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Die Nachbarin (fm:1 auf 1, 4761 Wörter) [1/3] alle Teile anzeigen

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Veröffentlicht: Apr 20 2013 Gesehen / Gelesen: 49057 / 39337 [80%] Bewertung Teil: 9.25 (128 Stimmen)
Heute ist ein schöner sonniger Tag. Das macht ihn mutig. Heute spricht er seine neue Nachbarin, die mit den schönen Nylonbeinen, einfach an.

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"Medium rare oder medium well done?"

"Medium medium."

*

Sie bückt sich, um etwas aus der untersten Schublade zu nehmen. Sie streckt ihm den Hintern, den kein Kleid oder Rock, sondern lediglich die Strumpfhose bedeckt - aber das dürfte sie vergessen haben - entgegen. Vier Fragen schießen ihm in den Kopf, als er ihren schwarzen Strumpfhosenhintern betrachtet.

1. Macht sie das absichtlich? 2. Hat sie vergessen, dass sie nur eine Schürze trägt? 3. Tu ich so, als hätte ich nichts bemerkt? 4. Und überhaupt? Was tun?

Unbewusst gesellen sich noch zwei weitere Fragen hinzu. Trägt sie wirklich nichts drunter? Die letzte Frage kommt ganz automatisch, er nimmt sie kaum noch wahr: 30, 40 oder 50 Denier? All diese Möglichkeiten stürzen im selben Moment auf sein überfordertes Hirn ein. Endlich (der Augenblick hat nur zwei Sekunden gedauert) hat er sich entschlossen, etwas zu sagen. Eine schlagfertige, witzige Bemerkung. Irgendwas über schöne Aussichten, einen Panoramablick. Aber als sie sich zu ihm umdreht, ein Küchenutensil in der Hand, das er noch nie gesehen hat, steht nur sein Mund offen. Sein Blick ist festgefroren und haftet nun auf der roten Schürze.

"Max?" Im nächsten Moment erfasst sie die Situation. Sie wird rot. "O Gott, ist mir das peinlich. Also... das war keine Absicht... nicht dass Sie einen falschen Eindruck von mir bekommen. Ich bin nicht... so."

Er grinst, weil ihm nichts anderes einfällt.

"Das ist nur Ihre Schuld. Es gibt keinen Stau zwischen unseren Türen." Dort nicht, denkt er und fühlt seinen Schwanz pochen. "Danke", sagt er und behält sein Grinsen.

Sie gibt ihm mit dem geheimnisvollen Werkzeug einen Klaps aufs Knie. Und lächelt dabei. "Ich zieh mir rasch was über. Irgendwie komm ich mir nackt vor. Nehmen Sie sich inzwischen was aus dem Kühlschrank. Ich hätte gern ein Ginger Ale."

Als sie in einem anderen Zimmer verschwunden ist, macht er zwei Gläser fertig. Mit Eis und Zitronenscheiben. Strohhalme findet er keine. "Keine Angst", ruft er zu ihr herüber, "ich konnte nicht erkennen, ob Sie heute Abend privat oder geschäftlich unterwegs sind."

Er sitzt wieder am Küchentisch, rührt mit einem Finger in seinem Drink, als wäre es ein Martini. Sie kommt zurück, immer noch in der roten Schürze und stellt sich wieder an den Herd. Ihr Hintern ist jetzt von einem kurzen, roten Rock bedeckt, etwas dunkler als die Schürze. "Danke für die Strumpfhose", sagt sie, den Rücken ihm zugewandt, rührend, würzend. "Das ist witzig. Durch den Umzug bin ich endlich mal dazu gekommen, meine Strumpfhosen zu zählen. Und ich kann verkünden: Sie schenkten mir Numero 53."

"Wow", sagt er, "das sind wirklich viele." Er rührt weiter in seinem kalten Ginger Ale und glotzt auf ihre schimmernden Waden.

"Find ich auch. Die haben Sie sehr schön ausgesucht. Hab ich zwar schon, aber jetzt ist sie wenigstens nicht mehr tabu."

