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Sie warten auf mich (fm:Selbstbefriedigung, 4676 Wörter) [1/5] alle Teile anzeigen

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Veröffentlicht: Jul 08 2021 Gesehen / Gelesen: 15212 / 12398 [82%] Bewertung Teil: 8.31 (59 Stimmen)
Eine junge Kassiererin erhält Umschläge mit Geld von einem mysteriösen Fremden, von dem sie glaubt, dass er sie daten will. Als sie sich schließlich mit ihm trifft, erlebt sie eine Überraschung.

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© Pacerio Dieser Text darf nur zum Eigengebrauch kopiert und nicht ohne die schriftliche Einwilligung des Autors anderweitig veröffentlicht werden. Zuwiderhandlungen ziehen strafrechtliche Verfolgung nach sich.

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Augenblick an, dass ich den nicht vergessen werde.

Er kaufte ein Glas Rotkraut. Vielleicht wollte er Sonntags was Schönes kochen und hatte gemerkt, dass kein Rotkraut mehr da war. Er trug einen Ring, aber am Zeigefinger, nicht am Ringfinger. Das Rotkraut kostete 88 Cent, weil es im Angebot war, er zahlte aber mit einem Ein-Euro-Stück und sagte: Stimmt so. Es gibt oft Leute, die bei 99 Cent einen Euro zahlen und Stimmt-so sagen, aber bei 88 Cent ist das schon seltener. Hinter ihm war niemand. Ich konnte die Kasse schließen und kurz einen Blick durch die Glastür werfen. Er stieg in irgend eine schwarze Riesenhütte von Auto und war weg.

Am nächsten Morgen konnte ich ausschlafen, Sonntags hatten wir ja immer frei, wenn nicht gerade Inventur war. Im Halbschlaf, als ich noch ein wenig im Bett blieb und mich freute, dass ich bei der Kälte nicht rausmusste und auch sonst keine Verpflichtungen hatte, kam mir der Typ wieder in den Sinn. Oder besser: Sein Blick. Es war nur so ein kurzer Blick gewesen, er hatte mich eigentlich gar nicht angesehen, und ich dachte, er hätte mich überhaupt nicht gesehen, sondern nur durch mich hindurch geschaut. Aber irgendwie war doch etwas Besonderes daran gewesen. Auch an diesem "Stimmt-so", das er gesagt hatte. Er hatte eine tiefe Stimme, die gar nicht zu seinem Äußeren passte. Die Stimme klang, als wäre sie gar nicht von ihm gewesen.

Am Mittwoch darauf, als ich ihn schon fast wieder vergessen hatte, tauchte er erneut auf. Wieder am späteren Abend. Der Laden war fast leer. Meistens sind wir dann nicht an der Kasse, weil wir im Lager oder bei den Regalen helfen. Es muss nur immer jemand schauen, ob ein Kunde zur Kasse geht.

Ich sah den grauen Mantel. Er ging zur Kasse. Irgendwie beschleunigte mein Puls, was ich damals sehr merkwürdig fand. Ich kannte den Typen nicht, hatte ihn nur ein einziges Mal gesehen, aber es war, als würde ich gleich irgend jemand Wichtigem begegnen. Ich ging schnell zur Kasse, ließ mich in meinen Sitz fallen und rechnete ab: Eine Packung Eier. Er hatte schon drei Euro auf der Hand, die Packung kostete 2,59, und während ich beschäftigt war, das Wechselgeld zusammenzusuchen, holte er ein verschlossenes Kuvert aus der Manteltasche. Er drückte es mir im Gehen in die Hand, sagte: Einen schönen Abend! und war weg.

Ich staunte nicht schlecht, das hatte ich noch nicht erlebt. Wieder war da dieser Blick gewesen, der mich eigentlich gar nicht betraf, der aber so markant war, dass er mir nicht mehr aus dem Sinn ging. Der Typ dürfte um die dreißig gewesen sein, vielleicht auch vierzig, vielleicht fünfzig. Keine Ahnung. Bei manchen Leuten lässt sich das Alter ja wirklich schlecht schätzen. Jedenfalls war er ein ganzes Stück älter als ich. Ich packte das Kuvert gleich in meinen Rucksack in meinem Schließfach. Wir dürfen keine Geschenke annehmen, wegen Bestechlichkeit und so. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, was drin war. Aber der Abend war erstmal gerettet: Die ganze Zeit war ich so voller Neugier, das Kuvert zu öffnen, dass ich beinahe am Ende vergessen hätte, die Ladentür zuzuschließen und den Sicherheitsdienst anzurufen, wie es unsere Pflicht ist!

