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Karma siegt ... immer! (fm:Romantisch, 25114 Wörter)

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Veröffentlicht: May 02 2023 Gesehen / Gelesen: 12454 / 10655 [86%] Bewertung Geschichte: 9.55 (237 Stimmen)
Drei Damen fahren zu einem Klassentreffen. Die Neugier auf den Werdegang der allseits gehassten, narzisstischen Sina ist groß. Bianca hofft dort Motive für ihr geliebtes Hobby zu finden, doch erwartet sie am Ort des Geschehens etwas anderes ...

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© Katja Dieser Text darf nur zum Eigengebrauch kopiert und nicht ohne die schriftliche Einwilligung des Autors anderweitig veröffentlicht werden. Zuwiderhandlungen ziehen strafrechtliche Verfolgung nach sich.

Klicken Sie hier für die ersten 75 Zeilen der Geschichte

etwas über ihre Gefühle für den jungen Mann erzählt.

Als sie schließlich aufbrechen wollten, musste Bianca noch schnell zur Toilette.

" Geht ruhig schon mal vor", sagte sie," es ist noch hell und ich muss ja sowieso nur um die Ecke."

Sie verabschiedeten sich und Bianca suchte das WC auf.

Als sie dort herauskam, stand er vor der Tür und sprach sie mit "Hey du" an. Sie wollte zunächst weitergehen, doch fasste er ihren Arm und stoppte sie, hielt sie daraufhin zwischen gegen die Wand gestützten Händen direkt vor sich gefangen. Er war um Worte verlegen, genauso wie sie. Er küsste sie einfach und sie ließ es geschehen. Ihr erster Kuss ... ihre Beine schienen sich in Gummi verwandelt zu haben. Selbst als seine Zunge sich vorschob, wandte sie sich nicht ab.

'Nur ein Kuss ... du wirst ihn nie wiedersehen', war der einzige Gedanke, den sie hatte und erwiderte zunächst unbeholfen sein Zungenspiel. Sie umarmten und küssten sich lange, dieses Gefühl prägte sie sich ein, auch das Gefühl, als flatterten tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch herum ...

Doch dann, ganz plötzlich, löste sie sich von ihm.

"Ich muss gehen", rief sie, ohne sich noch einmal umzublicken und verließ fluchtartig das Lokal. Sie rannte weinend nach Hause. Dass er ihr bis vor die Tür des Clubs gefolgt war und ihr wehmütig nachschaute, bekam sie nicht mit ...

Damals war sie fast siebzehn und hatte die mittlere Reife geschafft. Ihr Vater bekam ein Jobangebot, welches er unmöglich hätte ablehnen können, so zogen sie fort. Ihre Mietwohnung wurde durch ein hübsches, kleines Haus mit Garten in einer ländlichen Umgebung, zweihundertfünfzig Kilometer von ihrem ursprünglichen Wohnort entfernt, ersetzt und eigentlich hätte Bianca glücklich sein können - wäre da nicht dieser furchtbare Herzschmerz gewesen.

Insgeheim verfluchte sie sich selbst für ihre Schüchternheit. Sie hätten Handynummern tauschen können ... Sie hätten stundenlang reden können und so weiter. Vor allen Dingen aber, hätte sie ihm sagen müssen, dass sie wegzieht. Ihn einfach so stehenzulassen war ganz schön gemein.

Aber so war sie immer gewesen, sie musste stets erst gründlich nachdenken, bevor sie einen Schritt wagte. Spontaneität war ihr fremd. Deshalb war sie auch kein bisschen schlagfertig - jedes Wort, welches auf ihrer Zunge lag, wurde gedanklich überprüft bevor es über ihre Lippen kam. Wenn jemand sie mit Worten verletzte, wägte sie im Geiste erst ab, ob ihre Antwort darauf nicht zu hochgegriffen war, sie formulierte sie mehrmals neu und wenn sie ihr dann als passend erschien, war es meist zu spät, um sie auszusprechen.

So ist sie heute noch. Sie ist ein weitestgehend introvertierter Mensch und kann sehr gut für sich allein sein. Mit In-Ear-Hörern Musik hören und dabei wunderschöne, bis ins kleinste Detail perfekte Bleistiftzeichnungen erstellen, ist ihre größte Leidenschaft. Dazu noch, hat sie ein nahezu fotografisches Gedächtnis, sie muss das Motiv nicht direkt vor ihren Augen haben, um es originalgetreu aufs Papier zu bringen. Die zweite Leidenschaft sind Pferde. Als Kind war es ihr größter Traum gewesen ein eigenes Pony zu besitzen. Natürlich konnten ihre Eltern es sich nicht leisten ihr diesen Wunsch zu erfüllen.

"Ein Pony zu kaufen ist nicht das Problem, Schätzchen", erklärte ihr Vater immer wieder, " nur die Kosten für den Unterhalt können wir nicht bezahlen und wenn der Tierarzt dann vielleicht mal kommen muss, wenn das Pony krank wird - was meinst du, was das alles kostet ..."

Daher erschien es ihr als großes Glück, nach ihrem Umzug Stella kennengelernt zu haben. Fortan war sie beinahe jeden Tag auf dem Nebenerwerbshof der Familie zu finden. Ein eigenes Pferd wollte sie nicht mehr, obwohl Stellas Eltern ihr einen kostenlosen Stellplatz anboten, wenn sie weiterhin bei der Versorgung der anderen Tiere half.

Zwei Freundinnen hat sie und braucht nicht mehr als diese beiden. In größeren Kreisen fühlt sie sich nicht wohl und schon gar nicht unter Menschen, die sie nicht kennt, oder nicht mag. Die Schüchternheit hat sie zwar seit Langem schon weitestgehend abgelegt und kann sich sehr wohl in größeren Gesellschaften bewegen, sich mit jedem über alles Mögliche unterhalten, allerdings überlastet es sie, zerrt an ihren Nerven, raubt ihre Energie, die sie am Besten wieder auftanken kann, indem sie tief versunken ihrem Hobby fröhnt.

Nach dem Umzug damals, besuchte sie die Fachoberschule und absolvierte das Fachabitur im Sozial- und Gesundheitswesen, dort in ihrer Klasse lernte sie ihre Freundinnen Stella und Julia kennen und natürlich Sina, die kaum etwas anderes im Sinn hatte, als ihre Mitschüler bloßzustellen, zu schikanieren und sich selbst, stets ohne Rücksicht auf irgendjemanden, in den Vordergrund zu drängen. Bianca hätte auch das Zeug für ein allgemeines Abi gehabt, aber sie hatte einfach keine Lust mehr weiterzumachen, so erlernte sie den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten.

Ihr Chef, ein sehr netter, väterlicher Typ hatte eines Tages ihren Zeichenblock auf ihrem Schreibtisch entdeckt. Höflich fragte er, ob er sich ihre Arbeiten mal ansehen dürfe. Bianca war es zutiefst peinlich, weil sie auch Porträts von ihm, sowie von allen anderen Angestellten angefertigt hatte, doch schließlich wäre es noch weitaus unangenehmer gewesen dem Chef seine Bitte abzuschlagen.

Kopfschüttelnd betrachtete er jedes einzelne ihrer Bilder. Danach fing er noch einmal von vorne an und blätterte sich vorsichtig durch die Seiten.

"Mädchen, Mädchen", sprach er daraufhin," ich bin zwar ein Mensch, der nicht so leicht zu begeistern ist, aber das, was ich hier sehe, haut mich schlichtweg vom Hocker. Ich glaube, du hast definitiv deinen Beruf verfehlt."

Er fragte noch, ob er sich den Block mal ausleihen dürfe, um ihre Arbeiten seiner Frau zu zeigen, doch das erübrigte sich, denn diese erschien an jenem Morgen persönlich in der Kanzlei, um ihre Kunstwerke zu sichten.

So entwickelte sich ihr Hobby bald darauf zu einer zweiten, sehr lukrativen Einnahmequelle. Sie zeichnete Porträts nach ihr zur Verfügung gestellten Fotos. Die Wände der Kanzlei zierten eine Vielzahl ihrer Landschaftsbilder in stilvollen Rahmen und standen zum Verkauf. Die Liste ihrer Aufträge wurde lang und länger. Man wartete gern auf eines ihrer Werke, denn obwohl ihr die Arbeiten relativ schnell und mit der Zeit immer schneller von der Hand gingen, ohne an Präzision zu verlieren, dauerte es ein Weilchen angesichts des stetig anwachsenden Interessentenkreises. Zum Beruf machen, wollte Bianca ihr Talent allerdings nicht.

So tröpfelte ihr Leben dahin, manche Umstände änderten sich, so zog sie zum Beispiel gleich nach ihrer Ausbildung in eine eigene kleine Wohnung, die sie gemütlich einrichtete.

Weiterhin unterstützte sie Stella und ihre Familie bei der Versorgung der Tiere und weiterhin dachte sie immer wieder darüber nach, was wohl passiert wäre, wenn sie damals nicht ihren Geburtsort hätte verlassen müssen. Sie konnte das Gesicht des jungen Mannes immer noch vor Augen sehen, von dem sie nur den Vornamen kannte, den sie zufällig aufschnappte, als einer seiner Mitschüler an einem Morgen nach ihm rief.

Niemals hätte sie vergessen können, wie es sich anfühlte ihre erste große Liebe, die sie ja eigentlich nur in ihrem Kopf und in ihren Träumen hat zur Realität werden lassen, zu küssen.

Wie oft hat sie sich damals an späten Abenden in ihrem Bett selbst berührt und sich vorgestellt es wären seine Hände, seine Finger, die sie unaufhaltsam auf den Punkt zutrieben, der ihr in süßen, wohllüstigen Wellen Erleichterung schenkte. Erfüllung konnte man es nicht nennen, dazu hätte er wirklich da sein müssen, um sie anschließend in seinen Armen zu halten und sie mit seiner Wärme zu umfangen ...

Sie spürte jedes Mal danach eine Leere in sich, die nur er hätte ausfüllen können. Die Sehnsucht nach ihm quälte ihr Herz und so schlief sie schlussendlich, nach vielen heimlich vergossenen Tränen, irgendwann ein.

Wenn sie tief in sich hineinhört, schlägt ihr Herz immer noch für ihn. Ihre Liebe zu ihm hat nie ein Ende gefunden, im Gegenteil, sie ist genauso präsent wie vor zehn Jahren. Vielleicht ist sie sogar noch tiefer geworden, denn für sie ist er makellos und fehlerfrei ... ein Traummann halt, an dem es absolut nichts zu kritisieren gibt, was sie dazu veranlassen könnte, ihrer Liebe zu ihm abzuschwören. Auch wenn sie weiß, dass jeder Mensch Fehler hat - er hat keine, denn seinen Charakter und sein Wesen hat sie ja schließlich nicht kennenlernen dürfen.

Manchmal grübelt sie darüber nach, ob so was krankhaft ist, doch dann denkt sie wieder: ' Egal, niemand weiß davon, nur ich allein. Selbst wenn es krankhaft wäre, würde ich niemals damit aufhören ihn zu lieben. Es ist mein Problem und niemand anderen geht es etwas an.'

*****

Der Tag der Tage ist schneller da, als es Bianca recht gewesen wäre.

Stella hat den Kombi ihres Vaters ausgeliehen, zur Freude der beiden kommt auch Julia mit und im Kofferraum ihres kleinen Flitzers wäre nicht genug Platz für drei Personen neben ihrem Gepäck gewesen. Julia wusste nicht, ob es was wird, denn sie musste erst jemanden finden, der sich währenddessen um ihren vierjährigen Sohn kümmert.

Mit dem zusätzlichen Hotelzimmer hat es kein Problem gegeben, denn wie ihnen bereits bei der ersten Reservierung mitgeteilt wurde, ist das Hotel nach grundlegenden Renovierungsarbeiten erst kürzlich wieder eröffnet worden. Der neu angebaute Spa- und Wellnessbereich sei allerdings noch nicht fertig.

"Der Typ hat ja wohl eine geile Stimme ... ich hab direkt eine Gänsehaut bekommen ...", meint Julia gleich, nachdem sie ins Auto stieg und sagte, dass sie ein Doppelzimmer für sich hat buchen müssen. "Gut, dass in meinem Zimmer noch ein Bett frei ist", fügt sie augenzwinkernd hinzu.

Bianca und Stella verdrehen die Augen.

"Ja was?", fragt Julia kampfeslustig, "Wenn schon denn schon, vielleicht gibt es in dem Nest ja ein paar heiße Typen, oder vielleicht taucht Lars auch dort auf ..."

Bianca und Stella stöhnen gequält auf.

Lars war damals der begehrteste Kerl ihrer Klasse gewesen, doch er blieb seiner Freundin treu ergeben. Am meisten hat Sina sich darüber geärgert, dass er sie hat abblitzen lassen. Sie war stinkwütend ...

"Wisst ihr noch, was er damals zu Sina sagte?", kichert Stella.

"Na klar, das werde ich im Leben nicht vergessen: Selbst wenn du die einzige Tusse auf diesem Planeten wärst, würde ich mir eher den Schwanz abhacken lassen, als dich zu knallen! Zieh ab du Schlampe", verkündet Julia lautstark.

Alle lachen.

"Ob er seine damalige Freundin wohl geheiratet hat?", fragt Bianca verträumt.

"Wer weiß ... vielleicht ... Ich bin außer euch beiden nie wieder jemandem aus der Klasse begegnet. Also, Lars würde ich schon ganz gerne wiedersehen. Mein Gott, war ich verknallt in ihn ... und du in Steven, weißt du noch, Stella?", Julia lacht gackernd, als sie Stella fragend ins puterrote Gesicht schaut.

"Und du, Bianca? Du hast dir nie in die Karten linsen lassen, sag schon, vor Maximilian muss es doch einen anderen gegeben haben", Julia dreht sich zu ihr um.

Bianca seufzt und überlegt, ob sie zum ersten Mal ihr Geheimnis lüften soll.

" Ja, das war bevor ich hergezogen bin. Es ist aber außer einem Kuss am Abend, bevor ich mit meinen Eltern die Stadt verließ, nichts passiert. Wahrscheinlich waren wir beide zu dumm aufeinander zuzugehen, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich ihn bis heute noch nicht vergessen habe und ... naja ...", ihr steigen Tränen in die Augen und sie beendet den Satz.

"Hammer! ... Du liebst ihn immer noch ... Gibt es so was? Wie lange ist das her? Warte mal ... zehn Jahre?", bohrt Julia weiter, obwohl ihr Biancas Tränen nicht entgangen sind.

Bianca nickt und sieht zum Fenster hinaus. Stella bedeutet Julia, Bianca in Ruhe zu lassen, denn wenn Julia einmal loslegt, fragt sie so lange nach jedem einzelnen Detail, bis einem der Kragen platzt.

"Ich bin ja mal gespannt, was die Primadonna zu bieten hat. Bestimmt hat sie sich den reichsten und bestaussehendsten Typen geangelt, der in ganz Deutschland zu finden war. Oder einen berühmten Star. So einen Brad Pitt für Arme, oder so was in der Richtung", quasselt Julia weiter.

"Oh, dann muss Bianca sich an den ranmachen. Sie steht auf Brad Pitt, jedenfalls hat sie den schon oft genug porträtiert. Zumindest sah der ja echt heiß aus, als er jung war", wirft Stella ein und fängt gleich darauf einen seltsamen Blick von Julia auf. Sie schlagen gleichzeitig, peinlich berührt, eine Hand vor den Mund, als ihnen klar wird, dass Bianca überhaupt keinen Draht zu Film und Fernsehen hat. Die Prominenten aus dem Metier sind ihr total egal. Anders verhält es sich mit der Musik, da gibt es kaum einen Song oder einen Interpreten, der ihr unbekannt wäre. Also ist der Typ, den sie so oft gezeichnet hat, mit Sicherheit nicht der bekannte Schauspieler ... folglich muss es sich dabei um den von Bianca eben erwähnten Burschen handeln.

Vorsichtig schaut Stella in den Rückspiegel, um die Reaktion ihrer Freundin zu ergründen, doch diese blickt immer noch verträumt zum Fenster hinaus. Scheinbar ist sie fernab der realen Welt.

Eine Weile herrscht Schweigen und nur das ruhige Motorengeräusch des Wagens ist zu hören.

" Vielleicht ist die blöde Kuh ja auch verheiratet, hat drei Kinder, ist dick und fett geworden und ihr ist mit den Jahren ein paar Gramm Hirn gewachsen ...", spricht Bianca plötzlich in die Stille hinein.

Ihre Freundinnen lachen.

"Das glaubst du doch selber nicht, ich meine, bis auf das Hirn wäre es vielleicht möglich", prustet Stella und alle drei lachen schallend.

"Ich sehe schon ... im Grunde genommen müssen wir die Primadonna doch lieben, so viel Spaß wie wir schon dabei hatten, über sie herzuziehen", äußert Julia, "Außerdem sind wir drei doch wohl die Coolsten! Das muss die dumme Kuh erstmal überbieten: Stella ist Logopädin und bekommt mal ein dickes Erbe, naja, die On-Off-Beziehung mit Sven lassen wir mal aus dem Spiel, oder nein - jedenfalls hat sie wenigstens eine Beziehung, egal in welcher Form auch immer. Bianca ist der Star in der Anwaltskanzlei und der Juniorchef hätte sie gerne dort, wo sie nicht hin will. Ich hab ja wohl absolut den Vogel abgeschossen mit meiner Ausbildung zur Bankkauffrau, einem Sohn und einem Unternehmer, der leider immer noch mein Mann ist. Das 'leider' lassen wir einfach weg, die blöde Kuh muss ja nicht wissen, dass ich getrennt lebe ..."

Stella kriegt sich gar nicht mehr ein, vor Lachen.

"Ja, Leute, lasst uns dieses Mal so richtig auf die Kacke hauen, so wie sie das früher gemacht hat", gibt Bianca begeistert zurück," egal, was sie sagt, wir geben noch eins obendrauf!"

"Dito", antworten Stella und Julia unisono.

"Und wenn wir jeder einen Typen aufreißen, schleppen wir den ab! ... Kommt schon, seid doch einfach mal locker, was ist das Leben ohne Sex? Hand drauf Mädels!", drängt Julia.

"Ich hab nur ein Einzelzimmer", meint Bianca kleinlaut.

"Süße, wie viel Platz brauchst du zum Vögeln? Und hinterher pennt ihr halt übereinander, oder du schmeißt ihn einfach raus, keine Ahnung", rät Julia.

Stella schüttelt verlegen lachend den Kopf.

"Was jetzt? Braucht ihr zwei noch eine Anleitung, wie es funktioniert, oder wie?", abwartend sieht Julia ihren Freundinnen nacheinander ins Gesicht.

"Also bei mir läuft nichts mit einem Typen, wenn ich ihn nicht wenigstens mag", antwortet Stella.

"Warte ab, in dem Hotel gibt es eine Bar, die frei zugänglich ist. Wir genehmigen uns ein paar Drinks und glaube mir, dann wirst du jeden mögen, der nicht gerade aussieht, wie einer von den Orks", sagt Julia.

"Hä? Wer sind denn die Orks?", fragt Bianca interessiert.

"Schnuckelchen, du solltest hin und wieder mal etwas anderes tun, als deine Stifte zu quälen. Die Orks sind widerliche Kreaturen aus dem Film 'Der Herr der Ringe', wenn du die nicht kennst, hast du eine gewaltige Bildungslücke!", klärt Julia sie auf.

"Ach so", meint Bianca," bestimmt so widerliche Lebewesen wie Sina eines ist", mutmaßt Bianca.

"Ääähm ... jaha ... ja genau, damit könntest du wohl recht haben, nur noch ein ganz klein wenig hässlicher", informiert Stella sie und fällt daraufhin prustend in Julias maßloses Gelächter ein.

"Meint ihr ich sollte mich auf Tobi einlassen?", will Bianca plötzlich wissen, deren Gedankengänge den beiden anderen so manches Mal unheimlich erscheinen.

Julia hat sich immer noch nicht gefangen.

"Wie kommst du denn jetzt von den Orks auf Tobi? So übel sieht Tobias nun wirklich nicht aus", gackert Julia und schlägt sich kopfschüttelnd, lauthals lachend auf ihre Schenkel.

Stella gibt Julia einen Stubs und diese reißt sich unter größter Mühe zusammen.

"Wenn du es selbst nicht weißt, Süße, dann würde ich es lieber lassen. Was sagt denn dein Herz?", erkundigt Stella sich.

Schweigen ...

Dass sie jedes Mal an ihre unerreichbare erste Liebe gedacht hat, während Maximilian versuchte alles zu geben , um sie zum Höhepunkt zu bringen, verschweigt sie, es ist viel zu peinlich darüber ein Wort zu verlieren. Auch die Tatsache, dass sie einmal - was zu ihrer Trennung führte - den falschen Namen stöhnte, würde sie niemals jemandem erzählen ... Immerhin hat sie es mit Maximilian zu einer etwa zweijährigen Beziehung gebracht.

"Mein Herz hat auch bei Maximilian nicht jubiliert", gibt Bianca nach einem Moment ehrlich zu. "Ich glaube, es ist damals gestorben, als ich von zuhause wegziehen musste."

Schlagartig hat die Stimmung im Auto gewechselt. Julia hat plötzlich Tränen in den Augen und Stella knabbert betreten an ihrer Unterlippe.

"Hör zu, Schatzi", spricht Julia, " lass uns an diesem Wochenende so richtig einen drauf machen und danach überlegen wir gemeinsam, was wir tun können, um dir zu helfen. Warum hast du nicht längst nach diesem Traumprinzen gesucht? Ich meine, es gibt doch so viele Möglichkeiten ..."

Bianca schüttelt den Kopf.