Er nimmt einen ersten Schluck und ist wie immer überrascht, dass das Zeug so dermaßen auf seiner Zunge prickelt. "Tabu?"

Sie rührt weiter, schmeckt dann ab. "Ach, schon gut. Chatten Sie?"

"Ab und zu", antwortet er ausweichend, "kommt schon vor. Ist 'Tabu' dort ein Codewort für irgendwas?"

Sie dreht sich um und wischt ihre Hände an der Schürze ab. "Nein, eher ein viel zu oft benutztes Wort, wenn Sie mich fragen. Hunger?"

Der Esstisch im Wohnzimmer ist liebevoll gedeckt. Die Servietten kunstvoll zu Schwänen gefaltet, in den eckigen Glasvasen orangefarbene Tulpen, auf dem naturweißen Leinentischtuch kunstvoll drapierte Gräser, brennende Kerzen im gleichen Farbton wie die Tulpen.

"Schön haben Sie das gemacht", sagt er.

*

Sie lächelt, denn sie kann zwar kochen, doch wenn es ums Dekorieren geht, hat sie zwei linke Hände. Deshalb hat sie vorher panisch ihre Schwester angerufen, die eine Stunde später mit einer Tasche Utensilien, den Blumen und einer gehörigen Portion Neugierde aufgetaucht ist. "Du hast ein Date mit dem Nachbarn? Mit dem attraktiven Typen von gegenüber, der dir auf die Beine starrt, seit du dort eingezogen bist? Dein erstes Date seit einem Jahr, oder? Und? Wirst du mit ihm schlafen?"

Nein, denkt sie, als sie die Weinflasche öffnet, werde ich nicht. So einfach mache ich es ihm nicht. Obwohl sie ziemlich ausgehungert ist, denn ihr letztes Date ist ein Jahr her, ihr letzter Sex mit jemand anderem als sich selbst doppelt so lang.

"Für mich bitte keinen Wein. Sie können gern welchen trinken, Sie wohnen ja hier, aber ich muss noch heimfahren."

Sie mag Männer mit Humor. "Sie haben Recht, ich möchte nicht verantworten, dass Sie nach dem Stau auch noch in eine Verkehrskontrolle geraten." Sie beißt sich auf die Unterlippe und verschluckt die Metapher mit dem unkontrollierten Verkehr.

"Wie haben Sie das vorher mit dem Tabu gemeint?" Er beißt nicht auf die Lippe, sondern in das Steak.

"Ach, alle Welt im Erotikchat bezeichnet sich selbst als tabulos, offen und hemmungslos. Die dürften sich allerdings in ihren Wohnungen einschließen und vor der Öffentlichkeit verstecken. Denn wenn ich auf die Straße gehe, blicken mich nur griesgrämige, verschlossene und gehemmte Menschen an."

"Was treibt eine Frau wie Sie eigentlich in den Erotikchat?"

"Das frag ich mich manchmal auch. Prost." Sie hebt ihr Glas. "Auf eine gute Nachbarschaft, Max. Und auf einen schönen Abend. Das vorhin war übrigens nicht Absicht. Also der fehlende Rock. Nur damit Sie's wissen. Ich wollt ihn nur nicht anpatzen." Sie nestelt am Serviettenschwan herum. "Ich bin grad ziemlich aufgeregt und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das passiert mir selten."

"Was macht Sie aufgeregt? Das Fleisch ist jedenfalls auf den Punkt gebraten." Er drückt mit dem Zeigefinger erst auf das Steak, danach auf seine Nase. Das hat er in einer der zahlreichen Kochshows gesehen. "Perfekt. Und Ihres, soweit ich das erkennen kann, auch."

Sie lacht laut. "Mein Fleisch ist also auf den Punkt gebraten?" Sie zieht den ohnehin kurzen Rock noch ein Stückchen höher. "Wollen Sie auch?" "Ja. Ich will."

*

Hastig steckt er sich noch ein Stück vom köstlichen Steak in den Mund und wischt sich im Aufstehen die Hände an einer Serviette ab. Seine Nachbarin ist etwas vom Tisch weggerückt, hat die Beine übereinandergeschlagen und präsentiert ihm lächelnd ein schwarz verhülltes, im Halbdunkel schimmerndes Bein. Er ist froh, Zeit zu gewinnen, indem er auf seinen kauenden Mund deutet, schamlos auf ihren Schenkel starrend.

