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Das erste Mal (fm:Das Erste Mal, 4924 Wörter)

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Veröffentlicht: Aug 02 2022 Gesehen / Gelesen: 12476 / 8734 [70%] Bewertung Geschichte: 9.07 (59 Stimmen)
Blaue Augen, tief wie ein Gebirgssee. Noch heute denke ich an sie, an den Blick, sehnsüchtig, traurig, freudig.

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Ich begleitete meine Mutter wieder mal auf eine ihrer Sprachreisen nach London. Als Englischlehrerin versuchte sie ihren Schülerinnen und Schülern mit mehr oder weniger Erfolg die Fremdsprache nah- und beizubringen. Klar, das Land, die Leute, die Sprache mal live zu erleben ist was anderes, als die Theorie aus den Büchern und diversen Videos oder CDs. Im Unterricht fehlt eindeutig die mögliche Interaktion, die eine echte Herausforderung für die Heranwachsenden ist.

Auf einer dieser Sprachreisen war Christin dabei. Wie eineiige Zwillinge klebten ihre Freundin Alina und sie zusammen. Ansonsten hatten die beiden keinen Anschluss an irgendeine Clique. Mir fiel sie schon auf, immerhin suchte Christin immer wieder meine Nähe, neckte mich oder verwickelte mich in Gespräche. Ich merkte schnell, dass sie an mir einen Narren gefressen hatte, obwohl ich ja 19 Jahre älter war als sie. Ich genoss ihre Nähe, wahrte dennoch den gebotenen Abstand. Es scharrten sich immer wieder ein paar Schüler und Schülerinnen um mich, wenn es darum ging, London auf eigene Faust unsicher zu machen. Klar, in dem Alter in so einer Stadt ist es normal, wenn man einen Erwachsenen hat, der etwas Halt und Orientierung bieten kann. Vielleicht mochten die Kids auch meine lockere Art, wie ich mit ihnen umging, wie ich unbekümmert scherzte und die Jugendlichen vor allem als Persönlichkeiten betrachtete. Ich bin ja kein Lehrer, lediglich ein Betreuer. Ich konnte mich einfach unter sie mischen und sie akzeptierten mich auch recht schnell als einen von den ihren. Wie schon erwähnt, hatte Christin keinen Anschluss an irgendeine Clique oder suchte auch nicht die Nähe zu anderen Schülergrüppchen. So war es auch OK für mich, dass sie oft in meiner Nähe war. Sie und ihre Freundin waren zu der Zeit irgendwie auf einem Bollywood-Trip. Alleine dieser Spleen machte sie durchaus etwas zu Außenseitern. Sie hatten gern seidige Tücher um sich geschlungen und erzählten auch gern von den Bollywood-Filmen, die sie so gesehen hatten. Manchmal tanzten sie auch die eine oder andere Filmszene nach, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Ich fand das niedlich, auch wenn ich damit gar nichts anfangen konnte. Es gibt am Fuße von Greenwich ein Museumsschiff, die Cutty Sark. Leider war das Schiff zu dieser Zeit wegen Restaurationsarbeiten nicht besuchbar. Auf dem Platz ringsherum gab es aber Holzpritschen und Bänke. Es war ein schöner sonniger Spätsommertag. Der Besuch der Cutty Sark war leider nicht möglich. Ich setzte mich also erst mal auf eine dieser Holzpritschen, lehnte mich zurück, schloss die Augen und ließ die Sonne in mein Gesicht scheinen. Immer wieder schaute ich mich um, ob die Jungs und Mädels nicht irgendwelchen Blödsinn machen, aber es war alles OK. Handys waren zu der Zeit bei den Kindern noch nicht so angesagt, die Handys hatten sogar zumeist noch Tasten! Also das Rumgedaddel wie heute gab es damals noch nicht. Ich hatte meinen iPod dabei, die kleinen weißen Ohrstöpsel schotteten den Lärm der Umgebung einigermaßen ab. Ich ließ mit geschlossenen Augen Musik in meine Ohren rieseln und freute mich, dass alle ihren Spaß hatten und es keine Vorkommnisse gab. So macht eine Schülerreise Spaß. Auf einmal spürte ich, wie jemand seinen Kopf auf meine Beine legte. Ich sah nach, es war Christin, die sich neben mich auf die Pritsche gelegt hatte. Ihren Kopf legte sie langsam und vorsichtig auf meinen Schoß. Als ob sie eine Abwehrreaktion von mir abwarten will, erschrecken oder sonstwas. Ich sah runter in Christins schöne blauen Augen, die mich anschauten, als wollten sie sagen: "Gönn mir diesen kleinen Moment - bitte!". Ich zwinkerte und lächelte ihr zu und sie ließ ihren Kopf ganz auf mir nieder. Sie schaute mich noch mal an, dann etwas verschämt beiseite und schloss dann die Augen. Ich fand nichts Anzügliches dabei, immer wieder hingen mir jemand am Rockzipfel, fragte mich um Rat oder bat um eine Übersetzung oder suchte auch so meine Nähe. So wirklich Berührungsängste gab es eigentlich mit keinem. Nun gut, ich wollte Christin zwar keine Hoffnung auf irgendwas machen, ließ sie trotzdem gewähren. Ich würde ihr bei nächster Gelegenheit noch sagen, dass sie sich nicht in mich verlieben darf. In dem Alter geht das ja schnell und kann wegen des Liebeskummers ein junges Mädchen ganz schön aus der Bahn werfen. Dafür wollte ich nicht verantwortlich sein. So ging das die 5 Tage bis der letzte Tag angebrochen war. Zu Hause wurde Christin von ihren Eltern vom Bus abgeholt. Sie kam noch mal zu mir, Alina natürlich im Schlepptau. Mit roten Wangen und sichtlich aufgeregt, verabschiedete sie sich von mir und übergab mir einen kleinen Plüschteddy. Damit ich sie nicht vergesse. Etwas peinlich berührt nahm ich den Teddy, nahm sie zum Abschied noch mal in den Arm und tat dasselbe mit Alina. Selbst wenn Alina nicht diese Schwärmerei entwickelt hatte, wollte ich damit demonstrieren, dass ich alle gleich behandle, Christin also mitnichten auf eine besondere Rolle hoffen darf.

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