"Erst dachte ich, es vergeht irgendwann - naja und dann ... wie soll man jemanden suchen, von dem man nichts weiß bis auf den Vornamen? Ich bin ein Stadtkind, vergesst das nicht, dort wo ich aufwuchs, gab es ein paar Einwohner mehr, als hier im gesamten Umkreis. Außerdem ist es sowieso viel zu spät. Bestimmt ist er längst verheiratet und erinnert sich gar nicht mehr an mich. Ich will nicht erfahren, dass er mit seiner Familie irgendwo ein glückliches Leben führt ... dann träume ich lieber ein Leben lang von ihm und male mir aus, was hätte sein können", erwidert Bianca traurig.

*****

Zur gleichen Zeit am Zielort ihrer Fahrt:

Sina kann nicht glauben, was Chris ihr soeben an den Kopf geworfen hat. Sie ist ganz entgegen ihres ansonsten losen Mundwerks sprachlos.

Sonst hat er sich ihr gegenüber immer so unglaublich liebenswürdig, nett und verständnisvoll gezeigt, aber das hier hatte keine Spur von all dem.

Mehr als zwei für Sina schöne Abende, als sie gemeinsam zum Essen ausgegangen sind, hat es nicht gegeben. Nicht einmal geküsst hat er sie, geschweige denn hatte sie ihre Qualitäten im Bett unter Beweis stellen dürfen. Doch wie immer, hat Sina sich davon nicht abschrecken lassen und stand mitten in der letzten Nacht mit zwei großen Koffern und einer erfundenen Gruselgeschichte im Gepäck vor seiner Haustür. Alles andere würde sich ergeben, hatte sie gedacht, immerhin ist sie schon, seit sie denken kann, eine Meisterin auf dem Gebiet der Manipulation gewesen. Noch nie hat ein Kerl sie zurückgewiesen. Okay, Lars damals - das ist Ewigkeiten her und zählt nicht.

Wie viele Jungs hat sie damals schon anderen Weibern ausgespannt? Im Grunde genommen sind sie doch alle gleich, ob Jungs oder Männer: Zu einer heißen Nummer kann keiner 'Nein' sagen.

So auch dieser muskulöse, braungebrannte Typ mittleren Alters, der als Pferdewirt bei Chris angestellt ist - so weit sie sich erinnern kann, heißt er Kevin. Es war vor etwa vier Wochen ein weiterer, verzweifelter Versuch irgendwie näher an den Mann ihres Begehrens heranzukommen. Zunächst wollte Kevin sie aus dem Stall hinauswerfen, doch geschickt umgarnte sie ihn und machte ihn so heiß, dass er nicht mehr ein noch aus wusste. Am Ende hat er ihr gezeigt, wozu ein Kerl fähig ist. Nie zuvor ist jemand so grob mit ihr umgegangen und hat sie so hart rangekommen wie er und es schien kein Ende zu nehmen.

"Komm schon du Schlampe, du hast es so gewollt, jetzt jammer nicht rum, ich bin noch lange nicht fertig mit dir", keuchte er, als er sie nackt gegen das raue Gatter einer Pferdebox nagelte. Er hämmerte seinen stattlichen Schwanz von hinten gnadenlos in sie hinein, während seine kräftigen Pranken ihre Pobacken auseinanderzogen und die zarte Haut ihrer Brüste, wie auch ihre harten Brustwarzen im schnellen Takt seiner Stöße am rauen Holz der Box scheuerten, ihre Füße hoben bei jedem Stoß ein Stück weit vom Boden ab.

Zum ersten Mal erkannte sie die Bedeutung des dummen Spruchs: Ich ficke dir das Hirn aus dem Schädel.

Kurz bevor er zum ersten Mal kam, zog er sich aus ihr zurück, drückte sie blitzschnell an den Schultern herunter auf die Knie, zog an den Haaren ihren Kopf in den Nacken und spritzte seine volle Ladung in ihr Gesicht.

"Mund auf", verlangte er anschließend und sie tat, was er wollte, denn sie verfolgte ja einen bestimmten Plan. Sein halbsteifes Glied wuchs ungewöhnlich schnell wieder zur vollen Größe heran. Er hielt ihren Kopf mit eisernem Griff und drückte sich immer wieder so weit vor, bis sie würgen musste.

"Mehr Einsatz, mach schon! ... Hast du gar nichts drauf du dumme Nuss?", schnauzte er und zog ihren Kopf erneut an den Haaren zurück.

Als er sie wieder hochzog und zurückdrängte, bis sie mit ihrem blanken Hintern auf zwei übereinandergestapelte, fürchterlich pieksende, kleine Strohballen landete, war sie froh, dass er sie lieber doch wieder vögeln wollte. Doch sollte sie sich täuschen, denn mit einer solchen Ausdauer hat sie nicht gerechnet. Hatte es beim ersten Mal schon lang gedauert, bis er zum Ende kam, war's beim zweiten Mal noch schlimmer. Ihre Beine hoch auf seine Schultern gelagert nahm er sie sich nun erst richtig vor und klatsche ihr zwischendurch deftig seine kräftige Hand auf den Hintern. Schob Ihr mehrmals zwischendurch seine Finger in ihren Honigtopf und walkte sie damit durch, um selbst ein wenig herunterzukommen und somit noch länger durchzuhalten ... vögelte anschließend wieder ohne Rücksicht auf irgendetwas weiter, wie ein wildgewordener Stier ... knetete auch mal grob ihre Brüste ... zwickte die Nippel ... zog an ihnen ... ohne jegliches Feingefühl ...

Ihr wurde schwindelig, ihre Kehle war staubtrocken und schmerzte vom Hecheln, Stöhnen und ekstatischen Schreien. Ihr gesamter Unterleib stand in Flammen und brannte wie Feuer, als er endlich animalisch aufstöhnte und seine Ladung Strahl um Strahl auf ihren Körper klatschten ließ.

"Ich hätte mir ja noch deinen Arsch vorgenommen", sagte er und knallte seine Pranke ein letztes Mal auf ihre rechte Pobacke, die sowieso schon glühte, "aber der Chef kommt sicher bald zurück. Zieh dich an und mach, dass du wegkommst. Ärger kann ich nicht gebrauchen, ich liebe meinen Job, weißt du? Außerdem werde ich hier gut bezahlt. Wenn er sieht, dass ich jemanden in den Stall gelassen habe, wird er mit Sicherheit sauer. Wäre ich ja auch, wenn ich so klasse Gäule hätte. Also Marsch, ab die Post! Und komm nicht noch mal hier an, was soll ich mit so was aufgetakeltem wie dir, außerdem bringst du es eh nicht!"

So viel zu ihrem Plan, der nicht mehr bewirkte, als schmerzende Knochen am nächsten Tag, eine wundgevögelte, brennende Pussy und malträtierte Brustwarzen, außerdem knallrote Hinterbacken, die sie sicherlich in Tagen noch an ihre Dummheit erinnern würden.

Jeder einzelne Schritt war eine Qual, als sie sich enttäuscht, mit wackeligen Beinen, auf den Rückweg machte und sich selbst verfluchte, weil sie statt eines Kleides, die superkurzen Shorts angezogen hatte, die unmittelbar unter den Pobacken endeten und deren fester Stoff bei jeder Bewegung schmerzhaft ihre Intimzone drangsalierte ...

...

Chris hat alles was sie begehrt: Er hat Geld, das sieht man doch. Er besitzt ein schönes Haus mit riesigem Grundstück - die stinkenden Pferdeviecher würde sie ihm schon irgendwann ausreden. Er ist ihr persönlicher Traum von einem Mann, sieht sehr gut aus, ist immer gut gekleidet, hat eine perfekte Figur und zum ersten Mal in ihrem Leben spürt sie, wie es sich anfühlt verliebt zu sein. Auch wenn ihr Plan daneben gegangen war, so hatte sie das Opfer gern gebracht, denn es hätte ja möglicherweise auch anders ausgehen können und wenn sie hier erst mal was zu sagen hätte, wäre der ungehobelte Kerl aus dem Stall sofort seinen Job los.

Außerdem darf Chris sie auf keinen Fall zurückweisen, schon gar nicht an diesem Tag. Vor vier Wochen hat sie ihre ehemaligen Klassenkameraden zu einem Treffen zusammengetrommelt. Nur wenige von ihnen haben zugesagt ...

Sie hat immer bekommen, was sie wollte, also wird es bei Chris nicht anders sein! Im Geiste sieht sie ihn schon nackt neben sich liegen, träumt von seinem perfekten Körper, den sie beinahe schon unter ihren Händen spüren kann. Sie hat in Gedanken schon den Geschmack seiner Haut auf der Zunge und sein Duft streichelt ihre Nasenwände. Sie spinnt ihren Traum weiter, lässt ihre Zunge von seinen Nabel abwärts gleiten, verteilt kleine, sanfte Küsse auf dem Weg zu ihrem Ziel und sein schwerer Atem wird in ihren Ohren zum Keuchen. Dann, als sie zum ersten Mal mit breiter Zunge von der Spitze bis zur Wurzel über sein pralles Glied leckt, stöhnt er verhalten auf und sie wird ihm beweisen, dass er ohne sie nicht leben kann. Denn das Blasen beherrscht sie besser als das Lesen, das Schreiben und das Rechnen - so schnell wird ihr auf dem Gebiet keine andere Frau zur Konkurrenz. Unzählige Männer haben ihr bereits bestätigt, dass sie es meisterhaft beherrscht - also, warum sollte sie sich Sorgen machen, das Chris etwas an ihr bemängeln könnte? Ihre Figur ist top, sie versteht es sich perfekt zu schminken, zu kleiden und in Szene zu setzen, was sollte er denn mehr von einer Frau erwarten?

Geplant war eigentlich, ihn als ihren Verlobten vorzustellen, aber sie ist mit ihm, völlig unerwartet, seit drei Monaten nicht mal einen winzigen Schritt weitergekommen.

Also muss ein Plan B her, denn die restlichen Stunden der Nacht, hat sie zu ihrem Entsetzen allein in einem Gästezimmer verbringen müssen und nicht wie erhofft an seiner Seite in seinem Bett. Er hatte sogar die Tür zu seinem Schlafzimmer abgeschlossen, das hatte sie leider feststellen müssen, als sie sich splitternackt in sein Bett schleichen wollte.

Doch auch Plan B verpufft bei seinen nächsten Worten, wie eine bunt schillernde Seifenblase.

"Du hast schon richtig gehört. Ich will dich nicht hier haben, also pack deinen Scheiß zusammen und verzieh dich, wohin auch immer. Von mir aus nimm dir ein Zimmer im Hotel, oder penn unter irgendeiner Brücke, mir egal. Sieh zu, dass du wegkommst, ich musste lange genug warten, bis du endlich aus dem Bett gekrochen bist. Da ist man einmal freundlich zu jemandem und es wird gleich als Interesse an einer Beziehung ausgelegt, unglaublich. Die Geschichte, die du mir in der letzten Nacht aufgetischt hast, soll glauben, wer will, ich gehöre allerdings nicht zu solchen Idioten. Ich weiß gar nicht, was du dir dabei gedacht hast, hier aufzukreuzen ... Außerdem noch eine Frage: Solltest du nicht längst im Café sein? Oder habe ich dich eingestellt, damit du nichts anderes machst, als deine Kolleginnen wie Dreck zu behandeln?

Und noch was: Wenn du weiterhin dort arbeiten willst, dann ändere nicht nur dein Verhalten, sondern zieh dich in Zukunft mal etwas gescheiter an und nicht so, wie ein billiges Flittchen", regt Chris sich auf.

Wenn Sina nicht das Café - in dem Frühstück, Kaffee und Kuchen, auch Abendbrot und Snacks, sowie Flaschenbier, Sekt und Wein in Piccoloflaschen, als auch Softdrinks und so was angeboten werden - wenn sie das für den Abend nicht benötigt hätte, dann wäre sie am liebsten sofort sang- und klanglos verschwunden und natürlich, wenn ihr Herz sich nicht so sehr zu diesem Mann hingezogen fühlte. Außerdem braucht sie den Job, eine vernünftige Ausbildung hat sie nie abgeschlossen, nicht einmal das Fachabi hat sie gepackt und das Geld, welches ihre Eltern ihr monatlich spendieren, geht allein für Maniküre, Kosmetikerin und so was in der Art drauf...

Irgendwie würde sie ihn schon noch um den Finger wickeln können, dessen ist sie sich absolut sicher. Wenn nicht heute, dann halt später. Aufgeben wird sie jedenfalls nicht, soviel steht für sie fest.

Tränen brennen in ihren Augen, als sie ihre Sachen wieder in die Koffer packt.

'Ich werde im Hotel übernachten', denkt sie, 'es wird mit Sicherheit keiner von den Volltrotteln hierbleiben. Das Café, schließt um zehn, früh genug für alle, um wieder nach Hause zu fahren und die Geschichte mit Chris werde ich ihnen trotzdem erzählen, wer sollte schon herausbekommen, dass es eine Lüge ist. Ich, als zukünftige Frau eines reichen Rechtsanwalts - das macht etwas her. Ich sage einfach, dass sein Vater ganz plötzlich schwer erkrankt ist und er deshalb nicht anwesend sein kann.'

Ihr Blick fällt auf die Bilder an einer der Wände, bevor sie das Gästezimmer verlässt. Es sind drei Porträts von Pferden in verschiedenen grautönen gehalten, auch auf dem Weg die Treppe hinunter sind Bilder in der gleichen Art an den Wänden zu sehen. Mal sind es Pferde und mal komische runde Scheiben mit Kratern und Furchen, wobei Sina findet, dass das Schönste an den Bildern deren Rahmen sind.

'Das kommt alles weg, wenn ich hier einziehe', denkt Sina bei sich, 'er wird sich doch wohl vernünftige Gemälde leisten können.'

Im Flur unten hängt ein großes Porträt von einer Frau, oder einem Mädchen, sie hat nicht soviel Zeit genauer hinzusehen, denn Chris steht schon ungeduldig an der Haustür, um diese gleich hinter ihr ins Schloss fallen zu lassen. Er hat ihr noch nicht einmal angeboten ihr mit dem Gepäck zu helfen ...

Außerdem hätte er sie wenigstens zum Hotel fahren können, denn sie hat sich in der Nacht von einem Taxi oben an der Straße absetzen lassen. Sie wohnt zwischen diesem und dem nächsten Ort, allerdings in der entgegengesetzten Himmelsrichtung, zur Untermiete bei einem pensionierten Lehrer. Für eine eigene Wohnung würde es knapp reichen, doch so ist sie viel besser dran. Hin und wieder kann sie sogar ihre Miete bei dem Herrn Oberstudienrat a. D. auf eine nicht ganz gewöhnliche Art bezahlen und spart dadurch die Kosten - man muss nur clever sein! ...

Normalerweise fährt sie täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Zwar besitzt sie auch ein Auto, doch das ist seit drei Wochen kaputt, eine Reparatur kann sie sich nicht leisten.

So muss sie nun zum Hotel laufen und ihre Koffer - zum Glück kann man sie ziehen - irgendwie über den holprigen Randstreifen der Straße befördern.

*****

Wieder zurück zu den drei Damen:

Gegen vierzehn Uhr erreichen die drei Freundinnen die Autobahnausfahrt.

"Jetzt noch ein Viertelstündchen", sagt Stella.

"Oh Mann, kann es nicht schon später sein? Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wer kommt ... was, wenn wir drei blöden Gänse die einzigen Dummen sind, die erscheinen?", sorgt sich Julia.

"Dann gehen wir in die Hotelbar und lassen uns volllaufen, aber ohne die Primadonna", schlägt Bianca halb abwesend vor. Ihr Blick saugt förmlich die schöne Landschaft auf.

"Du erst noch", kichert Stella, "zwei Gläser Wein, dann kackst du schon ab!"

"Egal", wirft Julia ein," Hauptsache wir sind nicht auch noch die einzigen Gäste in der Bar, das wäre natürlich der absolute Horror ..."

"Und dann noch dazu ein Barkeeper, der sich nichts aus Weibern macht", meint Bianca trocken.

Stella und Julia gröhlen vor Lachen.

"Mensch, Schatzi, was ist los mit dir? So kenne ich dich gar nicht!", wundert sich Julia, nachdem sich alle wieder beruhigt haben.

"Ich sage es ja immer wieder: Die Stillen haben es meistens faustdick hinter den Ohren!", gibt Stella ihren Senf dazu.

"Ich glaube, ich gehe nachher mal ein Stündchen auf Motivjagd. Ist ja echt schön hier und Zeit genug haben wir noch bis um sechs!", kündigt Bianca an.

"Hab ich es mir doch gedacht ...", antwortet Stella," tu, was du nicht lassen kannst, aber vergiss nicht dein Handy mitzunehmen!"

"Wow", sagt Bianca kurz nach dem Ortseingangsschild, "fahr mal ganz langsam, oder halte mal eben. Seht euch mal diese traumhaften Gäule an!"

"Echt der Hammer!", meint Stella, sie ist rechts rangefahren und hat angehalten," da steht ein Vermögen auf den Koppeln. Alles Vollblutaraber vom Feinsten ... und da, guckt mal, vier Fohlen ... und da hinten ... wenn mich mein Auge nicht täuscht, stehen da noch Friesen. Echt krass! Und die Hütte da vorne ist auch nicht von schlechten Eltern. Da sieht man echt, wo Kohle steckt. Nennt man so was nicht Herrenhaus? Oder nannte ... früher jedenfalls?"

"Das kann ja ein renoviertes altes Haus sein. Sieht top aus, könnte mir auch gefallen", stellt Julia fest.

"Hier bleibe ich und heirate den holden Herren", flachst Bianca.

"Hey, du trauerst mal schön weiter um deinen Traumprinzen, wenn hier einer den Hausherrn heiratet, dann bin ich das!", scherzt Stella und lässt den Wagen wieder anrollen.

Kaum fünf Minuten später checken sie in der Hotellobby ein.

Der Typ am Empfang ist eine wahre "Sahneschnitte", so wie Julia Bianca ins Ohr flüstert und den etwa Ende dreißigjährigen fast mit ihren Augen verschlingt. Sie sind noch nicht ganz fertig, als zwei Männer die Lobby betreten. Bianca erkennt Lars sofort und der andere, das müsste Steven sein. Sie strahlen beide um die Wette und Lars hält seinen Zeigefinger an die Lippen. Bianca grinst breit, als die zwei sich leise hinter Julia und Stella stellen, die auf den Empfangstresen gestützt mit dem Mann dahinter reden. Lars kitzelt ganz leicht Julias Nacken, sie fährt erschrocken herum und fällt Lars gleich juchzend um den Hals, als sie ihn erkennt. Genauso passiert es, als Stella sich umdreht und Steven hinter sich erkennt.

'Na toll, die sind schon mal beschäftigt, jetzt hab ich meine Ruhe', denkt Bianca und freut sich.

"Hey Baby, lass dich drücken", sagt Lars und zieht Bianca ebenfalls zur Begrüßung in seine Arme.

Auch Steven begrüßt sie herzlich auf die gleiche Art.

"Da sind wir also: Der Arsch, der Penner, die fette Sau, die Bauernschlampe und die dusselige Trantüte. Ach, wie habe ich doch ihre netten Kosenamen in all den Jahren vermisst!", stöhnt Lars theatralisch.

"Hopp, hopp Mädels, Koffer weg und dann einen Begrüßungsdrink an der Bar. Welche Zimmer habt ihr?", treibt Steven und greift sich zwei Koffer.

Lars nimmt den dritten und marschiert schon los. Mit vor Aufregung geröteten Wangen flitzen Julia und Stella kichernd mit dem Kleinkram hinter ihnen her.

Bianca folgt ihnen gemäßigten Schrittes.

'Na, wenn die vier es heute Nacht nicht gewaltig krachen lassen, fresse ich einen Besen', denkt sie grinsend und gönnt ihren Freundinnen das Vergnügen.

In der Hotelbar erfahren sie sehr schnell, dass Lars kinderlos geschieden und Steven nach einer fünfjährigen Beziehung wieder Single ist. Bianca zwinkert ihren Freundinnen zu und lässt ihre Augenbrauen zucken. Die beiden haben schon ein sehr verdächtiges Funkeln in den Augen. Kurz darauf verabschiedet Bianca sich für eine Weile und lässt sich auch von Lars und Steven nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

Sie läuft das Stück zurück zu den Pferden, um sie ganz aus der Nähe, in voller Pracht zu bewundern.

In regelmäßigen Abständen sind Schilder am Zaun befestigt: FÜTTERN BEI STRAFE VERBOTEN, DAS GELÄNDE IST VIDEOÜBERWACHT!

Bianca schaut nach oben, nach rechts und links und kann tatsächlich wettergeschützte Kameras entdecken. Ein kräftiger, großer Mann mittleren Alters begutachtet unweit von ihr den Huf einer schneeweißen Stute. Sie kann ihn mit dem Pferd reden hören und ist entzückt darüber, wie liebevoll und sanft der große Kerl mit dem Tier spricht. Eine wunderschöne, pechschwarze Stute reckt ihren Hals weit über den Zaun und blickt Bianca neugierig an. Wie gerne hätte sie das Tier gestreichelt, doch in Anwesenheit des Mannes traut sie sich nicht, das Pferd anzufassen, wer weiß, ob es gern gesehen wird.

Der Mann blickt herüber und nickt kurz zum Gruße.

"Bianca, sei nicht immer so neugierig", ruft der Mann mit tiefer Stimme. Das Pferd dreht sich gleich um und trabt auf den Mann zu, der dem Tier zärtlich über die Nüstern streichelt und es daraufhin kurz hinter einem Ohr krault.

Bianca muss grinsen, weil die Stute ihren Namen trägt und noch mehr, als der Mann in Richtung Stall läuft und ihre Namensvetterin ihn verfolgt, ihn dabei so lange immer wieder anstupst, bis er stehenbleibt und dem Tier noch ein paar Streicheleinheiten gönnt.

