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Gegensätze (fm:Romantisch, 4694 Wörter)

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Veröffentlicht: Mar 08 2023 Gesehen / Gelesen: 11321 / 8082 [71%] Bewertung Geschichte: 9.23 (124 Stimmen)
Das Leben bietet immer wieder Überraschungen. Wie kann es schließlich sein, dass Menschen mit vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen zusammenkommen?

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Gegensätze

In der Fußgängerzone war kaum ein Vorankommen. Um einen Stand herum hatte sich eine Traube von Personen gebildet. Ilona hörte lautes Gebrüll, aggressive Rufe aus verschiedenen Bereichen des Kreises. In der Mitte, wohl eher am Rand, nahe an dem Spielwarengeschäft stand leicht erhöht ein Mann und redete auf die Anwesenden über ein Megafon ein.

Es war mal wieder Wahlzeit, fiel Ilona ein. Da trafen Meinungen unterschiedlichster Art aufeinander. Und die künftigen Wähler gingen miteinander nicht gerade freundlich um. Es herrschte ein rauer Ton, sowohl von Seiten des Sprechers wie auch von Seiten der Zuhörer, die dem Sprecher politisch alles andere als wohl gesonnen waren.

Ilona quetschte sich an den Leuten vorbei. Ihr fiel dabei auf, dass der Redner im Gegensatz zur Menge einen vollkommen entspannten und ruhigen Eindruck machte. Da war kein Gekeife oder gar Gegeifer. Er verströmte mit seiner ruhigen sonoren Stimme Bestimmtheit und zugleich eine überraschende Gelassenheit.

Der Mann vertrat eine politische Position, die so gar nicht in Ilonas Weltbild passte. Auch seine über-korrekt erscheinende Kleidung traf keinesfalls ihren Geschmack. Anzug mit Weste und dazu noch weißes Hemd mit Krawatte. Das schien ihr nicht einmal ein Gestern, eher ein Vorgestern.

Ilona liebte schon von Kindesbeinen an einen eher lockeren Bekleidungsstil. Die Oberteile durften schon einmal eine Nummer zu groß sein. Obwohl sie hübsche gerade Beine mit wohlgeformten Waden hatte, zeigte sie die nur ungern. Die Hose war für sie nicht nur Bekleidungsstück. Es sollte ihre Emanzipation, ihre Unabhängigkeit beweisen. Von teurem Schuhwerk hielt sie ohnehin nichts. Meist trug Ilona offene Schuhe wie Clogs oder die berühmten mit den zwei breiten Riemen auf ergonomisch geformtem Fußbett.

Ilona hatte schon die Menge hinter sich gelassen, als ihr der Redner erneut in den Sinn kam. Der Kerl war groß gewachsen und von schlanker Statur mit mittellangen zurück gekämmten braunen Haaren. Seine Gesichtszüge schienen herb, hatten aber zugleich etwas weiches an sich. Der Mann schien zu wissen, wofür er stand.

Auf ihrem weiteren Weg durch die Innenstadt kamen Ilona seine feinen Lippen in den Sinn. Selbst schärfste Worte machten das Gesprochene leicht und eingängig. Diese merkwürdige Sanftheit fand sich auch in den Bewegungen seiner Arme und Hände. Sie spürte, dass dieser Mann nicht drohen oder zurechtweisen wollte. Ihm kam es ersichtlich darauf an, die Menge zu überzeugen.

Normalerweise hätte sie dieses kurze Erlebnis längst vergessen. Aber selbst am folgenden Tag kam ihr der Unbekannte mit der merkwürdigen, um nicht zu sagen, indiskutablen politischen Überzeugung wieder in den Sinn. Wie könnte es sein, dass sie sich an so einen überhaupt erinnert, der offen und mit fadenscheinigen Argumenten seine Verachtung gegenüber allen Fremden und anders Denkenden äußerste?

Ihre Eltern hatten sie offen und freiheitlich erzogen. Hilfe für die Ärmsten, die oft Vergessenen und die Schwachen war für sie geradezu ein Lebensmotto. Ilona spendete regelmäßig an die verschiedensten Hilfsorganisationen. Und bei Diskussionen im Freundeskreis war sie die Stimme, die Kranke, Migranten und Menschen mit alternativen Lebensentwürfen und Einstellungen heftig verteidigte, selbst wenn sie über die Stränge geschlagen hatten. Zu mehr an Vorwürfen konnte sie sich nicht herablassen. Eine Verurteilung selbst schwerer Verfehlungen kam für sie nicht in Betracht.

Noch einmal trat Ilona das Gesicht des Redners vor ihr inneres Auge. Da gab es diesen Kontrast zwischen seinen wundervollen blauen Augen, die einen geradezu magnetisch anzogen, und seinen zurückgekämmten, pomadisch glänzenden Haaren. Dieses Bild hatte sich fest in ihrem Gehirn eingeprägt.

Ilona arbeitete in ihrem eigenen Buchladen, zu dessen Start die Eltern nicht gerade wenig beigetragen hatten. Interessenten und Förderer kleiner Verlage wurden bei ihr fündig. Und natürlich auch Personen, die

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