Ich ging viel schneller nach Hause als sonst, denn ich hatte mir auferlegt, das Kuvert erst in meiner Wohnung zu öffnen. Das mache ich eigentlich immer so, denn Vorfreude ist die schönste Freude. Das weiß jedes Kind, das sich mal auf den Weihnachtsmann gefreut hat. Die ganze Zeit über dachte ich nach. Was, wenn das eine Briefbombe war? Wenn der Typ ein Irrer war? Vielleicht war es auch irgendwas Obszönes? Oder vielleicht stand eine Morddrohung drin? Vielleicht stellte er Forderungen? Vielleicht plante er mich zu entführen? Ich war hin und her gerissen zwischen kindlicher Neugier beim Weihnachtsgeschenke-Öffnen und Horror-Kitzel.

Trotzdem machte ich das Kuvert auf, sobald ich die Wohnungstür hinter mir zugezogen hatte. Ich hatte noch meine Straßenschuhe an, die voller Schnee waren, weil es an dem Tag sehr geschneit hatte. Ein Feigling zu sein, hätte ich mir selbst nie verzeihen können.

In dem Kuvert waren dreihundert Euro und eine kleine Karte. Auf der Karte war hinten ein Stempel eines bekannten Restaurants (kein sehr billiges!) mit Telefonnummer und Anschrift und auf der anderen Seite war handschriftlich ein Termin vermerkt: 15.01., 18.30 Uhr, Tisch 8.

Ich war vollkommen nervös, um nicht zu sagen: perplex. Ein Typ steckte mir einen Haufen Kohle zu und lud mich zum Essen ein? Da konnte was nicht mit rechten Dingen zugehen. Noch im Flur (um meine Schuhe hatten sich schon Pfützen gebildet) rief ich bei Kati an, meiner besten Freundin. Eigentlich hatte ich nur eine wirkliche Freundin, das war Kati. Der würde ich alles anvertrauen, sie war echt der beste Mensch auf der ganzen Welt. Wir hatten uns noch nie gestritten, weil wir uns einfach perfekt verstanden. Aber sie wohnte am anderen Ende der Stadt und hatte seit einem halben Jahr einen Freund. Wenn sie einen Freund hatte, war unser Kontakt meistens eher spärlich. Das war auch OK so, denn sie sollte ruhig die Zeit genießen mit ihrer Liebe und ich wollte das ganze Liebesgeschnulze nicht hören. Es passte also.

Aber jetzt musste ich sie einfach anrufen. Ich fragte sie, was sie tun würde, wenn sie ein solches Kuvert bekommen würde. Und sie sagte: Cool, freu dich doch! Der wird auf dich stehen und dich halt daten wollen. Ich sagte, dass er deutlich älter sei. Aber auch das sei doch kein Problem, sagte Kati. Dann weiß er wenigstens, was er will, und ihr Freund sei ja auch fast 8 Jahre älter als sie.

Ich konnte kaum was essen, so aufgeregt war ich. Die dreihundert Euro beschloss ich in meine Spar-Schublade zu stecken, wo schon fast vierhundert Euro drin waren, die ich für die Küche sparte. Das waren fast siebenhundert Euro. Cool! Ich freute mich wie verrückt, auch wenn manchmal noch Bedenken durchblitzten. Was, wenn das Falschgeld war? Wir hatten als Kassierer viel über den Umgang mit Geld gelernt und mussten auch peinlich auf die Sicherheitsmerkmale der Geldscheine achten. Ich konnte das also professionell. Und an den Scheinen von dem Typen fiel mir nichts Verdächtiges auf, auch nach einigem genauen Hinsehen. Das waren ganz neue Fünfziger, wahrscheinlich frisch aus dem Automaten.