'So muss es sein', denkt Bianca und kann sich sehr gut vorstellen, dass hier auf dem Hof das Wohl der Tiere einen sehr hohen Stellenwert hat. Kurz darauf schlendert sie weiter. Ein Weg, auf der anderen Straßenseite, der zwischen einigen blühenden Jasminbüschen neben anderen hohen Sträuchern verschwindet und scheinbar den kleinen Hügel hinaufführt, erregt ihre Aufmerksamkeit.

Was sie allerdings hinter den Büschen entdeckt, raubt ihr beinahe den Atem.

Dort sind zwei weitere Koppeln. Rechts des Weges stehen zwei Friesenhengste, die schönsten ihrer Rasse, die sie jemals zu Gesicht bekommen hat. Auf der linken Seite etwas weiter vom Weg entfernt, grasen drei Araber friedlich vor sich hin. Vermutlich sind es ebenfalls Hengste, aus der Entfernung kann man es natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Der Weg schlängelt sich durch eine Wildblumenwiese den Hügel hinauf. Nach ein paar Metern des Weges führt eine kleine Brücke mit geschwungenem Geländer über einen sprudelnden, klaren Bach. Etwa zwanzig, dreißig Meter weiter steht eine weit ausladende, riesige Trauerweide inmitten der Blumenwiese, in ihrem Schatten ist eine Bank zu sehen, diese steuert Bianca an.

Unterwegs kramt sie ihr Handy aus der Handtasche hervor und die In-Ear-Hörer. Sie verbindet die Teile und setzt sich, wirft einen Blick zu den Friesen zurück und sieht einen Mann vor dem Zaun stehen, der, so wie es aussieht, mit den Pferden redet. Sie kramt ihre Mappe heraus, die hübsche Ledermappe im DIN A5 Format, die Stella ihr zu Weihnachten schenkte und die sie stets in der großen Handtasche bei sich trägt, sowie auch das Mäppchen mit den Stiften in verschiedenen Härtegraden.

Noch einmal ein Blick zu den Friesen, der Mann überprüft gerade den Zaun und wackelt an einem der Pfosten. Es ist ein anderer als vorhin auf der gegenüberliegenden Straßenseite, soviel kann Bianca erkennen, der andere hatte dunkles Haar, dieser hier ist honigblond. Dann geschieht das, was immer passiert, sobald sie ein neues Werk in Angriff nimmt. Die Welt ringsherum nimmt sie überhaupt nicht mehr wahr, den Anblick der zwei herrlichen Hengste hat sie in ihrem Kopf. Konzentriert lauscht sie der Musik und der Stift fliegt über ein blütenweißes Blatt festen Zeichenpapiers, es hat fast die Stärke von Tonpapier oder dünner Pappe und ist durch eine Klammer rutschfest an ihrer Mappe fixiert.

So bekommt sie auch nicht mit, dass der Mann sie beobachtet.

Es ist Chris, der ihr vorhin schon nachschaute, als sie auf dem Weg zu dieser Bank gewesen ist. Ihr langes, dunkles, leicht lockiges Haar hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er erinnert sich wehmütig an das Mädchen von vor zehn Jahren, von dem er nur weiß, dass es Bianca heißt. Als er nun sieht, dass sie zu zeichnen beginnt, wird sein Interesse noch größer, denn er selbst obliegt dieser Leidenschaft. Meistens sind es Porträts seiner Pferde, Bilder von Planeten oder von dem Mädchen, an das er vor weit mehr als zehn Jahren sein Herz verlor und welches er nie vergessen konnte. Ganz in den Gedanken an sie vertieft, berührt er kurz seine Lippen. Dann blickt er wieder zu der Frau auf der Bank.

Wie magisch von ihr angezogen, geht er langsamen Schrittes den Weg entlang und beobachtet sie weiterhin. Natürlich reagiert sie nicht auf die Bewegung, die in wenigen Metern Abstand vonstattengeht. Er kennt das, er ist stets ebenso fernab der Welt, besonders dann, wenn er sich auf das Gesicht des Mädchens von damals konzentriert, um ein weiteres Porträt von ihr zu erstellen - eines, welches all die anderen an Präzision übertrifft.

Chris läuft einige Schritte weiter den Weg entlang, als Bianca zuvor. Er will sie nicht erschrecken, jedoch hofft er ihr heimlich über die Schulter blicken zu können, während ihr Werk entsteht. Nur für einige Augenblicke, dann würde er sich diskret zurückziehen und von ihr unbemerkt wieder verschwinden - so nimmt er es sich jedenfalls vor ...

*****

Unterdessen im Hotel:

Philipp, der Mann hinter dem Empfangstresen, grinst vor sich hin.

Die zwei Paare in der Bar amüsieren sich köstlich, er kann beinahe jedes ihrer Worte verstehen, weil die Tür zur Bar weit offen steht. Normalerweise öffnen sie das Lokal erst gegen neunzehn Uhr, doch weil heute mehrere Hotelgäste erwartet werden, hat er dafür gesorgt, dass schon gegen Mittag jemand den Dienst in der Hotelbar übernimmt.

Das Hotel gehört Philipp, eigentlich ist er Anwalt, wie sein Cousin Chris, doch Alex, der ansonsten hinter der Rezeption sitzt, ist erkrankt und Bernie, der zweite Mann für den Job, übernimmt erst gegen achtzehn Uhr den Dienst. Philipp hatte an diesem Tag keine weiteren wichtigen Termine, jedenfalls keine, die sich nicht kurzfristig hätten verschieben lassen.

Philipp und Chris führen gemeinsam eine Kanzlei nicht weit vom Hotel entfernt.

Das Hotel sowie ein beachtliches Vermögen hat Philipp von seinen Großeltern geerbt. Genau wie Chris die Pferdezucht und das Herrenhaus bekommen hat, ebenfalls nebst einem Haufen Geld. Das heißt: Eigentlich hätte Chris' Vater es erben sollen. Doch der meinte, sein Sohn würde sowieso mal alles bekommen, warum dann nicht sofort. Außerdem wäre er zu alt für so einen Mist.

Philipps Eltern sind längst verstorben, noch vor seinem Großvater, deshalb ging das Erbe gleich an ihn.

Vor drei Jahren ist der Opa verstorben und Philipp vor zwei Jahren hergezogen. Er ist glücklich, dass er sich für diesen Schritt entschieden hat, denn hier hat er seine zweite Frau kennengelernt. Chris kam erst ein halbes Jahr später, genau wie Philipp, hatte er eine Weile Bedenkzeit gebraucht.

Wie oft hatte Philipp seinen Cousin gedrängt, sich nach einer passenden Partnerin umzusehen, auch wenn er um einige Jahre jünger ist als er selbst, sollte man mit knapp dreißig doch nicht alleine sein.

"Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde", mit dem Spruch wich Chris ihm jedes Mal aus, bis er ihm endlich eines Tages an einem feucht- fröhlichen Abend die Wahrheit gestand.

Er hätte genug von den Weibern, sagte er. Während seiner Studienzeit hätte er seinen Frust an unzähligen Blondinen ausgelassen, sie gevögelt und dann gleich mit dem benutzten Kondom entsorgt. Es waren immer nur Blondinen, hin und wieder mal eine mit rotem Haar, denn das Mädchen, in das er sich vor dieser Zeit verliebt hatte und das er nicht vergessen konnte, hatte dunkles Haar - dunkelbraun, fast schwarz und ihre Augen waren braun. Bianca hieß sie, teilte er ihm noch mit und es sei nie etwas daraus geworden, weil sie ein paar Tage nach seinem Abi einfach verschwunden war.

" Sollte ich ihr nochmal begegnen, würde ich sie sofort auf der Stelle heiraten, damit sie mir nicht noch einmal entwischen kann. Aber wahrscheinlich ist sie längst verheiratet und erinnert sich gar nicht mehr an mich ... ich will es gar nicht wissen ...", meinte er an jenem Abend, stand auf und ging nach Hause.

Wenn Philipp sich nicht gewaltig täuscht, hat er sie heute gesehen und sie bewohnt ein Zimmer im Hotel. Jedenfalls sieht die junge Frau, die mit den anderen beiden ankam, der Dame sehr ähnlich, die Chris schon unzählige Male porträtiert hat und von der jede Menge Bilder die Wände seines Hauses zieren.

Bianca heißt sie zudem auch noch.

Er beschließt, auf dem Heimweg bei Chris vorbeizugehen und ihm von ihr zu erzählen.

Nacheinander treffen weitere Gäste ein und beziehen ihre gebuchten Räume, sie scheinen sich alle untereinander zu kennen. Ein Klassentreffen, das bekommt Philipp irgendwann mit und es soll im Café stattfinden, welches Chris und ihm gemeinsam gehört. Eigentlich hatte er das Café schließen und das gesamte Gebäude verkaufen wollen, doch Chris meinte, man könne es immer noch irgendwann machen, denn die Frauen, die dort beschäftigt sind, seien auf ihren Verdienst angewiesen, so hatte er sich überreden lassen und verlangt, dass Chris sich um alles, was mit dem gesamten Haus zu tun hat, kümmert.

Genauso verhält es sich mit den brachliegenden Flächen, die früher an umliegende Landwirte verpachtet waren und sich über das gesamte Gebiet bei Chris' Hof gegenüber, den Hügel hinauf und wieder hinunter bis zur nächsten Straße, weit nach rechts und auch nach links bis zum jeweiligen Nachbarort, erstrecken.

"Wenn du das Geld brauchst, können wir verkaufen", meinte Chris, "aber genauso gut können wir es behalten und der Natur eine Chance geben. Denke daran, wie schnell alles zugebaut wird, also, wenn ich verkaufen würde, dann höchstens hinter dem Hügel. Ich will keine verbaute Fläche bei mir direkt gegenüber!"

Er hat Recht damit, dachte Philipp, solange sie das Geld nicht nötig hätten, sollte es so bleiben, wie es ist.

Kurz fällt ihm ein, dass diese eine furchtbare Person am Mittag, hier im Hotel ein Zimmer genommen hat - warum auch immer. Die arbeitet auch im Café und kommt sich vor, wie die Königin von Deutschland. Chris ist zweimal mit der ausgegangen, ganz am Anfang, als sie hergezogen ist. Er hat halt eine ausgeprägte soziale Ader, anders kann man es nicht nennen. Er meinte, er hätte es nur getan, weil sie niemanden in der Umgebung kennt. Nun, jedenfalls kennt SIE nun jeder in der Umgebung, zumindest, seit sie sich von Kevin so richtig hat durchnehmen lassen.

Bei dem Gedanken schüttelt Philipp seinen Kopf.

Nicht nur, dass sie aussieht wie eine vom Straßenstrich, sondern obendrein noch wenig Hirn zu haben scheint, denn dass in ländlichen Gebieten wie diesen, wo fast jeder jeden kennt, beinahe alles wie ein Lauffeuer verbreitet wird, sollte doch wohl jedem klar sein. Kevin ist ein fleißiger und guter Kerl. Er hat schon zu Großvaters Lebzeiten auf dem Hof gearbeitet und während niemand dort lebte weiterhin alles umsorgt. Nur hat er ein Problem im Umgang mit den Frauen, seit seine Ex-Frau ihn betrogen hat und wenn eine ihn so anmacht, wie dieses Flittchen es getan hat, muss sie sich nicht wundern, dass sie von ihm das bekommt, was sie seiner Ansicht nach verdient hat. Er ist Single ... wenn er seinen Spaß dabei hat, so sei es ihm gegönnt. Er hat Chris die Sache noch am selben Tag gebeichtet, weil er weiß, dass er eigentlich, außer gute Bekannte des Chefs, niemanden in die Ställe lassen darf. Doch diese Person hat sich nicht abwimmeln lassen ... also ... was soll's ...

Außerdem erzählt man sich noch viel mehr über sie, zum Beispiel, dass man am Waldrand vor ein paar Wochen einen schaukelnden Wagen beobachtet hat, aus dem sie dann irgendwann ausstieg und der Fahrer wohin auch immer fuhr.

Dass sie, seit das Hotel wieder geöffnet hat, schon mehrmals einen der reisenden Geschäftsleute aufgerissen hat, ist ihm ebenfalls zu Ohren gekommen. Seitdem hat das Personal sie rauszuwerfen, falls sie noch einmal die Hotelbar betreten sollte.

Es gäbe noch mehr über sie zu berichten, allerdings ist Philipp kein großer Schwätzer, er hört sich den Klatsch der Leute zwar an, doch trägt er ihn selten weiter. Er ist, genau wie sein Cousin, der Ansicht, dass jeder sich um seinen eigenen Dreck kümmern sollte ...

Philipp wird Bernie nachher noch darauf hinweisen, darauf zu achten, dass das Flittchen niemanden auf ihr Zimmer schleppt, denn schließlich ist dieses Haus ein Hotel und kein Bordell. Und an das für sie geltende Verbot die Bar zu betreten, muss er ihn ebenfalls erinnern.

Im Allgemeinen kümmert sich hier niemand darum, welcher von den Gästen mit wem im Zimmer verschwindet, aber durch solch eine Person will er sich nicht unbedingt den Ruf seines Hauses ruinieren lassen.

...

'Irgendwas hat dieses Weibsbild vor, wenn ich nur wüsste, was es ist ...', denkt Philipp und wird von den Stimmen aus der Bar seinen Gedanken entrissen.

"Lass dich knutschen, Schatzi", hört Philipp aus der Bar und schmunzelt - da scheint die Wiedersehensfreude sich bereits auf eine andere Ebene zu begeben.

"Lasst uns doch einfach hierbleiben, ich habe mich auf euch gefreut und nicht auf dieses widerliche Miststück!", vernimmt er eine andere Stimme.

"Nein, das kommt gar nicht infrage, ich will unbedingt wissen, was aus der Primadonna geworden ist!", die Stimme erkennt Philipp als die, einer der beiden Frauen, die diese Bianca begleitet haben.

"Siiiinaaa du blödes Miststück ...", singt eine männliche Stimme zu einer selbst erfundenen Melodie.

"Aber eigentlich müssen wir ihr ja dankbar sein, dass sie uns herbestellt hat, oder Schatzi? Komm, noch einen Knutscher. Hätte ich damals schon gewusst, wie lecker deine Küsse schmecken, hätte ich mir viel Ärger ersparen können!"

'Moment mal', denkt Philipp und geht die Gästeliste durch,' da hab ich sie ... na klar ... das Flittchen heißt Sina...'

Er wird unterbrochen, weil weitere Gäste einchecken wollen.

"Schade, dass das schwabbelige Nilpferd und der hässliche Spinner nicht hier sind ... und ... ach ja, warte mal ... die stinkende Schwuchtel ... und ... man, helft mir doch mal, wie soll man sich all die entzückenden Kosenamen merken?", lässt einer aus der Bar verlauten.

"Madame Fettarsch ist zur Stelle", ruft eine hübsche Dame, die soeben das Foyer betreten hat und die versammelte Mannschaft in der Bar, sowie die Neuankömmlinge an der Rezeption brechen in beifällige Jubelrufe aus.

Philipp ist ein wenig verwirrt angesichts dieser beleidigenden Bezeichnungen.

"Das hirnlose Arschloch ist auch da", ruft der junge Mann, der Philipp gerade seinen Ausweis vorlegt, über seine Schulter hinweg. Wieder Jubelrufe ...

Es werden noch weitere Gäste erwartet. Philipp kann sich der Vermutung nicht erwehren, dass sich dieser Abend für das Flittchen ganz anders gestalten wird, als sie es sich vorgestellt hat und grinst kurz in sich hinein, bevor er sich dem nächsten Gast widmet.

"Hey du, lieber, netter Mensch", hört er aus der Bar," gibt es auch Musik in diesem gemütlichen Lokal?"

"Na klar, ich bin übrigens der Marvin", kommt zurück und dann erklingt ein Song den Philipp für die lustige Gesellschaft absolut passend findet:

' An Tagen wie diesen'

Julia und Lars küssen sich, der Welt entrückt ... bei Stella und Steven scheint es noch ein klein wenig zu dauern, aber sie sind auf dem besten Wege es den anderen beiden gleichzutun.

Das kann Philipp allerdings nicht sehen, ich als Beobachterin der ganzen Geschichte jedoch, bin mir sicher, dass es jeden Moment soweit sein wird ...

*****

Zurück zur Bank bei der Trauerweide:

Chris hat, genau wie Bianca, die Zeit vergessen. Ihren flinken Fingern, mit den perfekt manikürten Nägeln bei der Arbeit zuzusehen, hat ihn in einen Bann gezogen. Sie hat ihn immer noch nicht bemerkt und er sie nur von hinten betrachten können.

Mit dem kleinen Finger verwischt sie geschickt die zuvor auf das Papier gebrachten Schraffierungen. Für ihn wäre das Werk schon perfekt, so wie es jetzt ist, doch scheint sie noch nicht zufrieden zu sein.

Doch dann passiert etwas, womit Chris nicht gerechnet hat. Sie hebt den Kopf, irgendetwas hat sie abgelenkt ...

...

Seltsamerweise kann Bianca sich heute nur schlecht konzentrieren.

Sie denkt an Julia und Stella, die von nun an sicherlich mit Lars und Steven als Paare zusammenbleiben werden. Man hat ihnen ihre Gefühle direkt von den Augen ablesen können.

Die Songs, die sie hört, sprechen allesamt von Sehnsucht und Liebe. Melancholie befällt sie plötzlich und hält sie in ihrem Griff.

Sie seufzt und der nächste Song treibt ihr Tränen in die Augen. Sie sehnt sich nach Liebe und Wärme und fragt sich, warum sie nicht auch so ein Glück wie ihre Freundinnen haben kann.

Was wohl passieren würde, wenn Chris ihr plötzlich unerwartet begegnen würde und ebenso wie Lars und Steven ungebunden wäre? Würde sie gleich sofort die erste Nacht mit ihm verbringen, so wie Stella und Julia? Dass sie es so machen werden, dessen ist sie sich vollkommen sicher.

Ob sie Tobias doch eine Chance geben sollte?

Sie zieht vorsichtig das Porträt von Tobias aus einem Fach in der Mappe und begutachtet es. Dann schüttelt sie den Kopf und zieht ein anderes Porträt hervor.

Heute tut es besonders weh und genau im richtigen Moment bekommt sie auch noch den passenden Song präsentiert - es ist "Breathe Easy" von Blue. Zwar weiß sie nicht wirklich, ob er eine andere hat, doch ist sie davon überzeugt. Sie kann ihn sich direkt vorstellen, wie er lachend mit zwei kleinen Kindern auf einem sattgrünen, gepflegten Rasen Ball spielt, im Hintergrund steht eine hübsche, lächelnde Frau, die ihre Familie glücklich beobachtet.

Wenn die Stimmen der Gruppe nicht den Herzschmerz auszudrücken vermögen, den sie gerade empfindet, so kann es niemand. Sie schluchzt leise auf und wischt sich gleich darauf eine Träne von der Wange, dann hält sie sich den Handrücken vor den Mund und weint hemmungslos ...

...

Zunächst will Chris sich leise zurückziehen, doch als sie plötzlich ein kleines Porträt von seinem Studienfreund Tobias in der Hand hält, erstarrt er. Er ist es - ganz bestimmt, das Gesicht würde er nicht mit einem anderen verwechseln, außerdem könnte das Porträt sogar ein Schwarz-Weiß-Foto sein, so vollendet ist es gearbeitet.

Sie steckt es wieder weg und Chris kann seinen Augen nicht trauen, als sie weinend ein Porträt in den zitternden Fingern hält, auf dem er selbst zu sehen ist.

"Sie ist es", flüstert er und weiß nicht, was er machen soll. Stocksteif steht er direkt hinter ihr und sein Herz droht ihm aus der Brust zu springen.

Sie bewegt sich und die Mappe nebst Stiften rutschen von ihrem Schoß ... sie springt auf und beugt sich herunter, um alles aufzusammeln, dann erblickt sie ihn und starrt ihn zunächst mit vor Angst geweiteten Rehaugen an.

Chris hat einen dicken Kloß im Hals.

"Bianca?", würgt er mühsam hervor und seine eigene Stimme klingt fremd in seinen Ohren.

Das Strahlen in ihrem Gesicht zeigt an, dass auch sie ihn erkannt hat. Er hat sich verändert, ist von einem wortverlegenen Jüngling zu einem prächtigen Kerl geworden. Bianca erhebt sich wie in Trance, lässt alles, was sie in den Händen hat, wieder zu Boden fallen und umarmt Chris schluchzend, der sie in der nächsten Sekunde schon in seinen Armen hält ...

Als wäre damals die Zeit stehen geblieben, während sie sich küssten, umschlingen sich ihre Zungen ... mit den Händen, betasten sie sich, als ob sie sich versichern wollen, dass ihr Gegenüber nicht nur eine irreale Erscheinung ist ...

Nie zuvor hat Chris eine Frau so sanft berührt ... so, als befürchte er, sie würde sich augenblicklich in Luft auflösen, sollte er auch nur eine Spur fester zugreifen.

Atemlos lösen sie ihre Lippen voneinander...

"Ich hab dich so vermisst", flüstern sie gleichzeitig und küssen sich gleich darauf weiter.

Die Welt um sie herum existiert nicht mehr ... seine Lippen streifen sachte über ihre Wange ... über den Kiefer, zu ihrem Hals ... sie streicht zärtlich mit der Hand durch sein Haar und lässt den Kopf in den Nacken fallen ... seufzend genießt sie die saugenden Küsse, die ihre empfindliche Haut berühren und traut sich nicht ihre geschlossenen Augen zu öffnen und somit aus einem wundervollen Traum zu erwachen ... kurz darauf liegt Bianca unter den tief herabhängenden, spindeldürren Zweigen der Trauerweide auf dem nackten Erdboden, dort, wo kein Gras wächst, weil das dichte Laubwerk, einem Vorhang gleich, jedem Sonnenstrahl den Zutritt verweigert.

