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Der Cassandra Komplex (fm:Romantisch, 63325 Wörter)

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Veröffentlicht: Jan 23 2022 Gesehen / Gelesen: 22825 / 21280 [93%] Bewertung Geschichte: 9.78 (356 Stimmen)
Späte Entdeckung des anderen Geschlechts

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Der Cassandra Komplex

Angebot und Nachfrage

Was jetzt? Noch eine unbezahlte Rechnung, die es in sich hatte. Die Beerdigungskosten für meine Mutter waren weitaus höher, als ich es jemals vermutet hatte. Sterben ist nicht billig. Gut, auch diese würde ich zahlen können, wenn ich meinen Dispo-Kredit annähernd ausschöpfte. Und dann? Wie sollte ich jemals wieder davon runterkommen?

Zwanzig Jahre beim Bund, als Stabsoffizier. Dann hatte es mir gereicht. Zurück ins zivile Leben, bei meiner Mutter kurz nach dem Tode meines Vaters eingezogen. Sie hatte schlimme Arthritis, saß bald nach meinem Einzug im Rollstuhl, brauchte bei allem Hilfe. Übergab mir das Antiquariat, das nun seit achtzig Jahren im Familienbesitz war.

Was so gut wie nichts mehr abwarf. Es reichte für die Ladenmiete, weil der Vermieter ein alter Freund der Familie war und die Miete seit Jahrzehnten und nicht einmal bei der Einführung des Euro angehoben hatte. Es reichte zum Leben. Für die Miete in der schönen 3 ½ Zimmer Wohnung schon nicht mehr vollständig, seitdem die Rente meiner Mutter mit ihrem Tod weggefallen war.

Und jetzt diese Rechnungen. Ich hatte mich bereits auf eine längere Pflege seelisch und moralisch eingestellt. Da bekam sie einen Herzanfall, musste ins Krankenhaus, und verstarb dort nach einer Woche. Sie war ständig bei irgendwelchen Ärzten gewesen, aber dass es Probleme mit ihrem Herzen gab, hatte niemand vorher festgestellt.

Sie hatte von Versicherungen nichts gehalten. Es gab ihrerseits keinerlei Rücklagen, das Antiquariat war schon lange Jahre nicht mehr wirklich gewinnbringend gelaufen. Und vor meiner Rückkehr hatte sie einen Angestellten beschäftigt, weil sie es nicht mehr alleine bewältigen konnte, und mein Vater war schon länger krank. Dass sie den Angestellten auch von ihrem Ersparten finanzierte, hatte sie mir nie erzählt.

Ich hatte eine stolze Abfindung von der Bundeswehr bekommen. Mit der ich mir, anstatt sie als Rücklage für Regentage, wie ich sie jetzt erlebte, aufzuheben, erst eine sorgen- und arbeitsfreie Rückkehr ins zivile Leben und einen langen Urlaub ermöglicht und dann meinen Traum erfüllt hatte. Einen Jaguar E Oldtimer in hervorragendem Zustand. Davon hatte ich seit meiner Kindheit geträumt.

Ein Traum, der direkt nach seiner Erfüllung zerschellte, als ich bei einem Oldtimer-Rennen von der Straße abkam und in eine Hauswand raste. Kein Fremdverschulden, ich hatte einfach eine Kurve unterschätzt. Totalschaden am Wagen, vier Wochen Krankenhaus für mich. Direkt vom Glück verfolgt war ich nicht. Schnee von gestern.

Jetzt musste ich mich der Gegenwart stellen. Die hieß, entweder etwas verkaufen oder in Schwierigkeiten geraten. Aber was sollte ich verkaufen? Muttis Möbel? Die waren bis auf das Bett alt, aber keine Antiquitäten. Ihren Schmuck? Viel wert konnte der nicht sein.

Nein, da war nichts zu machen, außer, ich verkaufte den Laden komplett. Und das wollte ich nicht. Es war mehr als nur das Erbe, es war die gesamte Tradition und Lebenseinstellung unserer Familie, worüber sie sich achtzig Jahre definiert hatte. Ich hatte immer gewusst, dass ich dort enden würde, hatte nie eine andere Karriere außer dem Bund geplant gehabt.

Warum auch? Bücher sind für die Ewigkeit. Hatte ich geglaubt. Gelesen wird immer. Ja, toll. E-Books las man heute. Wenn überhaupt. Natürlich gab es auch jetzt noch Bibliophile, die bei dem Anblick der echten Kostbarkeiten, die ebenfalls noch in unserem Laden zu finden waren, eine Erektion bekamen. Von denen verkaufte man im Monat vielleicht eins, höchstens zwei.

Der Rest waren Standard-Ausgaben, Kinderbücher, Bildbände, Schundromane, wissenschaftliche Literatur und Studienmaterialen wegen der nahen Uni. Ich hielt mein Einkommensniveau nahezu konstant. Aber eben nahezu konstant niedrig. Und jetzt?

Doch eine andere Wohnung suchen? Hier in der Gegend war das alles andere

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