Ich lag lange wach und war am nächsten Morgen (ich hatte Frühschicht) ziemlich durch. Am meisten beschäftigte mich die Frage, ob ich tatsächlich hingehen sollte am 15.01. - das war ja erst in über einen Monat. Was sollte mich dort erwarten? Was, wenn dort ein anderer Typ sitzen würde? Der mir dann erklären würde, dass ich keine Polizei rufen dürfe? Oder wenn der Typ dasitzen würde und mir eröffnen würde, dass er mich an irgendwelche Organhändler verkaufen würde?

Immer wieder telefonierte ich mit Kati deswegen, aber sie sah das alles sehr locker. Zu locker, wie ich fand. Sie hatte den Typen ja auch nicht mit eigenen Augen gesehen. Wer weiß, was sie dann gesagt hätte?

Nach ein paar Tagen traf ich die Entscheidung, nicht hinzugehen, sondern mich einfach über die Kohle zu freuen. Im Laden war ich relativ sicher. Wenn der Typ wiederkommen und Forderungen stellen würde, könnte ich ziemlich schnell Hilfe holen, selbst wenn keine weiteren Kunden im Laden wären. Wir hatten ja den Notknopf, den wir auch mit dem Fuß betätigen konnten, und die Security bzw. auch die Polizei konnte sehr, sehr schnell da sein, das hatten wir bei Ladendiebstählen schon feststellen dürfen. Falls also der Typ verärgert wäre, dachte ich, sollte er nur kommen, dann würde ich ihm schon zeigen, dass ich nicht irgend ein wehrloses Unterschicht-Mädchen war, mit dem er irgend ein Psycho-Ding durchziehen konnte.

Der 15.01. ging vorbei, ich hatte das Thema schon fast vergessen. Am 16.01. hatte ich Spätschicht, und es war abends kurz vor Ladenschluss, als mir Lena aus dem Lager zurief, dass ich nochmal an die Kasse solle, weil noch ein Kunde da sei. Ich setzte mich also an die Kasse und wartete - und erschrak ziemlich, als der graue Mantel um die Ecke bog. Ich begann etwas zu zittern, nicht nur, weil es kühl war in der Kassenzone. Ich tat so, als würde ich gar nicht hinschauen, grüßte nicht, zog den einen Artikel über den Scanner (ein Glas Gurken für 1,19) und nuschelte den Preis. Doch dann geschah nichts, und ich musste doch zu ihm hinsehen. Er lächelte mich an! Ja, er lächelte. Ein schönes, weiches Lächeln. Ich konnte nicht reden.

In meine ausgestreckte Hand legte er mit einer eleganten, sanften Bewegung ein Euro-Stück und ein Fünfzig-Cent-Stück. Dann holte er ein Kuvert aus der Innentasche, legte es vor mir hin und verschwand.

Als ich wieder in der Lage war, etwas zu denken, war er längst weg. Wie in Trance steckte ich das Kuvert ein und erledigte die restlichen Arbeiten, die in der Schicht anfielen, im Halb-Automatik-Modus. Lena dachte bestimmt, dass mir nicht gut wäre oder dass ich Liebeskummer hätte. So ähnlich war es ja auch.

Zu Hause zog ich mir die Schuhe und die Jacke aus, machte mir einen heißen Tee (ja, es war ein saukalter Wintertag) und legte mich auf die Couch. Erst dann nahm ich das Kuvert in die Hand. Es war genau so beschaffen wie das erste. Neutral weiß, dickes Papier, ohne Beschriftung. Auch der Inhalt war der gleiche. 300 Euro und eine kleine Karte mit dem Stempel eines teuren Restaurants. Der einzige Unterschied war, dass diesmal ein anderes Datum daraufstand: 11.02., 18.30 Uhr, Tisch 3. Mein Herz schlug laut.

Die Geldscheine waren wieder makellos. Ich packte sie zu den anderen. Vielleicht war das ein Stalker? Vielleicht sollte ich die Polizei einschalten?

Ich überlegte die halbe Nacht, was ich tun sollte. Natürlich kam mir dabei auch in den Sinn, dass ich die Sache noch ein wenig ausreizen könnte. Vielleicht war der Typ irgendwie verzweifelt verliebt in mich und versuchte mich mit seinem Geld zu betören? Dann würde er mir vielleicht jeden Monat so ein Kuvert zukommen lassen. Aber gut fühlen würde ich mich gar nicht dabei. Ich wusste ja überhaupt nichts über ihn. Vielleicht war er auch gar nicht reich und hatte sich die 300 Euro vom Mund abgespart? Vielleicht wollte er mir irgend etwas extrem Wichtiges sagen?