Was macht es schon aus, dass ihr hübsches, rotes Kleid schmutzig wird? ... Ohnehin behält sie es nicht mehr lang an ihrem Leib ... gegenseitig ziehen sie einander unter zärtlichem Streicheln ihrer Hände ihre Kleidung aus ... sie müssen es einfach tun ... müssen sich spüren ... sich schmecken ... sich mit all ihren Sinnen erkunden ... viel zu lang haben sie nur davon träumen können sich gegenseitig Zärtlichkeiten zu schenken ...

Mal ist es Chris der Biancas Körper erforscht, mal ist es andersherum.

Die seufzenden Laute sind längst zu lustvollem Stöhnen mutiert. Ihre Körper winden sich unter den erregenden Zuwendungen des jeweils anderen.

Biancas Kleid dient noch dürftig als dünner Schutz vor dem schmutzigen Boden ... ihr Slip aus roter Spitze liegt irgendwo dort, wo Chris ihn hingeworfen hat ... er selbst ist ebenfalls so nackt wie sie und lässt soeben seine Zunge um Biancas Perle kreisen ... sein knallhartes Glied pocht und zuckt einmal kurz, als Biancas heiserer Aufschrei von einem Windhauch davongetragen wird ... sein keuchender Atem trifft auf die Nässe ihrer Spalte ... er blickt kurz zu ihr auf, als sie sich aufbäumt ... dann hält er ihr Becken mit eisernem Griff und noch einmal senkt er sein Haupt ... saugt an diesem magischen, hochempfindlichen Knubbel, lässt seine Zungenspitze immer wieder dagegenstupsen und Bianca versucht ihm zuckend entgegenzubocken ... ein weiterer Aufschrei folgt, der in der Natur verklingt - sogar die Hengste auf den zwei Koppeln heben kurz ihre Köpfe, um zu ergründen, was da wohl soeben ihre Ruhe beim Grasen gestört haben mag ... auch das Zirpen der Grillen, das Summen der Bienen und Hummeln, scheint verstummt zu sein ...

Chris ist kurz davor, den Verstand zu verlieren ... wenn er nicht bald Erlösung findet, dreht er durch ... so was hat er noch nie erlebt ... so eine Frau hat er noch nie erlebt ... wie sie auf ihn reagiert, hat er sich in seinen gewagtesten Träumen nicht ausmalen können ... Sie ist sein ... seine Frau ... nie wieder wird er sie gehen lassen! ...

Um Atem ringend schiebt er sich auf sie ... gerne hätte er sich noch einmal an ihrem wundervollen Körper hochgeküsst ... doch dazu ist er nicht mehr fähig ... Bianca umschlingt ihn mit Armen und Beinen - und schon taucht sein Glied Stück für Stück in die feuchte Wärme ihres engen Liebesbrunnens hinab ... wird dort in der Tiefe fest umfangen ... und Chris kann sein Glück, diese Frau wirklich unter sich liegen zu haben, noch gar nicht fassen.

Er hält inne ... sieht ihr noch einmal in die glitzernden Augen, streicht ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht ... sie lächelt ihn an ... ihr Atem fliegt ... er senkt seinen Kopf, küsst ihre Nasenspitze, streichelt ihre Wange mit seinen Lippen ... jede Sekunde auskostend, die Frau seiner Träume endlich bei sich zu haben ...

"Nimm mich ... Chris ... jetzt will ich dir gehören", flüstert sie ... hart treffen seine Lippen auf ihren Mund, zügellos küssen sie sich - die Pferde gehen mit ihm durch ... nichts kann ihn mehr aufhalten ... immer wieder stößt er sich in sie hinein ... Bianca federt ihm entgegen ... nicht einmal die harte Baumwurzel spürt sie, die ihr bei jedem seiner Stöße fest gegen das rechte Schulterblatt drückt ...vollkommen gelöst gibt sie sich ihm hin ... muss nicht mehr an ihn denken, um den Gipfel zu erreichen, denn sie kann ihn spüren ... hält ihn in ihren Armen ... ihr Kopf ist leer, frei von allen Sorgen, die Sehnsucht ist weg und auch der Herzschmerz ... In Gedanken hat er sie schon unzählige Male auf dem Weg ins Himmelreich begleitet ... doch das hier ist ganz anders ... dies hier fühlt sich an, als würde sie gemeinsam mit ihm das gesamte Universum durchqueren ... ein unendliches Universum angefüllt mit purer Glückseligkeit ...

Ihr Keuchen und Stöhnen hört nur der Baum und wahrscheinlich eine Vielzahl Insekten.

Biancas befreiender Schrei erklingt, als sie abhebt ... mit verschleiertem Blick betrachtet Chris ihr verzücktes Gesicht, ohne es wirklich wahrzunehmen. Er stößt sich noch ein paar Mal keuchend, unkontrolliert, hart in die Hitze ihrer krampfenden, bebenden Wände, wirft mit geöffnetem Mund den Kopf in den Nacken und stöhnt heiser auf, als er ihr folgt und sich tief in ihr ergießt. Es zuckt noch leicht in seinen Lenden, als er sich atemlos, vorsichtig auf ihr niederlässt, seine Unterarme unter ihren Nacken schiebt und seine Lippen von ganz allein zu ihrem Mund zurückfinden.

...

"Das hätte ich nicht tun dürfen", flüstert Chris an ihrem Ohr, als er wieder richtig bei sich ist.

Bianca spannt sich an, rechnet gleich mit dem Schlimmsten.

"Du hast es nicht verdient, hier im Dreck zu liegen, es tut mir leid, aber ... aber ich hab mich nicht zurückhalten können ... ich ... es ist so lange her und ich ... ich habe so oft an dich gedacht ... manchmal hatte ich das Gefühl verrückt zu werden, weil du ... Scheiße ... verdammt ... sei nicht sauer, wenn ich frage, aber das Porträt vorhin, weißt du, dass ich ihn kenne? ... Ist er dein Freund? ... Sag mir bitte die Wahrheit Bianca und sei nicht sauer, bitte ..." Auf seine Ellenbogen gestützt blickt er ihr verzweifelt in die Augen.

" Nein, es ist nicht deine Schuld Chris, ich hätte 'Nein' sagen können und ich hätte mit Sicherheit 'Nein' gesagt, wenn es jemand anderen geben würde. Tobias ist der Sohn von meinem Chef oder wenn du es so willst, mein Juniorchef, ich habe alle möglichen Leute porträtiert, so auch ihn. Er hätte mich gerne gehabt und wollte mit mir ausgehen, aber ich habe immer wieder abgelehnt. Und vorhin habe ich mich gefragt, ob ich ihm eine Chance geben soll, aber jetzt bist du da und ... und ..." plötzlich krampft Biancas Magen sich zusammen, ohne nachzudenken hat sie sich ebenso wie er hinreißen lassen ," hast du jemanden, Chris?"

Er schüttelt nur erleichtert den Kopf.

Bianca fällt ein Stein vom Herzen.

"Eigentlich klärt man so was wohl vorher ...", sagt sie verlegen.

"Psst ", macht Chris und redet leise, "bei uns ist es halt anders. Bleib bei mir Bianca ... ich möchte, dass du hier bleibst ... bitte ... wenn du wieder zurückfährst, überlebe ich das nicht ... !"

"Aber das geht doch nicht, ich muss kündigen und habe eine Frist einzuhalten und ... und meine Wohnung und meine Eltern und ... und eigentlich wissen wir nichts voneinander ...", versucht Bianca zu erklären.

"Wenn du bei mir bleibst, werden wir bis morgen Abend alles voneinander wissen, versprochen", meint Chris, " um deinen Job kümmere ich mich, mach dir keine Sorgen darum. Und alles andere ist doch auch kein Problem ... bitte Bianca ... du kannst auch in unserer Kanzlei arbeiten, oder wenn du magst bleibst du daheim und versorgst unser Haus oder kümmerst dich um unsere Pferde. Sie brauchen jemanden, der ihnen Liebe und Aufmerksamkeit schenkt, genauso sehr wie ich. Magst du Pferde?"

"Ich liebe sie aber wieso unsere Pferde, wem gehören sie denn noch? Und von welchem Haus redest du und überhaupt ... ", antwortet Bianca verwirrt, im Hinterkopf gibt sie sich selbst schon die Antwort darauf.

'Natürlich, der Mann, der auf der anderen Straßenseite bei den Pferden war, hat was damit zu tun. Sicherlich gehören Chris die zwei Friesenhengste und der Mann ist der Eigentümer des Hauses und so.' Manchmal redet man dann von 'unseren' Pferden, sie sagt es ja oft genug, wenn von den Pferden Stellas Familie die Rede ist. Und vielleicht gibt es in dem großen Haus auch eine separate Wohnung ...

"Ich liebe dich", flüstert Chris, bevor er sie sanft küsst.

Biancas Herz zuckt kurz zusammen bei seinen Worten. Niemals zuvor hat sie es selbst ausgesprochen, nicht einmal Maximilian gegenüber hat sie diese drei Worte geäußert, doch jetzt kommen sie ihr ganz leicht über die Lippen.

"Ich liebe dich auch, Chris und ich würde nichts lieber tun, als hier bei dir zu bleiben."

"Na siehst du, es war doch gar nicht so schwer, sich zu entscheiden, Schatz", spricht Chris mit rauer Stimme und küsst sie wieder. Innig, tief und lang ist dieser Kuss. Als sich ihre Lippen trennen, ist Bianca ganz schummerig vor Glück.

"Jetzt gehen wir noch ein Stückchen weiter", spricht Chris ," bitte heirate mich, Babe. Ich will nicht mehr einen Tag ohne dich sein und möchte dich sicher bei mir wissen ... bitte sage 'Ja'!"

Bianca stockt der Atem.

"Aber ... aber ... "

Chris küsst sie erneut, genauso lang wie eben.

" Sag einfach "Ja" ohne lang zu überlegen, bitte Bianca. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich davon geträumt habe ... bitte."

Bianca fehlen die Worte, sie nickt einfach nur.

Noch einmal küssen sie sich innig.

"So", sagt Chris trocken," das war harte Arbeit und nun lass uns nach Hause gehen. Im Bett ist es viel bequemer. Komm bloß nicht auf die Idee mich noch einmal zu so einer Aktion auf knüppelhartem Boden zu überreden. Was hast du dir nur dabei gedacht?"

Grinsend sieht er sie an. Biancas empörter Blick ist göttlich und er beginnt zu Lachen. Sie schlägt spielerisch auf ihn ein und sehr schnell sind sie schon wieder kurz davor, die Kontrolle über ihr Handeln zu verlieren.

"Schluss jetzt", gibt Chris plötzlich von sich und hält schwer atmend Biancas Hände fest," lass uns nach Hause gehen, bevor uns noch irgendjemand hier erwischt."

Daran hat Bianca überhaupt keinen Gedanken verschwendet, stellt sie erschrocken fest und springt auf. Nackt stehen sie sich unter der Trauerweide gegenüber und sind erneut in einem verlangenden Kuss versunken, bevor sie auch nur ein Teil ihrer Kleidung anziehen können. Wieder ist es Chris, der dem ein Ende bereitet, die Kleidungsstücke einsammelt und Bianca ihren Anteil überreicht. Nicht nur das Kleid ist staubig und zerknittert, sie selbst sehen auch nicht besser aus, doch wie sollten sie es ändern? Einen dunklen Fleck hat das Kleid obendrein. Schnell sind beide angekleidet, Bianca sammelt noch ihre Utensilien bei der Bank ein und sie machen sich auf den Weg, jeder einen Arm um den anderen gelegt.

Bei der Brücke bleiben sie stehen und küssen sich wieder. Einer der Friesen wiehert und schnaubt anschließend, er ist ungeduldig, weil er weiß, dass es nun endlich zurück in den Stall geht, wo ihn Heu, Kraftfutter und Möhren erwarten.

Gerade kommt Kevin ihnen entgegen, der sich gefragt hat, ob sein Chef die Hengste holt, oder nicht - gesagt hatte er jedenfalls nicht, dass er etwas anderes vorhat, nur wo blieb er dann so lange?

"Ich bringe sie mit", ruft Chris ihm entgegen. Kevin nickt, hebt die Hand und geht zurück.

Alle Hengste stehen bereits aufgeregt vor den Gattern der Koppeln, sie schubsen sich gegenseitig - jeder von ihnen will der erste sein. Doch als Chris die Gatter öffnet, stürmen sie nicht hinaus, sie setzen keinen Huf aus der Umzäunung.

"Amigo, komm her", fordert er eines der Tiere auf.

Ein kräftiger Friese mit langer, dichter Mähne schreitet anmutig auf ihn zu.

"Guter Junge", lobt Chris das Pferd und beklopft anerkennend sein glänzendes Fell. Bianca beobachtet bewundernd jede Bewegung des traumhaft schönen Tieres.

"Komm her, Liebling", wendet Chris sich nun an Bianca, die sich dem respekteinflößenden Hengst daraufhin langsamen, ruhigen Schrittes nähert und ihm zunächst ihre Hand entgegenhält. Leise redet sie mit dem Pferd. Schnell ist das Eis gebrochen und Amigo stupst Bianca auffordernd an.

"Damit du es gleich weißt, du Charmeur, sie gehört mir!", erklärt Chris Amigo mit erhobenem Zeigefinger und bildet anschließend in gebückter Haltung mit den Händen eine Räuberleiter, um Bianca auf den Rücken des Pferdes zu helfen. Da sie ein Kleid trägt, entscheidet Bianca sich dazu seitlich aufzusitzen und wickelt einen Strang der Mähne um ihre Hand.

Chris pfeift einmal laut.

"Los geht's", ruft er noch und in unbestimmter Anordnung trotten die Pferde langsamen Schrittes hinter ihm her.

Unterwegs tippt er eine Nachricht an seinen Cousin in sein Handy.

"Ich habe meine Traumfrau gefunden, erinnerst du dich noch daran, dass ich dir mal von ihr erzählte? Bianca heißt sie und kam gegen halb drei mit zwei Freundinnen bei dir an. Kannst du bitte ihr Gepäck zu mir rüberschicken?"

" Wird sofort erledigt. Glückwunsch!", kommt zurück.

Selig schmunzelnd stellt Chris sich mitten auf die Straße, lässt die Hengste an sich vorüberziehen und läuft anschließend hinter ihnen her.

*****

Ein Blick zum Hotel:

Mittlerweile befinden sich schon zwanzig Personen in der Hotelbar, alle gehören zusammen, die Stimmung ist bombig. Alle sind aus verschiedenen Gründen ohne Partner gekommen, mal sind es die Kinder, mal das Desinteresse des Partners und zwei Herren meinten, sie würden ihre Frau mit Sicherheit nicht mitbringen, um sie von so einer Schlampe beleidigen zu lassen und drei, außer Steven und Lars, sind sowieso Single.

"Wie viele waren wir eigentlich?", fragt jemand laut.

"Siebenundzwanzig", antwortet eine andere Stimme.

"Warte mal, Bianca ist auch da und dann noch das Miststück. Dann fehlen nach Adam Riese nur noch fünf", stellt wieder ein anderer fest.

"Vier", ruft jemand dazwischen und betritt mit erhobenen Händen die Bar.

"Die stinkende Schwuchtel!", ertönt aus vieler Munde.

Er dreht sich einmal im Kreis und schwingt seine Hüften. Alles applaudiert und johlt vergnügt. Sogleich erfolgt erneut ein herzliches Begrüßungsritual.

"Mensch, wir sollten uns viel öfter treffen. Mit unseren Partnern und ohne die alte Hexe", lässt jemand verlauten.

Alle stimmen dem begeistert zu.

Sie haben sich viel zu erzählen, lachen, scherzen, tauschen Handynummern. Einer von ihnen eröffnet eine Whatsapp-Gruppe und die versammelte Mannschaft tritt ihr bei. Sie merken gar nicht, wie schnell die Zeit voranschreitet und man fragt sich insgeheim, warum man sich damals nicht genauso gut verstanden hat. Es lag ständig eine gewisse Spannung in der Luft, die auf unerklärliche Weise nicht mehr vorhanden ist.

"Hey, es ist schon fast halb sieben", ruft jemand und von den anderen kommt ein gemeinschaftliches, gequältes Stöhnen zurück.

"Los macht schon, wenigstens ein Stündchen, hoffentlich ist sie noch nicht abgehauen, weil sie denkt, dass doch niemand kommt...", es ist Julia, die damit ihre Sorge, nichts über Sina zu erfahren, kundtut.

"Seit wann kann sie denken?", fragt Lars so laut, dass alle es verstehen können und drückt ihr daraufhin einen Kuss auf die Lippen.

Allgemeines Gelächter ist zu hören.

"Und Bianca hat mal wieder die Zeit vergessen. Na egal, sie weiß ja, wo wir zu finden sind. Lasst uns losmarschieren", fordert Stella die Gemeinschaft auf.

" Okay, auf geht's ... aber nur, weil ihr zwei es unbedingt wollt. Eigentlich könnte auch einer von uns hingehen und sie herholen", schlägt Steven vor.

"Bloß nicht, dann werden wir sie nicht wieder los", gröhlt einer aus der Gruppe im Gehen, " Wir sind gleich zurück, Marvin! ... Halte die Stellung hier, mein Freund! Gleich wird erst so richtig losgelegt!"

...

...

Sina hat schon mehrmals zur Uhr geblickt und ist erleichtert, dass scheinbar doch niemand aus der ehemaligen Klasse es geschafft hat herzukommen. Ohnehin haben ja nur wenige zugesagt.

Der Tag ist bis jetzt sowieso vollkommen danebengegangen. Erst das Fiasko mit Chris und dann hatte auch noch die fette Anne mit ihr zusammen Dienst im Café. Die blöde Kuh hat sie gerade strammstehenlassen, weil Sina mal wieder ihre dumme Klappe nicht halten konnte. Dann ist ihr auch noch ein Tablett heruntergefallen ... mitten im Lokal ... der Kaffee spritzte überall hin, besudelte auch die Gäste, die ihn bestellten.

Natürlich hat sie es nicht für nötig gehalten sich zu entschuldigen ... es lag allein an der Jacke, die einer der Gäste schlampig über die hintere Lehne von einem der Stühle geworfen hatte, welche bis auf den Boden herabhing, sodass sie sich mit dem Fuß verfing und stolperte - so war es halt passiert. Ein Wort folgte auf das andere, Sina warf wie gewohnt mit den übelsten Beleidigungen um sich, die Gäste verließen wütend das Lokal und meinten, dass die Sache noch ein Nachspiel hätte.

Sina verlangte von Anne, dass sie die Schweinerei beseitigt, doch Anne weigerte sich, indem sie vehement ihren gerechtfertigten Standpunkt vertrat, dass der Verursacher des Malheurs es auch beseitigen müsse. Sina war sowieso schon geladen und drehte daraufhin so richtig auf.

"Weißt du was? Mach den Scheiß doch allein! Ich gehe jetzt direkt zum Chef und erzähle ihm, was hier abgegangen ist", schrie Anne sie an, weil sie einsehen musste, dass es sinnlos war, mit Sina auch nur ein vernünftiges Wort zu wechseln und verschwand auf der Stelle.

Nun kriecht Sina auf dem Boden herum und versucht den Schaden mit möglichst wenig Aufwand zu beheben, ein flaues Gefühl liegt in ihrem Magen, denn sollte Anne ihre Drohung wahrmachen, wäre sie mit Sicherheit den Job los.

Die Tür öffnet sich und eine ganze Horde Gäste tritt ein.

"Sina? Was suchst du denn da auf dem Boden, hast du die letzte Schraube aus deinem Kopf auch noch verloren?", fragt gleich der Erste, der sie erkennt.

Sina stößt sich den Kopf an der Tischkante, als sie aufstehen will, es knallt ziemlich laut und sie reibt sich die schmerzende Stelle, als sie endlich auf ihren Füßen steht.

Schnell hat sie ihre Überraschung im Griff - nun gilt es Contenance zu bewahren.

"Oh, ist es schon so spät? Also, es tut mir leid, hier war bis gerade eben die Hölle los und dann musste ich noch eine Mitarbeiterin entlassen ... ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was die sich geleistet hat ... ", so erzählt sie die Geschichte von vorhin - nur in einer etwas anderen Fassung.

" Ach, lasst euch erstmal begrüßen ... also, ich bin ja total durcheinander, entschuldigt bitte, aber es macht mich ganz fertig, wenn ich daran denke, dass das arme Ding jetzt ohne Job dasteht ... ich darf meinem Verlobten gar nicht erzählen, was sie getan hat, das war doch eine brutale Geschäftsschädigung ... er ist Anwalt, wisst ihr ... und wenn er das hört ... naja ... bestimmt will er sie dann verklagen ... übrigens gehörte ihm das Café hier ... er hat es mir zur Verlobung geschenkt, weil es mir so viel Spaß macht, meine Zeit hier mit den Gästen zu verbringen ... neue Freundschaften schließen und so ... ihr wisst schon ... so ganz ohne etwas zu tun, versauert man doch zuhause ...", erklärt Sina, ohne Luft zu holen.

Mit gerunzelten Stirnen und hochgezogenen Augenbrauen nicken einige vor sich hin, anderen schwirrt schon der Kopf.

Stella und Julia erhalten eine Nachricht und sehen sogleich auf ihr Handy. Bianca hat Fotos geschickt. Darauf zu sehen ist sie, auf dem Rücken von Amigo ... neben dem Pferd stehend ... mit einem gutaussehenden Typen neben dem Pferd stehend ... den Typen umarmend ... dann küssend ... und noch eine Nahaufnahme, als sie in einem tiefen Kuss versunken sind.

Dann folgt die Erklärung dazu:

'Ich habe doch gesagt, dass ich den Besitzer des Herrenhauses heiraten werde, wisst ihr noch? Nun - das ist er. Mein Traumprinz von vor zehn Jahren und wir werden heiraten. Wir kommen später vorbei ...'

Gleichzeitig kreischen Stella und Julia freudig laut los und verstummen augenblicklich, als sie Sina vom Hof ihres Verlobten erzählen hören. Sie redet exakt von dem Mann, der mit Bianca auf den Fotos zu sehen ist.

