Das Experiment (fm:Verführung, 6859 Wörter) | ||
Autor: Alphata | ||
Veröffentlicht: Nov 29 2008 | Gesehen / Gelesen: 38233 / 30107 [79%] | Bewertung Geschichte: 9.12 (168 Stimmen) |
Vor Anton lag ein herrlich freier Sommernachmittag -- und er endete mit einem total abgefahrenen Experiment ... |
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"Ok, kein Problem. Dann bis nächste Woche!" Anton klappte das Handy zu und schaute es noch eine kurze Weile an.
Es war Freitagnachmittag, einer der schönsten Sommertage des Jahres. Die Sonne glitzerte vom Himmel, fing jedes Leben in den Straßen der Stadt ein und brachte es fast zum Erliegen. Die Luft stand.
Der Anruf kam überraschend, und er brachte seine Nachmittagsplanung zumindest kurzfristig durcheinander. Das heißt, er befreite Anton eigentlich von der etwas lästigen Pflicht, ein schon länger ausgemachtes Kooperationsgespräch mit ein paar jungen Leuten zu führen. Sie wollten unbedingt ihre Fähigkeiten beim Webdesign einbringen und sie mit seiner Arbeit als Unternehmensberater im Ausland verbinden. Nun hatten die Jungs abgesagt bzw. das Treffen auf nächste Woche verschoben; irgendetwas Wichtiges hatten sie an dem Tag noch fertig zu stellen.
Je mehr er nachdachte, desto mehr breitete sich eine innere Zufriedenheit und Gelassenheit in ihm aus. Unerwartete Pausen sind eigentlich ein Geschenk des Himmels, besonders an so einem perfekten Tag. Die Stadt ist am schönsten, wenn sie halb-verlassen ist, oder zumindest wenn das Leben mal den einen oder anderen Pulsschlag aussetzt. So wie an diesem Freitag.
Um 20 Uhr hatte er sich bei einem Freund angekündigt: quatschen, zusammen sitzen, was trinken und einfach den Abend genießen. Das war in fünf Stunden. So viel Zeit hatte er selten für sich allein. Und Anton begann, die unerwartete Wendung des Tages mehr und mehr zu genießen.
"Fünf Stunden einfach Zeit haben und das ohne die geringste Verpflichtung - irgendwie geil!" freute er sich. Drei Dinge manifestierten sich fast gleichzeitig in seinem Gehirn und hingen erwartungsvoll in der Luft: Espresso, Zeitschriften und ausgestreckte Beine. Das schrie nach Umsetzung.
Am Kiosk erstand er zwei Magazine, in ihrer Kombination wohl einzigartig an diesem Tag in dieser Stadt: "abenteuer & reisen" sowie "brand eins": weite Welt trifft unkonventionelle Wirtschaft. Genau das Richtige in diesem Moment.
Keine drei Minuten später saß er leicht erhöht über dem Gehsteig in einem kleinen, gemütlichen Café und drapierte sich wohlweislich um die dreibeinigen Tischchen herum. Ein netter Blick auf die Bedienung, eine freundliche Bestellung und schon hatte sich noch ein viertes Ding manifestiert: ein Martini, weiß, mit Eiswürfel. Wenn schon Genuss, dann mit Stil.
Zucker in den Kaffee einrühren, Reisezeitschrift aufschlagen, am Martini nippen und die ausgestreckten Beine sortieren: Anton muss das Idealbild eines freitäglichen Müßiggängers abgegeben haben. Zumindest war sein Äußeres annähernd überzeugend: Sonnenbrille in den langen Haaren, 3-Tage-Bart, sandfarbenes Leinenhemd und weite, luftige Hosen. Mit der Getränkeauswahl auf seinem Tischchen war das Italienfeeling nahezu perfekt.
Er vertiefte sich in den Bericht über die Sanddünenodyssee einer Abenteurergruppe in der libyschen Wüste und steckte gerade gebannt mit den Teilnehmern in einer riesenhaften Verwehung fest, als plötzlich Bewegung in die drückende Hitzeplattheit des Cafés kam. Den Stimmen nach zu schließen nahmen hinter ihm zwei Frauen Platz. Sie unterhielten sich angeregt, jedoch eigenartigerweise in fast flüsterndem Tonfall.
Anton wandte sich wieder seiner Reisereportage und den Sandblechen zu - zumindest so lange, bis er durch eine laute Bestellung aufgeschreckt wurde, welche die sengende Ruhe des Nachmittags durchschnitt: "Zwei Espresso und zwei Martini Bianco, mit Eis, bitte."
Die Stimme war angenehm, und bei der Bestellung fühlte er sich unweigerlich an seinen eigenen Tisch erinnert. Er nahm seinen Martini hoch, beäugte ihn gegen das matte Licht im Halbdunkel des Cafés und setzte ihn langsam an.
"Wohl bekomm's!" tönte es von hinten - bestimmt, aber unverbindlich. Irgendwie nett. Anton drehte sich leicht, prostete unaufdringlich zurück und lächelte. Nicht übel.
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