Er beugt sich etwas zu ihr herunter, atmet ihren Duft ein, den er als weiblich-unaufdringlich beschreiben würde, wenn er müsste, aber zum Glück muss er nicht, denn diese Zuschreibung ist ziemlich fantasielos, denkt er. Er drückt seinen Zeigefinger sanft in die Mitte ihres Oberschenkels. Sie schauen einander in die Augen, ihre glänzen, so wie ihre Lippen glänzen. So dezent und versteckt ihr Duft ist, so knallrot leuchtet ihr Lippenstift. Er passt gut zur Schürze, denkt er und dass er die ganze Zeit einen Blödsinn denkt.

"Man könnte meinen, Sie wollten mich verhexen", sagt sie und lacht dann. Sein Finger ruht immer noch auf ihrem Bein, wie lange schon, weiß er nicht. Schnell nimmt er ihn weg und macht ein Quietschgeräusch, als er ihn an seine Nasenspitze führt. "Und?", fragt sie. Den Rock lässt sie so, wie er ist, sie wackelt ein wenig mit dem Fuß.

"Wie ich vermutete", sagt er, "perfektes Fleisch. Fest und griffig."

"Noch etwas?", hakt sie nach, streichelt wie zufällig über ihr Knie, und er meint, es knistern zu hören.

"Hm. Darf ich noch mal?"

Sie nickt. "Nur zu. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, die Beschaffenheit seines Fleisches bewertet zu bekommen. Das muss ich ausnutzen."

Diesmal nimmt er Daumen und Zeigefinger, bekommt ihre Strumpfhose dazwischen und reibt sie hin und her. Er schließt die Augen.

"Hmhmhm", macht er, linst durch ein Auge und sieht, wie sie das Schauspiel belustigt verfolgt. "Schwierig. 50 DEN, würde ich sagen. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Irgendsowas."

Wieder lacht sie. "So sage ich auch immer die Fußballergebnisse voraus: Entweder spielen die Unentschieden, oder die Heimmannschaft gewinnt. Möglich aber auch, dass es einen Auswärtssieg gibt. Aber Respekt, es sind 40. Ich kenne keinen Mann, der sich mit Denier auskennt. Sind Sie Strumpfhosenvertreter?"

Er schluckt. Das war sein letzter Nick im Erotikchat, gerade mal ein paar Tage her. Er hatte zwei schöne und geile Stunden mit einer Frau verbracht, die am Computer sogar einen Orgasmus gehabt hatte. In Strumpfhose. Wenn er ihr das glauben wollte. Wenn er ihr glauben wollte, dass sie wirklich eine Frau war. Glauben und Chat sind so eine Sache. "Nein, leider nicht", sagt er, als er wieder an seinem Platz sitzt, "gibt es denn so etwas? Da würde ich mich glatt noch mal umschulen lassen."

Sie schiebt sich ihr letztes Stück Steak in den Mund, und er findet, sie lässt die Gabel länger als nötig zwischen ihren Lippen. Er hat nichts dagegen. "Da müssen Sie aber noch eine Menge lernen, mein Herr."

Er hat schon aufgegessen, leckt sich über die Lippen. "Das war ganz, ganz köstlich, meine Dame."

Sie steht auf, räumt das Geschirr zusammen. Er folgt ihr in die Küche. Sie steht leicht gebückt vor der Spülmaschine, reckt ihm zum zweiten Mal heute ihren Hintern entgegen, der Rock zum Zerreißen gespannt. Er fragt sich, warum er sich heute keinen runtergeholt hat. Eine rote Haarsträhne hängt ihr in der Stirn, als sie ihn von unten ansieht und sein Geschirr entgegennimmt. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Er möchte ihn küssen. Und noch viel mehr. Der Augenblick verfliegt. "Nehmen wir den Kaffee im Wohnzimmer?"