Stella sendet grinsend eine Nachricht an Julia und blickt sie abwartend an. Julia nickt und hält sich kichernd eine Hand vor den Mund. Stella tippt auf ihrem Handy herum.

Die Nachricht sendet sie an die gesamte Gruppe.

> Auf den folgenden Fotos, die vor wenigen Minuten aufgenommen wurden, seht ihr Sinas "Verlobten" zusammen mit Bianca. Die zwei haben sich heute nach zehn Jahren wiedergefunden. Wehe euch, wenn auch nur einer ein Sterbenswörtchen darüber verliert! Die beiden kommen gleich her ... ich kann es kaum erwarten .... <

"Wir heiraten in ein paar Wochen und dann machen wir eine Kreuzfahrt", erzählt Sina. Kurz wundert sie sich, warum alle gleichzeitig auf ihr Handy blicken und grinsen, doch dann fährt sie unbeirrt mit ihrer Lügengeschichte fort.

Begleitet wird ihre Erzählung von Wow's, Ah's und Oh's ihrer ehemaligen Mitschüler, denen sie noch nicht einmal einen Platz angeboten hat, so sehr geht sie darin auf, in der Sonne zu glänzen. Den anderen gibt sie gar nicht erst die Chance etwas über sich zu erzählen, es interessiert sie auch gar nicht, was denen in den letzten Jahren widerfahren ist.

"Du hast es wirklich am besten getroffen", schwärmt Nicole, auch als Madame Fettarsch bekannt. Sie freut sich, genau wie alle anderen, schon höllisch darauf, zu sehen, wie das Miststück reagiert, wenn sie in Kürze auffliegt.

"Gibt es hier auch was zu trinken?", fragt Steven und unterbricht damit die Lobpreisungen der anderen.

"Ja natürlich, wo bin ich nur mit meinen Gedanken? Ich bin so aufgeregt und freue mich so sehr euch alle wiederzusehen und ...", säuselt Sina," ich kann ehrlich gesagt noch gar nicht glauben, dass gerade ich den Hauptgewinn gezogen habe ... aber so ist es manchmal, jeder bekommt das, was er verdient."

Bei ihren letzten Worten nicken alle, außer Lars, der sein Lachen kaum noch unterdrücken kann, so lässt er es wie einen Hustenanfall erscheinen und Julia klopft ihm fest den Rücken, als er sein Gesicht an ihre Schulter gedrückt verbirgt ...

*****

Zurück zu Bianca und Chris:

Kevin steht schon bereit, um die Hengste zu empfangen und muss nur noch die Gatter schließen, denn jedes der Tiere findet allein in seine Box. Mit viel Geduld und Liebe sind die Pferde zu sanftmütigen, folgsamen Gesellen erzogen worden. Klug sind Pferde im Allgemeinen, es bedarf nur ein wenig Sachverstand und Vertrautheit, um die edlen Geschöpfe in die gewünschte Richtung zu führen. Solange sich keine rossige Stute in unmittelbarer Nähe befindet, sind selbst die Hengste auf dem Hof lammfromm.

Chris macht ein Foto von Bianca auf Amigos Rücken, bevor er ihr herunterhilft und fotografiert sie noch einmal neben dem Pferd. Anschließend bittet er Kevin, ein Foto zu schießen, auf dem er selbst mit ihr zu sehen ist. Es hätte nur eines sein sollen, doch Kevin lässt es sich nicht nehmen den Auslöser noch ein paar mal anzutippen, als die beiden sich umarmen und daraufhin küssen, als wären sie allein.

'So schnell kann es gehen', denkt er wohlgefällig und hofft, dass sein Chef mit der hübschen Dame mehr Glück hat, als er selbst vor Jahren mit seiner eigenen Frau.

Er ist regelrecht begeistert von der Freundlichkeit der jungen Dame, als Chris sie namentlich miteinander bekannt macht und er erfährt, dass sie sich vor zehn Jahren aus den Augen verloren haben. Außerdem wächst seine Sympathie noch weiter an, als sie von ihrer Liebe zu Pferden redet und davon, dass ihr der Umgang mit den Tieren vertraut ist.

Kurz darauf trifft Philipp ein, Bianca erkennt den Mann vom Empfang des Hotels natürlich sofort. Während die drei sich unterhalten, tritt Kevin seinen wohlverdienten Feierabend an und verabschiedet sich.

"Aber wo will er hin?", fragt Bianca überrascht, als Kevin den Heimweg antritt.

"Nach Hause ... warum?", antwortet Chris und beide Männer blicken Bianca verdutzt an.

"Ich habe gedacht, er wohnt hier", äußert Bianca ihre Vermutung.

"Nein, hier wohnen nur wir zwei, du und ich", erklärt Chris grinsend, als er Biancas entgeisterte Miene sieht.

Bianca setzt im Geiste zwei und zwei zusammen. Als ihr bewusst wird, was das zu bedeuten hat, schlägt sie eine schmutzige Hand vor ihren Mund.

Philipp muss lachen, jetzt, nachdem Kevin gegangen ist, gibt er sich gelöster, als noch vor einem Moment.

Er pflückt Bianca zwei trockene Blätter aus dem Haar.

"Bist du vom Pferd gefallen?", fragt er grinsend und hält ihr den 'Haarschmuck' auf ausgestreckter Hand entgegen.

Bianca wird knallrot und schielt verlegen zu Chris, der schmunzelnd zu Boden schaut.

"Nein ... es war die Trauerweide, sie zog uns in ihren Bann ...", spricht Philipp mit prüfendem Blick auf das verdorrte Laub auf seiner Hand",... und ihrem Zauber unterlegen, fingen wir zu vögeln an ..."

"Mach dir nichts draus, Schatz", lacht Chris," Mein Cousin hat einen an der Waffel, der ist immer so. Außer, wenn er von Sophie eine ordentliche Ansage bekommen hat. Sophie ist seine Frau, du wirst sie sehr schnell kennenlernen und ich bin mir sicher, dass ihr euch gut versteht."

"Ääähm ja ... ich glaube, ich sollte mich dann auch mal verpieseln ... nicht, dass Sophie noch auf den Gedanken kommt, ich würde unter der Trauerweide mit einer anderen vögeln ... wir sehen uns!", damit verabschiedet er sich und zwinkert Bianca verschmitzt zu.

"Ich mag ihn und Kevin auch", gibt Bianca offen zu.

"Siehst du, somit hast du hier schon zwei Freunde fürs Leben gefunden, mit Sophie sind es dann drei", flüstert Chris vor ihren Lippen.

Nach einem langen Kuss, stellt Bianca erschrocken fest, dass sie gar nicht mehr an das Treffen im Café gedacht hat. Sie berichtet Chris ganz kurz davon.

"Wenn's unbedingt sein muss, gehe ich natürlich gerne mit dir rüber. Aber ich denke, dass wir vorher noch schnell duschen und die Kleidung wechseln sollten ... und Sina ist deine Klassenkameradin gewesen?", er erzählt Bianca die Geschichte von Sina.

Kopfschüttelnd hört sie zu.

"Das passt zu ihr", sagt Bianca nachdenklich," sie war schon immer so und hat gemeint, sie wäre die unwiderstehlichste Person auf der Welt."

"Lass uns hereingehen und duschen, wenn du unbedingt hin möchtest, sollten wir zusehen, dass wir fertig werden", spornt Chris sie an.

"Aber ich muss ins Hotel ... meine Sachen ...", wendet Bianca ein.

" Was meinst du, warum Philipp gerade hier war? Er hat dein Gepäck vor der Haustür abgestellt. Wo bist du nur mit deinen Gedanken?", grinsend küsst er sie kurz, hebt sie unvermittelt an und wirft sie sich wie einen Sack über die Schulter. Als sie erschrocken aufschreit, verpasst er ihr einen Klaps aufs Hinterteil. Kichernd krallt sie sich mit zappelnden Beinen an seinem Hemd fest.

"Halte still, sonst werfe ich dich in die Pferdetränke", droht Chris lachend und läuft los.

" Schade, ich dachte, ich könnte dir jetzt erst mal alles zeigen, aber egal, dazu ist morgen noch genügend Zeit. Andersherum wärst du ja auch nicht hier, wenn es das Treffen nicht gäbe, also habe ich nicht den geringsten Grund mich zu beschweren", spricht Chris, während er die Tür aufschließt.

Sogleich erblickt Bianca das Porträt, auf dem sie zu sehen ist und bleibt bewundernd davor stehen.

"Wow .... Es ist wunderschön ...", zunächst will sie fragen, wer es angefertigt hat, doch die Frage erübrigt sich, denn wer außer Chris hätte es gewesen sein können?

"So sind die Künstler nun unter sich...", scherzt Chris und zieht sie an sich, um sie verlangend zu küssen und ist gleichzeitig dabei, mit flinken, geschickten Fingern, die Knöpfe ihres Kleides zu öffnen.

"Hey, wir wollten duschen und so, schon vergessen?", erinnert Bianca ihn an ihr Vorhaben.

"Ich denke nur pragmatisch", grinst Chris," dein Kleid ist schmutzig und bevor du den Schmutz im Haus verteilst, solltest du es besser ausziehen", belehrt er sie mit Unschuldsmiene.

"Wie konnte ich nur so dumm sein und denken, du hättest etwas anderes im Sinn", entgegnet Bianca und hat sein Hemd schon bis zum letzten Knopf geöffnet.

Sie küsst seinen Hals, streicht mit den Händen über seinen definierten Oberkörper und macht sich daraufhin am Knopf seiner Hose zu schaffen.

Kurz darauf sind beide nackt und erhitzt.

"Sollen wir jetzt duschen und so ... oder erst das eine und dann das andere machen?", fragt Chris mit rauer Stimme an ihrem Ohr und beißt sanft zu. Er hält sie mit dem Rücken an seine Brust gedrückt und entlockt ihr mit gezielter Zuwendung seiner rechten Hand die süßesten Töne.

"Nein", sagt er kopfschüttelnd und gibt selbst eine Antwort auf seine Frage," ich denke, wir werden duschen und so. Du bist ganz schön dreckig, läufst du immer so herum?"

Bianca muss lachen, sie liebt seinen Humor schon jetzt heiß und innig, es gibt nichts an ihm, was sie nicht lieben könnte. Warum sollte sie nicht einmal im Leben verrückt sein und ihn wirklich ohne darüber nachzudenken heiraten? Ihr Herz sagt 'Ja', der Verstand ist sich nicht sicher. Doch sagt man nicht immer, dass man, wenn man sich einer Sache nicht sicher ist, auf sein Herz hören soll, es hätte immer recht?

Chris trägt seine Braut ins untere Bad und schon bald ist das rhythmische Klatschen aufeinadertreffender nackter, nasser Haut zu hören und das Lustgestöhn der beiden schallt durch die weit aufstehende Tür. Manchmal ist es auch ein 'Ah' oder ein 'Ja', was zu hören ist ... ein Hecheln , oder ein Japsen kann man ebenfalls zwischendurch vernehmen, ebenso schmatzende Geräusche ... begleitet von dem Klang prasselnden Wassers ... Dieses Mal gibt es überhaupt keine Zeugen, nicht einmal ein Baum könnte, wenn er des Redens mächtig wäre, erzählen, wie die zwei es tun.

Ich vermute mal, Chris nimmt Bianca von hinten, denn vorhin wies er sie keuchend an, sich an der Armatur gut festzuhalten, so hätte er die Hände frei ...

...

Während sie sich oben in Chris' Schlafzimmer ankleiden, kommt Bianca endlich auf die Idee, sich bei Stella und Julia zu melden, denn immerhin ist es schon viertel vor sieben.

Halb verrückt vor Glück sendet sie ihnen ein paar Fotos von denen, die Chris ihr vorhin von seinem Handy übermittelte und eine kurze Erklärung dazu.

Chris betrachtet Bianca von oben bis unten, als sie fertig gekleidet ist, bewundernd. Er selbst trägt Anzug, Hemd und Krawatte, farblich perfekt abgestimmt und sieht aus, als wäre er soeben einem Katalog für elegante Herrenmode entsprungen. Sein modisch geschnittenes Haar ist noch feucht, die Seiten sind kurz geschnitten, teilweise rasiert, das Oberhaar ist gewollt zerwuselt.

"Du siehst aus, wie die schönste Braut der Welt", flüstert er vor Biancas Lippen und küsst sie zärtlich, "meine Braut", setzt er anschließend hinzu und küsst sie noch einmal, dann fällt ihm ganz plötzlich etwas ein.

"Warte, setz dich kurz hin, ich bin sofort zurück", verlangt er und schiebt sie bei den Schultern rückwärts zum Bett.

Biancas weißes Minikleid glitzert bei jeder Bewegung, es ist mit kleinen Strasssteinen besetzt. Es steht ihr unglaublich gut, unterstreicht die sanfte Bräune ihrer Haut und lässt ihr dunkles, langes, leicht lockiges Haar, welches sie blitzschnell locker aufgesteckt hat, noch dunkler erscheinen. Ein paar herausgezupfte Strähnen lockern die Frisur zusätzlich auf, ein Make-up hat sie nicht nötig, nur etwas Wimperntusche hat sie aufgetragen. Ihre Lippen sind von den vielen Küssen sowieso geröteter als sonst und ihre Wangen sind leicht rosig. Ihre Augen strahlen vor Glück - was will sie mehr?

Chris kommt zurück, sie sitzt auf dem Bett und lächelt ihm verliebt entgegen. Er hält etwas hinter seinem Rücken verborgen.

Chris kniet vor ihr nieder, nimmt ihre Hand und räuspert sich.

"Es ist lange her seit wir uns zum ersten Mal küssten", spricht er , "noch länger liegt die Zeit zurück, als ich mich in dich verliebte. Ich war zu feige dich anzusprechen, wäre ich mutiger gewesen, hätte ich mir mit Sicherheit viel Leid erspart. Ich habe gelitten wie ein Hund, das kannst du mir glauben. Doch an dem Abend, als wir uns in diesem Club küssten, war all der Schmerz vergessen und für ein paar Minuten hatte ich das Gefühl auf Wolken zu schweben, doch dann kam das böse Erwachen, du bist einfach weggelaufen und warst dann ganz verschwunden. Ich hatte das Gefühl sterben zu müssen, es war die Hölle. Ich habe es nie so richtig verstanden, warum du so reagiert hast, das spielt ja auch keine Rolle mehr. Wichtig ist nur, dass du jetzt bei mir bist. Vorhin hast du genickt, als ich dich dazu drängte mich zu heiraten. Das war nicht richtig von mir und schon gar nicht im Schmutz liegend, unter dem Baum ... Ich will dir noch beichten, dass ich ... naja ... eine Zeitlang hatte ich während meines Studiums einen ziemlich hohen Verschleiß an Frauen. Es war mehr oder weniger der Frust darüber, dich verloren zu haben, der mich dazu antrieb, mich in gewisser Weise am anderen Geschlecht zu rächen. Das soll keine Entschuldigung sein, ich weiß, dass keine Frau es verdient so behandelt zu werden. Ich habe sie benutzt und anschließend weggeworfen, wenn man es so ausdrücken will. Auf Deutsch gesagt: Ich war ein Schwein ... Gebracht hat es nichts, denn vergessen konnte ich dich nie und habe bisher nie etwas für eine andere Frau empfunden. Ich habe mir vor langer Zeit schon fest vorgenommen, dich, solltest du mir jemals wieder begegnen, sofort zu heiraten, wenn du damit einverstanden bist. Ich frage dich jetzt noch einmal und meine es aus tiefstem Herzen ernst, obwohl es vorhin auch schon mein voller Ernst gewesen ist: Ich liebe dich Bianca und möchte dich nie wieder verlieren, willst du meine Frau werden?"

Bianca weint bei seinen Worten vor sich hin und kann seinen Schmerz nachempfinden, denn ihr ist es doch genauso ergangen. Seit mehr als zehn Jahren sehnt ihr Herz sich nach ihm und schließlich geht man mit jeder Eheschließung das Risiko ein, dass es eventuell in die Hose geht ...

"Ja, das möchte ich von ganzem Herzen, Chris", antwortet sie," ich liebe dich auch und das schon so lange. Damals sind wir weggezogen und ich bin an dem Abend weggelaufen, weil mir die ganze Sache aussichtslos erschien. Ich dachte, mit der Zeit würde ich dich vergessen können, aber geschafft habe ich es nicht. Ich habe mich auf eine Beziehung eingelassen, sie zerbrach nach fast zwei Jahren, weil mir in seinen Armen dein Name über die Lippen kam .... ich habe jeden Tag an dich denken müssen und das nicht nur einmal und besonders dann, wenn er mich berührte, dann stellte ich mir vor es wären deine Hände und du wärst es, der auf mir liegt. Ich habe mich für meine Dummheit verflucht, denn damals wegzulaufen, war das Dümmste, was ich jemals getan habe. Ich bin unendlich glücklich, dass ich dich gefunden habe und würde mir nichts mehr wünschen, als für immer bei dir zu bleiben. Vielleicht müssen wir uns erst aneinander gewöhnen. Vielleicht wird man uns auch für verrückt erklären, aber selbst Paare, die erst nach Ewigkeiten heiraten, sind vor einer Trennung nicht sicher. Es gibt bei denen genauso wenig eine Garantie dafür, dass es mit der Ehe klappt, wie bei uns."

Chris hat Tränen in den Augen, als er Banca küsst. Er nimmt eine Schatulle zur Hand.

"Dieser Schmuck gehörte meiner Großmutter", erklärt Chris ," damals, als sie ihn mir gab, sagte sie, sie würde sich freuen, wenn die Frau, an die ich irgendwann mein Herz verschenke, diesen Schmuck zur Hochzeit trägt. Ich weiß nicht, ob er dir gefällt. Wenn nicht, ist es kein Problem, dann suchst du dir in den nächsten Tagen etwas anderes aus."

Chris öffnet die Schatulle und Bianca schluchzt laut auf. Die Steine funkeln ihr wie Sterne entgegen.

"Das kannst du mir nicht schenken Chris, das ist viel zu wertvoll, ich würde mich gar nicht trauen so etwas zu tragen", flüstert Bianca.

" Für dich ist mir nichts wertvoll genug. Wem sonst sollte ich es denn schenken, Schatz? Lass uns wenigstens testen, ob der Ring passt", verlangt Chris.

Biancas Finger zittern, als sie ihm ihre Hand entgegenstreckt.

"Passt wie angegossen", bemerkt Chris," falls er dir gefällt, behalte ihn gleich an, dann soll es der Verlobungsring sein. Ansonsten, wie gesagt, dann suchen wir nach etwas anderem."

" Er ist traumhaft schön, Chris, wirklich. Ich habe nur Angst, ihn zu verlieren oder was auch immer", sagt Bianca mit ehrfurchtsvollem Blick auf den glitzernden Ring an ihrem Finger.

"Dann ist er weg ... so was passiert halt manchmal, daran kann niemand etwas ändern", erklärt Chris, um Biancas Sorge zu zerstreuen.

"Okay ... dankeschön Chris ... ich werde ihn tragen, aber nur, weil du es so möchtest ...", sie blickt ihm voller Liebe in seine strahlenden, kornblumblauen Augen.

Chris steht auf und zieht sie hoch. Ein langer, inniger Kuss besiegelt ihre Verlobung.

Die Kette und die Ohrhänger legt Bianca nicht an, verspricht aber, den Schmuck in Zukunft zu jedem besonderen Anlass zu tragen, dazu zähle sie so ein Treffen mit alten Klassenkameraden allerdings nicht.

"Ich bin der glücklichste Mann der Welt", sagt Chris und zieht Bianca erneut in seine Arme.

Es ist bereits halb acht, als sie sich schließlich auf den Weg zum Café machen...

*****

Zurück zum Café:

Stella und Julia blicken immer wieder zur Uhr. Sie können es gar nicht mehr abwarten, Biancas Glück mit ihr zu teilen.

"Ich heirate dich auch", flüstert Steven und küsst liebevoll Stellas Schläfe.

"Soll das ein Antrag sein?", fragt Stella kichernd.

"Hätte ich gerade einen Ring zur Hand, würde ich mich sofort vor deinen Füßen auf den Boden schmeißen", versichert Steven ihr, "ich war damals schon verknallt in dich ..."

Stella strahlt und sie küssen sich ungeachtet der anderen heiß und innig.

Bei Julia ist es nicht anders, Lars fragt sie gerade, wie lange es denn bis zu ihrer Scheidung noch dauert.

"Der Termin ist in drei Wochen, warum?", will sie wissen.

" Könntest du dir vorstellen, gleich darauf wieder zu heiraten? Oder muss ich ein paar Jahre warten, bis ich es wagen kann, dir einen Antrag zu machen?", tastet sich Lars weiter vor.

"Du hast nicht vergessen, dass ich einen Sohn habe, oder?", erinnert Julia ihn an ihre Mutterschaft.

"Ich liebe Kinder und hätte gerne neben einem Sohn noch weitere", gibt Lars zurück und lässt Julia angesichts seiner Worte erstrahlen. Auch sie können dem Drang nicht widerstehen in einem langen Kuss die Welt ringsherum bedeutungslos werden zu lassen.

Sina schaut neidisch zu den beiden Paaren und plappert munter weiter. Die meisten hören gar nicht mehr zu und sind in Gespräche mit anderen Personen vertieft. Nur Ina, eine ehemalige, treu ergebene Gefährtin lauscht Sinas nervendem Geschwätz, sie kam erst vor einigen Minuten an und will auch nachher wieder nach Hause fahren. Nun muss sie die Lügengeschichte ertragen, die Sina bereitwillig extra für sie wiederholt. Hin und wieder blickt Ina den ein oder anderen Klassenkameraden an und rollt mit den Augen. Sie kann gar nicht verstehen, wie sie Sina damals hat aushalten können. Die anderen aus ihrem Gefolge sind erst gar nicht erschienen, eigentlich ist Ina nur derentwegen hergekommen - sie haben sich zur Schulzeit schon hinter Sinas Rücken über sie lustig gemacht.

