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Ein Vorurteil (fm:Romantisch, 3698 Wörter)

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Veröffentlicht: May 10 2021 Gesehen / Gelesen: 16379 / 14334 [88%] Bewertung Geschichte: 9.27 (274 Stimmen)
Wie soll man damit umgehen, wenn plötzlich eine dunkelhäutige Krankenschwester vor der Tür steht und einen altmodischen Mann behandeln will?

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Ein Vorurteil

Als ich die Wohnungstür öffnete, blitzten mich zwei dunkle Augen freundlich an. Die Worte "Guten Morgen, ich bin Ihre neue Pflegekraft" nahm ich kaum wahr. Denn als ich die Person von oben bis unten musterte, war sie abgesehen von Kittel und Maske ganz schwarz. Eine dunkelhäutige Pflegerin, stellte ich für mich fest.

Ich wollte schon die Türe zuschlagen. Denn das kam für mich eigentlich nicht in Frage. Eine Ausländerin und noch dazu eine Schwarze wollte ich keineswegs an mich, an die Betreuung meiner Wunden lassen.

Vor drei Wochen hatte man mich wegen der notwendigen Belegung mit Covid-Patienten mehr oder weniger aus dem Krankenhaus geworfen. Aber ich brauchte nach der schweren Operation noch für einige Wochen eine Behandlung meiner großen Narbe, die fast über die ganze Frontseite verlief, und die immer noch nässte und sich nicht so schnell schloss.

Die ersten beiden Wochen war mir eine Hilde zugeteilt, die sich am Vortag verabschiedet hatte, weil sie eine andere Arbeitsstelle mit besserer Vergütung gefunden hatte.

Als sie in den Flur trat, ging mir durch den Kopf: Die Öffnung der Grenzen durch die Bundesregierung habe ich nie recht verstanden. Das Land könnte so viele, meist schlecht ausgebildete Menschen aus fremden Kulturen, mit fremden Gebräuchen und fremder Religion kaum verkraften.

Und nun stand ich vor der Frage: Soll ich so eine mit so dunklem Teint an mich ran lassen? Andererseits hätte ich wohl kaum eine Wahl. Denn ich brauchte die Hilfe jetzt, wollte ich nicht schwer Schaden nehmen. Zudem könnte ich wohl kaum darauf hoffen, dass man mir eine andere Kraft zeitnah zuwies.

So ließ ich sie, eher zähneknirschend, an meinen Körper. Sie nannte sich Michelle und war offensichtlich in der Wundbehandlung gut geübt. Zu meiner Überraschung sprach sie, wenn auch mit erkennbarem Akzent, verständliches Deutsch.

Als ich scheinbar interessiert nachfragte, erklärte sie mir, aus Burkina Faso in Westafrika zu stammen. Seit zehn Jahren lebe sie in Deutschland. Sie habe aus politischen Gründen fliehen müssen. In ihrer Heimat sei sie Ärztin gewesen. Die Ausbildung hätte man hier nicht anerkannt. Aber sie habe dann doch nach einer Prüfung auf verkürztem Wege eine Ausbildung zur Krankenschwester machen können.

Nach einer halben Stunde verabschiedete sich Michelle von mir mit einem Lächeln um die Augen. Morgen könnte es etwas später werden. Da müsste sie einen anderen Patienten vor mir zurecht machen.

Als die Wohnungstür hinter mir zuschlug, verharrte ich in einer gewissen Ratlosigkeit. Irgendwie war diese Frau liebenswürdig und sehr zugänglich, zudem ohne Zweifel kompetent. Wenn sie doch nur nicht so eine dunkle Hautfarbe hätte, ging mir durch den Sinn, könnte ich mich mit ihr und ihrem Anblick durchaus anfreunden.

Diese Gedanken beschäftigten mich dann noch den ganzen Tag über. Schließlich war doch bekannt, dass so viele von den Zugewanderten sich nicht in die hiesigen Verhältnisse einfinden wollten. Wenn sie nicht ohnehin nur darauf aus wären, sich es auf Kosten der deutschen Steuerzahler gut gehen zu lassen, hörte man doch ständig von kriminellen Übergriffen. Irgendwie passte das nicht zu dieser Michelle.

Diese Zweifel ließ ich mir nicht anmerken, als am nächsten Tag Michelle wiederum lächelnd an meiner Haustür stand. Als ich an ihr hinunterschaute, dachte ich an gestern, an ihre feingliedrigen Finger und ihre schmale zarte Hand. Mit wieviel mehr Sorgfalt und Feingefühl als die andere sie die Wunde eingecremt hatte. Dabei war sie zart über die empfindliche Narbe gestrichen und hatte anschließend ganz behutsam die Verbände aufgelegt.

Ihrem Akzent nach war ihre Heimatsprache wohl auch das Französische. Ja, sagte sie mir, eigentlich hätte sie nach Frankreich gehen wollen. Sie hätte dort auch für einige Wochen bei Bekannten illegal gelebt. Schließlich wäre sie dann mehr oder weniger zufällig in Deutschland

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