"Gerne." Die Garnitur sieht aus wie aus der Jahrhundertwende. Braunes, altes Leder, vermutlich auf antik getrimmt und vermutlich sauteuer. Ein breites Sofa, an beiden Enden jeweils der dazugehörige Sessel. Er setzt sich in die Mitte des Sofas.

"Sie haben guten Geschmack", er streichelt mit beiden Händen über das glatte Leder.

"Danke. Darüber lasse ich auch nicht mit mir streiten." Sie stellt zwei hohe Gläser auf den Tisch.

"Oh, lecker", entfährt es ihm, "ich liebe Latte." Sie schauen sich eine Sekunde lang an, dann prusten sie los. Sie setzt sich in einen der Sessel, lehnt sich zurück und pustet in ihren Macchiato.

"Wissen Sie was", sagt sie leise und schaut ihm in die Augen, "ich auch. Haben Sie eine Frau oder eine Freundin?"

"Warum?" Mutig legt er seine Hand auf ihren warmen Oberschenkel. Sie lässt ihn gewähren.

"Nur so. Prinzipien. Haben Sie auch Prinzipien?"

"Nein", sagt er. "Kann ich mir nicht leisten. Ich komm mit meinem Einkommen grad so über die Runden."

"Sie wissen gar nicht, wie reich Sie sind", sagt sie. "Reich an Witz und Geist. Diese Eigenschaften bei Männern sind vom Aussterben bedroht und stehen unter Naturschutz."

Er grinst ein wenig überheblich und schaut nach unten. "Ich hab noch mehr zu bieten."

"Nämlich?"

"Schnitt", sagt er, nimmt die Hand von ihrem Oberschenkel und steht abrupt auf. Er hält die ausgetreckte rechte Hand auf die Finger der linken. Timeout bedeutet diese Geste, das weiß sie aus ihrer Zeit als Handballerin. Er steht auf, geht zum Fenster und schaut hinaus. Sie kennt sich überhaupt nicht aus. Hat sie etwas Falsches gesagt oder gar getan? Hat er sich geschnitten, während er nervös mit dem Steakmesser gespielt hat. Was ist los?

"Schnitt? Sind Sie Regisseur?" Sie versucht so souverän wie möglich zu wirken. In Wahrheit ist sie verunsichert und weiß nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll. Mit einem Mann, den sie nur vom Sehen aus dem Stiegenhaus kennt, mit dem sie sich gerade eben noch angeregt unterhalten hat und der sie sehr erregt.

"Wäre ich Regisseur, hätte ich vermutlich ein Drehbuch, eine Ahnung vom Film, der gedreht wird und die Situation im Griff. In Wahrheit hab ich keine Ahnung, was hier gespielt wird. Ob Sie mit mir spielen", sagt er leiser. Er schaut sie nicht an, während er das sagt, sondern starrt angestrengt auf das Dach des gegenüberliegenden Hauses, als würde er darauf warten, dass die Lösung seines Problems gleich aus dem Rauchfang steigen würde.

"Männer." Sie trägt die Kaffeetassen in die Küche. "Glauben, immer alles im Griff haben zu müssen. Dabei macht es sie viel sympathischer, wenn sie Schwächen zugeben können." Sie wischt sich die Hände in der Schürze ab und tritt von hinten auf ihn zu. So nah, dass er ihren Atem spüren kann, obwohl sie viel kleiner ist als er. Dann reibt sie sanft mit ihren warmen Händen seinen Rücken, ganz vorsichtig erst. Sie wagt ihn kaum zu berühren. Erst als ihr klar ist, dass er sie nicht zurückstößt, erlaubt sie ihren Händen unter sein Shirt zu kriechen.