"... Und weißt du was? Eigentlich dürfte ich es ja niemandem erzählen, weil ich es ihm noch nicht gesagt habe. Er wird vor Freude ausrasten, wenn er davon erfährt ... er wünscht sich so sehr ein Kind. Ich bin schwanger!", verkündet Sina ihrer angeblichen Freundin stolz, laut genug, dass die meisten der anderen es hören können.

Lars prustet vor Lachen und fängt sich einen missbilligenden Blick von Sina ein.

"Hast du ein Problem damit?", fragt sie arrogant.

Lars hat sich gefangen und spielt den Ahnungslosen.

" Wie? Entschuldige ich habe dir gerade nicht zugehört, meine zukünftige Frau hat mir eben etwas ins Ohr geflüstert", gibt er scheinheilig zurück.

Allgemeines Klatschen und Pfiffe erklingen, dann ein 'Glückwunsch' aus vieler Munde. Dass nicht sie, sondern Lars und Julia damit gemeint sind, kapiert Sina nicht und flüstert, die Verschämte mimend, 'Danke'. Schließlich ist sie ja die Hauptperson an diesem Ort und nichts anderes als sie ist von Bedeutung.

...

Kurz vor ihrem Ziel - es sind nur noch wenige Schritte - erhält Chris einen Anruf von Anne. Sie hat hin- und herüberlegt und sich mit den anderen Kolleginnen ausgetauscht, bevor sie sich tatsächlich an den Chef persönlich wendet.

"Geh ruhig schon mal hinein, ich komme sofort nach", meint Chris und Bianca betritt allein das Café.

Neugierig blicken ihr viele Augenpaare entgegen, besonders Julia und Stella sind enttäuscht ihre Freundin allein eintreten zu sehen.

"Wo hast du deinen Bräutigam gelassen?", fragt gleich die erste Person, die sie erwischt, um sie zu begrüßen, es ist Nicole oder Madame Fettarsch.

"Er hat gerade einen Anruf erhalten und kommt in wenigen Augenblicken nach, warum?", informiert sie somit alle und drückt gleichzeitig ihre Ahnungslosigkeit aus.

Nicole flüstert ihr die notwendigen Informationen ins Ohr.

Bianca ist entsetzt, verspricht aber, sich nichts anmerken zu lassen.

Daraufhin wird sie von all denen umringt, die sie noch nicht zu Gesicht bekommen haben und aufs herzlichste begrüßt. Zuletzt ist Sina dran und umarmt sie mit einem falschen Lächeln.

"Lass sehen", quiekt Stella begeistert, als sie es an der Hand ihrer Freundin hat aufblitzen sehen.

"Wow, der ist ja traumhaft ... ich freue mich so für dich", lässt Julia vernehmen.

"Wo ist eigentlich dein Ring", fragt Stella plötzlich und schaut Sina provozierend ins Gesicht, die vor Neid erblasst ist.

" Mein Ring? Ach so ... Jaaa ... natürlich ... den ... den habe ich gestern zum Juwelier gebracht ...er saß eine Spur zu locker ... aber er sieht dem hier ganz ähnlich, doch ist er im Gegensatz zu diesem echt. Jeder Blinde kann doch sehen, dass zumindest die Steine eine billige Imitation sind", sie hat Biancas Hand ergriffen, diese entzieht sie ihr schnell wieder.

"Selbst wenn er aus Plastik wäre ...", sagt Bianca voller Überzeugung, " so würde ich ihn mit Stolz tragen, denn er wurde mir aus reiner Liebe geschenkt. Was bedeutet schon jeglicher Reichtum, wenn man den Mann seiner Träume nicht haben kann?"

Mit der Aussage handelt Bianca sich den Beifall aller anderen ein. Nur Sina grinst gehässig und zieht sich ein Stück zurück.

"Das hätte ich auch gesagt, wenn mein Schatz mir so einen billigen Klunker geschenkt hätte", bemerkt Sina ganz nebenbei.

...

Chris hört sich Annas Klage an. Sein Ärger über Sina wächst noch weiter. Er verspricht Anna, am nächsten Morgen mit ihrer Kollegin zu reden. Doch Anna weigert sich, zu ihrer Schicht mit Sina zu erscheinen und teilt ihm mit, dass niemand mehr dazu bereit ist, mit ihr zusammenzuarbeiten.

"Okay, Anna, wenn das so ist, werde ich ihr jetzt gleich kündigen, ich stehe gerade direkt neben dem Café", seufzt Chris, "Könntest du dich darum kümmern, dass jemand für sie einspringt, oder schaffst du es allein?"

"Natürlich ... ist schon erledigt ... Anja wäre bereit, die Schicht zu übernehmen", teilt Anna ihm mit und bedankt sich bei Chris für das Gespräch.

"Ich habe zu danken, Anna und falls euch irgendjemand einfällt, der im Café ein paar Euro verdienen möchte, dann zögert bitte nicht, es mir mitzuteilen", damit verabschieden sich die beiden.

...

Chris öffnet die Tür und betritt das Café. Plötzlich herrscht absolute Stille im Lokal.

Sina erstarrt und wird bleich im Gesicht. Doch dann kommt ihr ein Gedanke, der das überraschende Erscheinen des Chefs erklärt: Er will sich bei ihr für sein unmögliches Benehmen entschuldigen. Nur, wie soll sie das den anderen erklären? Und was, wenn jemand eine Bemerkung fallen lässt, die ihre Lügen aufdeckt?

'Dumm genug sind sie ja alle', denkt Sina und strahlt Chris mit dem süßesten Lächeln an. Doch er beachtet sie gar nicht und geht auf Bianca zu, was hat denn das zu bedeuten?

Er küsst Bianca und Sina ist kurz davor durchzudrehen.

"Das ist Chris, mein Verlobter", sagt diese alte Schlampe auch noch, Sina steht kurz vorm Platzen.

Bianca flüstert Chris etwas ins Ohr, er scheint ziemlich wütend zu reagieren, trotzdem küsst er sie kurz und nickt.

"Das geht ja gar nicht...", zischt er daraufhin leise.

'Oh', denkt Sina erfreut, ' die große Liebe scheint es wohl nicht zu sein ...'

Als Chris auf sie zukommt, ist sie erleichtert und ganz sicher, dass er doch eigentlich nur sie haben will. Er spricht sie mit rauer Stimme an ... so sehr überwältigt ihn ihr Anblick ...

"Sina", Chris räuspert sich, um seine Stimme wiederzufinden, die ihm Biancas Information verschlagen hat, " es tut mir leid, aber ich möchte dich bitten, sofort deine Arbeit hier niederzulegen. Deine Kolleginnen sind nicht mehr bereit, mit dir zusammenzuarbeiten und allein das, was heute passiert ist, rechtfertigt wohl eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses."

Sina will ihren Ohren nicht trauen.

"Es ist doch dein Café, Sina ... ", ruft jemand, es ist Mirko, der hässliche Spinner ," ... also ich verstehe nicht ganz, wie das alles zusammenhängt, kläre uns auf Sina, wir waren doch schon immer blöder als du, das weißt du doch.

Also, wenn ich das jetzt richtig verstehe, dann ist er der Chef hier - also er meint jedenfalls, dass er es ist, wahrscheinlich hat er wohl vergessen, dass er dir das Café zur Verlobung geschenkt hat ... oder wie? Und dann kommt er hier rein und küsst Bianca, die behauptet, dass er ihr Verlobter ist, obwohl er dein Verlobter ist, von dem du schwanger bist ... ups ... entschuldige, das ist mir rausgerutscht, er weiß es ja noch nicht ... das tut mir jetzt wirklich leid, Sina ... warte mal, ich habe die Lösung! ... Er hat einen Zwillingsbruder, der auch Chris heißt ... ach nein, das ist Quatsch ... nun komm Sina, spanne uns nicht auf die Folter ..."

Ein paar Lacher ertönen. Chris schüttelt ungläubig den Kopf. Normalerweise ist er ein ruhiger, gelassener Mensch, doch in diesem Moment droht ihm der Kragen zu platzen.

Sina steht vor ihm, ihr Gesicht ist rot angelaufen. Verzweifelt sucht sie nach einem Ausweg, um am Ende wieder glänzen zu können.

"Aber ich liebe dich doch und du liebst mich, ich weiß es einfach", sagt sie zu Chris und will ihn umarmen. Das ist zu viel für ihn, er verliert die Beherrschung und sagt Dinge, von denen er dachte, sie niemals einer Frau an den Kopf werfen zu können.

Es beginnt damit, dass er sie auffordert ihre dreckigen Pfoten wegzunehmen, dann beschimpft er sie als Hure und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, begründet er der versammelten Mannschaft noch seine Aussage. Weder die Aktion mit Kevin verschweigt er, noch die Tatsache, dass sie in den vergangenen Tagen, mehrmals mit irgendwelchen durchreisenden Männern auf deren Hotelzimmer verschwunden ist. Auch die letzte Nacht lässt er nicht aus. Das, was er ausspricht, ist auf jeden Fall zu hundert Prozent der Wahrheit entsprechend, wie es mit dem anderen Klatsch aussieht, kann er nicht mit Gewissheit sagen, doch zuzutrauen wäre es ihr auf jeden Fall. Deshalb fasst er diese Umstände in einem kurzen Satz zusammen, der lautet:" Und dann noch das, was die Leute über dich zu erzählen haben. Dich würde ich noch nicht einmal mit Gummihandschuhen anfassen! Du musst nur mal in den Spiegel schauen, dann erkennst du vielleicht, was du bist! Aber was rede ich eigentlich? Scheinbar hast du nicht alle Tassen im Schrank, etwas anderes ist gar nicht möglich! Und jetzt verschwinde aus MEINEM Café, ansonsten lasse ich dich von der Polizei entfernen!", damit dreht er sich um und geht zu Bianca zurück, die ihn in ihre Arme schließt.

"Entschuldige, Schatz, das musste einfach raus, es tut mir leid, aber sei ehrlich, die hat doch eine Schraube locker", sagt er.

Das ist der Moment, als Sina aus ihrem Schockzustand erwacht und sich auf Bianca stürzen will.

Keifend wird sie von Lars abgefangen, auch Stella reagiert schnell und erwischt sie bei den Haaren.

"Er gehört mir, du alte Schlampe", schreit sie von Sinnen, "nimm deine stinkenden Finger weg, du Nutte!"

Noch einmal wendet Chris sich ihr zu, doch nur, um ihr sein Vorhaben zu unterbreiten.

" Das hättest du nicht sagen dürfen! Niemand beleidigt meine Frau! Mach dich schon mal auf eine Klage gefasst, Zeugen gibt es hier wohl zur Genüge!"

Allgemeine Zustimmung ist zu vernehmen.

Sina lacht irre.

"Du hast mich gerade auch beleidigt", gackert sie.

"Hat das jemand gehört?", fragt Lars in die Runde.

Wie zu erwarten, lautet die einstimmige Antwort 'Nein'.

"Ihr seid doch alle nicht ganz richtig in der Birne", brüllt Sina.

"Ja, das wissen wir doch Sina, du hast es uns schließlich oft genug gesagt", entgegnet Oliver, die stinkende Schwuchtel, gelangweilt, "könntest du dich jetzt bitte entfernen, damit wir in Ruhe weiterfeiern können?"

" Wie hast du vorhin irgendwann so treffend gesagt? Jeder bekommt das, was er verdient. Ich an deiner Stelle würde jetzt gehen, bevor dein 'Verlobter' noch die Polizei verständigt", meint Steven, der ihren Arm fasst und gemeinsam mit Lars führt er Sina zur Tür.

Nicole steht ganz in der Nähe des Ausgangs, eilt ein paar Schritte vor und hält grinsend, äußerst hilfsbereit die Tür auf.

Sina kann Jubelrufe und lautes Gelächter vernehmen, als sie sich draußen befindet. Sie versteht die Welt nicht mehr ... bisher ist ihr Leben stets wie geplant verlaufen ...

' Das wird sich auch nicht ändern', denkt sie,' Chris gehört mir, so ist es nun mal. Bianca und diese Vollidioten werden schon sehen, dass es so ist. Am Ende werde ich es sein, die über das Dreckspack lacht!'

"Hey, du Miststück", ruft eine weibliche Stimme, die zu Ina gehört, "hier ist deine Handtasche!"

Kurz bevor Sina sie aufschnappen kann, fällt sie zu Boden und der Inhalt verteilt sich ringsum.

Sie ist noch nicht ganz damit fertig alles einzusammeln, als die fröhliche Gemeinschaft geschlossen das Café verlässt. Chris sperrt die Tür ab und legt Bianca seinen Arm um die Taille, er küsst sie schon wieder und bringt Sina damit zum Heulen.

"Ina, komm schon, was hast du zu versäumen? Bleibe doch über Nacht, wir bekommen das schon hin. Du kannst sicher das Zimmer von Bianca haben, sie bleibt doch bei Chris. Wenn nicht, nimmst du mein Zimmer, ich schlafe bei Lars. Oder Stellas Einzelzimmer kannst du haben, die verbringt die Nacht bestimmt bei Steven. Vermutlich sind auch noch andere Zimmer frei ... Lass uns ein wenig feiern. Okay?", vernimmt Sina Julias Stimme und ärgert sich darüber, die ganze Bagage eingeladen zu haben.

'So ein Mist', denkt sie,' jetzt muss ich auch noch im Hotel pennen und warten bis alle abreisen, oder ich verschwinde heute Nacht. Die Genugtuung, mich mit zwei Koffern abziehen zu sehen, werde ich denen mit Sicherheit nicht auch noch gönnen.'

*****

Wieder im Hotel:

Es ist eine klare, warme Sommernacht, am Himmel glitzern die Sterne - heute scheinen sie heller zu strahlen als je zuvor.

Bianca und Chris tanzen auf der Terrasse der Bar eng aneinandergeschmiegt zu einem langsamen Stück.

...

Der Abend war großartig, sie haben viel gelacht und Pläne für weitere Treffen geschmiedet. Chris hat all jene ihrer Klassenkameraden, die bis zum Sonntag bleiben, für den kommenden Tag zum Grillen auf den Hof eingeladen. Natürlich kamen die Gespräche immer wieder zum Thema "Sina" zurück, von der man nun wusste, dass sie sich in der vergangenen Zeit, ihres miserablen Charakters betreffend, weiterentwickelt hat. Was sie nach ihrer Schulzeit tat und welchen Beruf sie erlernte, erzählte sie nicht, im Grunde genommen wollte das auch niemand von ihnen wissen.

Sie erfreuten sich einzig und allein an der Tatsache, dass Sina sich an diesem Abend so richtig blamiert hat.

"Wie hat die es damals überhaupt geschafft, bei der Schule aufgenommen zu werden?", fragte einer in die Runde, doch darauf wusste niemand eine Antwort.

Bianca bat Chris, die Beleidigung, die Sina ihr zukommen ließ, zu vergessen, denn eigentlich könne diese ja nichts dazu, dass sie so blöde sei und verdiene eher Mitleid als eine Strafe.

In der Bar waren auch fünf ältere Paare, die sich vor vielen Jahren hier im Hotel kennenlernten und die seitdem eine Freundschaft verbindet. Man hatte bedauert, dass das Hotel so lange geschlossen war und gleich nachdem einer von ihnen herausfand, dass es wieder zugänglich war, einen Termin für eine Zusammenkunft in diesem Haus vereinbart. Somit waren außer Sina alle Gäste des Hotels in der Bar versammelt und niemanden konnte es stören, dass dort bei lauter Musik eine grandiose Party gefeiert wurde.

Es wurde gesungen und getanzt, alle waren fröhlich und gelöst. Marvin wurde durch Bernie unterstützt, er hat die Eingangstür geschlossen - neue Gäste wurden nicht mehr erwartet und alle anderen feierten mit, also war das überhaupt kein Problem. Ein paar Einheimische mischten ebenfalls begeistert mit und konnten bei Bedarf über die Terrasse den Heimweg antreten.

Julia und Lars waren schon vor längerer Zeit aufs Zimmer verschwunden, ihr Verlangen nach Zweisamkeit konnten sie nicht mehr unterdrücken. Stella und Bianca haben noch eine Weile mit Oliver geredet, bevor auch Stella mit Steven aufs Zimmer eilte.

Oliver, der als Masseur und Bademeister zwar einen guten Job hat, steht vor dem Problem, dass er mit seinem Partner, einem Krankengymnast, zusammen eine Praxis eröffnete und nun ist die Beziehung der beiden in die Brüche gegangen. Sina hat ihn in ihrer Bosheit nicht umsonst 'stinkende Schwuchtel' genannt, ihn so oft wie möglich bloßgestellt und ihm erklärt, dass er eine widerliche Kreatur sei. Oliver ist homosexuell, was für alle, außer Sina, nie ein Grund gewesen ist, ihn zu diskriminieren.

"Jetzt will er mich so richtig übers Ohr hauen", jammerte Oliver," erst betrügt er mich mit so einem alten Knacker und dann noch so was."

"Wenn du Interesse hast", mischte sich Chris ein," unterhältst du dich morgen mit meinem Cousin. Soviel ich weiß hat er noch niemandem eine Zusage für die Massage- und Bäderabteilung gegeben. Ich glaube, der Wellnessbereich soll in etwa acht Wochen fertig sein. Wenn du willst, lege ich ein Wort für dich bei ihm ein. Und was das andere betrifft, könnte ich deinem Ex einen netten Brief zukommen lassen. Meistens wirkt so was ohne weiteren Ärger."

"Mensch, das wäre klasse. Gibt es auch noch eine freie Wohnung in der Nähe?", fragte Oliver hoffnungsvoll.

"Ich weiß nicht, ob die Wohnung über dem Blumenladen noch frei ist. Sie stand mindestens ein halbes Jahr frei. Das ist allerdings ein Fachwerkhaus. Die Decken sind nicht allzu hoch und ich meine, der Boden hat Massivholzdielen, alles gepflegt und top in Ordnung."

Oliver seufzte sehnsüchtig.

"Wenn das was wird, küsse ich euch die Füße. So groß bin ich ja nicht, dass die Decken ein Problem wären und ich liebe so alte Hütten ..."

Somit war Oliver wieder frohen Mutes, man trank noch ein Gläschen zusammen und auch er konnte wieder lachen.

...

Sina dagegen, hatte sich heimlich, an der geöffneten Tür der Bar vorbei, auf ihr Zimmer geschlichen.

Sie fühlt sich gedemütigt und hintergangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürt sie, wie es sich anfühlt, jemanden zu lieben und ihn nicht zu bekommen, weil derjenige, nach dem ihr Herz verlangt, sie nicht haben will - ja, sogar verachtet.

Sie heult in ihr Kissen, bemitleidet sich selbst und hört das Lachen der anderen, die sich köstlich amüsieren, während sie bei dem Lärm nicht einschlafen kann. Ihr Zimmer liegt linksseitig über der Bar, viel schlimmer noch - exakt zwischen den Zimmern von Steven und Lars.

Als sie kurz davor ist wegzudämmern, kann sie Julia stöhnen hören. Zwar weiß sie nicht, dass es Julia ist, die gerade die Freuden der Lust erlebt, doch das spielt gar keine Rolle. Fakt ist, dass Sina hellwach ist, sich einsam und verlassen fühlt und wieder heulen muss.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als vom Nachbarzimmer her Gekicher an ihr Ohr dringt, während es im anderen Zimmer immer noch heiß zur Sache geht.

Mit Grauen denkt Sina an die Tatsache, dass sie für ihren Vermieter wieder die Beine breit machen muss, um die Mietkosten zu begleichen. So einen alten, schwabbeligen, grunzenden Sack auf sich liegen zu haben, ist nicht gerade angenehm. Mit erschrecken, fällt ihr plötzlich ein, dass sie keinen Job mehr hat.

'Das ist allein Biancas Schuld", denkt sie und die Wut auf diese hässliche Kuh kennt keine Grenze. Sie denkt darüber nach, wie sie sich an dem Miststück rächen könnte. Jeder in Erwägung zu ziehende Plan ist boshafter als der vorherige und Sina freut sich schon darauf, Bianca am Boden zerstört zu sehen.

'Falls sie es überhaupt überleben sollte", kommt ihr grinsend in den Sinn.

Aus einem Zimmer hört sie einen Mann rau aufstöhnen, im anderen ist es der heisere Schrei einer Frau.

'Was sind das nur für Schweine, können die sich nicht zusammenreißen? Es ist direkt peinlich, wie die sich benehmen', denkt sie wütend, steht auf, öffnet die Schiebetür und tritt auf den kleinen Balkon hinaus. Von dort aus hat sie einen Blick in den stockdunklen Hotelgarten. Am klaren Himmel glitzern Sterne, die schmale Sichel des Mondes, hat sich soeben aus ihrem Versteck hinter dem Laub eines hohen Baumes hervorgewagt, doch für so was hat Sina keinen Blick. Die Musik in der Bar ist nicht mehr so laut, aber man hört sie noch sehr gut, genauso wie das Gemurmel vieler verschiedener Stimmen. Sie schaut nach unten und entdeckt das Paar, welches im gedämpften Licht der Terrasse tanzt ...

Sie erkennt Bianca und Chris, der eigentlich zu ihr gehört.

Unbemerkt von dem Paar beobachtet sie die beiden mit Hass auf die Frau und Sehnsucht nach dem Mann im Herzen.

In Gedanken wünscht sie Bianca die Pest an den Leib ...

...

"Ich will dich schon wieder", flüstert Chris an Biancas Ohr und saugt dann an ihrem Ohrläppchen.

"Das ist mir nicht entgangen", kichert Bianca, die seine harte Erregung an ihrem Körper spürt.

"Wir haben viel nachzuholen", bemerkt Chris und küsst sie verlangend.

