderbar!" murmelte sie, dann zog sie Birte an ihren Pobacken zu sich heran und küsste ihren Venusberg, wobei ihre Zungenspitze bis an den Kopf von Birtes Pussy vorstieß und dort sofort Kontakt zu ihrer leicht hervorragenden Clit fand. Birte stöhnte mit ihrer wunderbaren tiefen Altstimme lustvoll auf.

Wenig später hatten wir auf meinem Bett ziemlich spontan eine Position gefunden, die für die nächsten Monate unser absolute Lieblingsstellung werden sollte. Ich lag flach auf meinem Rücken, mein mit beiden Mündern und Zungen angeheizter Schwanz hart und steil in die Höhe ragend, dazu eine Geliebte auf dem guten Stück reitend und die andere Geliebte in derselben Reitposition auf meinem Mund und meiner Zunge, was mir zugleich volle Bewegungsfreiheit meiner beiden Hände beließ. Birte wollte unter allen Umständen eine erneute Schwangerschaft vermeiden, so dass sie zumeist die Position auf meinem Kopf bevorzugte und Helle den Ritt bis zum spritzenden Orgasmus überließ. Nur an Tagen, an denen sie sich absolut sicher fühlte, tauschten meine beiden Geliebten, teilweise mehrfach ihre Position wechselnd. Was für Helle wie für mich sehr schön und stimulierend war, waren die heftigen, sehr feuchten und lauten Orgasmen unserer Jazzsängerin, die sich nach den vorsichtigen ersten Dreiern absolut sicher fühlte und total hemmungslos ihre inneren Gefühle auslebte.

"Was für ein paradiesisches Leben beschert ihr mir", gestand ich Helle und Birte an einem Abend, nachdem wir uns in einer sehr warmen Juninacht regelrecht ausgetobt hatten. Beide Frauen bedankten sich mit einer langen Abfolge von intensiven Zungenküssen, die meinen besten Freund zu einer Zusatzschicht bereit machten. Hier hatten sich dann Helle und Birte zu einem neckischen Reiterwechselspiel aufgemacht, bei dem sie sich alle paar Minuten auf mir abwechselten. Innerlich und im Kopf explodierte ich ein weiteres Mal, aber in Wirklichkeit hatte ich mein cremiges Pulver schon zuvor verschossen.

Wir drei, aber auch Helles Töchter und ihre beiden deutsch-dänischen Polizeiliebhaber, hätten ewig so weiterleben können. Wir hatten genug zu essen und zu trinken, wir hatten intakte Häuser, die - mit Ausnahme des britischen Bombenangriffs auf die Großwerft Burmeister & Wain in Christianshavn in Januar 1943 - bis dahin keine kriegsbedingten Beschädigungen aufwiesen, wir hatten Arbeit, wir hatten mein und unser 'Swinging Oscar' mit seiner Musik und seinen Gästen und wir hatten ein wundervolles Liebesleben. Aber der Krieg, der uns bis dahin vergleichsweise wenig beeinträchtigt hatte, sollte das Leben von uns sieben, aber auch vieler anderer Menschen, nachhaltig beeinflussen und verändern.

Seit der Katastrophe von Stalingrad im Januar 1943 berichteten die dänischen Zeitungen in erstaunlicher Neutralität das ganze Frühjahr und im Sommer über die sich häufenden Niederlagen der bis dahin als unverwundbar angesehenen deutschen Wehrmacht. Das deutsche Afrika-Korps war mit der Kapitulation in Tunesien eliminiert, der alliierten Landung im Winter 1942 in Nordafrika war am 10. Juli 1943 die erfolgreiche Landung auf Sizilien gefolgt, die den Sturz des Duce als uneingeschränkten Herrscher Italiens zur Folge hatte. Zudem hatte an der Ostfront in der bis dahin größten Panzerschlacht des Krieges die deutsche Wehrmacht eine weitere Niederlage erlitten. In dieser Atmosphäre änderte sich die bis dahin kooperativ-gleichgültige Stimmung der dänischen Bevölkerung langsam, aber stetig in eine mehr feindselige Haltung. Ende August brachen in Odense erste, kommunistisch aus dem Untergrund gesteuerte Streiks und Demonstrationen aus, die in anderen dänischen Städten ihre Fortsetzung fanden. Die zunächst auf Fünen und Jütland konzentrierten Aktionen erreichten im Laufe des August auch die Hauptstadt.

Ende August hatten Hitler und seine Reichsregierung von den dänischen Zuständen genug. Sie bestellten den Reichsbevollmächtigten Dr. Best ins Führerhauptquartier und befahlen ihm, die bisher auf Kooperation ausgerichtete Ober-Verwaltung Dänemarks durch die Verhängung des Kriegsrechtes zu beenden und damit die direkte Herrschaft über das Land zu übernehmen.

Am Abend des 28. August 1943 war im 'Swinging Oscar' trotz der angeheizten politischen Situation mit voll besetzten Tischen die übliche, ungezwungene Samstagabendstimmung als Magnus Nyrup Olsen, Klaus Norden und Helles Töchter ihren reservierten Nischenstammtisch aufsuchten. Die beiden Männer wirkten niedergeschlagen, sie hatten den ganzen Samstag gearbeitet und waren in die augenscheinlich heftigen Verhandlungen zwischen Dr. Best, dem deutschen Militärbefehlshaber General von Hanneken und der dänischen Regierung involviert gewesen.

"Morgen früh verhängt das Deutsche Reich den militärischen Ausnahmezustand über ganz Dänemark und führt die direkte Militärverwaltung ein", brach es nach dem dritten, schnell heruntergestürzten Bier aus Klaus Norden heraus. "Das friedliche Miteinander ist zu Ende. Und unsere fröhliche Zeit im 'Oscar' auch."

Friedrike und Christiane schauten ihn und Magnus fassungslos an. Dieser nickte nur mit dem Kopf. "Das bedeutet, dass das dänische Militär entwaffnet und aufgelöst wird. Und unsere Polizei direkten Befehlen der deutschen Polizeiführung einschließlich Sicherheitsdienst und Gestapo unterstellt wird."

"Und was bedeutet das für uns?" Die beiden Frauen und Künstlerinnen hatten regelrecht Panik im Gesicht, während um sie herum immer noch das fröhliche, stimmungsvolle und von der Musik angeheizte Samstagleben im 'Oscar' ablief. "Und für das 'Oscar' hier, einschließlich seiner Menschen?"

Klaus Norden zuckte mit den Schultern. "Wird mit ziemlicher Sicherheit freundloser. Ob die Lokale und Restaurants in Nyhavn vielleicht mit reduzierter Öffnungszeit weiter laufen können, weiß ich nicht. Vielleicht werden sie auch geschlossen. Oder man entzieht einzelnen Etablissements die Schankzulassung. Der Jazz hier ist ohnehin bei unseren höheren Chargen verpönt."

"Müssen wir Angst für uns selbst haben?" Christiane schaute jetzt Klaus direkt an.