*

Er kennt diese Stimmung. Er kennt sie sogar sehr gut, ist aber jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn sie ihn überkommt. Nein, nicht überkommt. Vielmehr überfällt. Noch besser: befällt. Wie ein Virus. Im Laufe der Zeit hat er es aufgegeben dagegen zu steuern. Manchmal passiert es im Stadion, wenn er einer von 40.000 ist, die Zeuge eines unglaublichen Spiels werden, weil ihre Mannschaft vielleicht einen 0:3-Rückstand in ein 4:3 verwandelt hat. Dann steht er auch nur stumm und vermutlich mit offenem Mund (es würde ihn auch nicht wundern, wenn ihm ein Rinnsal Spucke den Mundwinkel hinablaufen würde) in der tosenden Kurve und ist schier fassungslos. Überfordert. Überwältigt von den Gefühlen, die auf ihn einstürzen und ihn gefrieren lassen. Vielleicht fiele ihm ein Arm oder ein Ohr ab, wenn man ihn in so einem Moment schütteln würde.

Jetzt ist es wieder so. Er spürt ihren Unterleib, der sich gegen seinen Hintern drängelt, die warmen Hände unter seinem Shirt, die noch unsicher sind, dabei aber keinesfalls tapsig, sondern neugierig und forsch. Er starrt auf das Dach gegenüber, bis sein Blick verschwimmt. Er könnte nicht sagen, welche Farbe die Ziegel haben. Als ihre Fingerspitzen die empfindliche Stelle neben seinem Bauchnabel berühren, schüttelt er sich unter einem Schauer. Er ist woanders. In sich. Und während er irgendwo hinschaut, ohne etwas zu sehen, betrachtet er sich von außen.

"Alles in Ordnung?", fragt sie und verharrt.

Langsam wird sein Blick wieder scharf. Da sitzt eine Taube auf dem Schornstein. Mit ihren Augen hat er sich grad noch gesehen. Das Dach ist anthrazitfarben. "Alles bestens", sagt er. Und weil er unbedingt wieder Kontakt mit dem Hier und Jetzt haben muss, führt er seine Arme nach hinten und legt seine Hände auf ihren Hintern. Er gräbt seine Finger in ihr Fleisch, knetet es, drückt darin herum, als sei es die einzige Verbindung zur Realität.

"Jetzt hab ich's", sagt sie. "Sie sind Bäcker. Ein schöner Beruf. Aber jetzt haben Sie Feierabend, und mein Hintern ist kein Teig." Ihre Hände bewegen sich wieder, eine streichelt über seine Brustwarze, die andere zieht seinen Gürtel aus der Schnalle. Er nimmt die Hand, küsst sie und dreht sich um.

"Ich weiß", sagt er leise, ihre Hand noch immer vor seinem Mund. "Als guter Bäcker weiß ich natürlich, woher der Teig kommt. Ich hatte ihn noch nie gesiebt."

Ihr erster Kuss ist wild. Nass. Mit Zungen wie ein Sturm. Ihre Hände wissen nicht, wohin zuerst, krallen sich in Haut, tatschen ungestüm am Körper des anderen herum, schneller, mehr, überall.

"Gott, ich halt's nicht mehr aus", keucht sie in seinen Mund und fasst zwischen seine Beine.

Er drückt sie gegen die Fensterbank, sieht die Taube wegflattern und geht vor ihr auf die Knie.

*

Die Nässe bahnt sich ihren Weg durch das Nylon, während ihre Bedenken, die Angst, und die Unsicherheit mit der Taube weggeflattert sind.

Bis vor wenigen Minuten war der Abend tatsächlich ein Spiel für sie gewesen. Ein spannendes Spiel zwischen Nähe und Distanz, zwischen Necken und Provozieren, ein Ziehen und Stoßen. Durch sein "Schnitt" aber ist die Fassade eingestürzt, in ihren Augen ist er nicht mehr nur der souveräne, attraktive Nachbar, der ihr im Stiegenhaus immer auf die Beine starrt, durch den Schnitt ist er ein verletzlicher Mann geworden, einer, der ihr Inneres berührt.

Jetzt nähert er sich ihrem Innersten mit seinen Fingern, ganz behutsam streichelt er über ihre Oberschenkel, nicht so wie vorhin, als er die Fleischqualität überprüft und für in Ordnung befunden hat. Jetzt gilt es nichts zu überprüfen und zu beweisen. In diesem Moment fühlt sie sich aufregend und wunderschön. Was sind da schon ein paar Dellen im Leben und in den Oberschenkeln?