Am nächsten Morgen wachte ich auf und hatte den Plan. Ich schrieb Kati. "Ich will mich doch mit dem netten Mann treffen. Könnt ihr am 11.02. ins Restaurant Palmas kommen?"

Kati rief mich Nachmittags zurück, und wir besprachen alles Wesentliche. Sie und ihr Freund würden ein paar Tische weiter aber in Sichtweite reservieren. Kati würde ab und zu zu mir rübersehen. Wenn ich ein Feuerzeug herausholte und damit herumspielte, würde sie aufstehen, zusammen mit ihrem Freund rüberkommen und mich überrascht begrüßen - so ein Zufall aber auch, dass man sich hier trifft! Wenn ich zur Toilette gehen würde, würde Kati ein, zwei Minuten später ebenfalls zur Toilette gehen, und ich würde ihr berichten. Wenn alles in Ordnung wäre, würden die beiden sich nicht zu erkennen geben. Falls nicht, würde ich Kati bitten, schon mal die Polizei zu informieren.

Wir fanden beide, dass das ein ziemlich guter Plan war. Eigentlich konnte nichts passieren, es sei denn, der Typ war wirklich ein Psychopath, der mich gleich im Restaurant vor allen Leuten umbringen würde. Aber daran glaubte ich nicht.

Jeden Tag, den der 11.02. heranrückte, wurde ich aufgeregter. Als es dann endlich soweit war, konnte ich mich tagsüber an der Kasse kaum konzentrieren. Das war schon hart. Ich musste auch dreimal aufs Klo, obwohl ich sonst auf Arbeit nie die Toilette benutzte, schon allein, weil, naja - manche Kollegen haben es offenbar nicht so mit der Sauberkeit.

Am späten Nachmittag machte ich mich zu Hause ausgehfertig. Ich gehe eigentlich selten aus. Essen gehen war mir immer zu teuer oder zu blöd, und auf Disco hatte ich seit meinem letzten Freund erstmal keine Lust mehr. Die Kleiderwahl fiel mir schwer. Ich wollte nichts anziehen, das zeigte, dass ich ein Date hatte. Also nicht zu hübsch oder zu verwegen. Aber ich wollte auch nicht wie ein Mädchen aussehen, das 900 Euro Brutto verdient und nur ins Palmas gehen kann, weil sie von einem reichen Typen eingeladen wurde.

Ich entschied mich für meinen Lieblings-Kuschelpullover und meine graue Jeans, die mir mittlerweile ein bisschen eng war, wie ich feststellen musste. Ich hatte wieder etwas zugenommen und ärgerte mich darüber, weil ich generell schon nicht so schlank war. Zumindest nicht so schlank, wie mir vorschwebte. Und dann noch die ganzen Sommersprossen - manchmal mochte ich meinen Körper einfach nicht! Meine Hautärztin sagte, ich sei ein sehr heller Hauttyp und solle um Gottes Willen nicht ins Solarium und im Sommer möglichst immer Sonnencreme benutzen, Schutzfaktor 50. Das heißt, ich sah eigentlich immer weiß aus, weiß mit vielen Sommersprossen. Dafür hatte ich wenig und nur sehr helle Körperbehaarung, was eigentlich ein Vorteil war. Die Haare unter meinen Achseln waren eigentlich nur ein hellblonder Flaum, und meine Schamhaare beschränkten sich erfreulicherweise auf den kleinen Bereich, den die Bikinihose verdeckte, so dass ich zumindest immer gut rasiert aussah - auch wenn ich den Strand wegen der Sonne meiden sollte.

Ich schminkte mich dezent, natürlich, legte ein paar schlichte Ohrringe an, machte zwei silberne Spangen ins Haar und nutzte - seit Ewigkeiten mal wieder - mein Mundwasser. Keine Ahnung, ob der Typ darauf achten würde, ob ich Mundgeruch hätte. Eigentlich war es unsinnig. Und Knoblauch mochte ich sowieso nicht.