Der zuckte wieder verlegen mit den Schultern. "Eigentlich nein. Ich habe das ja schon in Frankreich erlebt. Da hat sich das Alltagsleben dann relativ schnell normalisiert. Aber ich wäre an Eurer Stelle abends immer zuhause. Und tagsüber einfach vorsichtig." Er schaute mit sichtbarer Wehmut seine drei Tischgenossen an. "Selbst wenn das 'Oscar' weiter öffnet bleibt, ich weiß nicht, ob ich noch einmal hierher kommen kann. Die Verhältnisse zwischen Euch Dänen und uns Deutschen werden sicherlich frostiger."

Christiane machte auf dem Rückweg von der Toilette einen Umweg und kam mit sichtbar verstörtem Gesicht zu Helle und mir an die Bar. "Ab morgen früh stehen wir unter deutscher Militärverwaltung und Kriegsrecht", sagte sie nur. "Bereitet Euch und das 'Oscar' darauf vor!" Dann eilte sie wieder an ihren Tisch zurück.

"Und nun?" Jetzt war es an der Zeit für Helle, sichtbar verstört auszusehen. "Deutsche Militärverwaltung und deutsches Kriegsrecht heißt meiner Meinung nach auch deutsches Rassenrecht. Oder?"

Ich zuckte mit meinen Schultern. "Weiß ich nicht. Aber das Risiko besteht." Dann erhob ich mich. "Ich spreche jetzt mit allen Mitarbeitern und sage ihnen, dass sie bis nach Lokalschluss hier bleiben sollen. Ich mache das dringend."

Meine als Wunsch vorgetragene Anordnung wurde vollständig befolgt.

"Ich habe sichere Informationen, dass die wilde politische Lage der letzten vier Wochen von deutscher Seite morgen früh mit der Verhängung des militärischen Ausnahmezustandes beantwortet wird. Das heißt, dass Dänemark damit offiziell ein besetztes Land und unter deutsches Kriegsrecht gestellt wird. Und das wird Konsequenzen haben. Erste Konsequenz ist, dass wir morgen geschlossen bleiben. Es gilt dieselbe Regelung wie vor drei Jahren. Ich bezahle Euch nächste Woche Euern vollen Lohn, dann müssen wir sehen, ob wir wieder öffnen können und dürfen."

Die Nachricht schlug in meiner Belegschaft wie eine Bombe ein. Und alle Befürchtungen und Ängste, die im April 1940 und in den letzten drei Jahren immer wieder uns beschäftigt hatten, kamen wieder hoch.

"Das heißt, dass die deutschen Rassegesetze ab morgen auch hier gelten", fragte mein langjähriger Barchef Hans Mortensen zögernd.

"Wahrscheinlich ja", antwortete ich genauso zögernd. "Ich weiß nur nicht, ob und wann die deutsche Polizei dies auch in Dänemark durchsetzen wird. Ihr Hauptinteresse gilt im Moment eher Kommunisten und Widerständlern."

"Dann wirst Du auf mich leider ab morgen verzichten müssen", erwiderte Hans langsam. "Schade, das 'Oscar' war mein Zuhause." Er stand auf, ging direkt auf mich zu und umarmte mich spontan. "Du bist der beste Chef, den man sich vorstellen kann", sagte er leise. Ihm liefen die Tränen über die Wangen. "Ich hoffe, wir werden uns in diesem Leben wiedersehen." Er nahm seine leichte Sommerjacke, zog sie über seinen Dienstanzug und winkte in die Runde. "Lebt wohl und überlebt den Wahnsinn." Dann verließ er schnellen Schrittes das Lokal und eilte mit unbekanntem Ziel fort. Ich erfuhr erst zwei Sommer später, was aus Hans wurde.

Die darauffolgenden zwei Wochen war das 'Swinging Oscar' wie fast alle Restaurants, Theater, Lokale und Konzertstätten geschlossen. Den jetzt voll unter deutscher Zensur stehenden Zeitungen konnte man entnehmen, dass die königliche Familie immer noch im Land weilte, jedoch die dänische Regierung offiziell zurückgetreten war. Die Verwaltungsarbeit wurde jetzt von den Staatssekretären unter deutscher Aufsicht wahrgenommen. Das im März noch neu gewählte Parlament war auf unbestimmte Zeit suspendiert.

Helle, Birte und ich diskutierten uns die Köpfe heiß, was wir in Zukunft machen sollten, teilweise waren auch Friedrike und Christiane an unseren Diskussionsrunden im leeren Restaurant des 'Oscar' beteiligt. Immerhin hatten wir einen prall gefüllten Getränkevorrat, dem wir auch reichlich zusprachen.

Mitte September stand plötzlich Sven-Olaf Bengtsson vor meinem verwaisten Lokal. "Sie haben in den letzten Jahren unserer Organisation gute Dienste geleistet", begann er das Gespräch. "Unsere Unterstützungszahlungen an die bedürftigen Familien sind von Ihnen mit brillanter Akkuratesse gemanagt worden." Er holte tief Luft und nahm einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse. "Die Bedingungen sind in den letzten Wochen schlechter und gefährlicher geworden. Viele Genossen sind in den letzten zwei Wochen verhaftet und in Lager verschleppt worden. Andererseits sind wir uns sicher, dass der Sieg unser sein wird. Wir müssen also nur durchhalten, um anschließend ein freies und gerechtes Dänemark aufzurichten."

Ich nickte stumm. Ich fühlte mich nicht als Widerstandskämpfer, ich war Musiker und Gastwirt.

"Wir gehen davon aus, dass spätestens im Oktober die deutsche Militärverwaltung versuchen wird, wieder Normalität einziehen zu lassen. Hat sie in anderen besetzten Ländern auch so gemacht. Wir wollen deshalb ihr 'Swinging Oscar' als wichtige Drehscheibe in unserem Netzwerk weiter nutzen. Das heißt, dass die über das Lokal abzusteuernden Geldströme deutlich größer werden würden. Wären Sie dazu bereit?"

Ich faltete meine Hände und spielte nervös mit meinen Fingern. Dann antwortete ich zögernd. "Voraussetzung Nummer 1 wäre die Wiedereröffnung meines Lokals. Ohne die täglichen Geldeinnahmen hier würde diese Art Widerstandsbank sofort auffallen."

Sven-Olaf Bengtsson lachte. "'Widerstandsbank' gefällt mir. Ich habe diesen Begriff hiermit in meinen Sprachschatz übernommen."

Ich lächelte zurück. "Ist ja so. Ich nehme Einlagen entgegen und führe Auszahlungen aus." Dann holte ich tief Luft. "Im Grundsatz ja. Denn mir geht diese Form der neuen deutschen Herrschaft gewaltig gegen den Strich."

"Danke", antwortete Sven-Olaf. "Dann machen wir das wie bisher weiter. Sie führen eine Liste über Royalty-Zahlungen für diverse Jazzstücke, die per Notenblatt bei ihnen eingereicht werden. Und ich sorge für die notwendigen Einzahlungen." Er reichte mir wie bei einem erfolgreichen Vertragsabschluss die Hand. "Wir werden nicht vergessen, wer mit uns in diesen dunklen Zeiten fair und aufrecht zusammengearbeitet hat."