"Ich hab das noch nie gemacht", sagt er und sie spürt seinen warmen Atem an ihrer Scham. Ihre Finger wühlen sich in sein Haar, während seine Augen sich an dem Bild vor sich festkrallen.

"Was genau? Eine Frau geleckt?" Dabei hat er sie mit der Zunge noch nicht einmal berührt.

"Doch, aber nicht so. Nicht eine quasi fremde Frau. Und nicht durch eine Strumpfhose."

"Ich hab das auch noch nie mit mir machen lassen", flüstert sie und ist froh, dass sie nicht die einzige ist, die in dieser Beziehung noch jungfräulich ist.

Wie lange sie überhaupt keine andere Zunge mehr berührt hat als die raue ihrer Katze, wenn sie ihr die Finger ableckt, verschweigt sie ihm. Bisher hat sie ihre Fantasien nur im Chat ausgelebt und dabei das Gefühl bekommen, dass Männer in ihrer Freizeit neben Fußball und Pornos zu schauen nichts anderes tun als fremde Frauen durch Strumpfhosen zum Orgasmus zu lecken, sich durch Nylon lutschen lassen, und danach die Frau durch ein Loch, das sie gebissen oder geschnitten haben, ficken. Ja, sie hat es im Chat genossen und mitgespielt, wie mit diesem "Strumpfhosenvertreter" letztens, der ihr erzählt hat, dass Sex und Strumpfhosen für ihn zusammengehörten wie Hannover und 96. Dass sein Leben ohne das eine und das andere keinen Sinn hätte. Sie hat sich von ihm im Chat verführen lassen, wie von vielen anderen Nylonfetischisten ohne Tabus auch.

Diese Situation hier ist eine ganz andere. Das hier sind nicht nur leicht dahingetippte Worte, zu denen sie sich reibt; sie hört den Klang seiner warmen Stimme, atmet seinen Geruch ein, eine Mischung zwischen steirischem Weiderind und frisch gefallenem Schnee. Das hier ist echt, zum Anfassen. Sie kann das Fenster, vor dem sie steht und er kniet, nicht einfach wegklicken, wenn es ihr zu viel wird oder sie gekommen ist und sich für ihre Geilheit und Gier schämt. Sie will es auch gar nicht wegklicken, wird ihr bewusst, als seine Zunge sie endlich berührt. Wie oft hat sie sich genau diesen Augenblick in ihrer Fantasie ausgemalt. Sie, die Beine gespreizt, vor ihr ein Mann, der ihre verhüllte Möse bewundert und berührt; in wie vielen Varianten hat sie diesen ganz privaten, geheimen Film abgespult. Keine dieser Fantasien ist auch nur annähernd so aufregend gewesen wie das, was jetzt mit ihr passiert. Sie beißt sich in die Hand, so schön ist das Gefühl, das seine Zunge auslöst. Sie will nicht laut aufschreien und ihn dadurch möglicherweise erschrecken.

*

Er hat das Gefühl, verrückt zu werden. Kein 'verrückt' im abgedroschenen Sinn, sondern wirklich ver-rückt. Neben sich. Er kann sich selbst sehen, wie er vor dieser nahezu fremden - und wenn er den dunklen Fleck in ihrer Strumpfhose richtig deutet - ziemlich erregten Frau kniet, seine Hände auf ihren Oberschenkeln... er sieht seine eigene Zunge, die glänzend aus seinem Mund schlängelt und vorsichtig den nassen, warmen Fleck erkundet. Oh, nicht dass er diese und andere Szenen nicht bereits hundertmal durchlebt hätte. Oder, nein, eben das stimmt nicht. Mit dem Leben und seinen Verben durchleben, erleben, ausleben hatten die Szenen nichts zu tun gehabt: Er hatte nicht gelogen, als er sagte, er habe so etwas noch nie gemacht. Hundertmal hat er solche Bilder gesehen, mit geschlossenen Augen, wenn er auf dem Sofa lag und sich gewichst hat. Tausendmal. Manchmal waren die Augen auch geöffnet, dann lief ein Porno auf seinem Laptop. Die Frauen in diesen Pornos trugen immer Strumpfhosen. Und die Männer machten mit ihnen das, was er jetzt, genau jetzt, mit seiner Nachbarin macht. Und es gefällt ihr! Er kann sie leise stöhnen hören. Über 40 Jahre musste er alt werden, um seine geheimsten Phantasien und Träume nicht nur zu sehen, sondern wahrhaftig zu leben. Er grinst vor ihrer verhüllten Nylonmöse. Wenn das kein Grund war, um verrückt zu werden - was dann?