Zärtlich streichen Biancas Hände über seinen Rücken. Sie kann noch immer nicht glauben, dass sie ihm ausgerechnet hier begegnet ist und ist froh, dass sie sich dazu entschieden hat, an dem Treffen teilzunehmen.

Der Gedanke, dass sie ihn ansonsten wohl nie wiedergesehen hätte, gibt ihrer Euphorie einen mächtigen Dämpfer, wahrscheinlich liegt es an dem einen Glas Rotwein zu viel, dass sie ihre Emotionen nicht kontrollieren kann.

Tränen füllen ihre Augen und laufen über. Chris spürt die Nässe und bleibt stehen.

Leise erklärt Bianca ihm den Grund für ihren Ausbruch.

Chris schüttelt den Kopf und sagt, dass sie nicht darüber nachdenken soll, denn schließlich wäre sie nun hier bei ihm. Er wischt die Tränen von ihren Wangen und küsst ihre Stirn.

"Die Zeit der Tränen ist für uns beide vorbei", sagt er leise, bevor er sie wieder an sich zieht, um sie sanft in seinen Armen zu wiegen.

"Du hast auch geweint?", fragt Bianca und schluchzt einmal auf.

"Nicht nur einmal", gibt er zu," das Recht zu weinen obliegt nicht nur dem weiblichen Geschlecht. Wir können es genauso gut, nur geben wir es selten zu."

Er ist wieder stehengeblieben, schüttelt erneut den Kopf und schaut ihr voller Liebe in die tränenfeuchten Augen während er redet.

Als dann noch ' Don't close your eyes' von Keith Whitley erklingt, bricht Bianca laut schluchzend wieder in Tränen aus. Wie oft hat sie mit geschlossenen Augen in Maximilians Armen an Chris denken müssen? Es war ja nicht so, dass sie Max nicht gern gehabt hätte, aber zu Liebe ist es nie geworden. Sie denkt auch daran, wie sehr sie Max verletzt hat, obwohl er ihr versicherte, dass er sie verstehen kann, als sie sich ihm erklärte. Sie trennten sich in Freundschaft und Maximilian ist längst mit einer anderen verheiratet.

Chris führt sie von der Terrasse herunter, sie verschwinden in der Dunkelheit, wo Chris sie wieder an sich zieht und liebevoll tröstet, er hat Bianca nur dem Blickfeld der noch anwesenden Gäste entzogen, damit sie nicht zu Zeugen ihres Gefühlsausbruchs werden können, was der geliebten Frau mit Sicherheit unangenehm wäre.

...

Biancas Schluchzen hat selbst Sina vernommen. Ihr Herz beginnt vor Glück zu rasen.

Was das Kopfschütteln von Chris, seine Worte - die sie leider nicht hörte - und die Tränen von dem Miststück zu bedeuten haben, kann nur eines sein ...

'Er hat sie abserviert', denkt Sina und ihre Freude ist riesig, ' er hat seinen Irrtum erkannt! Morgen wird er sich bei mir entschuldigen und ich werde ihm verzeihen. Ach nein, morgen ist ja schon heute ... Jetzt schnell ins Bett und schlafen, damit ich pünktlich im Café sein kann. Ich muss den dämlichen Weibern nur etwas Honig ums Maul schmieren, dann ist alles wieder gut und wenn Chris und ich geheiratet haben, werden die blöden Kühe mich so richtig kennenlernen!'

Sie sieht die beiden in der Dunkelheit um die Ecke verschwinden und grinst mit bösartig funkelnden Augen.

Dann geht sie rein, legt sich hin und schläft selig ein, nachdem sie am Handy den Wecker einstellte.

Die Geräusche aus den Nebenräumen können ihrem Enthusiasmus nichts anhaben.

Kurz bevor sie im Land der Träume versinkt, denkt sie noch, dass die es wohl ganz schön nötig hatten, denn sie treiben es noch immer.

Dass Chris seine kichernde Bianca unterdessen wieder in die Bar zurückführt, um die Rechnung zu begleichen, Abschied zu nehmen und sich sofort darauf mit ihr auf den Heimweg zu machen, bekommt Sina nicht mit ...

Bereits auf dem Rückweg können Bianca und Chris ihre Finger nicht voneinander lassen. Zum Café und zum Hotel hin, gingen sie an der Straße entlang, doch zurück führt Chris sie über einen dunklen Weg hinter den Häusern her, der eigentlich eine Abkürzung ist, doch zeitlich gesehen ist der Nachhauseweg viel länger, weil sie immer wieder stehen bleiben, um sich zu küssen und sich zu berühren.

Chris amüsiert sich über Biancas leises Gekicher, sie hat ganz eindeutig einen Schwips, ansonsten würde sie wohl kaum nach einem langen Kuss von ihm verlangen, sie gleich an Ort und Stelle zu vernaschen. Sie wäre nicht Bianca, hätte sie so etwas jemals zuvor einem Mann gegenüber geäußert. Sie haben die letzten Häuser gerade hinter sich gelassen, es sind noch ein paar Meter bis zum Hof. Chris drängt sie gegen den Stamm einer majestätischen Eiche und küsst sie in Grund und Boden.

Seine Hände sind plötzlich überall auf ihrem Körper und bringen Bianca zum Glühen. Das trägerlose Kleid ist aus einem elastischen Material, so zieht er es ein Stück weit runter und umschließt eine steinharte Knospe mit den Lippen, saugend reibt er mit der Zunge an der empfindlichen Warze, während seine rechte Hand den bis zur Mitte des Oberschenkels reichenden Stoff des Kleides nach oben schiebt. Erst knetet er ihre linke Pobacke und wechselt mit den Lippen zur anderen Brust, dann suchen seine Finger den Weg unter ihren String und tauchen in die immense Nässe ein.

Ihre Zungen umschlingen sich bereits wieder, als Chris Bianca mit den Fingern penetriert. Ihre rechte Hand reibt die harte Beule in seiner Hose.

Sie atmen schwer und schnappen zwischendurch mal nach Luft, sind vollkommen in ihrem Treiben gefangen. Nur dem unvermittelten, kreischenden Schrei einer Katze in unmittelbarer Nähe ist es zu verdanken, dass sie es nicht, wie am Nachmittag, ihrem Verlangen vollständig unterlegen, bis zum Ende bringen. Erschrocken zucken sie zusammen, Bianca quiekt sogar kurz auf, doch dann lachen sie beide und küssen sich noch einmal zärtlich.

"Komm, Babe, es sind nur noch wenige Schritte ... den Rest schaffen wir noch", flüstert Chris und richtet Biancas Kleid.

Wieder kichernd, lässt Bianca sich von Chris eiligen Schrittes hinterherziehen, am Stall der Hengste vorbei bis zur Haustür, die Chris, Bianca in seinem Arm, geschwind aufschließt. Die Tür fliegt hinter ihnen krachend ins Schloss, seinen Schlüsselbund lässt Chris einfach fallen, Bianca schleudert ihre Schuhe von ihren Füssen und als würden sie ein Rennen bezwingen, rasen sie beide die Stufen der Treppe hinauf.

Lachend lässt Bianca sich auf das Bett fallen, während Chris blitzschnell Jackett sowie Krawatte loswird und sich ebenfalls auf das Kingsize Bett stürzt.

"Jetzt wird mein geheiligtes Bett zum ersten Mal entehrt", raunt Chris Bianca ins Ohr, halb über ihr liegend und blickt ihr daraufhin mit glitzernden Augen ins hübsche Gesicht. Sanft küsst er ihre Lippen und streichelt zärtlich ihre Wange, ihre Zungen finden sich zu einem verspielten Reigen. Diese sanfte Zärtlichkeit ist allerdings nur von kurzer Dauer, sehr bald darauf liegen sie, japsend und keuchend, nackt im Bett. Biancas Körper befindet sich auf dem von Chris, ihr Geschlecht direkt vor seinen Lippen ... mit reibender Zunge, zwischendurch um Atem ringend, japsend und stöhnend - denn Bianca ist nicht untätig und saugt gerade hingebungsvoll an seiner Eichel, während ihre Zunge ebenfalls reibend zu spüren ist - bearbeitet er den empfindlichsten Punkt ihrer nassen Spalte, als gälte es einen Wettstreit zu gewinnen, bei dem es darum geht, den Partner oder die Partnerin, zuerst zum explodieren zu bringen. Chris gewinnt, er bringt sie zum Zucken und Schreien ... sie hat sein pulsierendes, hartes Glied unfreiwillig aus ihrem Mund entlassen, als die Wellen der Lust sie mit Macht überrollen und über ihr zusammenschlagen...

Chris muss sich kurz sammeln, sein Atem fliegt ... doch dann schubst er ihren bebenden Körper von sich herunter, richtet sie so aus, wie er sie haben will und dringt gleich darauf in sie ein, ihre Beine hat Bianca automatisch um ihn geschlungen. Ein Stöhnen dringt beiden gleichzeitig aus den Kehlen. Seine Stöße sind kurz und hart, sie lassen Biancas gesamten Körper erzittern ... sie wimmert, greift nach ihm, erwischt, vom ersten Höhenflug noch benebelt, nur seinen Oberarm auf der einen Seite und klammert sich fest ... die Finger der anderen Hand krallen sich im Rippenbereich in seine Haut ... den Hinterkopf fest in die Unterlage gedrückt wölbt sie ihren Rücken ... beginnt gleich darauf zu stöhnen ... ein paar unverständliche Worte kommen über ihre Lippen ... dann ein heiserer Schrei ... ihr Unterleib zuckt ihre innere Muskulatur zieht sich immer wieder zusammen ... erneut besucht Bianca das Himmelreich ... dicht gefolgt von Chris, dem die Kontraktionen ihrer Liebesgrotte den Rest geben und er sich mit einem rauen Aufstöhnen Strahl um Strahl in ihr ergießt.

Sie werden nicht müde, sich Zärtlichkeiten zu schenken und ihrem Verlangen nachzugeben, als sie endlich einschlafen, geht bereits die Sonne auf.

*****

Sina:

Sina ist fix und fertig. Was soll sie nun machen? Zum ersten Mal im Leben hat sie keinen Plan. Zum ersten Mal hat man sie so richtig gedemütigt, sonst ist sie stets diejenige gewesen, die anderen klarmachte, wo deren Platz im Leben ist.

Vor zwei Tagen hat sie noch gedacht, endlich am Ende ihrer langen Reise angekommen zu sein.

Sie ist immer auf der Suche nach etwas Besserem gewesen, war zweimal verlobt, hatte zweimal eine Ausbildung begonnen und wieder abgebrochen. Hat diverse Jobs durch, die man halt auch als 'Ungelernte' ausüben kann. Sogar als Escort-Lady hat sie gearbeitet und zwar bis vor etwa einem Dreivierteljahr. Sie sieht das nicht als Prostitution, das ist etwas anderes. Sie war bei einem seriösen Unternehmen beschäftigt. Man überließ es den Frauen, ob sie mit den Kunden ins Bett gingen oder nicht. Nur, wer hätte schon 'Nein' sagen können, wenn ein Typ für ein bisschen Spaß ein paar Scheinchen locker macht? Als Sina dann zum zweiten Mal schwanger war, hat sie auch dieses Kind abtreiben lassen. Das war eine echt nervige Prozedur, bis man den Eingriff endlich hinter sich hatte. Vor allen Dingen wurde sie wie Abschaum behandelt, so was ging gar nicht, schließlich bezahlte sie dafür und das nicht wenig.

Nach dem zweiten Mal hat sie sich erst mal ein Weilchen Pause gegönnt, Geld hatte sie noch genug - also alles kein Problem. Auch für einen Urlaub reichte es noch ... am Ballermann - so richtig feiern ... Spaß ohne Ende und in den zwei Wochen jede Nacht einen anderen Typen im Bett. Auf dem Heimweg, im Flieger, hatte sie schon darüber nachgedacht, ihren Wohnort zu wechseln, hat es aber erst vor etwas mehr als drei Monaten in die Tat umgesetzt, so war sie hier gelandet und fing ganz von vorne an.

Alles war gut. Sie hätte nur mehr Zeit benötigt, um Chris herumzukriegen, doch dieses Miststück, Bianca, ist ihr in die Quere gekommen. Gerade Bianca, die dusselige Transuse, die damals nie ein vernünftiges Wort zustande brachte ...

'Die hat sich Chris wohl sofort an den Hals geworfen, als sie ihm begegnet ist, das allein zeigt doch genau, was man von ihr zu halten hat. Sie ist eine Hure, ein billiges Flittchen und nicht ich', denkt Sina verzweifelt und ist den Tränen nah...

...

Anna hat sich durch kein noch so nettes Wort davon abbringen lassen, den Chef anzurufen, als Sina im Café erschien. Chris war sichtlich wütend, als er kurz darauf ankam und sah ziemlich übernächtigt aus. Die fristlose Kündigung für Sina hatte er in schriftlicher Form gleich mitgebracht.

Noch einmal wollte Sina ihn mit allen Mitteln davon überzeugen, dass sie diejenige ist, die zu ihm gehört. Doch er hat sie, peinlich berührt, einfach stehen lassen.

Sina stürmte ihm hinterher und klammerte sich an ihm fest, veranstaltete eine gewaltige Show, dass sie sich damit absolut lächerlich machte, kam ihr nicht in den Sinn.

Natürlich konnte Chris sie abschütteln, er warnte sie genervt und sauer vor Konsequenzen. Er ging nicht allzu sanft mit ihr um, was unter den gegebenen Umständen verständlich war. Er wollte sich befreien und sie ließ nicht los, also setzte er mehr Kraft ein, Sina taumelte zurück und plumpste mitten im Café aufs Hinterteil - sie heulte Rotz und Wasser, während Chris sich dem Ausgang näherte.

Unter den anwesenden Gästen, die bei ihrem Frühstück das Schauspiel interessiert verfolgten, befanden sich auch Wolfgang und sein Kollege - zwei Polizisten. Zwar waren sie im Dienst, doch so genau nahm man das nicht und wer hätte ihnen eine Frühstückspause schon verbieten können?

" Wolfgang, achtest du bitte darauf, dass sie das Café verlässt? Die Frau macht mich irre, ich glaube, wenn ich jetzt nicht abhaue, drehe ich der den Hals um", richtete Chris sich im Gehen an Wolfgang, der nebenher auch noch ein Freund von Philipp ist.

"Aber klar, geh nur", sagte Wolfgang und nahm den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse. " Willst du sie wegen Belästigung anzeigen? Vielleicht braucht sie so was, damit sie mal weiß, was Sache ist ... "

" Ach lass mal, ich habe ehrlich gesagt keinen Bock auf so ein Theater ... oder warte ... ja, mach eine Anzeige daraus, wer weiß, was der Bekloppten noch alles einfällt. Du hast ja selbst mitbekommen, worum es geht ..."

Wolfgang hob die Hand und nickte, während Chris seines Weges ging.

...

Jetzt sitzt Sina in der Arrestzelle und heult vor sich hin.

Es wäre besser gewesen, das Café erhobenen Hauptes zu verlassen und die beiden Polizeibeamten nicht zu beschimpfen, zu beißen, zu kratzen und nach ihnen zu treten, denn das wird ernsthafte Folgen haben.

Nun hat die Einwohnerschaft wieder eine haarsträubende Neuigkeit zu verbreiten und Sina wird zum ersten Mal Angst und Bange - in eine Zelle gesperrt zu werden, hat sie bisher noch nie geschafft.

'Irgendwie läuft gerade alles aus dem Ruder, nur wegen so einer blöden Kuh, wäre die zuhause geblieben, wäre alles in bester Ordnung', denkt sie und schluchzt leise vor sich hin.

Sie hat keine Ahnung, wie lange man sie festhalten kann und wie es weitergehen soll, erst recht nicht.

Kurz fragt sie sich, ob ihr irgendwann ein schwerwiegender Fehler unterlaufen ist, um so eine Unglückssträhne verdient zu haben ...

*****

Sieben Jahre später:

Es ist ein Samstag im Sommer. Ein wenig Aufregung herrscht auf dem Pferdehof. Vor zwei Stunden haben bei Bianca die Wehen eingesetzt, ihr drittes Kind macht sich auf den Weg ...

"Lass uns losfahren, Schatz", versucht Chris es noch einmal.

" Nein, noch nicht, Liebling, ich will nicht wieder so lange in diesem dämlichen Krankenhaus auf der Pritsche liegen. Du weißt doch, wie lange es dauert, bis es soweit ist", entgegnet Bianca und stöhnt leise, als die nächste Wehe sie erwischt. Chris hält sie in seinen Armen und reibt fest ihren unteren Rückenbereich, als sie ein Hohlkreuz macht.

Sie befinden sich vor dem Pferdestall und Bianca läuft wieder ein Stück, um in Bewegung zu bleiben. Chris weicht nicht einen Zentimeter von der Seite seiner Frau.

"Onkel Philipp! Kann ich noch schnell ein paar Möhren zu den Hengsten bringen?", fragt die fast sechsjährige Viktoria, die den Namen ihrer Urgroßmutter trägt, aufgeregt.

" Natürlich, mein Engelchen", antwortet Philipp, er hält schon die Reisetasche mit den Sachen der beiden Kinder in der Hand und kickt soeben den Ball zu dem dreijährigen Sebastian zurück.

"Pass bei der Straße auf, mein Schatz", fügt er noch hinzu, bevor Viktoria mit einem kleinen gefüllten Eimer losrennt. Er sieht, dass Kevin oben bei der Straße noch am Zaun herumwerkelt und macht sich keine Sorgen, denn der große Kerl ist ganz vernarrt in die Kinder und hat stets ein wachsames Auge auf sie, als wären es seine eigenen.

Die beiden Kleinen sollen bei Philipp, seiner Frau Sophie und deren Kindern bleiben, bis der neue Erdenbürger geboren und Chris wieder zurück ist ...

...

...

Seit Wochen beobachtet Sina den Hof von Chris und Bianca aus sicherer Entfernung mit einem kleinen Fernglas.

Ein Plan ist in ihrem Spatzenhirn herangereift. Ihr Hass auf Bianca hat in all den Jahren unermessliche Ausmaße erreicht.

Dieses dumme Stück Scheiße, so wie sie Bianca in Gedanken nennt, hat ihr den Mann ausgespannt, der ganz allein zu ihr gehört. Das soll sie ihr büßen, soviel steht fest.

Sie hat es noch immer zu nichts gebracht, im Gegenteil, sie lebt von Hartz IV. Selbst im Escortservice wollte sie niemand mehr, denn von einer hübschen Dame, mit der sich gutbetuchte Herren gerne sehen lassen würden, ist sie weit entfernt - da hilft es nicht einmal eine doppelte Schicht Make-up aufzulegen. Ihr ausschweifendes Leben hat Spuren hinterlassen, die nicht wegzuschminken sind und ihre Figur ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Das tut ihrer Überheblichkeit und Selbstverliebtheit allerdings keinen Abbruch. Sie ist von ihrer Unwiderstehlichkeit fest überzeugt.

Diese verfluchte Schlampe, Bianca, hat ihr all das weggenommen, was eigentlich ihr gehören sollte und jetzt ist es an der Zeit endlich Rache zu nehmen ...

'Wenn ich diese blöde Sau nicht erwischen kann, dann halt ihre widerliche Kröte', denkt sich Sina, schwingt sich hinter das Steuer ihres klapprigen Wagens, startet und gibt Gas. Sie hat bereits fast die höchste Geschwindigkeit erreicht, zu der ihre Kiste fähig ist, als das kleine Mädchen die Straße betreten will und zieht rüber, um die Göre voll zu erwischen...

Kevin schreit aus vollem Halse Viktorias Namen, erschrocken springt das Mädchen zurück. Kevin reißt sie an sich und hechtet mit ihr im Arm zur Seite, sie landen im weichen Gras und Kevin hat das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sein Herz scheint überhaupt nicht mehr zu schlagen, doch dann rast es plötzlich los und droht seine Brust zu sprengen. Schnell steht er auf, nimmt Viktoria auf seinen Arm und läuft so geschwind wie möglich mit ihr zum Haus. Der Wagen ist in den Graben gerast und hat sich überschlagen. Das Kind darf auf keinen Fall sehen, was mit dem Fahrer des Autos passiert ist - so ist sein einziger Gedanke...

Andreas, der ihn als Frührentner mehrmals wöchentlich bei seinen Arbeiten auf dem Hof unterstützt, kommt ihm bereits entgegengerannt, um nach dem Fahrer des Gefährts zu sehen. Kevins Schrei, das Aufheulen des Motors, das Rumpeln, Krachen und all die Geräusche, die der Unfall verursachte, konnte von niemandem überhört werden ... Ein Auto hat bereits angehalten und ein Mann rennt zum Unfallwagen. Er kann die Schmerzensschreie einer Frau vernehmen und zieht, noch bevor er das auf dem Dach liegende Auto erreicht, sein Handy aus der Tasche, um den Rettungswagen zu verständigen.

Bianca steht immer noch mit geöffnetem Mund und schreckgeweiteten Augen stocksteif auf der Stelle. Der Aufschrei ist ihr in der Kehle steckengeblieben. Dass es ihr warm an den Schenkeln hinabrinnt, bekommt sie überhaupt nicht mit.

Chris hat sich gleich wieder etwas entspannt, als er sah, dass Kevin sich mit Viktoria ins Gras warf. Doch jetzt ist es Bianca, um die er sich sorgen muss ... außerdem sorgt er sich auch noch um das Leben seiner Kinder, denn er hat genau gesehen, dass der Fahrer des Wagens wohl absichtlich nach links herüberzog, dank Kevin sein Ziel verfehlte und nicht in der Lage gewesen ist, das Steuer wieder herumzureißen. Außerdem hatte er eine viel zu hohe Geschwindigkeit drauf.

"Scheiße! ... Schatz ... es ist nichts passiert ... Kevin sei Dank! ... Mein Gott ... das war haarscharf! ... Beruhige dich wieder, Süße ... Verdammt, ich glaube wir müssen sofort los, Bianca!"