Dann fuhr ich mit dem Bus in die Stadt. Die Fahrt kam mir ewig vor. Schon während ich im Bus saß, merkte ich, dass ich wieder aufs Klo musste. Das ist auch so eine Sache, die mich an meinem Körper stört. Wenn ich nervös bin, muss ich schnell aufs Klo. Ab und zu glaubte ich, die Leute würden mich ansehen. Weil ich natürlich etwas anders aussah als sonst. Aber warum sollten die Leute wissen, dass ich anders aussah als sonst?

Manchmal komme ich mir beim Busfahren ein wenig wie ein Star vor. Oder glaube zumindest nachvollziehen zu können, wie sich Stars vorkommen, wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Dein Gesicht kannst du nicht verstecken. Du wirst erkannt. Aber wenn du nur eine Kassiererin bist, dann rätseln die Leute, woher sie dich kennen. Sie haben dich einige Male gesehen, aber sie wissen nicht mehr wo, weil sie gar nicht bewusst dabei sind, wenn sie an der Kasse stehen. Für die Leute sieht jede Kassiererin gleich aus, sie vergessen sie sofort wieder. Aber ihr Unterbewusstsein vergisst die Gesichter nicht. Und so wird man halt manchmal angesprochen. "Kann es sein, dass wir uns kennen?" Ich sage immer höflich: "Nein, ich glaube nicht." Meistens gehen die Leute dann einfach so wieder, abgesehen von einigen penetranten Typen, die die Gelegenheit nutzen, um mich anzubaggern.

Ich kam etwas zeitiger beim Restaurant an und überlegte, was ich tun sollte. Vielleicht würde ich sein Auto auf dem Parkplatz erkennen? Aber da standen einige Autos, die in Frage kamen, und ich hatte mir die Marke nicht gemerkt. Es war ein schickes Restaurant, das ich noch nie von innen gesehen hatte. Normalerweise ging ich selten auswärts essen, ab und zu holte ich mir einen Burger oder einen Döner, aber eigentlich auch immer mit schlechtem Gewissen, denn man konnte viel günstiger essen, wenn man selber kochte.

Kati schrieb: "Sind schon drin, Mausi. Ich weiß nicht, ob dein Typ schon da ist, aber alle Tische sind besetzt!"

Wenn alle Tische schon besetzt waren, dann musste er ja schon da sein. Die Tische schienen nicht numeriert zu sein, sonst hätte Kati ja nach Tisch 3 Ausschau halten können. Mein Herz begann wild zu klopfen. Wenn das ein Date war, dann war es wohl mein erstes. Zumindest mein erstes so offizielles, im Restaurant in aller Form und mit allem Blabla. In den mir verbleibenden drei Minuten dachte ich fieberhaft nach. Der Typ war deutlich älter als ich. Höchstwahrscheinlich hatte ich ihm irgendwie den Kopf verdreht, obwohl er mich nur zweimal an der Kasse sitzen sehen hat. Höchstwahrscheinlich würde er sehr nett sein, mir Komplimente machen, mir ein schönes Essen spendieren und dann sagen, dass wir uns wiedersehen könnten oder so. Vielleicht würde er mir auch gleich einen Vorschlag machen, wann und wo wir uns wiedersehen. Oder vielleicht würde er mich einladen, mit zu sich nach Hause zu kommen, aber das würde ich natürlich ablehnen. Oder er würde anbieten, mich nach Hause zu bringen, was ich ebenfalls ablehnen würde. Eigentlich fand ich es irgendwie unangenehm, wenn Männer so papa-haft sich um einen kümmerten, als wäre man nicht erwachsen, als wäre man ein kleines Mädchen, auf das man aufpassen müsste, dass es nicht irgendwo aus lauter Naivität umkommt. Dabei war ich schon ganz schön erwachsen, ich hatte meine eigene Wohnung, meinen eigenen Job und meine eigenen Vorstellungen vom Leben. So ein Papa-Typ war eigentlich nichts für mich, auch wenn er wahrscheinlich ganz schön reich war.

Ich überlegte, Kati zu schreiben, dass ich es mir doch noch anders überlegt hätte. Aber das würde aussehen, als würde ich kneifen. Ein Feigling war ich ja nicht. Und wir hatten ja einen perfekten Plan.

Also ging ich rein.