Und was dem Ganzen die Krone aufsetzt: Nichts von alldem ist geplant. Er war sich immer sicher gewesen, würde er jemals eine Frau durch ihre Strumpfhose lecken, dann wären dem Inserate in irgendwelchen einschlägigen Seitensprungbörsen vorausgegangen. Bisher konnte er sich beherrschen. Für ihn hatten solche Tummelplätze der Notgeilheit etwas von Bettlertum. 20 Kerle, die sich auf ihren eigenen Schleimspuren anbiedern, um die eine Frau zu überzeugen, die ihre Strumpfhose beim Sex nicht zwangsläufig auszieht.

Diese Gedanken, die sich nur in Fragmenten und Fetzen bilden, schießen wie kleine Blitze in wenigen Sekunden durch sein Hirn. Unterbrochen werden sie, als er plötzlich ihre Finger vor seinen Augen sieht. Zwei davon greifen den durchweichten Baumwollzwickel der Strumpfhose und ziehen ihn ein paar Zentimeter zur Seite. Das Ergebnis überwältigt ihn. Jetzt trennt nur hauchdünnes Nylon ihre Möse von seiner Zunge. Er stützt sich an ihren Knien ab und lehnt sich ein Stück nach hinten, um aus dem Zoom ein Panorama zu machen. "Wunderschön", sagt er und bewundert ihre glattrasierte, schwarz verhüllte Scham.

"Danke sehr. Und wie gefällt Ihnen das?" Ihre andere Hand gleitet unter den Bund der Strumpfhose, mit Zeige- und Mittelfinger spreizt sie ihre Schamlippen und gewährt ihm Einblicke, die er noch in keinem Porno zu sehen bekam.

Und dann leckt er sie endlich. Leckt ihre Strumpfhosenmöse, bis sich ihre Finger in seine Haare krallen und ihr Becken gegen seine Stirn stößt; bis er die richtige Stelle gefunden hat und mit dem passenden Druck ihren Kitzler verwöhnt. Ganz sanft mag sie es, wie eine starke Brise, wie geküsst. Ihre Hände umfassen seinen Hinterkopf und pressen sein Gesicht fest zwischen ihre Beine. Er hört ihren Schrei, als wäre sie in einem anderen Zimmer. Gierig schluckt er eine Portion ihres Kuchenteiges und will danach sofort weitermachen, aber sie drückt seinen Kopf nach hinten. Ihre Knie zittern.

"Puuuuuh... Pause!", ruft sie mit in den Nacken gelegten Kopf.

Er leckt sich die Lippen. "Gibt's Kaffee?", fragt er, steht auf und schiebt seine Zunge in ihren Mund.

*

Sie kommt nicht zum Antworten. Jetzt schmeckt er nicht nur nach steirischem Weidejungrind und frischgefallenem Schnee, er schmeckt nach steirischem Weidejungrind im frischgefallenen Schnee mit Honigmelonenchutney. Natürlich hat sie sich schon mal selbst geschmeckt. Den Finger tief in ihre glitschige Spalte geschoben und daran geleckt. Aber der Geschmack war unspektakulär gewesen, im Gegensatz zu dem, den sie jetzt in ihrem Mund hat.

Langsam lösen sich ihre Lippen voneinander. "Wir hatten doch schon Kaffee", sie legt ihre Hände auf seinen Arsch, zieht ihn näher zu sich und reibt dabei so unauffällig wie möglich ihr Becken an seinem. Sie spürt seinen harten Schwanz durch seine Jeans. Herz und Möse pochen immer noch. Sie bohrt ihre Augen in seine. "Gibt's außer Kaffee noch etwas, womit ich Ihnen Freude machen könnte?"