Sven-Olaf Bengtsson war bereits aufgestanden, als er noch eine Zusatzbemerkung machte. "Wenn es Ihrerseits Handlungsbedarf gibt, stehen unserer Organisation diskrete Mittel und Wege zur Verfügung, Menschen nach Schweden in Sicherheit zu bringen." Er entnahm seiner Brieftasche eine vollkommen normal aussehende Visitenkarte. Auf dieser stand nur eine Adresse, kein Name. "Schicken Sie einen Boten Ihres Vertrauens im Bedarfsfall an diese Adresse. Kennwort ist einfach ihr Lokalname, 'Swinging Oscar'. Ich arrangiere dann alles."

Ich nahm die Visitenkarte dankend entgegen. "Danke. Man weiß nie, wann man eine solche Hilfe benötigt."

Drei Tage später bekam ich eine Ahnung, dass diese Visitenkarte extrem wichtig werden könnte. Das 'Swinging Oscar' war unter dem unverändert geltenden Ausnahmezustand geschlossen, was wir für einige, lang aufgeschobene Renovierungsmaßnahmen nutzten. Optimistisch, wie es mein Naturell war, ging ich von einer baldigen Wiedereröffnung aus. Am späten Nachmittag klingelte es lang anhaltend, so dass ich selbst an die Tür ging, um zu öffnen. Vollkommen überraschend stand Klaus Norden vor der Tür.

Er schaute wie ein Verfolgter kurz nach rechts und links, dann drängte er regelrecht in den Eingang. "Wir müssen unbedingt miteinander sprechen. Und mich darf niemand sehen."

Ich zog meine beiden Augenbrauen hoch und schaute ihn erstaunt an. "Ist was passiert?"

"Ja. Deshalb bin ich hier. Wo können wir ungestört reden?"

Ich dachte kurz nach. Meine Helfer renovierten gerade im Publikumsraum und Restaurant. "Die Küche ist leer. Lass uns dorthin gehen."

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis wir die verwaiste Küche betraten. Ich schaltete das Licht ein und ging mit Klaus in die hintere Ecke hinter einen Mauervorsprung, so dass uns selbst ein plötzlicher Besucher in der Küche nicht sofort sehen konnte.

"Was gibt es?"

"Verdammt viel", sagte Klaus in zornig klingendem Tonfall. "Der Reichsbevollmächtigte, also Dr. Best, und General von Hanneken als Militärbefehlshaber haben vom Führerhauptquartier und vom Reichsführer SS Himmler den Befehl erhalten, Dänemark so schnell wie möglich judenfrei zu machen."

Ich atmete tief durch. "So etwas Ähnliches habe ich erwartet."

"Bei uns im Hauptquartier werden derzeit von SD, Gestapo und Helfern unter Hochdruck Listen über Dänen mit jüdischer Abstammung erstellt. Die Gestapo hat dazu eine erstaunliche Menge an Unterlagen und Kirchbüchern aus Synagogen beschlagnahmt und wertet diese zurzeit aus. Ich habe auf ein paar Listen meinen Blick werfen können und dabei den Namen 'Professor Helle Schmidt' entdeckt." Klaus Norden blickte mich scharf an. "Warum steht Deine Helle auf so einer Liste?"

"Weil sie jüdische Eltern hatte und im deutschen Apenrade geboren ist", blaffte ich zurück. "Und Deine Nazis anscheinend ein altes deutsches Kirchenbuch oder Stammbuch aus Apenrade gefunden haben.

"Das heißt, dass Helle 'Volljüdin' ist, wenn ich die gesetzliche Bezeichnung benutzte?"

"Ja. Und ich werde alles tun, um sie vor Euch zu beschützen!"

"Rege Dich ab Oscar. Deshalb bin ich ja hier. Deine Antwort bedeutet für mich, dass auch Helles Töchter mindestens 'Halbjüdinnen' sind."

"Ja. Wenn man Eure merkwürdige Rassengesetze so liest, hast Du recht."

"Genau das ist das Problem. In der SS, beim SD und in der Gestapo lesen viele die Gesetze genau in dieser Form. Deshalb sind alle drei aus meiner Sicht absolut gefährdet, verhaftet und deportiert zu werden."

Ich verstand. "Das heißt, sie müssen so schnell wie möglich fort von hier."

"Genau. Unser Marineattaché Duckwitz hat mit der schwedischen Regierung über die Aufnahme der dänischen Juden gesprochen und eine positive Antwort erhalten. Dr. Best weiß das, ihm ist egal, wie die Juden aus Dänemark verschwinden. Aber Du siehst vermutlich ein, dass wir Deutschen dies nicht organisieren können."

"Gut!" sagte ich entschlossen. "Ich weiß, was ich zu tun habe. Danke für die Nachricht, Klaus. Ich werde Dir das nicht vergessen."

Genauso schnell und heimlich wie er gekommen war, verschwand Klaus Norden wieder. Ich hatte jetzt jedoch eine Reihe von Gesprächen zu führen. Zuerst ging ich ins Obergeschoss meines Hauses, setzte mich zu Birte alias Lone und berichtete ihr die neuesten Nachrichten.

"Und was rätst Du mir, Oscar?" war ihre präzise Frage.

"Ich denke, dass Deine Tarnung nicht auf Dauer hält. Und damit sind Du und Deine Kinder aufs Höchste gefährdet."

Ich sah, dass Birte die Tränen in die Augen stiegen. "Und wovon sollen wir leben, wenn wir nach Schweden fliehen. Wir haben doch nichts."

"Hm." Ich dachte einen Augenblick nach. "Ich glaube, ich habe eine Lösung. Ich habe einen guten Freund in Göteborg, der ein ähnliches Jazzlokal wie das 'Swinging Oscar' betreibt. Und darüber hinaus als Künstler-Agent tätig ist. Ich schreibe ihm einen Brief, den Du als Empfehlungsschreiben mitnimmst. Wenn Lasse Deine Stimme hört, nimmt der Dich sofort unter Vertrag. Vermutlich zahlt er sogar besser als ich." Ich grinste schwach. "Lasse war schon immer großzügiger als ich."

Nachdem ich auch Helle und ihre Töchter alarmiert und von Ihnen ebenfalls die Zustimmung zur Flucht erhalten hatte, setzte ich mich auf mein Fahrrad und fuhr quer durch die Innenstadt zur Vesterbrogade direkt hinter dem Hauptbahnhof. Die Adresse auf der Visitenkarte stellte sich als gutes Bürohaus heraus, dass durch zwei blanke Messingschilder als Sitz von zwei schwedischen Schifffahrts- und Handelsunternehmen gekennzeichnet war. Auf mein Läuten hin öffnete mir ein wahrhaftiger Hüne mit sehr schwedischem Aussehen, mindestens 2 Meter groß und sicherlich 100 kg schwer, ein absoluter Athlet. Seine Frage nach meinem Begehr beantwortete ich mit dem mir aufgegebenen Kennwort, worauf der Hüne ohne Zögern die Tür öffnete und mich einließ. Zwei Minuten später saß ich Sven-Olaf Bengtsson in einem feinst eingerichteten Kaufmannskontor gegenüber.

"Ich habe Sie schon erwartet, lieber Herr Olsen", begrüßte er mich mit einem schelmischen Lächeln. "Um wieviel Personen handelt es sich?"

"Drei Künstlerinnen, die Mutter ist Professor an der Kunsthochschule, und ihre zwei Töchter, beide examiniert. Dazu die Ihnen bekannte Lone Arendsen mit ihren beiden minderjährigen Kindern. Hat die letzten zwei Jahre bei mir gelebt und gearbeitet."

