Nachhilfe (fm:Romantisch, 41654 Wörter) | ||
Autor: postpartem | ||
Veröffentlicht: Mar 08 2022 | Gesehen / Gelesen: 43002 / 34954 [81%] | Bewertung Geschichte: 9.82 (510 Stimmen) |
Kleine Hilfen und große Gefühle. |
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Der Spätdienst neigte sich dem Ende zu. Das Wichtigste war vollbracht, alle Bewohner im Bett, und nun konnten wir endlich im Treppenhaus eine rauchen. An diesem Abend waren wir nur zu zweit, weil unsere Auszubildende sich krankgemeldet hatte. Entsprechend erschossen waren wir daher auch. Wir, das waren meine kasachische Kollegin Elmira und ich.
Schon fünfzig, aber immer noch absolut hervorragend in Schuss. Schlank wie eine Gerte, wofür sie hart arbeitete. Sie hatte mir erzählt, dass sie in Plastikoveralls und mit Gewichten lief, um damit möglichst viel zu schwitzen und so ihr Gewicht zu halten. Nicht, dass unsere Arbeit da nicht auch schon ein Scherflein zu beitrug.
Gerade an Abenden wie diesen. Sie war Anfang an diejenige gewesen, mit der ich mich von allen am besten verstanden hatte. In ihrer Heimat in St. Petersburg war sie Psychologin gewesen, die Intelligenz-Tests auswertete. Jetzt hier eine examinierte Altenpflegerin. Ein ganz schöner Abstieg, den sie aber willig in Kauf genommen hatte.
Sie war jüdischer Abstammung, wenn auch nicht gläubig. Und, was ich von ihr erstmals erfuhr, gab es selbst in der kommunistischen Sowjetunion Unterdrückung und Diskriminierung der Juden. Was letztlich auch der Grund gewesen war, warum sie in Deutschland problemlos aufgenommen und die Staatsbürgerschaft erhalten hatte, als das möglich wurde.
Auch wenn ich fast zwanzig Jahre jünger war, faszinierte sie mich nicht nur als Mensch, sondern ebenso als Frau. Machte ihr das eine oder andere Kompliment, und kleinere Flirtversuche, die sie mit amüsierten Lächeln hinnahm, manchmal sogar richtig drauf einstieg. Sie hatte mir erzählt, dass sie geschieden war, und ihre zwei Söhne alleine aufzog. Ließ sich von mir manchmal die Schultern massieren, in eben solchen Rauchpausen.
Als ich dann aber ihrem jüngsten Sohn Englisch-Nachhilfeunterricht in ihrer Wohnung gab, bekam ich neben meinen Obulus und einer zusätzlichen Belohnung in Form eines hervorragenden Essens dann auch so nebenher die Info, dass sie sehr wohl einen Geliebten hatte, halt nur nicht mit ihm zusammenwohnte. Er kam an diesem Abend zum Essen.
Schade eigentlich. Ich hatte geglaubt, schon so etwas wie Knistern wahrzunehmen. Sie spielte trotzdem gern mit mir. Immer noch.
"Na, lief doch okay. Sogar Elli hat heute keinen Zerch gemacht."
"Ja, ich muss gleich noch die Medikamente stellen. Dann musst du alleine los, wenn jemand klingelt."
"Kein Thema."
"Ich muss dich noch was fragen", meinte sie und sah mich mit einem merkwürdigen Grinsen an.
"Schieß los."
"Du gibst Andrej doch jetzt schon ein halbes Jahr Nachhilfe. Sehr erfolgreich sogar. Er hat sich um eine ganze Note verbessert."
"Wir kommen gut klar. Er ist motiviert. Ich habe ihm versprochen, "Braveheart" mit ihm im Original zu gucken, wenn das Sinn macht. Das wirkt offenbar. Können wir auch bald machen, auf meiner DVD sind Untertitel, dann funktioniert das in jedem Fall. Die Belohnung hat er sich eigentlich schon verdient."
"Ich habe meiner besten Freundin davon erzählt. Wenn du das zeitlich noch hinbekommst, und Lust hättest, würde sie dich auch gerne engagieren, für ihre Tochter. Sie wäre dir sicher dankbar."
"Welche Klasse?"
"Elfte. Also schon etwas anspruchsvoller, als mit Andrej. Vor allem, weil sie wohl ein eher schwieriges Kind ist."
"Elfte, dann ist sie sechzehn oder siebzehn?"
"Siebzehn, sie hat eine Klasse wiederholt. Eben auch wegen Englisch."
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