Es verschlug mir fast die Sprache. Er saß gut sichtbar und angenehm lächelnd an einem Tisch am Fenster, eine rote Kerze und ein kleiner Strauß Rosen standen darauf. Neben ihm saß eine bildschöne dunkelhaarige Frau mit vollen Lippen und üppigen weiblichen Proprtionen. Der Platz ihr gegenüber war frei. Es war ein Dreiertisch. Nicht Tisch drei, sondern ein Tisch für drei. Ich war die Dritte. Ich stockte ein wenig, vermied es, in Richtung Kati zu sehen, denn der Typ und die Frau hatten mich im Blick, sie sahen zu mir, und ihre Augen sagten, ich sollte mich zu ihnen setzen. Ich fühlte mich fast ein wenig hypnotisiert.

Die Frau hatte ein violettes Kleid an, das ihr perfekt stand. Sie sah so umwerfend aus, dass ich mir erst recht wie ein kleines Arbeitermädchen vorkam, das sich halt nichts zum Schminken und Anziehen leisten konnte. Einen kurzen Moment kochte ein Gefühl von Wut in mir hoch. Wie kann der mich so verarschen? Doch ich fing mich schnell wieder, indem ich an die beiden Kuverts dachte und die freundliche, unverfängliche Art. Er hatte ja überhaupt nichts zu mir gesagt, schon gar nicht, dass er sich zu einem Date mit mir treffen wollte. Das alles war nur meine Einbildung. Vielleicht ging es um etwas völlig anderes?

Sein Geld hatte ich gerne genommen, also, dachte ich, ist es zumindest höflich, wenn ich jetzt nicht auf der Stelle kehrt mache und verschwinde, bloß weil ich mir etwas anderes unter dem Treffen vorgestellt hatte. Ich ließ mich also auf dem mir zugewiesenen Platz nieder, brachte aber keinen Ton raus. Es ging einfach nicht. Was mir natürlich peinlich war, und ich spürte schon, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Zum Glück war das Restaurant nicht all zu hell beleuchtet, so dass es sicher nicht so stark auffiel.

Er begrüste mich ganz knapp und sah durch mich durch, wie er es schon an der Kasse gemacht hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm auch etwas peinlich war. Dennoch war etwas in seiner Stimmme und in seinem Blick, das mich sofort beruhigte.

Die Frau sah mich sehr aufmerksam an, sagte aber gar nichts. Dann kam auch schon der Kellner.

Ich bestellte ein Ginger Ale, weil mir nichts besseres einfiel. Der Mann bestellte eine große Flasche Wasser "Medium". Irgendwie war ich froh, dass sie keinen Wein bestellten.

Als der Kellner weg war, sagte der Mann: "Ich bin Sören, und das ist Linda. Meine wichtigste Mitarbeiterin."

Die Frau lächelte erst ihn an und dann mich. Sie lächelte mich an, wie eine Frau ein süßes kleines Kind anlächelt. Sie formte sogar kurz einen kleinen Kussmund. Linda also. Mitarbeiterin. Ich verstand überhaupt nichts.

"Ich ...", stammelte ich. "Also vielen Dank für die Einladung." Wieder spürte ich eine Welle von Wärme über mein Gesicht huschen.

Man erwartete offenbar nicht, dass ich meinen Namen sagte.

Wozu bringt der Typ seine Mitarbeiterin mit zu einem Date, fragte ich mich. Von dem Gedanken, dass es sich um ein Date handelte, konnte ich mich noch immer nicht lösen. Es war einfach zu offensichtlich gewesen. Er lernt ein Mädchen an der Kasse des Supermarkts kennen und lädt sie zum Essen ein. Das könnte eine Vorlage für einen beliebigen Hollywood-Film sein. Drehbuch, oder wie das hieß.

Linda und Sören beobachteten mich. Nicht verstohlen und neugierig, sondern ganz offen und mit einer milden Art von Freude im Gesicht. Als könnten sie sich einfach nicht an mir sattsehen. Sie sagten gar nichts. Ich blätterte in der Speisekarte herum und fand nichts Passendes, so dass ich mich schließlich für eine ziemlich preisgünstige Pizza entschied, während die anderen irgend eine Vorsuppe und einen kompliziert klingenden Hauptgang für sich bestellten.