"Ich weiß. Ihre 'BB Bird', die Sängerin."

"Ja."

"Gut", antwortete Sven-Olof Bengtsson langsam. "Wir machen jetzt folgendes: die vier Frauen und zwei Kinder sollen sich morgen am späten Nachmittag mit leichtem Gepäck - nicht mehr als ein Koffer und ein Rucksack pro Person - bereit halten. Sie werden abgeholt. Wir bringen sie in der Nacht über den Öresund. Wissen die Frauen, wohin sie in Schweden weiterreisen können?"

Helle Schmidt, das ist die Kunstprofessorin, will mit ihren Töchtern zu einer ehemaligen Kollegin, die 1941 zur Universität nach Lund gegangen ist. Und BB Bird besitzt von mir ein Empfehlungsschreiben an einen Kollegen und Musikeragenten in Göteborg."

"Gut. Dann organisieren wir auch den Weitertransport."

Als wir uns kurz darauf voneinander verabschiedeten, ergänzte der schwedische Kaufmann noch: "Das ist mein Danke für unsere Zusammenarbeit, Herr Olsen. Gerade in diesen Zeiten müssen wir solidarisch zusammenstehen."

Mehr als schweren Herzens verabschiedete ich mich am kommenden Nachmittag von den vier Frauen und den beiden Kindern, die mir in den letzten Jahren alle sehr ans Herz gewachsen waren. Helle und ich hatten uns in der zurückliegenden Nacht noch einmal in aller Intensität geliebt, nicht wissend, wie lange wir voneinander getrennt sein würden.

Beim Abschied erzählte mir Helle, dass sie für ihre Wohnung und ihren dort befindlichen Besitz einschließlich der Habe ihrer beiden Töchter ein ungewöhnliches Arrangement getroffen hatte. "Klaus Norden wird meine Wohnung in ihrem jetzigen Zustand übernehmen und dort wohnen. Auf die Weise ist gesichert, dass kein Nazi sich an unserem Besitz vergreift. Er hat mir versichert, dass er auf alles einen besonders sorgsamen Blick werfen wird." Als ich sie total überrascht anblickte, setzte sie nach. "Ich vertraue ihm. Er liebt Christiane und nur aufgrund seiner verräterischen Initiative sind wir in der Lage, ohne Schaden zu fliehen. Helfe ihm, wenn er Deine Hilfe braucht."

Ich versprach Helle, dies zu tun. Dann wurde es in meinem Haus plötzlich unglaublich leer und still. Das Jazz-Lokal war unverändert geschlossen, die beiden Wohnungen in den beiden obersten Geschossen verwaist. Ich saß allein an meiner Bar, ich hatte meine Lebenspartnerin, meinen Barchef und meine hochgeliebte Jazzsängerin verloren. "Und das alles nur wegen dieses Judenwahns dieser Nazis", brüllte ich plötzlich durch das leere Lokal. Dann öffnete ich eine Flasche meines besten Whiskys und betrank mich so besinnungslos, dass ich nicht mehr den Weg in mein Bett fand. Es war ohnehin leer.

Kopenhagen, Sommer 1945

Mehr als eineinhalb Jahre waren seit der Flucht von Helle, ihren Töchtern und Birte mit ihren Kindern nach Schweden vergangen. Über Sven-Olof Bengtsson erhielt ich im November zwei Briefe, in denen sie mir ihren Fluchterfolg berichteten und dass sie sich an ihren neuen Orten hatten einrichten können. Helle und ihre beiden Töchter hatten als Kunstlehrerinnen schnell Anstellung finden können und somit ein eigenes Auskommen gesichert. Birte hingegen hatte in Göteborg wie ein Meteor eingeschlagen. Innerhalb weniger Monate hatte sie sich unter Lasses Agentenpatronatschaft in Schwedens Jazzszene etabliert und hatte im Winter 1943/44 sogar schon eine eigene Tournee durch Jazzclubs im gesamten Land geplant. Ihr Brief wirkte richtig glücklich, auch nach dem zweiten und dritten Lesen.

Das 'Swinging Oscar' hatte mit Ende des Ausnahmezustandes im Oktober 1943 wieder geöffnet, aber man konnte spüren, dass die Leichtigkeit und Fröhlichkeit des Lebens auch durch unsere Musik nicht wieder herstellbar war. Die Kriegsberichterstattung des Sommers 1944 insbesondere über die Landung der Alliierten in der Normandie und den Vormarsch der Roten Armee im Osten ließ bei uns die Hoffnung aufkommen, dass dieser Krieg mit einer Niederlage Deutschlands enden und Dänemark damit wieder frei sein würde.

Auf der anderen Seite wurde die deutsche Verwaltung Dänemarks immer ruppiger und unangenehmer. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens wurde ab Sommer 1944 immer stärker. Heftige Streiks und repressive Gegenmaßnahmen erschütterten das dänische Hauptstadtleben. Teilweise kappten die deutschen Besatzer unsere Strom- und Wasserversorgung. Mein 'Oscar' hatte zunächst deutlich eingeschränkte Öffnungszeiten, dann im Winter 44/45 wechselten sich Öffnungs- und Schließungsperioden im raschen Wechsel ab. Ab März 1945 blieb mein Lokal dauerhaft geschlossen. Die Versorgungslage wurde mit Einführung der Rationierung deutlich schwieriger, das Einzige, was für das 'Swinging Oscar' absolut unproblematisch funktionierte, war die Bierversorgung aus der Carlsberg-Brauerei. So ernährten wir uns ausgangs des Winters auch primär von unserem Bier.

Eigentlich seit der Flucht meiner Frauen fungierten mein Lokal und ich als heimliche Bank zweier dänischer Widerstandgruppen. Diese hatten sich mit anderen Gruppen zum Dänischen Freiheitsrat zusammengeschlossen, um durch gemeinsame Nutzung ihrer Netzwerke ihre Effektivität zu erhöhen. Ich hatte Hans Mortensen als Barchef aufgrund einer Empfehlung von Sven-Olof Bengtsson durch einen Gustav Hinrichsson ersetzt, der sowohl ein exzellenter Barchef als auch ein Vertrauter bei der Kassenwirtschaft der Widerstandsgruppen war. Insofern verteilte sich jetzt unser 'Bankgeschäft' auf vier Schultern.

Auch wenn ich nicht aktiv an Widerstandsaktionen beteiligt war, war uns wie auch unseren Kunden unsere Bedeutung als ihre 'Bank' sehr bewusst. Unser Geldumschlag, den man nun nicht unbedingt als Umsatz bezeichnen konnte, wuchs kontinuierlich, so dass ich mehr als einmal nachts wach im Bett lag und darüber nachdachte, warum die deutsche Geheimpolizei uns bisher nicht auf die Spur gekommen war. Andererseits hatten wir sehr wohl registriert, dass die früher so reibungslose Zusammenarbeit zwischen dänischen und deutschen Polizisten überhaupt nicht mehr funktionierte. Dies eskalierte im September 1944, als die deutsche Verwaltung die dänische Polizei entmachtete und eine große Zahl dänischer Polizisten in diversen Lagern internierte. Lediglich die Kriminalpolizei und die Polizeischutztruppe der königlichen Schlösser war von dieser Aktion ausgenommen.