Philipp hat Sebastian auf dem Arm und läuft zu Chris und Bianca hinüber.

" Trag sie ins Auto, lege sie auf den Rücksitz, ich helfe dir noch schnell dabei und dann bring sie ins Krankenhaus ... ihre Fruchtblase ist geplatzt, ich glaube, sie darf jetzt nicht mehr aufrecht stehen ... mach schon Chris, ich packe die Kleinen dann in den Wagen und fahre sofort mit ihnen los, bevor man gleich nicht mehr durchkommt. Los! Mach dir keine Sorgen, ich werde Wolfgang gleich anrufen ", weist Philipp Chris an.

"Du hast es auch gesehen?", fragt Chris leise flüsternd.

Philipp nickt und hält einen Finger vor die Lippen. Chris versteht natürlich sofort, dass Bianca nichts davon mitbekommen soll, er händigt ihm seinen Autoschlüssel aus, damit Philipp die Türen schon mal öffnen kann.

"So, Madame, auf gehts", spricht Chris Bianca ruhig an und hebt sie wie eine Braut auf seine Arme.

Gleich als die zwei Autos den Hof verlassen, kann man das blinkende Blaulicht des Rettungswagens erkennen, das Martinshorn haben sie ausgeschaltet, weil jeder hier weiß, dass die Pferde auf den Koppeln ansonsten in Panik geraten.

Es haben noch ein paar Autos angehalten. Zu dritt versuchen kräftige Männer den tobenden Kevin zurückzuhalten.

"Ich schlag das Schwein kaputt, lasst mich los, ihr Idioten! Der wollte die kleine Prinzessin umnieten! Ich hab es genau gesehen! Haut ab ... ich bringe den Penner um!", schreit Kevin völlig außer sich und wehrt sich verzweifelt gegen die Männer.

Auch die Polizei rückt an.

Kevin reißt sich genau in dem Augenblick los, als Wolfgang die Tür des Polizeiwagens zuschlägt.

"Kev! Bleib sofort stehen!", schreit Wolfgang und spurtet los, um seinen alten Schulfreund aufzuhalten.

Zum Glück packt Andreas ihn und dreht ihm den Arm auf den Rücken.

" Mensch Junge, beruhige dich... dank dir ist nichts passiert ... alles andere regelt sich von selbst ... Du darfst dich nicht wegen so einem Abschaum ins Unglück stürzen ...", redet Andreas ruhig auf ihn ein.

Kevin beginnt zu schluchzen und lässt sich auf die Knie fallen.

"Ich habe es genau gesehen!", brüllt er noch einmal.

...

Drei Stunden später im Krankenhaus:

Chris hält überglücklich seinen zweiten Sohn in seinem Arm. Sie haben sich beide vom Geschlecht des Kindes überraschen lassen wollen. Tränen verschleiern Chris' Blick und er schämt sich kein bisschen dafür, dass sich eine von ihnen ihren Weg über seine Wange bahnt. Kurz wischt er sie weg, ergreift jedoch sofort wieder die Hand seiner geliebten Frau.

"Dieses Mal ging es schnell", flüstert sie erschöpft.

"Du wirst immer besser, mit etwas Übung bekommst du es bald zwischen zwei Atemzügen hin", scherzt Chris und streichelt zärtlich ihre Wange, dann beugt er sich vor und küsst ihre trockenen Lippen.

"Ich liebe dich so sehr", sagt er leise, "ich glaube, von Tag zu Tag wächst meine Liebe zu dir noch weiter an."

Bianca lächelt ihn glücklich an.

"Ich habe es noch keine Sekunde bereut, dass wir einfach so mir nichts, dir nichts geheiratet haben. Ich liebe dich, du bist der beste Mann der Welt", erwidert Bianca.

"Ich glaube, wenn du hörst, was ich mir wünsche, wirst du mich hassen", spricht Chris seine Befürchtung aus.

"Los, sag schon", ermuntert Bianca ihn.

"Ich weiß ja, dass wir uns schon auf Namen geeinigt haben ... aber ... Schatz ... Kevin hat heute unserem Mädchen das Leben gerettet und es ist ausgerechnet ein Junge geworden, deshalb ... sei mir nicht böse ... aber könntest du dir vorstellen den kleinen Spatz Kevin zu nennen?", fragt Chris vorsichtig nach.

"Natürlich wird er Kevin heißen und der riesige Kevin wird ihn mit seinen großen Pranken über das Taufbecken halten. Das werden wir ihm niemals vergessen, er ist unser Held ... und Schatz, weißt du, wovon Kevin träumt?", Bianca sieht ihren Mann fragend an.

"Nein, sag es mir, Schatz, wenn ich es möglich machen kann, dann werde ich es tun", fordert Chris seine Frau auf.

"Er möchte einmal im Leben eine Weltreise auf so einem Luxusdampfer machen", sagt Bianca.

Chris pfeift durch die Zähne und sein Sohn protestiert augenblicklich lauthals.

" Oh ... verdammt ... sorry, mein Junge", sanft schaukelt er seinen kleinen Sprössling im Arm bis er wieder eingeschlafen ist.

"Ääähm ... ja, okay, ich denke, Kevin hat es sich verdient. Was bedeutet schon Geld im Gegensatz zum Leben unserer Prinzessin? Selbst wenn ich was ausleihen müsste - ich habe echt keine Ahnung was so was kostet - soll Kevin seine Reise bekommen. Was hältst du davon, wenn wir ihm am Tag der Taufe sein Geschenk überreichen?", will Chris wissen.

Bianca nickt mit strahlenden Augen, sie liebt Kevin. Er ist ein guter Kerl, stets hilfsbereit und jederzeit verfügbar, auch wenn es über seine Arbeitszeit hinausgeht. Er lebt für den Hof, hat er selbst mal gesagt und seine Liebe zu den Pferden ist grenzenlos. Genauso liebt er ihre und ihres Mannes Kinder, ist ihnen ein gutmütiger, stets gutgelaunter "Onkel". Seit ihrer Hochzeit ist er praktisch ein Familienmitglied geworden, denn Bianca besteht immer darauf, ihn zu jeder anstehenden Familienfeier ebenfalls einzuladen. Genauso dann, wenn Freunde zu ihnen eingeladen werden, denn ein guter Freund ist Kevin allemal ...

Derweil in der Ambulanz

"Verdammt du alte Planschkuh, das tut weh! Nimm deine Pfoten weg! Du bist viel zu dämlich, um so eine Arbeit zu machen!", schreit Sina eine Pflegerin an.

"Wie sie wünschen", Franziska würde zwar am liebsten vor Wut platzen und die Patientin mit ihrem Schädel vor die Wand knallen, aber sie bleibt ruhig und gelassen. Sie verlässt den Raum, um den diensthabenden Arzt über das Benehmen der Patientin zu informieren.

Sina grinst in sich hinein, sicherlich kommt jetzt der smarte, junge Arzt zurück, vermutet sie. Und richtig, kurz darauf öffnet sich die Tür und er tritt ein.

"Was soll das hier?", fragt er gar nicht mehr so freundlich, er hat sogar die Tür offen stehenlassen.

"Es tut mir leid, aber die Dame ist ziemlich grob mit mir umgegangen", lügt Sina.

Kai, der Arzt, hat eine ganz blöde Angewohnheit, wenn er besonders sauer ist, grinst er, statt ein ärgerliches Gesicht zu machen, so auch jetzt.

Natürlich missversteht Sina seinen Gesichtsausdruck.

"Eigentlich", so sagt Kai, "kann man bei einer angebrochenen Rippe nicht viel machen, aber ich werde ihnen eine Salbe auftragen und einen stützenden Verband anlegen, damit sie zufrieden sind!"

Er grinst immer noch, als sie ihm ihre nackten Brüste mit einem unmissverständlich auffordernden Blick entgegenreckt und übersieht es diskret, so wie jeder Arzt es machen würde.

Doch als sie ihn betatscht während er sie behandelt, macht er seinem Ärger Luft.

Seine donnernde Stimme ist in der gesamten Abteilung zu hören. Die Worte, die jeder verstehen kann, beschreiben die Patientin als genau das, was sie ist. Dabei sind Schlampe und alte Schabracke noch die harmlosesten Ausdrücke, die er verwendet. Am Ende sagt er etwas, was Sina zu denken gibt.

"Jetzt raus hier, vor der Tür wirst du schon erwartet du altes Miststück!"

'Wer könnte mich denn erwarten?', fragt sich Sina, 'vielleicht dieser nette Sanitäter, der mich aus dem Auto gezogen hat? Ich habe die sehnsüchtigen Blicke doch gesehen, die er mir zugeworfen hat. Er hatte zu seinem Kollegen gesagt, dass er dann Feierabend hat ...

Doch vor der Tür stehen zwei Polizisten. Sina erinnert sich nicht mehr an ihre Gesichter, viel zu viele Männer sind ihr in ihrem Leben schon untergekommen - sie lächelt sie zuckersüß an.

Das Lächeln erstirbt auf ihren Lippen, als der eine von ihnen mit angewiderter Miene sagt:

"Sie sind vorläufig festgenommen. Man wirft ihnen einen Mordversuch vor. Zwei vertrauenswürdige Zeugen bestätigen dies mit übereinstimmender Aussage. Außerdem haben wir bei einer ersten, kurzen Inspektion ihres Fahrzeugs eine Schreckschusspistole und eine Sturmhaube entdeckt, die wir mit den Kiosk-Überfällen im Umkreis von fünfzig Kilometern in Verbindung bringen. Des Weiteren fanden wir Dutzende leere Geldbörsen, in denen teilweise noch die Papiere der Eigentümer stecken. Einige davon haben Anzeige gegen eine unbekannte Person erstattet. Das ist zufälligerweise alles aus sämtlichen Ecken des Wagens gepurzelt und präsentierte sich uns direkt auf dem Himmel des auf dem Dach liegenden Fahrzeugs.

Tja, dann noch etwas: Die Herren, denen die Portemonnaies gehören, berichteten leider auch, dass sie ihnen Sex gegen Bezahlung angeboten haben, sofern sie keinen Gewerbeschein besitzen, wird ihnen noch unerlaubte Prostitution zur Last gelegt. Das reicht fürs Erste. Mal schauen, wir finden sicherlich noch was anderes, oder, Schnuckelchen? Die Hellste scheinst du wohl nicht zu sein ... Abmarsch!"

Niemand hat auf das ältere Ehepaar geachtet, welches mit entsetzten Gesichtern die Szene beobachtet und den Worten des Polizisten lauscht.

"Sina!!!", ruft ihre Mutter einem Nervenzusammenbruch nahe, als der Polizist die Litanei seiner Vorwürfe beendet hat.

Sina dreht sich um und erstarrt.

"Mama?", fragt sie kleinlaut, als sie ihren Vater entdeckt, fügt sie noch ein fragendes "Papa" hinzu.

"Wir sind nicht mehr deine Eltern", brüllt ihr Vater ihr entgegen.

"Wir haben nie eine Tochter gehabt!", fällt ihre Mutter ihm ins Wort.

Man hatte sie sofort benachrichtigt, als Sina ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weil man bei dem Theater, welches sie veranstaltete und dem sterbenden Schwan den sie spielte, schwere innere Verletzungen vermutete. Von Sorge um ihr einziges Kind gepeinigt, sind die beiden sofort mit dem Auto losgerast und haben gehofft, ihre Tochter wenigstens noch lebend vorzufinden ...

Zum letzten Mal haben sie Sina vor zwei Jahren gesehen, sie war ja immer so beschäftigt. Es hat mit einem Besuch bei ihr aus demselben Grunde nie geklappt. Das Mädchen war immer im Stress, hetzte von einem Termin zum anderen. Mal Paris, London oder New York. Als Mannequin und Fotomodel war sie ständig unterwegs. Deshalb hatte sie auch keinen festen Wohnsitz. Das erzählte Sina jedenfalls immer, wenn sie sich denn hin und wieder mal per Handy meldete. Doch an jenem Tag konnte sie es einrichten und besuchte ihre Eltern, die kurz zuvor ihr Häuschen, welches ihr Vater einst von seinen Eltern erbte, verkauft hatten, weil in ihrem Alter ihre Knochen schmerzten und der große Garten nicht mehr gepflegt werden konnte. Sie kauften sich eine kleine Eigentumswohnung, um ihren Lebensabend dort zu verbringen. Den restlichen Betrag vom Hausverkauf - es war noch ein stattliches Sümmchen - sollte ihr geliebtes Töchterchen bekommen, auch wenn sie es nicht nötig hatte, aber naja ... so einen kleinen Obolus verschmäht doch niemand! Sie haben ihr Mädchen schon immer verwöhnt, auch wenn sie es gar nicht so besonders dicke hatten. Ihre Mutter ging viele Jahre lang putzen, um der Tochter früher zumindest einen Teil ihrer großspurigen Wünsche erfüllen zu können und später jeden Monat pünktlich einen großen Teil ihres Verdienstes an sie zu überweisen. Doch damit war Schluss, ihre Knochen machten es einfach nicht mehr mit. Es sollte das Letzte sein, was sie zu geben hatten, denn schließlich brauchte man selbst etwas zum Leben. Den Betrag im gehobenen fünfstelligen Bereich nahm Sina nach mehrmaligem zureden letztendlich an, ach - sie war doch so perfekt auf dem Gebiet der Schauspielkunst ...

Mit dem Geld verfuhr sie frei nach dem Motto: Wie gewonnen, so zerronnen...

Urlaube in der Türkei, in Ägypten und so weiter ... Sie gönnte sich etwas Luxus ... schließlich hatte sie es sich verdient ... Champagner in den Bars ... heiße Nächte mit gutgebauten, braungebrannten, jungen Kerlen, die sie wie eine Göttin verehrten ... das Leben konnte so schön sein ...

Das Geld war schneller weg, als Sina denken konnte und dann stand sie mal wieder vor dem Nichts. Es war schlimmer als je zuvor, denn auch die monatliche Zuwendung ihrer Eltern gab es nicht mehr. Also suchte sie einen anderen Weg ihr karges Einkommen vom Amt zu verbessern und verfluchte Gott und die Welt für die Ungerechtigkeit, die sie doch wohl am allerwenigsten verdiente ...

...

Sina hat wohl einen Schutzengel an ihrer Seite gehabt, denn außer der angebrochenen Rippe und ein paar Prellungen, ist ihr nichts Weiteres passiert. Doch vermutlich nur deshalb, weil das Leben noch nicht damit fertig ist, sie für ihre Bosheit zu bestrafen, wer weiß das schon? Dazu fällt mir nur eine passende Bemerkung ein:

> Karma siegt ... immer <

...

"Wir müssen dich noch darauf hinweisen, dass alles, was du von nun an sagst, gegen dich verwendet werden kann", erklärt Wolfgang.

"Aber ich darf doch trotzdem was sagen, oder?", fragt Sina.

"Natürlich darfst du ... wir sind immer schon sehr geduldige Zuhörer gewesen", gibt Wolfgang grinsend zurück.

"Ich wollte dem Kind nichts tun, wirklich", entschuldigt sich Sina reumütig ," es ist ja auch nichts passiert, also warum muss ich dann jetzt mit? Eigentlich müsste Bianca eingesperrt werden. Die ist die einzige Schuldige, wenn sie mir Chris nicht weggenommen hätte, dann hätte ich gar nicht darüber nachdenken müssen, wie ich sie beseitigen kann. Und die blöde Kröte hat heute zufällig meinen Plan geändert. Aber irgendwann erwische ich Bianca, das ist sicher! Dann bekomme ich endlich den Mann der zu mir gehört."

"Die gehört nicht in den Knast", bemerkt Wolfgangs Kollege, " die gehört lebenslänglich in die Klapse. Gut, dass die dämlich genug ist, sich selbst noch so richtig in die Scheiße zu reiten!"

"Vorsicht, auch wenn ihr Bullen seid, habt ihr nicht das Recht mich zu beleidigen", regt Sina sich auf.

"Niemand hat dich beleidigt, du alte Vogelscheuche", sagt der Polizist zu Sina," oder hast du etwas gehört Wolfgang?"

"Nein, warum? Hast du irgendetwas gesagt?", fragt Wolfgang grinsend.

Sein Kollege Axel seufzt.

"Wie gut, dass ich ab Montag Urlaub habe", spricht er zu Wolfgang, " ich freue mich schon drauf. Zwei Wochen Texel und die Seele baumeln lassen ..."

Wolfgang will gerade etwas entgegnen, als Sina sich wichtigtuerisch einmischt. Sie kann ihre dumme Klappe einfach nicht halten ...

"Ja, Texel ist schön, da war ich mal für ein paar Tage. Dann habe ich eine Weile in Rotterdam gelebt, das ist gut drei Jahre her. Den Haag und Amsterdam kenne ich auch sehr gut."

Wolfgang sieht sie mit gespitzten Lippen gedankenverloren von der Seite her an - irgendetwas war da doch ...

Außerdem ist er sich ziemlich sicher, dass Sina früher blondes Haar hatte.

Axel räuspert sich und zieht somit die Aufmerksamkeit seines Kollegen auf sich. Als Wolfgang ihn anschaut erkennt er, dass Axel wohl den gleichen Gedanken zu haben scheint.

Wenn ihr Verdacht sich bestätigen sollte, haben sie hier einen ganz besonders dicken Fisch an der Angel. Es mag wohl drei Jahre her sein, seit die niederländische Polizei ihre deutschen Kollegen um Unterstützung bei der Fahndung nach einer blondhaarigen Deutschen bat, von der nur ein nach den Vorgaben eines Gärtners erstelltes Phantombild vorlag, beziehungsweise - immer noch vorliegt.

Die beiden Polizeibeamten schmunzeln vor sich hin.

...

Sina hatte sich damals Zugang zu der Villa einer alten Dame verschafft, die für eine längere Zeit verreist war. Dem Gärtner hat sie glaubhaft versichern können, dass sie die Enkelin der alten Dame sei und ihre Oma bei ihrer Rückkehr mit ihrer Anwesenheit überraschen wollte. Der junge Mann arbeitete noch nicht sehr lange für die Hauseigentümerin und sah keinen Grund dafür, der Geschichte skeptisch gegenüberzustehen. Er genoss so manche lustvolle Stunde im Bett der Enkelin.

Eines sehr späten Abends kehrte die alte Frau zurück. Sina gönnte sich eine arbeitsfreie Nacht, denn ihre Streifzüge durch die Bars und die Betten einiger Herren waren in den letzten Tagen besonders einträglich gewesen.

Jeder kann sich wohl vorstellen, dass die Überraschung der betagten Dame unglaublich groß gewesen ist. Sina schubste sie, als die Frau per Handy die Polizei verständigen wollte. Unglücklicherweise schlug die Dame im Fallen mit dem Kopf gegen die Kante einer Kommode ...

Naja ... als man sie schließlich zwei Tage später fand, lebte sie nicht mehr und Sina war verschwunden.

Der Gärtner kannte noch nicht einmal Sinas Namen, er hatte sie stets "Sweety" genannt, wenn er sich mit ihr vergnügte ...

Die Villa lag sehr abgelegen, somit gab es keine weiteren Zeugen, die die Schuldige hätten beschreiben können ...

...

"Weißt du eigentlich, dass dir blondes Haar viel besser steht, Sina? Die dunkle Farbe lässt dich viel zu alt aussehen", versucht Wolfgang sein Glück ihr weitere Informationen zu entlocken.

"Echt?", fragt Sina aus ihren Gedanken an den Gärtner gerissen, der vögeln konnte, wie ein junger Gott. Hätte er das nötige Kleingeld besessen, um ihr ein angenehmes Leben zu finanzieren, wäre sie bestimmt bei dem kräftigen, potenten Typen geblieben. "Ja, ich glaube, du könntest recht haben. Ja ... nach drei Jahren wird es wohl nicht mehr nötig sein die Haare zu färben."

Sina fühlt sich geschmeichelt, weil selbst der Polizist sich an sie erinnert - tja, kein Wunder, eine schöne Frau wie sie, vergisst ein Kerl halt nicht ...

'Ach, du widerliche, dumme Gans', denkt Wolfgang wohlgefällig. Auf dem Phantombild kann man die Frau zwar nicht erkennen, doch die zahlreichen Fingerabdrücke von ihr werden beweisen, dass Sina die gesuchte Dame ist, außerdem gibt es auch noch DNA-Auswertungen...

Sina fühlt sich allerdings sicher. Wer sollte schon auf die Idee kommen, dass ihr damals am Rande von Amsterdam dieses kleine Malheur mit der alten Schreckschraube passierte? Sicherlich lebt die alte Hexe immer noch in ihrer protzigen Villa und erinnert sich nicht einmal an den kaum erwähnenswerten Zwischenfall.

Und die Sache von heute war ebenfalls nur eine Bagatelle. Die ekelhafte Kröte ist wohlauf - warum also so ein Theater?

Den größten Schaden hat ja wohl sie selbst zu tragen. Ihre Rippen schmerzen und ihr Auto ist nur noch ein Schrotthaufen ... Das Schlimmste allerdings ist die Tatsache, dass sie Chris immer noch nicht nähergekommen ist.

Seufzend denkt sie an den Mann, der zu ihr gehört und der ihr alle Wünsche erfüllen wird, sobald sie endlich das bekommt, was sie verdient ...

'Naja, irgendwann bekomme ich ihn, ich muss nur geduldig sein', denkt sie voll Zuversicht, 'denn lange wird man mich nicht festhalten können. Damals, nach der Eskapade im Café, musste man mich auch am nächsten Morgen wieder gehen lassen ...'

...

Mit Sicherheit wird Sina viele Jahre lang in Ruhe von Chris träumen können ... von der Außenwelt abgeschirmt und sicher verwahrt ... vielleicht sogar bis ans Ende ihres Lebens ... wer weiß das schon?

...

********** ENDE **********



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