Ich nutzte die Zeit bis das Essen kam, um zur Toilette zu gehen. Dort schloss ich mich in eine Kabine (von zweien) ein und wartete. Keine Minute später klopfte Kati an. "Wie läuft es?", flüsterte sie. "Keine Ahnung", sagte ich. "Ich kapiere gar nichts."

Wir unterhielten uns vielleicht zwei Minuten. Ich sagte schließlich, dass ich die Sache für ungefährlich halte und schon klarkomme. Kati schaute dennoch etwas besorgt. "Nicht, dass das Psychopathen sind. Du gehst nicht mit denen mit, versprochen?" Ich versprach es ihr.

Als ich zurückkam, lächelten die beiden mich immer noch warm an. "Sören ist auf der Suche nach einer klugen und fleißigen jungen Dame", erklärte Linda auf einmal. "Es geht um eine verantwortungsvolle Tätigkeit."

"Es geht um einen Job?", fragte ich halbwegs perplex. Irgendwie hätte ich mir das ja auch denken können.

"Ja", antwortete wieder Linda. "Im weitesten Sinne schon. Aber es geht auch um deutlich mehr. Sehr viel persönliches Engagement ist gefragt."

"Ich bin gelernte Einzelhandelskauffrau, ich sitze an der Supermarktkasse", sagte ich und hörte mich irgendwie automatisch an. Leer und kalt. Auch ein wenig anklagend. Ich bereuhte es schon, den Mund aufgemacht zu haben.

Aber die beiden ließen sich von ihrem Lächeln nicht abbringen. Was auch immer die mir für einen Job anbieten wollten, ich war vermutlich ungeeignet, dachte ich mürrisch und stellte mich darauf ein, dass dieser Abend nicht mehr gewesen sein würde als die Gelegenheit, eine Pizza spendiert zu bekommen.

"Keine Angst", sagte Linda nach einer Weile. "Wir glauben, dass du genau die Richtige bist. Eine Bewerbung oder ein Einstellungstest wird nicht vonnöten sein. Du bist eingestellt. Das heißt: Wenn du nichts dagegen hast."

Wie, glaube ich, die meisten anderen Leute auch, mochte ich es nicht so, wenn andere über mich entschieden. Ich schaute wahrscheinlich nicht sehr glücklich vor mich hin, jedenfalls brach ich nicht in spontanen Jubel aus. Aber zum Glück schien das auch niemand zu erwarten.

"Ich ...", versuchte ich es, "ich kann nicht einfach so zusagen, wenn Sie das verstehen?"

Linda beeilte sich zu nicken. "Aber selbstverständlich." Sie legte in einer warmen Geste ihre rechte Hand auf ihre Brust. "Du bist eine erwachsene Frau, du hast Pflichten. Es wäre sogar höchst bedenklich, wenn du gleich hier und jetzt zusagen würdest. Mit anderen Worten: Dann hätten wir unsere Entscheidung sogar noch einmal überdenken müssen."

Eine Weile herrschte Schweigen, dann kam die Suppe. Für mich selbstverständlich nicht, denn ich hatte keine bestellt. Dafür erhielt ich aber einen kleinen "Gruß aus der Küche", wahrscheinlich als kleinen Trost, weil ich keine Suppe hatte.

Als Linda die Suppe ausgelöffelt hatte, fragte ich: "Wo kann ich Details erfahren ... über diesen Job?"

Wieder ein warmes Lächeln: "Ich fürchte, all zu viele Details kann ich dir hier nicht verraten. Zumindest kann ich dir keine Tätigkeitsbeschreibung geben, wenn du das meinst."

"Das ist aber ... schade", sagte ich, indem ich es wirklich meinte.

"Aber wir könnten dir natürlich etwas zu den Konditionen sagen", hörte ich Sören von der Seite. Sein Blick war neutral, ich hatte keine Chance zu erkennen, in welcher Stimmung er war.

"Zum Beispiel zur Bezahlung?"

"Ja. Und zum Urlaub, zur Arbeitszeit und so weiter", erklärte Linda. "Es handelt sich um einen recht zeitaufwändigen Job."

Meine Neugier war geweckt, aber nun kam auch schon die Pizza, beziehungsweise der Hauptgang.



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