Magnus Nyrup Olsen, der nach Ausrufung des Kriegsrechtes im September 1943 von seinem überflüssig gewordenen Posten als Kontaktpolizeioffizier beim Reichsbevollmächtigten abberufen worden war, war seinerzeit zu seinem ursprünglichen Kommissariat der Kopenhagener Kriminalpolizei zurückgekehrt. Wie viele andere Polizeioffiziere schloss er sich im Spätsommer 1944 der von Freiheitsrat im Untergrund gebildeten Untergrundpolizei an, um auf diesem Weg der ansonsten landesweit zunehmenden chaotischen Ordnungslosigkeit entgegen zu treten.

Anfang Mai 1945 kapituliert die jetzt in Flensburg ansässige Reichregierung unter dem neuen Reichskanzler Admiral Dönitz gegenüber den rasch vordringenden britischen Truppen in einem separaten Waffenstillstand. Mir war es bereits am 4. Mai gelungen, einige Fässer Carlsberg-Bier zu organisieren und öffnete das 'Swinging Oscar' auf eigene Gefahr mit durchgehender Musik und Freibier für alle. Die Straßen von Kopenhagen waren prall gefüllt mit Menschen, die unsere Befreiung feierten. Meine Hauskapelle und ich wechselten uns für mehrere Stunden ab und spielten bis spät in die Nacht. Am 5. Mai landete dann der britische Generalmajor Dewing in Kopenhagen und wurde mit einer nahezu orgiastische Willkommens- und Befreiungsfeier willkommen geheißen.

Am selben Tag setzten die ersten paramilitärischen dänischen Exileinheiten aus Schweden kommend über den Öresund und begannen mit der jetzt öffentlich sichtbaren Untergrundarmee mit systematischen Verhaftungen deutscher Polizisten und Geheimdienstler als auch der Gefangennahme der in Dänemark stationierten Wehrmachtsoldaten. Letztere marschierten nach einer Vereinbarung mit der neuen dänischen Regierung unter Staatsminister Buhl in geordneten Marschkolonnen zu Fuß ohne Waffen zurück nach Schleswig-Holstein, um dort von den vorrückenden britischen Einheiten in Empfang genommen und interniert zu werden.

Ich interessierte mich für die große Politik bei aller persönlichen Freude über die Befreiung nur am Rande. Ich hatte genau zwei persönliche Prioritäten: erstens die Wiederaufnahme eines geordneten Geschäftsbetriebes des 'Swinging Oscar', schließlich wollte ich meinen Lebensunterhalt wieder als Musiker und Gastwirt verdienen und zweitens die Zurückgewinnung meines Privatlebens. Ich hatte in der Tat die zwanzigmonatige Abwesenheit von Helle (und Birte) mit einer flüchtigen Ausnahme wie ein Mönch verbracht und sehnte mich nach einer liebenden Frau.

Nach den beiden wunderbar chaotischen Öffnungstagen am 4. und 5. Mai öffnete das 'Swinging Oscar' offiziell am Samstag, den 12. Mai, nachdem wir auf trickreichen Wegen unsere Getränkevorräte wieder aufgefüllt hatten. Das Restaurant blieb aufgrund der schwierigen Rationierungslage noch zwei Wochen länger geschlossen, aber wir konnten ein über vier Stunden gehendes Musikprogramm mit zwei abwechselnden Jazzkapellen und mir als Überbrückungsentertainer am Klavier aufbieten. Zu meiner wirklich großen Freude tauchten an diesem Samstagabend zwei lieb gewordene Gäste in meinem Lokal auf.

Zunächst stand mein Neffe, Kriminalhauptkommissar Magnus Nyrup Olsen plötzlich an meinem Klavier und stellte mir ein frisch gezapftes Glas Bier oben drauf. "Wenn ich Dich und Dein Lokal so sehe, fühle ich mich gleich um viele Jahre jünger", scherzte er mit einem breiten Grinsen. Ich stoppte mein Stück augenblicklich mit einem improvisierten Schluss, stand auf und nahm ihn in meine Arme.

"Mensch, Magnus. Schön, dass Du wieder da bist!" Ich setzte mich wieder ans Klavier, grinste meinen Neffen an und spielte sein Lieblingsstück, einen alten Ragtime-Hit, den er 'als unser Lied' bezeichnet hatte und damit sich und Friederike meinte.

"Wo warst Du so lange?"

"Da, wo ein guter dänischer Polizist hin gehörte. In der Untergrundpolizei. Deshalb bin ich seit gestern ganz offiziell zum Kriminalhauptkommissar ernannt und führe hier in Kopenhagen das Kommissariat über Kriegsverbrechen. Du wirst lachen, mein Dienstsitz ist wieder im alten Kommissariat. Das Dagmarhaus, des alte Hauptquartier von Dr. Best und seinen Helfer, wird jetzt zum Sitz der alliierten Militärmission."

"Ist dieser Dr. Best eigentlich noch da?"

"In der Tat. Aber ich vermute, der wird wie alle anderen deutschen Polizeioffiziere in den nächsten Tagen festgenommen. Wir sind schon mit vollem Einsatz dabei, die Unterlagen für kommende Anklagen auf Kriegsverbrechen zu sammeln und gerichtsverwertbar zusammenzustellen. Wird in den kommenden Jahren meine Hauptaufgabe werden."

"Dann viel Glück. Ist dieser Klaus Norden auch noch da?"

"Weiß ich nicht so genau. Ich weiß nur, dass der Stab von Dr. Best vollständig in Dänemark geblieben ist. Normalerweise müsste Klaus dann dazugehören. Der war aber Zivilist und gehörte weder der Sicherheitspolizei noch der SS an. Klaus gehörte zum persönlichen Stab von Dr. Best."

Ich schaute meinen Neffen jetzt ganz direkt an. "Du weißt, dass er Helle, ihre Töchtern und auch Birte rechtzeitig gewarnt hat und für ihre rechtzeitige Flucht nach Schweden verantwortlich war?"

"Nein, das wusste ich nicht. Ich habe ihn seit der Verhängung des Ausnahmezustandes vor zwanzig Monaten nicht mehr gesehen oder gesprochen."

"Da bin ich mal gespannt, wo der wieder auftaucht." Ich verabschiedete mich beim Publikum zur Pause, nahm mein Bierglas und ging mit Magnus zur Bar. "Der Herr Kriminalhauptkommissar hat heute freie Getränkewahl. Auf Rechnung des Hauses", instruierte ich Gustav, der mit einem unglaublichen Elan seinen Platz hinter der Bar wieder eingenommen hatte.

Es war schon spät am Abend, als ein zweiter Gast mir seine Aufwartung machte: Sven-Olof Bengtsson.

"Sehen Sie, Herr Olsen. Wir haben den Krieg letztendlich gewonnen", begrüßte er mich in aller Freundlichkeit. "Und die Gestapo hat bis zum letzten Tag nicht herausbekommen, wo unsere Bank installiert war. Sie haben so vielen Menschen durch ihren Dienst geholfen. Ich hoffe, wir finden Wege, um Ihnen unsere Dankbarkeit in angemessener Form zeigen zu können."