"Ja. Wenn Sie ein Stück Kuchen dazuhaben?"

"Sind Sie durch den Kuchenteig auf den Geschmack gekommen?"

Sie presst sich noch einmal gegen ihn, bevor sie in die Küche geht und mit zwei Tassen Kaffee und zwei Portionen Tiramisu wiederkommt. Sie kennt sich nicht aus. Sie hat mit einem Jetzt können Sie in die Knie gehen und sich revanchieren oder etwas ähnlichem gerechnet. Oder damit, dass er sie wortlos zum Sofa führt, sie ihm ihren Hintern entgegenreckt, er ihren Rock hochschiebt und sie von hinten nimmt. Mit allem hat sie gerechnet, aber nicht damit, dass er sich mit Kaffee und Kuchen zufriedengibt.

"Hab ich etwas falsch gemacht?", fragt sie unsicher, während er den Milchschaum von ihren Lippen leckt.

"Wir haben alles richtig gemacht", lächelt er sie an und schaut auf die Uhr. "Ich werde dann trotzdem gehen. In zehn Minuten spielt Hannover gegen Dortmund."

Sie starrt ihn fassungslos an und fühlt sich, als hätte er einen Kübel kaltes Wasser über sie geschüttet. Ein Fußballmatch ist ihm wichtiger als Sex mit ihr? Sie weiß nicht, wohin mit ihrer Wut, sie will sich keine Blöße geben, sie kennt ihn doch kaum, und schluckt ihren Zorn tapfer mit dem Tiramisu hinunter.

"Ja dann", sie steht auf und streckt ihm die Hand entgegen, "ein schönes Spiel wünsch ich Ihnen. Möge der bessere gewinnen." Sie merkt selbst, dass ihr Versuch, nicht beleidigt oder schnippisch zu klingen, in die Strumpfhose gegangen ist.

Er lacht laut. "Sie interessieren sich nicht für Fußball, oder?"

"Wie kommen Sie da drauf?"

"Hannover hat schon gestern gespielt. Wir haben 1:3 verloren."

"Mein Beileid."

Er nimmt ihr Gesicht in beide Hände und bedeckt es mit Küssen, küsst ihre Angst und ihre Bedenken weg.

"Ich will mit Ihnen schlafen", flüstert sie und ihre Hände kriechen wieder unter sein Shirt.

"Ich will das auch. Aber ich werde jetzt wirklich gehen."

"Warum?", presst sie hervor.

"Sie werden es nicht verstehen. Ich versteh es ja selbst nicht. Sie vorhin zu lecken war ein derart überwältigendes Erlebnis für mich, dass es nicht zu toppen ist. Ich brauche Zeit, um das zu verarbeiten. Sie haben mir einen Traum erfüllt, so etwas passiert nicht jeden Tag. Dafür danke ich Ihnen."

Er hat recht. Sie kann es nicht verstehen. "Sehen wir uns wieder?" Da ist es wieder, dieses kleine Mädchen in ihr, das geliebt werden will, dass Nähe braucht und Aufmerksamkeit.

"Natürlich sehen wir uns wieder. Nicht nur im Stiegenhaus. Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben, ja?" Er streicht ein letztes Mal mit seinen Fingern über ihre Oberschenkel, schiebt seinen Finger durch das Nylon in ihre Möse, leckt ihn ab und küsst sie auf den Mund. Dann geht er, ohne sich noch einmal umzudrehen.

*

Sie könnte heulen. Sie könnte lachen. Sie könnte schreien. Vor Aufregung, vor Glück, vor Verzweiflung. Sie braucht jemandem, mit dem sie über das, was sie erlebt hat, über ihre Gefühle reden kann. Aber es gibt niemanden, dem sie sich anvertrauen kann. Ihre Freundinnen würden sie nicht verstehen, ihre Schwester noch weniger. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, fährt den Computer hoch und loggt sich in den Chat ein. "Calze all'arabbiata" tippt sie als Nickname ein.



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