Ich freute mich über sein Lob, entgegnete aber: "Sie haben mir bei der Organisation der Flucht meiner mir liebsten Menschen bereits unendlich geholfen. Das ist eigentlich schon Dankbarkeit genug."

"Eine Hand wäscht die andere, wie der Volksmund sagt." Er nahm das gerade servierte Glas Bier und toastete mir zu. "Auf den glücklichen Moment der Schließung unserer Bank. Wir brauchen sie nicht mehr."

Wir stießen mit unseren Gläsern an und nahmen einen tiefen Schluck.

"Ich werde Kopenhagen vermissen", sagte mein Gast, als er das Glas abgestellt hatte.

"Oh, wo zieht es Sie hin?"

"Meine Mission ist mit diesem glücklichen Kriegsende beendet. Und ich möchte wieder ein ruhigeres Leben als in den letzten fünf Jahren führen. Waren immerhin gefährliche Zeiten hier." Er schaute mich eindringlich an. "Ich bin Finne, Herr Olsen, auch wenn ich in den letzten Jahren einen schwedischen Namen geführt habe. War ganz einfach, denn ich bin aus Turku und schwedischer Muttersprachler. Ich habe, wie sie sich denken können, vorzügliche Beziehungen zur früheren Komintern und heute nach Moskau. Meine Auftrag war ganz einfach beschrieben worden: 'Sorgen sie sich um unsere dänischen Genossen und ihre Familien. Wir brauchen sie in der Zukunft für die Schaffung eines fortschrittlichen und gerechten Europas'. Und diese Aufgabe habe ich auch dank Ihrer Unterstützung erfüllt."

"Dann gehen Sie jetzt nach Moskau?"

"Um Himmels willen", lachte Sven-Olof Bengtsson. "Ich möchte gern noch ein wenig leben. Nein, ich gehe heim nach Turku. Unsere kommunistische Bewegung wird in den kommenden Jahrzehnten viel Einfluss in Finnland haben. Da werde ich dabei sein."

Er trank sein Bier aus und verabschiedete sich. "Leben Sie wohl, Herr Olsen. Es hat mir gefallen, mit Ihnen zusammengearbeitet zu haben."

Jahre später sollte ich ein Bild von Sven-Olof Bengtsson in der Berlingske Tidende sehen als er bei König Frederik IX. seine Akkreditierung als Botschafter Finnlands übergab. Wenig später erhielt ich eine Einladung in die Botschaft anlässlich des finnischen Nationalfeiertags am 6. Dezember, wo wir uns in aller Freundlichkeit wiedersahen. Spät am Abend bat mich Herr Botschafter dann in kleiner Freundesrunde ans Klavier, 'um die Gesellschaft ein wenig aufzumuntern'. Ich folgte seiner Einladung mit größter Freude.

Zwei Tage nach dem 'Swinging Oscar' nahm auch die dänische Post mit je einer Morgen- und Abendzustellung ihren Normalbetrieb wieder auf. In den Zeitungen wurde berichtet, dass alle Post zwischen den nordischen Ländern wieder unzensiert transportiert werden würde und man innerhalb eines Monats das Ziel hatte, die Postzustellgeschwindigkeit der Vorkriegsjahre zu erreichen.

In meinem eigenen Fall sollte sich das sehr schnell auszahlen. Innerhalb der ersten Woche erhielt ich zwei Briefe aus Lund und Göteborg, die ich zugegebenermaßen mit etwas zittrigen Händen öffnete.

Helles Brief aus Lund war lieb, kurz und knapp. "Wir haben alle drei die letzten zwanzig Monate als Kunstlehrerinnen unser täglich Brot verdienen können", berichtete sie. "Auch wenn wir ungeheure Sehnsucht nach Kopenhagen und ich selbst nach Dir habe, müssen und wollen wir unsere Lehrerpflichten hier ordnungsgemäß bis zum Ende des Schuljahres wahrnehmen. Ich selbst kann Dir bereits versprechen, am 1. Juli zu Dir zu reisen. So lieb und hilfsbereit die Schweden im Allgemeinen und meine Freundin im Besonderen sind und waren, möchte ich in meine Heimat zurück und hoffe, dass Du mich mit Deinen kräftigen und offenen Armen empfängst, wie ich mir das in den einsamen Monaten hier erträumt habe. Zudem bin ich wirklich neugierig, ob meine Wohnung noch existiert und was aus meinem und unserem Besitz geworden ist, nachdem wir so Hals und Kopf flüchten mussten."

Zwei Erkenntnisse brachte dieser Brief für mich: erstens, Helle wollte gerne zu mir zurückkehren. Und ich wollte sie mehr als gerne wieder in meinen Armen halten. Zweitens, ich würde noch sechs Wochen warten müssen. Mein Antwortbrief verließ Kopenhagen am kommenden Morgen und über sechs Wochen entstand ein fast täglicher Briefwechsel, dessen Liebe und Intimität nicht zu überbieten war.

Der zweite Brief war auf der Rückseite mit dem eingepressten, goldfarbenen Absender 'BB Bird' sofort erkennbar. Hatte ich von Helle auf Umwegen während der letzten Kriegsjahre ein paar Mal kurze Nachrichten erhalten, hatte ich von Birte/Lone außer einer Ankunftsmeldung nach ihrer Flucht nichts mehr gehört. Um so mehr freute mich der Inhalt Ihres Briefes:

"Lieber Oscar, Du hast mir zweimal das Leben gerettet und mir und meinen Kindern eine gesicherte als auch eine extrem reizvolle und wunderbare Zukunft eröffnet. Wir haben uns mit Lasses Hilfe und Patronatschaft in Schweden etabliert und sind in Göteborg heimisch geworden. Carl und Grete gehen hier zur Schule und sind richtig kleine Schweden geworden. Ich selbst habe mit meiner Stimme, die Du entdeckt und entwickelt hast, Schweden erobert. Im letzten Winter und im Frühjahr bin ich mit meiner eigenen Band zweimal auf großer Tournee gewesen, von Luleå im Norden bis nach Karlskrona und Malmö im Süden. In Stockholm und hier in Göteborg bin ich nun mehrfach mit echten Big-Bands aufgetreten. Ein ungeheuer positives Gefühl, wenn man über zwanzig erstklassige Musiker im Rücken hat. Im März habe ich die ersten beiden Plattenaufnahmen gemacht, der Musikverlag ist mit den Verkaufszahlen anscheinend zufrieden, so dass wir in diesem Jahr noch einmal ins Studio gehen. Ich möchte gern mit Deiner Hilfe das befreite Dänemark für mich erobern und schlage vor, im Oktober für drei oder vier Wochen nach Dänemark zu kommen. Ich überlasse Dir, wie und wo Du an welchen Orten auch immer Konzerte mit mir veranstalten willst, vermutlich am besten mit Deiner Hausband und/oder mit Dir am Piano. Ich würde dabei gern wieder in unserer ehemaligen Wohnung unter dem Dach und nicht im Hotel wohnen. Dann bin ich Euch ganz nah. In Liebe, Birte aka Lone"

Ich war von Birtes Brief so gerührt, dass ich ihn am Ankunftstag gleich mehrfach gelesen hatte. Dann machte ich mich an die Arbeit, eine Konzertplanung für vier Wochen aufzustellen und ging am darauffolgenden Tag zu dem führenden Jazz-Konzertagenten in Kopenhagen, um mit ihm ein gemeinsames Programm aufzustellen. Hans Reinsch Hansen kannte Birte alias BB Bird von mehreren Besuchen im 'Swinging Oscar' und hatte mir vor Verhängung des deutschen Kriegsrechtes viele Künstler für Gastauftritte in meinem Lokal vermittelt. Wir einigten uns innerhalb einer halben Stunde, für BB Bird gemeinsam als kooperierende Konzertagenten zu agieren. Die Rohplanung sah neben je einer Woche im 'Swinging Oscar' auch Reisen und Auftritte in Odense und Aarhus vor.

Helle kam, wie versprochen, am 1. Juli am Kopenhagener Hauptbahnhof an. Ich hatte es nicht ausgehalten und war zum Bahnhof gelaufen, um sie persönlich zu begrüßen. Es war vermutlich die stürmischste und emotionalste Begrüßung meines Lebens. Wir hingen sicherlich eine Viertelstunde wie die Kletten aneinander, herzten und küssten uns, beide in Glückstränen aufgelöst. Helle hatte genauso wenig Gepäck dabei wie bei ihrer überstürzten Abreise, einen Koffer und einen Rucksack.

"Ich hoffe, Du hast noch alle meine Sachen im Schrank", lachte sie. "Sonst muss ich mir ganz schnell eine neue Garderobe machen lassen."

Ich grinste sie an. "Nicht ein Stück fehlt, meine Liebe. Manchmal, wenn mich die Sehnsucht nach Dir zu sehr übermannt hat, habe ich Deine Seite vom Schrank geöffnet und mir einfach vorgestellt, dass Du Dir ein neues Kleid herausholst."

"Dann ist es gut!" Wir hatten es eilig, zurück zu meinem Lokal und in mein Zuhause zu kommen. Deshalb nahmen wir ein Taxi für den Rückweg, auch diese Normalität war wieder selbstverständlich geworden.

Keine Stunde später lagen wir nackt auf meinem Bett und liebten uns mit einer Intensität und einer Hemmungslosigkeit, die den ganzen Frust der fast zweijährigen Trennung abbaute. Wir ließen keine unserer Lieblingspositionen aus. Von einem ersten, bis zum beiderseitigen Orgasmus getriebenen 69er über einen dann lang andauernden und uns beide in der sommerlichen Nachmittagshitze schweißnass werdenden Doggystyle-Cowgirl-Ritt-Wechsel war alles dabei. Ich glaube, wir haben uns zwei Stunden auf- und miteinander ausgetobt, bis wir beide vor Erschöpfung nicht mehr konnten. Dann rief die Pflicht im 'Swinging Oscar', es entstand ein Abend, den wir beide absolut genossen.

Am darauffolgenden Tag machten wir beide uns auf den Weg zu Helles früherer Wohnung, die sie bei ihrer Flucht mit wenigen Worten in die Obhut von Claus Norden gegeben hatte. "Ich bin wirklich aufgeregt, was mich erwartet", gestand sie mir, als wir den kurzen Spaziergang machten. "Eigentlich habe ich keine große Hoffnung, aber ich hatte so viele schöne Bilder und Kunstwerke, jedes davon hatte seine eigene Geschichte. Es wäre sehr schade, wenn das für immer verloren wäre."

Am Klingelschild und am Briefkasten hing ein neuer Name: "Claus Mogens Nørmark", der auch auf einem Messingschild neben der Wohnungstür stand. "Soll ich läuten oder gleich die Tür mit meinem Schlüssel aufschließen?" Helle schaute mich fragend an.

"Lass uns zuerst mal läuten. Wir wissen nicht, was und wer uns erwartet. Wenn überhaupt." Ich drückte auf den Klingelknopf, im Inneren hörte man einen relativ schrillen Klingelton, sehr schnell gefolgt von hörbaren Schritten auf dem Holzfußboden. Wir registrierten, dass der optische Sucher in der Tür von der Innenseite genutzt wurde, um zu sehen, wer vor der Tür stand. Dann hörten wir, wie im Inneren ein Riegel zurückgezogen und anscheinend eine Sicherungskette weggenommen wurde. Dann öffnete sich die massive Wohnungstür vollständig, ein Mann verbeugte sich mit einer einladenden Geste und sagte einfach: "Willkommen zuhause:" Der Mann war unzweideutig Klaus Norden.

Wir traten ein und Helle war wie vom Donner gerührt. "Du hast wirklich auf meine Wohnung aufgepasst, Klaus." Sie betrat ihr Wohnzimmer, dann drehte sie sich um, ging auf Klaus zu und umarmte ihn. "Klaus, Du bist großartig. Hier ist ja alles wie vor zwei Jahren!"

Klaus lächelte verlegen. "Helle, ich war zwei Jahre in Deiner Wohnung zu Gast. Und so habe ich mich auch benommen." Dann lachte er uns beide wechselweise an. "Und mir hat es die perfekte Möglichkeit gegeben, mich zu schützen und meine eigene Zukunft vorzubereiten. Wollt Ihr einen Kaffee? Ich habe mir einen sehr guten Vorrat sichern können."

Wir nahmen seine Einladung dankbar an und setzten uns anschließend in Helles Wohnzimmer zusammen. "Was machen wir jetzt?" fragte Helle schließlich.

"Ganz einfach, Helle", antwortete Klaus umgehend. "Es ist Deine Wohnung. Wann willst Du sie zurück haben?"

Helle war sichtbar verblüfft über Klaus direkte Antwort. Sie holte tief Luft. "Im Moment bin ich mehr als glücklich, bei Oscar in seinem Lokal und in seinem Haus zu sein. Ich bin gestern aus Schweden gekommen. Dort habe ich als Kunstlehrerin gearbeitet, jetzt sind Sommerferien. Ich bin ganz ehrlich, Oscar und ich haben noch keine Zeit gehabt, um über unsere Zukunft zu reden."

"Willst Du Deine Wohnung überhaupt zurückhaben?" Klaus lachte. "Deine Sachen sind alle wohl erhalten."

"Gib Oscar und mir die Gelegenheit, unsere Zukunft in den nächsten Tagen zu diskutieren. Dann finden wir eine gemeinsame Lösung."

Ich verfolgte das Gespräch mit großem Interesse, aber auch mit wachsender Neugierde. "Warum bist Du eigentlich mitten in Kopenhagen ohne irgendeine Einschränkung?"

Klaus lachte wieder. "Euch kann ich ja die Wahrheit sagen. Ich habe dies über ein Jahr vorbereitet. Und da kam mit diese Wohnung sehr gelegen. Ich habe mich parallel zu meiner Arbeit in Claus Mogens Nørmark verwandelt, habe mir neue, dänische Original-Papiere beschafft und unter meinem neuen Namen sogar eine dänische Rechtsanwalts-Zulassung beantragt und erhalten. Und da ich nie der Wehrmacht oder der SS oder der deutschen Polizei angehört habe, sucht auch niemand nach mir als Klaus Norden. Ich war ein ziviler Assistent von Dr. Best. Gut, der Reichsbevollmächtigte ist jetzt verhaftet, genauso wie eine Reihe anderer deutscher Funktionsträger, die in Dänemark gearbeitet haben. Aber mir ist kein Haftbefehl gegen Klaus Norden bekannt. Und erst recht nicht gegen Claus Nørmark."

"Das heißt, Du willst in Kopenhagen bleiben?"

"Ja. Mit Sicherheit besser, als nach Deutschland zurückzugehen. Ich bin zwar in Flensburg aufgewachsen, aber in Haderslev geboren." Er lachte wieder Helle an. "Genauso wie Du, geboren in Sønderjylland, bevor es wieder dänisch wurde. Also habe auch ich das juristische Recht auf die dänische Staatsangehörigkeit. Und das habe ich genutzt."

"Und woher kommt Dein neuer Name?"

"Ist eigentlich nicht neu. Ist der Name meines Großvaters, mütterlicherseits."

Am Ende des Kaffees verabschiedeten wir uns in aller Herzlichkeit und gingen zum 'Oscar' zurück. "Das war eine Überraschung, was?" fragte ich Helle.

"In der Tat, Oscar. Klaus hat sein Wort gehalten. All mein Besitz ist unbeschädigt und vollständig erhalten." Sie holte tief Luft. "Ich habe das wirklich nicht erwartet."

"Ich auch nicht. Ich habe Klaus seit seinem Informationsbesuch nicht mehr gesehen. Aber Respekt, er hat seine Zukunft raffiniert eingefädelt."

Helle und ich diskutierten in den Tat drei Tage lang, wie wir unsere Zukunft gestalten wollten. Zwischen unseren Gesprächen und den Abenden im Lokal liebten wir uns, so oft ich die Kraft dafür fand. Und wenn es dafür nicht reichte, nutzten wir unsere Münder, Zungen, Finger und Hände. "Wir holen die letzten zwei Jahre jeden Tag mehr auf", spotteten wir über uns gegenseitig. Und wir genossen uns gegenseitig wie zwei frisch Verliebte. Am Ende der drei Tage stand fest, dass Helle ihre Arbeit in Lund aufgeben, heimkommen und endgültig in mein Haus einziehen würde. Wir würden ihre Kunstwerke und die besten Möbel herüberbringen und in die beiden Wohnungen in den Obergeschossen integrieren. Die restlichen Möbel wollte Klaus übernehmen, der beabsichtigte, Helles Wohnung endgültig und dauerhaft zu bewohnen.

Eine Woche später kamen Helles Töchter nach Kopenhagen. Friederike machte sich sofort auf die Suche nach unserem neu ernannten Kriminalhauptkommissar und fand ihn im Hauptquartier der dänischen Kriminalpolizei. Ihre Begrüßung war aufgrund er dienstlichen Umstände kurz, aber heftig. Und sie verabredeten sich direkt, am Abend im 'Oscar' ihr Wiedersehen zu feiern.

Christiane hingegen war zunächst bei uns geblieben und ließ sich von Helle die erste Begegnung mit Klaus Norden berichten. "Er hat wirklich auf unsere Wohnung acht gegeben, so dass wir nichts verloren haben?"

"Ja, das hat er. Und wir haben uns jetzt sehr fair und freundschaftlich geeinigt, wie wir unsere Zukunft gestalten", bestätigte Helle.

"Denkst Du, dass er mich so einfach empfangen wird?" Christiane war immer noch vorsichtig und skeptisch.

"Ich gebe Dir meinen Hausschlüssel. Dann kommst Du erst einmal problemlos ins Haus. Klaus schaut durch den Sucher und ich bin mir sicher, sobald er Dich sieht, wird er sofort die Tür aufreißen."

Christiane ging am späten Nachmittag zur alten Familienwohnung. Und Helles Vorhersage bestätigte sich. Dreißig Minuten nachdem sie auf den Klingelknopf gedrückt hatte, lag Christiane auf Klaus und ritt seinen steil aufgerichteten Penis mit einer Leidenschaft und Hemmungslosigkeit, wie sie es beide noch nie erlebt hatten. Ihre Lust aufeinander war so groß, dass sie das Bett weder fürs Abendessen noch aus einem anderen Grund als einem kurzen Besuch auf der Toilette verließen. Sie hielten die halbe Nacht durch, bevor sie vollständig erschöpft eng umschlungen einschliefen.

Zwei Abende später saßen die drei wiedervereinigten Liebespaare zusammen an ihrem alten Stammtisch in der zentralen Nische des 'Swinging Oscar' und schworen sich gegenseitig, sich von keinem Umstand mehr je wieder trennen zu lassen. Oscar ließ sechs Gläser Champagner aus seinen Beständen bringen, die er über die Besatzungszeit der letzten zwei Jahre unbeschädigt durchgerettet hatte. Er hob sein Glas an.

"Letztendlich verdanken wir Klaus verräterischen Hinweis im September vor zwei Jahren, dass wir heute gesund und unbeschädigt wieder zusammensitzen. Wir haben alle zwei Jahre unseres gemeinsamen Lebens aufgrund dieses bösen Krieges verloren. So lasst uns darauf trinken, dass dies nie wieder passiert." Die sechs Gläser klangen hell aneinander.

Nachwort:

Oscar Nyrup Olsen und Professor Dr. Helle Schmidt heirateten im Frühjahr 1946 mit einer wahrhaftig gewaltigen Hochzeitsfeier im 'Swinging Oscar', bei der es Non-Stopp zwölf Stunden Live-Jazz-Musik von zwei Big-Bands, drei Jazz-Bands und zwei Piano-Solisten gab. Natürlich war der Hauptauftritt die mittlerweile Skandinavienweit etablierte Jazzsängerin 'BB Bird' mit der Big-Band von Danmarks Radio als etabliertem Jazz-Orchester, ein Auftritt der wenig später als einstündiger Live-Mitschnitt landesweit im Radio gesendet wurde.

Helles älteste Tochter Friederike blieb nicht lange in Kopenhagen und kehrte nach Schweden zurück. Oscars Neffe, Kriminalhauptkommissar Magnus Nyrup Olsen, hatte sich so hart in seine Aufgabe als aufklärender Polizeioffizier in die Kriegsverbrechen der Besatzungszeit verbissen, dass er keinen zeitlichen Freiraum und keine geistige Freizeit für irgendwelche privaten Aktivitäten mehr hatte.

Hingegen endete das Wiedersehen von Helles jüngerer Tochter Christiane und Klaus Norden alias Claus Mogens Nørmark drei Jahre später im Happy End. Claus hatte sich 1946 auf Anraten seiner Geliebten den dänischen Behörden mit seinem deutschen Namen zu erkennen gegeben und sich bereit erklärt, gegenüber den dänischen Ermittlungsbehörden detailliert auszusagen. Er selbst erhielt in seinem Gerichtsverfahren lediglich eine kurze Gefängnisstrafe von 12 Monaten, die unter Anrechnung seiner Zeit in Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt wurde. Überraschenderweise behielt er seine doppelstaatliche Rechtsanwaltszulassung, er etablierte sich als Rechtsexperte für dänisches und deutsches Recht und gründete jeweils mit einem örtlichen Partner Anwaltskanzleien in Kopenhagen und nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland in Hamburg. Claus und Christiane heirateten am 20. September 1949, dem sechsten Jahrestag der erfolgreichen Flucht der drei Schmidt-Frauen nach Schweden.



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